Urteil des OLG Hamm vom 21.08.2007

OLG Hamm: unterbringung, ärztliche leitung, öffentliche sicherheit, wichtiger grund, fortdauer, untersuchungshaft, gefahr, leib, psychose, gefährdung

Oberlandesgericht Hamm, 3 OBL 86/07 (42)
Datum:
21.08.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 OBL 86/07 (42)
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 10 Ks 46 Js 24/07 – 11/07
Schlagworte:
Sechsmonatsprüfung durch das OLG
Normen:
StPO § 126a Abs. 2 S. 2; 121, 122
Leitsätze:
Das Oberlandesgericht prüft bei einer Vorlage zur Überprüfung der
einstweiligen Unterbringung nach § 126a Abs. 2 S. 2 StPO lediglich, ob
die Unterbringungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen. Die Frage, ob
es zu vermeidbaren Verfahrensverzögerungen gekommen ist, spielt erst
im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Rolle.
Tenor:
Die Fortdauer der einstweiligen Unterbringung über sechs Monate
hinaus wird angeordnet.
Die Prüfung der einstweiligen Unterbringung für die nächsten drei
Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen
Gericht übertragen.
G r ü n d e :
1
I.
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Dem Beschuldigten, der seit dem 22.01.2007 nach § 126a Abs. 1 StPO einstweilig
untergebracht ist, wird mit dem Unterbringungsbefehl des des Amtsgerichts Bielefeld - 9
Gs 196/07 - vom 19.01.2007 zur Last gelegt,
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"am 29.12.2006 in C im Zustand der Schuldunfähigkeit, tateinheitlich,
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a. einen Menschen zu töten versucht zu haben, ohne Mörder zu sein,
b. eine andere Person mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung körperlich
misshandelt und an der Gesundheit beschädigt zu haben."
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(...)
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Am vorgenannten Tattag gegen 04.45 Uhr würgte er – von Wahnideen besetzt – im
Schlafzimmer der gemeinsamen Wohnung, B-Straße, seine Lebensgefährtin K derart
heftig, dass die Zeugin keine Luft mehr bekam, ihr schwarz vor Augen und schwindelig
wurde. Dabei schrie er:
bist>. Als sie sich zu wehren versuchte, drückte er noch fester zu mit den Worten:
kannst Dich ja doch nicht wehren!>. Er wollte K töten, weil er annahm, sie beabsichtige
seine Einweisung in ein Psychiatrisches Krankenhaus zu veranlassen. Als er kurzfristig
seinen Griff löste, konnte K zu ihrer Wohnungsnachbarin flüchten und telefonisch
polizeiliche Hilfe herbeirufen."
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Am Vorabend der Tat war es zwischen dem Beschuldigten und der Geschädigten
bereits zu Spannungen gekommen, da der Beschuldigte die Vorstellung hatte, die
Geschädigte habe ein Verhältnis mit ihrem Großvater. Er warf ihr deshalb vor, eine
Schlampe zu sein, die nicht richtig beten könne. Sie solle als Vogelscheuche auf einem
Feld brennen.
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Mit dem geschilderten Tatvorwurf identisch ist die Antragsschrift im Sicherungsverfahren
der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 16.04.2007. Sie ist dem Angeschuldigten
zugestellt und durch Beschluß des Landgerichts Bielefeld vom 21.05.2007 zugelassen
worden.
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Zur Vermeidung von Wiederholungen wird wegen des dringenden Tatverdachts auf den
Inhalt der Antragssschrift Bezug genommen.
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Mit der Eröffnung des Hauptverfahrens hat das Landgericht die Fortdauer der
einstweiligen Anordnung aus den Gründen ihrer Anordnung bestimmt. Gleichzeitig hat
es ein weiteres Verfahren (10 KLs 62 Js 484/06 – 14/07 X) , in dem dem Angeklagten
mehrere Körperverletzungs- und Sachbeschädigungshandlungen (§§ 223, 303 StGB)
vorgeworfen werden, zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung hinzuverbunden.
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II.
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Die Fortdauer der einstwiligen Unterbringung war entsprechend dem Antrag der
Generalstaatsanwaltschaft anzuordnen, da ihre Voraussetzungen weiterhin vorliegen (§
126a Abs. 2 S. 2 StPO i.d.F. des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16.07.2007, BGBl. I
S. 1327, in Kraft getreten am 20.07.2007, nachfolgend:
"Unterbringungssicherungsgesetz").
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1.
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Der Anordnung der Fortdauer der der Untersuchungshaft stand nicht schon entgegen,
dass die Akten dem Senat nicht rechtzeitig vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist, die am
22.07.2007 endete, vorgelegt worden sind, sondern erst am 08.08.2007. Nach bisher
(wohl) h.M. zur Aktenvorlage im Rahmen der Untersuchungshaft ist nämlich allein die
verspätete Vorlage der Akten beim Oberlandesgericht kein Grund, den Haftbefehl
aufzuheben. Die Sechsmonatsfrist der §§ 121, 122 StPO ist eine bloße
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Ordnungsvorschrift, deren Verletzung nicht zwangsläufig die Aufhebung des Haftbefehls
nach sich zieht (OLG Hamm NStZ-RR 2003, 143; OLG Hamm NJW 1965, 2312; OLG
Bamberg NStZ 1981, 403; OLG Bremen NStZ-RR 1997, 334, 336; OLG Karlsruhe NStZ
1997, 452 jew. m.w.N.). Etwas anderes kann auch für die durch das
Unterbringungssicherungsgesetz neu eingeführte Sechsmonatsprüfung bei einer
einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO nicht gelten. Im vorliegenden Fall kommt
hinzu, dass der Sechsmonatstermin zeitlich nur knapp nach Veröffentlichung der
Neuregelung im Bundesgesetzblatt und ihrem Inkrafttreten lag. Eine rechtzeitige
Vorlage beim Oberlandesgericht wäre daher auch bei einem sofortigen Tätigwerden der
Strafverfolgungsbehörden nur schwer möglich gewesen.
2.
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Die allein notwendigen Voraussetzungen für die Fortdauer der Unterbringung, nämlich
dass die Voraussetzungen der Anordnung der einstweiligen Unterbringung nach § 126a
Abs. 1 StPO weiterhin gegeben sind, liegen hier vor.
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a. Nach dem Wortlaut § 126a Abs. 2 S. 2 StPO kommt es für die
Unterbringungsfortdauerprüfung durch das Oberlandesgericht allein darauf an, "ob
die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung weiterhin vorliegen". Die
Fortdauer der Unterbringung ist hingegen nicht an die zusätzlichen
Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO gebunden, nämlich dass "die besondere
Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer
wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft
rechtfertigen".
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Diese Auslegung wird von den Gesetzesmaterialien gestützt. Darin heisst es:
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"Dementsprechend sieht die vorgesehene Regelung vor, dass das
Oberlandesgericht lediglich prüft, ob die Voraussetzungen für die Anordnung der
einstweiligen Unterbringung weiterhin vorliegen. Hierbei können Umstände wie
etwa die Gefährlichkeit des Betroffenen oder die Bedeutung der Sache
Berücksichtigung finden. Damit wird dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit
entsprochen und zugleich eine beschleunigte Bearbeitung durch die
Strafverfolgungsbehörden sichergestellt, die spätestens nach sechs Monaten über
den Fortgang des Verfahrens Rechenschaft ablegen müssen" (Gesetzentwurf der
Bundesregierung BT-Drs. 16/1110 S. 18).
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Grund für den unterschiedlichen Prüfungsmaßstab bei Untersuchungshaft und
einstweiliger Unterbringung ist, dass bei letzterer der Schutz der Allgemeinheit im
Vordergrund steht (BT-Drs. 16/1110 S. 24), während Hauptzweck der
Untersuchungshaft die Verfahrenssicherung ist (BT-Drs. 16/1110 S. 18). Die
aufgrund von vermeidbaren Verfahrensverzögerungen (vgl. dazu Meyer-Goßner,
StPO, 50. Aufl. § 121 Rdn. 1 ff. m.w.N.) durch eine Entlassung aus dem Vollzug der
Untersuchungshaft bedingte Gefährdung der Verfahrenssicherung ist aber eher
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hinnehmbar, als die Gefährdung der Allgemeinheit durch i.S.v. § 126a Abs. 1 StPO
gefährliche Straftäter, denn insbesondere wenn es um hochrangige
Indivualrechtsgüter geht, trifft den Staat eine entsprechende Schutzpflicht (vgl.
BVerfG NJW 1993, 1751, 1753; NJW 1997, 3085; NJW 2006, 891, 894).
Der noch zur alten Rechtslage (vor der Änderung des § 126a Abs. 2 StPO durch
das Unterbringungssicherungsgesetz) teilweise vertretenen Ansicht, dass auch bei
der einstweiligen Unterbringung vermeidbare Verfahrensverzögerungen ihrer
Fortdauer entgegenstehen (OLG Koblenz NStZ-RR 2007, 207, 208) ist durch die
gesetzliche Neuregelung der Boden entzogen.
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Indes ist es nicht so, dass das auf dem Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 2 GG) und
Art. 5 Abs. 3 MRK beruhende Beschleunigungsgebot bei der einstweiligen
Unterbringung etwa nicht zu beachten wäre (OLG Koblenz NStZ-RR 2007, 207,
208; OLG München NStZ-RR 2003, 366, 367). Der Gesetzgeber des
Unterbringungssichergesetzes wollte dessen Beachtung durch Einführung der
Sechsmonatsprüfung, die die Strafverfolgungsbehörden zur
Rechenschaftsablegung gegenüber dem Oberlandesgericht zwingt, gerade
sicherstellen. Für die Überprüfung durch das Oberlandesgericht, spielt die Frage,
ob es zu noch hinnehmbaren Verfahrensverzögerungen gekommen ist oder nicht,
aber erst im Rahmen der allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprüfung, die bei der
Prüfung der einstweiligen Unterbringung immer anzustellen ist (Meyer-Goßner
a.a.O. § 126 a Rdn. 5) eine Rolle (vgl.: OLG München NStZ-RR 2003, 366, 367).
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b. In diesem Sinne liegen die Voraussetzungen für eine einstweilige Unterbringung
i.S.d. § 126a Abs. 1 StPO hier weiterhin vor.
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Der Beschuldigte ist jedenfalls der ihm zur Last gelegten Tat, die zum Erlass des
Unterbringungsbefehls geführt hat, dringend verdächtig.
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Aufgrund der überzeugenden Ausführungen im Gutachten des Sachverständigen
Dr. I liegt bei dem Beschuldigten eine Psychose aus dem schizophrenen
Formenkreis sowie ein schädlicher Alkoholmissbrauch vor. Sein Deliktverhalten ist
ein direktes Symptom dieser Psychose, basierend auf einer krankheitsbedingt
gestörten Realitätswahrnehmung und einer gestörten Urteils und Willensbildung.
Aufgrund dessen war die Fähigkeit des Beschuldigten, bei Begehung der Tat ihr
Unrecht einzusehen aufgehoben i.S.d. § 20 StGB.
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Es ist weiter zu erwarten, dass die Unterbringung des Beschuldigten in einem
psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet werden wird. Nach den
Ausführungen des Sachverständigen, die sich mit den übrigen Erkenntnissen nach
Aktenlage decken, ist zu erwarten, dass er – sofern er nicht ausreichend langfristig
und umfassend behandelt wird – auch zukünftig erhebliche Straftaten begehen
wird. Er neigt aber – aufgrund einer nur geringen Kranheitseinsicht - gerade dazu,
Behandlungsangebote abzulehnen, abzubrechen oder eine entsprechend
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notwendige neuroleptische Medikation nicht dauerhaft und zuverlässig
einzunehmen.
Angesichts der geschilderten Umstände erfordert die öffentliche Sicherheit die
Unterbringung, da die von dem Beschuldigten ausgehende erhebliche Gefahr für
Leib und Leben Dritter bis zu einer endgültigen Entscheidung über die
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht anders abwendbar ist.
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c. Die einstweilige Unterbringung des Beschuldigten ist – auch im Hinblick auf die
Dauer des Verfahrens - verhältnismäßig. Wie dargestellt ist sie geeignet und
erforderlich, der vom Beschuldigten ausgehende Gefahr für Leib und Leben Dritter
zu begegnen. Eine eventuell ebenfalls mögliche Unterbringung nach dem
PsychKGNW stellt keine mildere, ebenso geeignete Maßnahme dar (vgl. OLG
Düsseldorf MDR 1984, 71; Meyer-Goßner aaO § 126a Rdn. 5). So kann z. B. nach
§ 25 PsychKGNW die ärztliche Leitung den Untergebrachten für zehn Tage
beurlauben und bei der einstweiligen Unterbringung bestehen nach § 70h Abs. 2
FGG i.V.m. § 13 Abs. 1 PsychKG recht enge Fristengrenzen.
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Die weitere einstweilige Unterbringung des Beschuldigten ist auch angemessen.
Von dem Beschuldigten geht – wie die oben dargestellte Tat und Ergebnisse der
Sachverständigenbegutachtung zeigen - eine erhebliche Gefahr für höchste
Rechtsgüter, nämlich Leib und Leben Dritter, aus. Verfahrensverzögerungen von
wesentlicher Dauer waren bisher nicht festzustellen. Zwar wird die
Hauptverhandlung nach der gegenwärtigen Terminierung erst am 06.09.2007, also
mehr als drei Monate nach der Eröffnung des Hauptverfahrens am 21.05.2007
beginnen (vgl. zu dieser Frist: BVerfG Beschl. v. 15.02.2007 – 2 BvR 2563/06 Rdn.
26; Beschl. v. 05.12.2005 – 2 BvR 1964/05). Es kann aber derzeit dahinstehen, ob
die bereits seit Jahresbeginn bestehende Überlastung der Strafkammer noch einen
anerkennensfähigen Grund für eine Terminierung mit einem solchen Vorlauf sein
kann oder ob hier nicht inzwischen durch Entlastung der Strafkammer oder Bildung
von Hilfsstrafkammern hätte Abhilfe geschaffen werden können. Angesichts der
dargestellten Gefahr begründet diese Verzögerung hier jedenfalls noch nicht die
Unangemessenheit des weiteren Vollzugs der einstweiligen Unterbringung.
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III.
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Die Nebenentscheidung folgt aus § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.
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