Urteil des OLG Hamm vom 03.01.2006

OLG Hamm: notwendige streitgenossenschaft, zwangsvollstreckung, aufrechnung, gerichtsbarkeit, schuldmitübernahme, erfüllung, zivilprozess, aufteilung, herausgabepflicht, billigkeit

Oberlandesgericht Hamm, 15 W 109/05
Datum:
03.01.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 W 109/05
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 9 T 81/04
Tenor:
Unter Zurückweisung der weitergehenden ersten und weiteren
Beschwerde werden der Beschluss des Landgerichts teilweise
aufgehoben und der Beschluss des Amtsgerichts vom 17.05.2004
teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Zwangsvollstreckung der Beteiligten zu 5) und 6) aus den
Kostenfestsetzungsbeschlüssen des Amtsgerichts Essen-Borbeck vom
30. Dezember 2003 zu 19 II 26/01 WEG = 7 T 19/02 LG Essen und zu 19
II 26/01 WEG = 15 W 370/02 OLG Hamm wird für unzulässig erklärt.
Die Beteiligte zu 5) wird verpflichtet, die ihr zum Zwecke der
Zwangsvollstreckung auf ihren Namen erteilten Ausfertigungen der
Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Amtsgerichts Essen-Borbeck vom
30.12.2003 zu 19 II 26/01 WEG = 7 T 19/02 LG Essen und zu 19 II 26/01
WEG = 15 W 370/02 OLG Hamm an die Beteiligte zu 1) herauszugeben.
Die Beteiligten zu 6) werden verpflichtet, die ihnen zum Zwecke der
Zwangsvollstreckung auf ihren Namen erteilte Ausfertigung des
Kostenfestsetzungsbeschlusses des Amtsgerichts Essen-Borbeck vom
30.12.2003 zu 19 II 26/01 WEG = 7 T 19/02 LG Essen an die Beteiligte
zu 1) herauszugeben.
Die weitergehenden Anträge der Beteiligten zu 1) werden
zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde
werden der Beteiligten zu 1) auferlegt.
Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
Der Geschäftswert wird für das Verfahren erster und dritter Instanz auf
6.464 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die zu 2) bis 6) beteiligten Antragsgegner betreiben gegen Antragstellerin die
Zwangsvollstreckung aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen des Amtsgerichts vom
30.12.2003 (19 II 26/01 WEG AG Essen-Borbeck), denen die Kostenentscheidungen in
den Beschwerdeverfahren 7 T 19/02 LG Essen und 15 W 370/02 OLG Hamm zugrunde
liegen. Danach hat die Antragstellerin an die Antragsgegner einen Betrag von
4.633,97 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 19.09.2002 sowie an die Beteiligten zu 2), 3) und 5) einen weiteren Betrag von
1.830,04 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 05.11.2003 zu zahlen.
3
Gegen die Forderungen aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen hat die Antragstellerin
mit Schreiben vom 21.01.2004 die Aufrechnung mit Forderungen erklärt, die ihr ihrer
Auffassung nach aus ihrer Verwaltertätigkeit mit der Maßgabe zustehen, dass die
Wohnungseigentümer persönlich und gesamtschuldnerisch in voller Höhe zu deren
Ausgleich verpflichtet seien. Dabei handelt es sich um die im Jahre 2003 monatlich zu
entrichtende Verwaltervergütung für sämtliche Eigentumswohnungen der Anlage, die
jährlich zu entrichtende Verwaltervergütung für alle Garagen der Anlage sowie um die
von der Antragstellerin errechneten Kosten in den oben genannten Verfahren.
4
Mit dieser Begründung hat sie Vollstreckungsgegenantrag gestellt und gleichzeitig
beantragt, den Antragsgegnern aufzugeben, die Kostenfestsetzungsbeschlüsse
herauszugeben.
5
Die Antragsgegner haben vorgetragen, die geltend gemachten Ansprüche der
Antragstellerin bestünden nicht, weil die Antragstellerin keine Leistungen erbracht habe,
die die Zahlung einer Vergütung rechtfertigen würde, und die entsprechende
Verwaltervergütung bereits gezahlt worden sei.
6
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 17.05.2004 festgestellt, dass die
Zwangsvollstreckung aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen unzulässig ist und die
Antragsgegner als Gesamtschuldner zur Herausgabe der beiden Beschlüsse an die
Antragstellerin verpflichtet. Zur Begründung hat es ausgeführt, beweispflichtig dafür,
dass die zur Aufrechnung gestellte Forderung durch Erfüllung erloschen sei, seien die
Antragsgegner. Ein Beweis sei nicht erbracht worden.
7
Dagegen haben die Beteiligten zu 2) bis 4) fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt.
8
Das Landgericht hat mit den Beteiligten am 07.12.2004 mündlich verhandelt und mit
dem am Schluss der Sitzung verkündeten Beschluss den Beschluss des Amtsgerichts
abgeändert und den Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen.
9
Gegen diese Entscheidung richtet sich die mit Anwaltsschriftsatz vom 27.01.2005
10
eingelegte sofortige weitere Beschwerde, die am 29.01.2005 bei dem Landgericht
eingegangen ist.
II.
11
Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG, 45 Abs. 1 WEG statthaft
sowie form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten
zu 1) ergibt sich daraus, dass das Landgericht die Entscheidung des Amtsgerichts zu
ihrem Nachteil abgeändert hat.
12
In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von der Zulässigkeit des
Antrags auf Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung aus den genannten
Kostenfestsetzungsbeschlüssen ausgegangen. § 767 ZPO findet auf die
Zwangsvollstreckung aus einem im Wohnungseigentumsverfahren erlassenen
Kostenfestsetzungsbeschluss entsprechende Anwendung; die Einschränkung des ZPO
§ 767 Abs. 2 gilt hier aber grundsätzlich nicht (vgl. BGH NJW 1986, 2243; NJW 1994,
3292; BayObLG NZM 2000, 304 = ZMR 2000, 44), weil im Kostenfestsetzungsverfahren
streitige Einwendungen des Schuldners nicht berücksichtigt werden können. Das
Erkenntnisverfahren gem. § 767 ZPO folgt den Regeln des Verfahrens der freiwilligen
Gerichtsbarkeit und den Sondervorschriften des WEG (OLG Düsseldorf FGPrax 1997,
177).
13
In der Sache hat das Landgericht zu Recht die Anträge der Beteiligten zu 1)
zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Beteiligten zu 2) bis 4) richten. Das
Landgericht hat ausgeführt, die Antragstellerin könne gegen die Forderungen aus den
Kostenfestsetzungsbeschlüssen nicht mit Gegenforderungen aus ihrer Verwaltertätigkeit
für das Jahr 2003 aufrechnen. Sie sei nämlich als Aufrechnende wie auch aufgrund ihrer
Stellung als Verwalterin darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass ihre
Vergütungsansprüche noch bestehen, sie habe aber weder dargelegt, aus welchem
Grund die in die Bewirtschaftungskostenabrechnung für das Jahr 2003 aufgenommenen
Kosten nicht aus den von den Eigentümern geleisteten Zahlungen bestritten worden
seien, noch einen entsprechenden Beweis angeboten. Es könne ferner nicht festgestellt
werden, dass der Antragstellerin ein Anspruch in der geltend gemachten Höhe -
unabhängig von der Frage der Erfüllung - überhaupt zustände. Der Mehrheitsbeschluss
zu TOP 9 vom 25.09.2003 könne keinen Anspruch für die Verwalterin begründen. Denn
der Anspruch auf Verwaltervergütung könne sich nur aus dem Verwaltervertrag, nicht
aber aus einem Beschluss der Wohnungseigentümer ergeben.
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Der Senat kann dahingestellt lassen, ob diese Begründung rechtlicher Nachprüfung
stand hält, insbesondere der Hinweispflicht hinreichend Rechnung trägt, die sich aus
der Amtsermittlungspflicht (§ 12 FGG) ableitet. Jedenfalls erweist sich die Entscheidung
des Landgerichts gegenüber den Beteiligten zu 2) bis 4) aus anderen Gründen als im
Ergebnis richtig (§§ 27 Abs. 1 S. 2 FGG, 561 ZPO).
15
Die Aufrechungserklärung der Beteiligten zu 1) ist unwirksam, weil es an der nach § 387
BGB erforderlichen Gegenseitigkeit im Verhältnis der zur Aufrechnung gestellten
Forderung einerseits zu der titulierten Kostenforderung andererseits fehlt. Nach der
neueren Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 02.06.2005 - BGHZ 163, 154 =
NJW 2005, 2061 -), der der Senat folgt, ist die partiell rechtsfähige Gemeinschaft der
Wohnungseigentümer als Vertragspartner des Verwalters anzusehen.
16
Die Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft ist zwar nicht umfassend,
sondern auf die Teilbereiche des Rechtslebens beschränkt, bei denen die
Wohnungseigentümer im Rahmen der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums
als Gemeinschaft am Rechtsverkehr teilnehmen. Das ist insbesondere bei
Rechtsgeschäften oder Rechtshandlungen im Außenverhältnis und damit auch in
Bezug zu dem Verwalter der Fall. Die in Rede stehenden zur Aufrechnung gestellten
Forderungen begründen daher eine Verwaltungsschuld, für welche die
Wohnungseigentümergemeinschaft - unabhängig von ihrem Personenbestand -
einzustehen hat, auch wenn der Vertrag nicht ausdrücklich die
Wohnungseigentümergemeinschaft als Vertragspartei benennt. Vertragliche Ansprüche
des Verwalters aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag können sich daher nur gegen den
rechtsfähigen Verband der Wohnungseigentümer als seinen alleinigen Vertragspartner
richten.
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Nach der genannten neueren Entscheidung des BGH kommt neben der Haftung des
(teil-) rechtsfähigen Verbandes eine persönliche gesamtschuldnerische Haftung der
einzelnen Wohnungseigentümer auch als akzessorische Haftung in Anlehnung an
§ 128 HGB nicht in Betracht. Dies schließt die Begründung einer persönlichen
vertraglichen Haftung einzelner Wohnungseigentümer, etwa im Wege einer
vertraglichen Schuldmitübernahme, nicht aus. Für die wirksame Begründung einer
solchen Schuldmitübernahme reicht jedoch die Regelung in § 3 des Verwaltervertrages
vom 26.03.2001 nicht aus, derzufolge die Wohnungseigentümer gesamtschuldnerisch
für die Verwaltervergütung haften. Denn dieser Verwaltervertrag ist nicht etwa von
sämtlichen Wohnungseigentümern unterschrieben, sondern offenbar lediglich auf der
Grundlage der mehrheitlich beschlossenen Verwalterbestellung von einzelnen
Wohnungseigentümern unterzeichnet. Nach der genannten Entscheidung des BGH
können Mehrheitsbeschlüsse jedoch lediglich die Vertretung der Gemeinschaft als
rechtsfähiger Verband wirksam regeln, nicht jedoch eine Vertretungsmacht für die
Begründung einer daneben tretenden persönlichen Haftung der einzelnen
Wohnungseigentümer begründen.
18
Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1) sind die in der neueren Rechtsprechung
des BGH entwickelten Grundsätze auch für die Beurteilung abgeschlossener
Rechtsvorgänge aus der Zeit vor dem 02.06.2005 anwendbar. Richtig ist, dass der BGH
ausdrücklich einen Standpunkt eingenommen hat, der von der bisherigen, einhellig
gegenteiligen obergerichtlichen Rechtsprechung in grundlegender Weise abweicht (vgl.
dazu die umfangreichen Nachweise in der angeführten Entscheidung des BGH). Es
handelt sich in diesem Zusammenhang jedoch nicht um eine Änderung der Rechtslage,
sondern um eine abweichende Auslegung und Anwendung bestehender gesetzlicher
Vorschriften, die folglich auch für in der Vergangenheit abgeschlossene Vorgänge Platz
greifen muss. Dies ergibt sich auch unmittelbar aus der genannten Entscheidung des
BGH, deren rechtliche Beurteilung sich auf ein Vertragsverhältnis bezieht, das weit in
der Vergangenheit zurückliegend abgeschlossen worden war.
19
Bei der Tenorierung seiner Entscheidung hat das Landgericht nicht hinreichend
berücksichtigt, dass die Beteiligten zu 5) und 6) ein eigenes Rechtsmittel gegen die
Entscheidung des Amtsgerichts nicht eingelegt haben. Die sofortige Beschwerde, die
die Beteiligten zu 2) bis 4) eingelegt haben, kommt auch nicht etwa den Beteiligten zu 5)
und 6) zugute. Eine solche Wirkung des von einzelnen Beteiligten eingelegten
Rechtsmittels kommt zwar im Zivilprozess im Falle des Bestehens einer notwendigen
Streitgenossenschaft im Sinne des § 62 ZPO in Betracht (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO,
20
25. Aufl., § 62, Rn. 32). Unabhängig von der Übertragbarkeit solcher
verfahrensrechtlicher Grundsätze in das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit
begründet das Rechtsverhältnis der Beteiligten zu 2) bis 6) in Ansehung ihrer
Gläubigerstellung für den titulierten Kostenerstattungsanspruch keine notwendige
Streitgenossenschaft in diesem Sinne. Werden – wie hier - in einem
Kostenfestsetzungsbeschluss auf einen einheitlichen Antrag der Streitgenossen hin, die
durch denselben Anwalt vertreten waren, die Kosten ohne Aufteilung einheitlich für alle
Streitgenossen festgesetzt, so ist der Titel dahingehend auszulegen, dass sie
hinsichtlich der Kostenerstattungsforderung Gesamtgläubiger sind (BGH Rpfleger 1985,
321; SchlHOLG JurBüro 1985, 298; Senatsbeschluss vom 21.07.2003 – 15 W 187/03;
Belz in MünchKom zur ZPO, 2.Aufl. § 104 Rn.47). Anwendbar sind danach die §§ 429
Abs. 3, 425 Abs. 2 BGB: Eine Rechtskrafterstreckung des gegenüber einem
Gesamtgläubiger ergangenen Urteils gegenüber einem anderen Gesamtgläubiger findet
nicht statt (BGH NJW 1986, 1046, 1047). Zwischen diesen besteht somit keine
notwendige Streitgenossenschaft (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 62, Rn. 10). Dem
Landgericht war es deshalb versagt, die gegenüber den Beteiligten zu 5) und 6) infolge
Ablaufs der Beschwerdefrist in Rechtskraft erwachsene Entscheidung des Amtsgerichts
zum Nachteil der Beteiligten zu 1) abzuändern. Vielmehr hat es bei dem Ausspruch zu
verbleiben, dass die Zwangsvollstreckung aus den streitigen
Kostenfestsetzungsbeschlüssen durch die Beteiligten zu 5) und 6) unzulässig ist. Ferner
war es dabei zu belassen, dass die Beteiligten zu 5) und 6) zur Herausgabe der
vollstreckbaren Ausfertigungen der Kostenfestsetzungsbeschlüsse verpflichtet sind;
insoweit hat der Senat jedoch klargestellt, dass sich die Herausgabepflicht nur auf die
Vollstreckungstitel bezieht, die den Beteiligten zu 5) bzw. 6) auf ihren Namen zum
Zwecke der Zwangsvollstreckung erteilt worden sind. Die Zulässigkeit der
Zwangsvollstreckung der Beteiligten zu 2) bis 4) aus den
Kostenfestsetzungsbeschlüssen entsprechend den Grundsätzen der
Gesamtgläubigerschaft (§ 428 S. 1 BGB) wird dadurch jedoch nicht berührt.
Es entspricht der Billigkeit, die Gerichtskosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde
der Beteiligten zu 1) aufzuerlegen, weil ihr Rechtsmittel im Wesentlichen nicht
erfolgreich ist, § 47 Satz 1 WEG. Angesichts der unterschiedlichen
Hauptsacheentscheidungen den Vorinstanzen besteht hingegen kein Anlass, die
Erstattung außergerichtlicher Kosten nach § 47 Satz 2 WEG anzuordnen.
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Die Wertfestsetzung beruht auf § 48 Abs. 3 WEG. Der Senat hat den Gegenstandswert
entsprechend den zivilprozessualen Grundsätzen (§§ 3, 4 ZPO) bemessen, also
lediglich den zu vollstreckenden Anspruch ohne Zinsen berücksichtigt (vgl.
Zöller/Herget, a.a.O., § 3, Stichwort "Vollstreckungsabwehrklage"). Dementsprechend
hat der Senat gem. § 31 Abs. 1 S. 2 KostO gleichzeitig die Wertfestsetzung des
Amtsgerichts für das erstinstanzliche Verfahren abgeändert. Für das zweitinstanzli
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che Verfahren hat das Landgericht mit Beschluss vom 28.01.2005 eine diesen
Grundsätzen entsprechende Wertfestsetzung vorgenommen.
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