Urteil des OLG Hamm vom 14.09.2009

OLG Hamm (bedingte entlassung, vorzeitige entlassung, stellungnahme, beschwerdeführer, beschwerde, vollmacht, schwere, gefährlichkeit, gutachten, entlassung)

Oberlandesgericht Hamm, 2 Ws 239/09
Datum:
14.09.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 239/09
Vorinstanz:
Landgericht Hagen, 61 StVK 301/09
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Verurteilten wird
Rechtsanwältin L2, I-Allee, ####1 J, als Pflichtverteidigerin beigeordnet.
Gründe:
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I.
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Gegen den Beschwerdeführer ist durch Urteil des Landgerichts Hagen vom
09. Mai 2006 wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs in sieben Fällen eine
Gesamt-freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt worden,
die er seit dem 18. September 2006 verbüßt. Zwei Drittel der Strafe waren am 15.
Januar 2009 verbüßt; das Strafende ist notiert auf den 17. März 2010.
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Durch Beschluss vom 19. Dezember 2008 hatte die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts Hagen die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung
abgelehnt. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des
Verurteilten hat der Senat mit Beschluss vom 17. Februar 2009 – 2 Ws 33/09 – als
unzulässig, da verspätet, verworfen.
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Nachdem der Verurteilte unter dem 10. März 2009 erneut ein Reststrafengesuch gestellt
hatte, holte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen mit Beschluss vom
21. April 2009 ein Sachverständigengutachten ein zu der Frage, ob bei dem Verurteilten
keine Gefahr mehr besteht, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit
fortbesteht. Als Sachverständigen hatte die Strafvollstrekkungskammer Dr. med. C S aus
E2 benannt, der das schriftliche Gutachten unter dem 24. Mai 2009 erstellt hat.
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Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2009 meldete sich Frau L unter Vorlage einer
Strafprozessvollmacht als Verteidigerin des Verurteilten. Unter dem 01. Juli 2009
beantragte sie, ihm als Pflichtverteidigerin beigeordnet zu werden, was die
Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 11. August 2009 abgelehnt hat.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Verurteilten vom 31. August 2009.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.
8
II.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu ausgeführt:
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"Die Beschwerde ist zulässig.
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Der Beschwerdeschrift kann entnommen werden, dass das Rechtsmittel namens
und mit Vollmacht des Verurteilten und nicht in eigener Sache eingelegt ist. Aus
dem Sachzusammenhang zu der zuvor mit Schriftsatz vom 15.05.2009 übersandten
Vollmacht (Bl. 116, 117 VH) ist ersichtlich, dass auch der mit Schriftsatz vom
01.07.2009 (Bl. 149, 150 VH) gestellte Beiordnungsantrag namens und in Vollmacht
des Verurteilten gestellt worden ist.
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Die Beschwerde ist auch begründet.
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In entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO muss im
Vollstreckungsverfahren ein Verteidiger bestellt werden, wenn die Schwere der Tat,
die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten,
seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, das gebiete. Es kommt nicht auf die
Schwere oder die Schwierigkeit im Erkenntnisverfahren, sondern auf die Schwere
des Vollstreckungsfalles für den Verurteilten oder auf besondere Schwierigkeiten
der Sach- oder Rechtslage im Vollstreckungsverfahren an (zu vgl. Meyer-Goßner,
StPO, 52. Aufl., § 140 Rdnr. 33 m. w. N.).
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Die Beiordnung eines Verteidigers ist hier unter beiden Aspekten geboten.
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Die Leiterin der Justizvollzugsanstalt T hat in ihrer Stellungnahme vom 26.03.2009
(Bl. 90 f VH) eine vorzeitige Entlassung des Beschwerdeführers befürwortet.
Gleichwohl hat sich die Strafvollstreckungskammer nicht in der Lage gesehen, auf
der Basis dieser Stellungnahme zu entscheiden, sondern den Sachverständigen Dr.
med. S in E2 mit der Erstattung eines Gutachtens zu der Frage beauftragt, ob die bei
dem Beschwerdeführer durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit noch
fortbesteht (Bl. 114 VH). In seinem Gutachten vom 24.05.2009 (Bl. 118 ff. VH) hat
der Sachverständige
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– im Ergebnis abweichend von der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt –
festgestellt, einer Legalbewährung stehe entgegen, dass die Tat in der Zwischenzeit
nicht aufgearbeitet worden und darüber hinaus unklar sei, inwiefern der
Beschwerdeführer überhaupt sexuell aktiv sei. Es könne nicht sicher gesagt werden,
inwieweit er seine Sexualität auf legale Art und Weise ausleben könne, ohne erneut
auf Kontakte zu Kindern zurückzugreifen.
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Damit könne nicht gesagt werden, dass die durch die der Verurteilung
zugrundeliegenden Taten zutage getretene Gefährlichkeit zum jetzigen Zeitpunkt
nicht mehr bestehe.
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Bereits aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses wird ersichtlich, dass
die Strafvollstreckungskammer erwägt, aufgrund dieses gutachterlichen
Ergebnisses abweichend von der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt T zu
entscheiden. Diese widerstreitenden Ausführungen indizieren, dass die Sachlage
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bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 57 StGB nicht einfach gelagert ist,
sondern dass das Ergebnis des Gutachtens in Beziehung zu setzen ist zu den
sonstigen, nach der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt für eine bedingte
Entlassung sprechenden Umständen und zumindest zu kritischen, sich mit den
einzelnen Komponenten der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt und des
Gutachtens auseinandersetzenden Fragen Anlass gibt.
Vor diesem komplexen Hintergrund ist der Beschwerdeführer aufgrund seiner
individuellen persönlichen Situation zu einer sachgemäßen Wahrnehmung seiner
Rechte ohne den Beistand einer Verteidigerin nicht in der Lage. Ausweislich der
Ausführungen im Urteil des Landgerichts Hagen vom 09.05.2006 (Bl. 2 ff VH) ist er
intellektuell leicht minderbegabt. Er hat eine Schule für Behinderte besucht, ohne
einen Schulabschluss gemacht zu haben. Er kann weder schreiben noch lesen.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 30.03.2005 wurde für den
Beschwerdeführer eine gesetzliche Betreuerin bestellt (zu vgl. Bl. 3 VH). Dies
indiziert, dass er allein zu einer vollständigen Erfassung des Sachverhalts sowohl in
tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht nicht in der Lage ist."
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Dem tritt der Senat bei.
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Mit Rücksicht darauf, dass sich L als Anwältin des Vertrauens für den Verurteilten
gemeldet hat, hat sich das Auswahlermessen des Vorsitzenden für die Bestellung eines
Pflichtverteidigers auf diese Rechtsanwältin beschränkt. Der Senat kann deshalb im
Beschwerdeverfahren selbst den Pflichtverteidiger bestellen, weil eine andere
Entscheidung auch durch den Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer bei dieser
Sachlage nicht in Betracht kommt (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ 1989, 92).
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