Urteil des OLG Hamm vom 26.07.2006

OLG Hamm: sicherheit, briefkontrolle, präsident, post, leiter, anstalten, grundrecht, gefahr, ausnahme, missbrauch

Oberlandesgericht Hamm, 1 Vollz (Ws) 481/06
Datum:
26.07.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 Vollz (Ws) 481/06
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 4 Vollz 607/06
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluß wird mit Ausnahme der Festsetzung des
Geschäftswertes aufgehoben, soweit darin die Kontrolle der von dem
Betroffenen ausgehenden Post an Behörden aufgehoben worden ist.
Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung gegen
die Entscheidung des Leiters der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-
Brackwede I, die Kontrolle von Behördenpost durchzuführen, wird
insgesamt als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Betroffenen auferlegt.
Gründe:
1
I.
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Der Betroffene verbüßt eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten in der
Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I; anschließend ist die Vollziehung der
Sicherungsverwahrung notiert.
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In der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I wird generell der Briefverkehr
sämtlicher Gefangener überwacht, unabhängig davon, ob der einzelne Gefangene ein
Sicherheitsrisiko darstellt.
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Mit seiner Eingabe vom 16.01.2006 wendete sich der Betroffene gegen die
Überwachung seines Briefwechsels. Der Präsident des Landesjustizvollzugsamtes wies
mit Bescheid vom 01.02.2006 den Widerspruch des Betroffenen mit der Begründung
zurück, bei der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I, bei der es sich um eine
Anstalt der höchsten Sicherheitsstufe handele, sei die generelle Überwachung des
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Briefverkehrs aus Gründen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt unabdingbar; zudem
sei die Überwachung zur Gewinnung behandlungsnotwendiger Erkenntnisse
erforderlich.
Mit Schreiben vom 15.02.2006 hat der Betroffene auf gerichtliche Entscheidung
angetragen, wobei er jedoch nur noch die Aufhebung der Briefkontrolle hinsichtlich des
Schriftverkehrs mit Behörden gerichtlich verfolgt.
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Mit Beschluß vom 07.06.2006 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
Bielefeld den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hinsichtlich der Kontrolle
ausgehender Behördenpost für begründet gehalten und unter Zurückweisung des
weitergehenden Antrags die Kontrolle der von dem Betroffenen ausgehenden Post an
Behörden aufgehoben.
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Zur Begründung hat die Strafvollstreckungskammer insoweit ausgeführt, bei
ausgehender Behördenpost bestehe eine Gefahr, dass nicht überwachte Gefangene
sicherheitsgefährdende Kontakte zur Außenwelt herstellen, nicht, wenn die
Behördenpost als solche sicher zu identifizieren sei, also jedenfalls für Schreiben, die
an eine Behörde gerichtet sind. Die Möglichkeit, dass die Justizvollzugsanstalt durch
ausgehende Behördenpost möglicherweise Kenntnis von behandlungsrelevanten
Umständen erlange, möge zwar im Einzelfall für den Vollzugsalltag praktisch sein,
rechtfertige jedoch nicht den Eingriff in ein Grundrecht.
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Hiergegen richtet sich die frist- und formgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde des
Leiters der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I vom 21.06.2006, mit der mit
näherer Begründung die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt wird. Er
verweist insbesondere darauf, dass es sich entgegen der Auffassung der
Strafvollstreckungskammer bei der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I um eine
der fünf Anstalten des Landes NRW handele, die die höchste Sicherheitsstufe besäßen;
daher sei aus Gründen der Sicherheit und Ordnung eine umfassende Postkontrolle
erforderlich.
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Der Präsident des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen hat sich der
Rechtsbeschwerde angeschlossen.
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Der Betroffene ist mit Schreiben vom 08.07.2006 der Rechtsbeschwerde mit weiteren
Ausführungen entgegengetreten.
11
II.
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Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde, die der Senat zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen und einschränkend dahin ausgelegt
hat, dass der Leiter der Justizvollzugsanstalt die Aufhebung des angefochtenen
Beschlusses nur hinsichtlich der ihm nachteiligen Entscheidung begehrt, führt zur
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer in dem aus
dem Tenor ersichtlichen Umfang und zur Verwerfung des Antrags auf gerichtliche
Entscheidung des Betroffenen auch insoweit, als die Kontrolle ausgehender
Behördenpost begehrt wurde.
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Die in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I bestehende allgemeine
Briefkontrolle ist gem. § 29 Abs. 3 StVollzG rechtmäßig.
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Nach der genannten Vorschrift darf der Schriftverkehr der Gefangenen – mit Ausnahme
der in § 29 Abs. 1 und Abs. 2 StVollzG genannten Schreiben – aus Gründen der
Behandlung oder der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt überwacht werden. Hierdurch
wird in zulässigerweise das Grundrecht des Brief- und Postgeheimnisses gem. Art. 10
Abs. 1 GG des Gefangenen eingeschränkt.
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Die allgemeine Briefkontrolle ist bereits als notwendiges und geeignetes Instrument zur
Aufrechterhaltung der Sicherheit in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-
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Brackwede I erforderlich. Bei der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I handelt es
sich entgegen der Beurteilung der Strafvollstreckungskammer gerichtsbekannt
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– worauf zudem schon der Präsident des Landesjustizvollzugsamtes in seinem
Widerspruchsbescheid vom 01.02.2006 sowie zuletzt der Leiter der
Justizvollzugsanstalt in seiner Rechtsbeschwerde vom 21.06.2006 unter näherer
Darlegung der Anstaltssituation hingewiesen haben -, um eine Justizvollzugsanstalt der
höchsten Sicherheitsstufe, die zu einem großen Teil mit Langzeitgefangenen und
Straftätern, die wegen Gewaltdelikten verurteilt worden sind, belegt ist.
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Bei dieser Sachlage ist es zunächst nicht zu beanstanden, dass in der
Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I Maßnahmen zur Postkontrolle getroffen
worden sind, die sich unabhängig von individuell begründeten
Missbrauchsbefürchtungen auf alle Gefangene erstrecken. Zum einen ist es schon nicht
möglich, den Kreis der potentiell gefährlichen Gefangenen exakt zu bestimmen. Zum
anderen besteht bei den vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten in der
Justizvollzugsanstalt die Gefahr, dass in Anstalten, in denen viele besonders
gefährliche Gefangene untergebracht sind, im Falle einer nur für einzelne Gefangene
angeordneten Überwachung des Schriftwechsels gefährliche Gefangene nicht
überwachte Mitgefangene unter Druck setzen könnten, um mit Hilfe von deren ein- und
ausgehender Post sicherheitsgefährdende Kontakte nach außen herzustellen (BVerfG
NStZ 2004, 226; OLG Hamm NStZ 1981, 368; OLG Frankfurt NJW 1979, 2525).
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Ebenso ist nicht zu beanstanden, dass sich die Anordnung der allgemeinen
Briefkontrolle auch auf – ausgehende – Behördenpost erstreckt. Gerade auch
vermeintliche Schreiben an Behörden eignen sich dazu, einen Missbrauch des
Schriftverkehrs zu tarnen, wie nicht zuletzt das von Haß angeführte Beispiel in
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der Besprechung der Entscheidung des OLG Frankfurt vom 24.01.1978 zeigt
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(NJW 1979, 2527; vergl. auch BVerfG aaO). Daneben sind weitere
Missbrauchsmöglichkeiten denkbar, von deren Wiedergabe der Senat aus
Sicherheitsgründen absieht. Eine bloße Sichtkontrolle von außen der als Behördenpost
gekennzeichneten Briefe ist daher nicht ausreichend, um die Sicherheitsbelange der
Justizvollzugsanstalt zu wahren.
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Der Beschluß der Strafvollstreckungskammer war daher insoweit aufzuheben, als er die
Kontrolle der ausgehenden Behördenpost durch die Justizvollzugsanstalt für unzulässig
erklärt hat; der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung war daher auch
diesbezüglich als unbegründet zu verwerfen.
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Einer Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
Bielefeld bedurfte es nicht, da Spruchreife eingetreten ist, so dass der Senat in der
Sache selbst entscheiden konnte.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 StVollzG.
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