Urteil des OLG Hamm vom 21.03.2006

OLG Hamm: strafvollstreckung, kausalzusammenhang, therapie, karte, verweigerung, dvd, drogensucht, drogenabhängigkeit, klinik, urkundenfälschung

Oberlandesgericht Hamm, 1 VAs 8/06
Datum:
21.03.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 VAs 8/06
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.
Der Geschäftswert wird auf 2.500,- € festgesetzt.
G r ü n d e :
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I.
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Das Amtsgericht Oberhausen hat den Betroffenen am 11. Juli 2002 wegen versuchten
Betruges und wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.
Nach den getroffenen Feststellungen hatte der Betroffene am 15. Januar 2002 versucht,
mit einer von ihm gefundenen, auf den Namen U lautenden
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ec-Karte der T-Bank, im Kaufhaus L in P einen Laptop im Wert von 1.533,- € zu
erwerben. Als er an der Kasse die ec-Karte vorlegte, wurde ihm von der Kassiererin
mitgeteilt, dass ein Betrag in dieser Höhe nicht mit einer
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ec-Karte gezahlt werden könne. Der Betroffene entschied sich deshalb zum Erwerb
eines DVD-Players im Wert von 198,- € sowie von zwei Schachteln Zigaretten und legte
zur Bezahlung erneut die ec-Karte vor. Den zu diesem Zweck vorgelegten
Lastschriftbeleg unterschrieb der Betroffene mit dem Namen des U.
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Mit Beschluss vom 15.11.2004 hat die 7. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
Essen die Strafaussetzung widerrufen, weil der Betroffene innerhalb der
Bewährungszeit erneut Straftaten begangen hatte und deswegen vom Amtsgericht
Oberhausen am 2. Juli 2004 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und
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vom Amtsgericht Krefeld am 27. August 2004 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
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2 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden war.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts Oberhausen vom 30. März 2005 wurden schließlich die
Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Oberhausen vom 11. Juli 2002 und aus einer
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weiteren Verurteilung durch das Amtsgericht Kleve vom 5. Februar 2004 im Wege der
nachträglichen Gesamtstrafenbildung auf eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von einem
Jahr und zehn Monaten ohne Strafaussetzung zurückgeführt. Durch das einbezogene
Urteil des Amtsgerichts Kleve war der Betroffene wegen ähnlicher Straftaten, nämlich
Diebstahls in 3 Fällen sowie Computerbetruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in
3 weiteren Fällen verurteilt worden.
Mit Schreiben vom 4. Juli 2005 beantragte der Betroffene die Zurückstellung der
Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG und führte dazu aus, seine
Betäubungsmittelabhängigkeit ergebe sich bereits aus dem Urteil des Amtsgerichts
Krefeld vom
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27. August 2004. Das Urteil des Amtsgerichts Oberhausen vom 11. Juli 2002 enthalte
dazu keine Feststellungen, weil er "als Abhängiger nicht bei der Verhandlung inhaftiert
werden wollte".
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Diesen Antrag hat die Staatsanwaltschaft Duisburg zunächst dem Amtsgericht
Oberhausen als Gericht des ersten Rechtszuges zugeleitet, weil die Zustimmung dieses
Gerichts für die Zurückstellung der Strafvollstreckung erforderlich ist (§ 35 Abs. 1 S. 1
BtMG). Das Amtsgericht hat seine Zustimmung jedoch nicht erteilt und zur Begründung
ausgeführt, aus seinem Urteil vom 11. Juli 2002 ergebe sich nicht, dass die
Betäubungsmittelabhängigkeit des Betroffenen für die ihm zur Last gelegten Straftaten
ursächlich gewesen sei. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Taten nur
anlässlich seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden seien. Der
Bundeszentralregisterauszug des Betroffenen weise insgesamt 21 Eintragungen auf.
Bemerkenswert sei dabei, dass der Betroffene auch schon vor dem Beginn seiner
Betäubungsmittelabhängigkeit Vermögensstraftaten zur Finanzierung seines
Lebensstandards begangen habe. Der Einweisungsentschließung der
Justizvollzugsanstalt Hagen vom 2. Juni 2005 sei zu entnehmen, dass erst ab 1995
auch einsetzender Drogenkonsum ursächlich für strafrechtliche Auffälligkeiten gewesen
sein dürfte. Der Betroffene habe deshalb Vermögensstraftaten nicht ausschließlich zur
Finanzierung seines Eigenkonsums begangen, sondern auch, um durch die Erlöse
seinen hohen Lebensstandard zu erhalten. Es seien schließlich auch keine Gründe
dafür ersichtlich, warum der Betroffene in der Hauptverhandlung seine
Drogenabhängigkeit verschwiegen habe, denn in der Drogenszene sei allgemein
bekannt, dass die Zurückstellung der Strafvollstreckung nur dann in Betracht komme,
wenn die Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden sei. Es
sei deshalb naheliegend, dass sich der Betroffene in der Hauptverhandlung gerade auf
diesen Umstand berufen hätte, wenn die Rauschmittelsucht tatsächlich die Ursache für
seine Straftaten gewesen wäre.
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Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat daraufhin mit Entschließung vom 7. November die
Zurückstellung der Strafvollstreckung abgelehnt, weil das Amtsgericht Oberhausen die
dafür erforderliche Zustimmung nicht erteilt habe und es damit an einer gesetzlichen
Voraussetzung für die Zurückstellung fehle. Mit Schreiben vom 23. November 2005 hat
der Betroffene die Entscheidung der Staatsanwaltschaft mit der Beschwerde
angefochten und dazu ausgeführt, die Verweigerung der Zustimmung durch das
Amtsgericht Oberhausen sei ohne nachvollziehbare Begründung erfolgt und hätte
deshalb von der Staatsanwaltschaft angefochten werden müssen. Aus "entsprechenden
Urteilen" wie auch dem Attest der Klinik "..." vom 13.10.2005 ergebe sich, dass bei ihm
eine langjährige Abhängigkeit bestehe. Seine Drogenabhängigkeit habe er in der
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damaligen Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Oberhausen letztlich deshalb nicht
eingeräumt, um seine "Beziehung zu schützen". Inzwischen sei ihm aber klar geworden,
dass er seine Ehe nur dann retten könne und eine Chance auf ein drogen- und
straffreies Leben habe, wenn er eine stationäre Therapie erfolgreich absolviere.
Der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf hat die Beschwerde mit Entschließung vom 30.
Dezember 2005 im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Gründe der ablehnenden
Stellungnahme des Amtsgerichts Oberhausen vom 26. Oktober 2005 zurückgewiesen.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich der in zulässiger Weise gestellte Antrag des
Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG. Darin weist der
Betroffene ergänzend darauf hin, dass das Amtsgericht Krefeld bereits 1996 einen
Kausalzusammenhang zwischen seiner wiederholten Straffälligkeit und seiner
Betäubungsmittelabhängigkeit festgestellt habe. Sowohl im Jahre 2001 wie auch im
Jahre 2004 sei er wegen seiner langjährigen Opiatabhängigkeit in der Klinik "..."
behandelt worden. Wenn aufgrund von Verurteilungen aber feststehe, dass er sowohl im
Jahr 1996 wie auch in den Jahren 2003 und 2004 Straftaten aufgrund seiner
Betäubungsmittelabhängigkeit begangen habe, so ergebe sich bereits aus diesem
Umstand, dass dies bei den Straftaten, die zur Verurteilung durch das Amtsgericht
Oberhausen am 11. Juli 2002 geführt haben, ebenso der Fall gewesen sein müsse.
Seine Abhängigkeit habe er damals bewusst verschwiegen, um sich stabiler erscheinen
zu lassen. In einer weiteren Strafverbüßung sehe er keine adäquate Hilfestellung, weil
er eine intensive Therapie für erforderlich halte, um ein drogen- und straffreies Leben zu
führen.
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II.
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Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, denn die Verweigerung der
Zurückstellung der Strafvollstreckung bei betäubungsmittelabhängigen Straftätern nach
§ 35 Abs. 1 BtMG durch die Strafvollstreckungsbehörde stellt einen
Justizverwaltungsakt i.S.v. § 23 Abs. 1 EGGVG dar. Das gilt auch, wenn die
Zurückstellung deshalb abgelehnt wird, weil das Gericht des ersten Rechtszuges die
erforderliche Zustimmung nicht erteilt hat (Senatsbeschluss vom 23. Mai 1996 - 1 VAs
31 und 42/96 -). In diesem Fall können die ordentlichen Gerichte auch nicht aufgrund
anderer Vorschriften, insbesondere derjenigen der Strafprozessordnung, angerufen
werden (§ 23 Abs. 3 EGGVG).
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In der Sache bleibt der Antrag jedoch erfolglos.
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Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat den Antrag des Betroffenen zu Recht abgelehnt,
nachdem das Amtsgericht Oberhausen die Zustimmung verweigert hatte und es damit
an einer gesetzlichen Voraussetzung für die Zurückstellung der Strafvollstreckung
fehlte. Die mit zutreffenden Erwägungen begründete Verweigerung der Zustimmung
durch das Amtsgericht Oberhausen ist auch nicht zu beanstanden.
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Gemäß § 35 Abs. 1 BtMG kann die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von nicht mehr
als zwei Jahren zum Zwecke einer Therapie zurückgestellt werden, wenn sich aus den
Urteilsgründen ergibt oder sonst feststeht, dass die Tat, die Gegenstand des Urteils ist,
nicht nur anlässlich, sondern aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen
wurde. Es muss deshalb ein unmittelbarer Kausalzusammenhang im Sinne einer
"conditio sine qua non" zwischen Tat und Abhängigkeit bestehen, denn die
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Sonderbehandlung eines drogenabhängigen Straftäters mit Therapie statt Strafe ist im
Vergleich zum Regelstrafvollzug nur dann gerechtfertigt, wenn die Tat
abhängigkeitsbedingt war und der Verurteilte sie ohne diese Abhängigkeit nicht
begangen hätte. Eine solch enge Verknüpfung wäre etwa dann anzunehmen, wenn die
Straftat unmittelbar oder mittelbar der Beschaffung von Betäubungsmitteln zur
Befriedigung der eigenen Drogensucht dient. Die Vorschrift stellt deshalb keinen
Freibrief für betäubungsmittelabhängige Straftäter dar, sondern soll lediglich bei
suchtbedingten Taten eines Abhängigen ermöglichen, den Strafvollzug durch Therapie
zu ersetzen.
An diesem Kausalzusammenhang fehlt es hier. Ein solcher ergibt sich weder aus den
Gründen der Entscheidungen, die dem Gesamtstrafenbeschluss vom 9. Februar 2005
zugrunde liegen, noch aus der Einlassung des Betroffenen im Ermittlungsverfahren
(hier: seiner polizeilichen Vernehmung vom 15. Januar 2002), denn der Betroffene hat
dort lediglich erklärt, dass er den DVD-Player und die Zigaretten für seinen eigenen
Gebrauch benötige. Wenn der Betroffene nunmehr im Zurückstellungsverfahren
erstmalig behauptet, die dem Gesamtstrafenbeschluss zugrunde liegenden Straftaten
habe er aufgrund seiner Drogensucht begangen, diesen Umstand aber in den
damaligen Strafverfahren bewusst verschwiegen, um seine Beziehung zu retten, so
reicht die schlichte Behauptung eines solchen Kausalzusammenhangs nicht mehr aus,
dieser muss vielmehr bewiesen werden (Körner, BtMG, 5. Aufl. § 35 Rn 56). Einen
solchen Nachweis, der allein durch das Vorliegen einer Betäubungsmittelabhängigkeit
nicht zu führen ist, hat der Betroffene aber nicht erbracht. Auch aus der Art der Straftaten
ergibt sich ein solcher Sachzusammenhang nicht, denn bei Straftaten, die - wie hier die
Betrugshandlungen des Betroffenen - auf Täuschung angelegt sind, liegt eine
drogenbedingte Kausalität eher fern, auch wenn der Täter in dieser Zeitperiode
drogenabhängig war (Körner, a.a.O. § 35 Rn 50). Schließlich hat
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der Betroffene aber selbst im vorliegenden gerichtlichen Verfahren nach §§ 23 ff.
EGGVG keinen Sachverhalt vorgetragen, der - nachdem eine
Betäubungsmittelabhängigkeit allein nicht ausreichend ist - einen
Kausalzusammenhang zwischen den konkreten Taten und seiner Abhängigkeit belegt.
Weitere Erkenntnisquellen, die auf den erforderlichen Kausalzusammenhang hindeuten
könnten und deshalb von der Vollstreckungsbehörde hätten berücksichtigt werden
müssen, sind nicht ersichtlich.
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Deshalb kann es zwar als gesichert angesehen werden, dass der Betroffene seit vielen
Jahren betäubungsmittelabhängig ist und wegen dieser Abhängigkeit auch mehrere
Straftaten begangen hat. Gleichwohl folgt nicht bereits aus diesem Umstand, dass der
Betroffene auch die hier verfahrensgegenständlichen Taten aufgrund seiner Sucht
begangen hat. Eine Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG kann unter
diesen Umständen nicht in Betracht kommen. Der Antrag des Betroffenen war daher als
unbegründet zu verwerfen.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.
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