Urteil des OLG Hamm vom 21.06.2005

OLG Hamm: stille reserven, darlehen, rangrücktritt, verwertung, gesellschafter, eigenkapital, ausdehnung, freiwilligkeit, globalzession, bilanz

Oberlandesgericht Hamm, 27 U 21/05
Datum:
21.06.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
27. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
27 U 21/05
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 12 0 161/03
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. November 2004
verkündete Ur-teil der 12. Zivilkammer - Kammer für Handelssachen -
des Landgerichts Bo-chum teilweise abgeändert.
Die Beklagte bleibt verurteilt, an den Kläger 8.342,64 EUR nebst Zinsen
in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 5. Juni
2003 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 85% und die
Beklagte 15%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Jede Partei darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit
in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe (§ 540 ZPO):
1
A.
2
Der Kläger fordert als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Fa. T GmbH von der
Beklagten die Rückgewähr von Leistungen, von denen er der Meinung ist, dass die
Schuldnerin sie auf kapitalersetzende Darlehen an die Beklagte sowie an den
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verstorbenen und von ihr beerbten Ehemann T2 erbracht habe.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Wegen der dazu getroffenen tatsächlichen
Feststellungen und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug
genommen.
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Die Feststellungen sind dahin zu ergänzen, dass die Klägerin ihren verstorbenen
Ehemann T2 allein beerbt hat.
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Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihr auf Klageabweisung gerichtetes Begehren
weiter, während der Kläger das landgerichtliche Urteil verteidigt. Wegen des
Berufungsvorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
6
B.
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Die zulässige Berufung ist überwiegend begründet.
8
I.
9
1.
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Unbegründet ist die Berufung zwar hinsichtlich der Rückzahlungen, die die Schuldnerin
in Höhe von 8.342,64 EUR auf das Gesellschafterdarlehen des Ehemannes leistete.
Denn für diese Darlehen hatte der Ehemann in 1999 einen Rangrücktritt erklärt, um die
sonst eingetretene Überschuldung der Gesellschaft abzuwenden. Die
Gesellschafterdarlehen gehörten daher spätestens ab diesem Zeitpunkt zur
unentbehrlich gewordenen Kapitalgrundlage der Gesellschaft. Die Entscheidung, sie
auf unbestimmte Zeit unter Rangrücktritt stehen zu lassen, hatte kapitalersetzenden
Charakter, denn der Rangrücktritt hatte zur Folge, dass die Darlehensrückzahlung nur
noch aus Jahresüberschüssen oder sonstigem Vermögen der Gesellschaft hätte
beglichen werden dürfen (vgl. BGH, ZIP 1990, 98, 100). Zu diesen Bedingungen hätte
kein außenstehender Dritter mehr der Gesellschaft ein Darlehen gegeben.
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Vor dem Hintergrund des erklärten Rangrücktritts ist die Tatsache, dass die Gesellschaft
auf die privaten, ebenfalls kapitalersetzenden Sicherheiten hin in den Jahren 1999 und
2000 noch weiter kreditiert wurde, ebenso irrelevant wie die Behauptung der Beklagten,
es hätten noch stille Reserven in der Bewertung der Betriebs- und Geschäftsausstattung
sowie in dem Warenlager gelegen. Auch für einen späteren Wegfall der
eigenkapitalersetzenden Funktion hat die Beklagte, die dafür darlegungs- und
beweispflichtig ist (BGH, a.a.O.), nicht substanziiert vorgetragen.
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Die mit der Berufungsbegründung aufgeworfene Mutmaßung der Beklagten, die
streitgegenständlichen Rückzahlungen könnten auf andere Darlehen erfolgt sein als auf
diejenigen, auf die sich der Rangrücktritt bezog, ist unsubstanziiert. Denn wer sich
darauf berufen will, dass gemäß § 366 BGB eine Anrechung auf eine andere als die im
Raume stehende Forderung stattzufinden habe, muss zumindest substanziiert darlegen,
dass eine andere Forderung tatsächlich bestand.
13
2.
14
Für die ursprünglich in der Person ihres Ehemannes begründete
Rückzahlungsverpflichtung haftet nach dessen Tod die Beklagte gemäß § 1922 Abs. 1
BGB, da sie aufgrund des in erster Instanz unbestrittenen klägerischen Sachvortrags als
Alleinerbin anzusehen ist. Die – letztlich unspezifischen – Angaben des Sohnes der
Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geben, auch vor dem
Hintergrund deren Verspätung (§ 530 ZPO), keine Veranlassung, dieser Frage weiter
nachzugehen.
15
II.
16
Der weiter geltend gemachte Erstattungsanspruch in Höhe von 17.082,64 EUR aus
zurückgeführter eigenkapitalersetzender Besicherung (§ 32b GmbHG) ist indessen
unbegründet, so dass die Berufung insoweit Erfolg hat. Denn bei den Bürgschaften der
Beklagten und ihres Ehemannes vom 3.1.2001 handelt es sich nicht um
Gesellschaftersicherheiten, da beide bereits seit dem 1.2.2000 nicht mehr
Gesellschafter waren. Gesellschafter war seither ihr Sohn T3. Eine Ausdehnung des
Kapitalersatzrechtes auf nahe Angehörige findet grundsätzlich nicht statt, es sei denn,
dass besondere Umstände hinzukommen (Baumbach/Hueck, GmbHG, § 32a Rdnr. 25),
zu denen hier jedoch nichts vorgetragen ist.
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Auch aus dem Zusammenhang, dass sich die nicht (mehr) in Gesellschaftereigenschaft
begebenen Bürgschaften als Folgebürgschaften zu den vorangegangenen
Bürgschaften vom 14.4.2000, 8.9.1998, 28.7.1997 und 23.2.1996 darstellen, kann ein
kapitalersetzender Charakter nicht abgeleitet werden. Denn in der Zeit während ihrer
Gesellschafterstellung wurden die Bürgschaften von der Beklagten zuletzt am
08.09.1998 erneuert und bestätigt sowie von ihrem Ehemann zuletzt am 28.08.1997.
Für diese Zeitpunkte ist jedoch eine Krise nicht substantiiert vorgetragen. Der Kläger
behauptet nur, die Krise habe "zumindest" seit 1999 bestanden. Das genügt nicht, um
die bereits 1997/1998 begebenen Bürgschaften als kapitalersetzend anzusehen. Auch
die Darlegung einer Überschuldungssituation für die Jahre 1997 und 1998 genügt nicht
als Beleg für eine Kreditunwürdigkeit zu diesem Zeitpunkt.
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Eine nachträgliche Umqualifizierung in haftendes Eigenkapital durch "Stehenlassen"
der Sicherheiten im Jahre 1999, für das die Krise belegt ist, kommt ebenfalls nicht in
Betracht, weil es hierfür an der Freiwilligkeit fehlt. Denn soweit die Bürgschaften valutiert
waren, konnten sie nicht einseitig abgezogen werden. Sie konnten nach den
Bürgschaftsbedingungen nur in der Weise gekündigt werden, dass sie auf die bis vier
Wochen nach der Kündigung begründeten Forderungen beschränkt wurden. Dass die
Bürgschaften während der Krise in 1999 noch durch weitere Valutierungen aufgefüllt
worden wären, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil wurden die Bankverbindlichkeiten im
Jahre 1999 ausweislich der Bilanz reduziert. Somit kann nicht festgestellt werden, dass
sich die streitgegenständlichen Rückführungen auf Darlehen beziehen, für welche die
Beklagte oder ihr verstorbener Ehemann während der festzustellenden Zeiten der Krise
eine Sicherheit begeben, erneuert oder aufgestockt haben.
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III.
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Aus denselben Gründen ist auch der weiter geltend gemachte Erstattungsanspruch in
Höhe von 27.895,52 € aus der Verwertung anderer Sicherheiten der Gesellschaft – hier
der Globalzession – nicht zuzusprechen. Denn auch insoweit wurden die Bürgschaften
entweder nicht in Gesellschaftereigenschaft oder nicht während der Krise begeben.
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Zudem fehlt bereits eine substanziierte Darlegung, auf welche Darlehenskonten die
Zahlungseingänge verrechnet wurden, so dass nicht nachvollzogen werden kann, dass
die Bürgschaften auf die Verwertung der anderen Sicherheiten hin tatsächlich frei
wurden.
IV.
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Zinsen sind nur in der gesetzlichen Höhe (§ 288 Abs. 1 BGB) zuzusprechen. Um eine
Entgeltforderung aus einem Rechtsgeschäft im Sinne des § 288 Abs. 2 BGB handelt es
sich bei Insolvenzanfechtungsansprüchen nicht.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 709, 543 Abs. 2
ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
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