Urteil des OLG Hamm vom 12.07.2004
OLG Hamm: hinterlegung, darstellung des sachverhaltes, wirkung ex tunc, auszahlung, öffentlich, erfüllung, surrogat, sicherungsabtretung, verzicht, berechtigung
Oberlandesgericht Hamm, 31 U 67/04
Datum:
12.07.2004
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
31. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
31 U 67/04
Vorinstanz:
Landgericht Hagen, 4 O 207/03
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 19.02.2004 verkündete Urteil
der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hagen wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlußberufung des Klägers wird das vorbezeichnete Urteil
teilweise abgeändert.
Es wird festgestellt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet
sind, an den Kläger Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem
Basiszinssatz abzüglich von der Hinterlegungsstelle gezahlter
Hinterlegungszinsen seit dem 01.03.2003 bis zum Tage der Auszahlung
des hinterlegten Betrages in Höhe von 14.794,10 Euro zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden insgesamt den Beklagten
auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Tatsächliche Feststellungen gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO:
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Wegen der Darstellung des Sachverhaltes sowie des Parteivorbringens und der Anträge
in erster Instanz wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug
genommen.
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Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich des Antrages zu 1) stattgegeben und sie
bezüglich des Feststellungsantrages zu 2) abgewiesen.
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Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf
Freigabe aus § 166 Abs. 2 Insolvenzordnung zu. Die Forderung der
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Insolvenzschuldnerin gegen die H sei zwar durch die Hinterlegung erloschen. Der
Gläubiger erlange stattdessen einen öffentlich-rechtlichen Herausgabeanspruch gegen
die Hinterlegungsstelle. Sinn und Zweck des § 166 Abs. 2 Insolvenzordnung rechtfertige
aber eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf eine solche Fallkonstellation.
Da das Geld noch nicht bei der Insolvenzschuldnerin eingegangen und somit noch nicht
zur Masse gelangt sei, sei das Insolvenzschuldnervermögen noch nicht
zusammengeführt. § 166 Abs. 2 Insolvenzordnung solle es dem Insolvenzverwalter aber
gerade ermöglichen, das Schuldnervermögen zusammen zu ziehen. Der Anspruch
gegenüber der Hinterlegungsstelle sei auch lediglich als Surrogat der ursprünglich
gegen die Firma H bestehenden Forderung der Insolvenzschuldnerin zu sehen. Auch
dieses Surrogat müsse der Insolvenzverwalter zur Masse ziehen können.
Ein Feststellungsanspruch des Klägers dahingehend, daß die Beklagten verpflichtet
seien, Zinsen auf den hinterlegten Betrag zu zahlen, sei hingegen nicht gegeben. Denn
durch die fehlende Freigabeerklärung der Beklagten allein sei die Auszahlung des
hinterlegten Betrages an den Kläger nicht verhindert worden, da auch die beteiligten
Sparkassen bisher keine Freigabe zugunsten des Klägers erklärt hätten.
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Gegen dieses Urteil wenden sich die Beklagten mit der Berufung.
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Sie machen geltend, ein Freigabeanspruch des Klägers ergebe sich nicht aus § 166
Abs. 2 Insolvenzordnung. Der Insolvenzverwalter erlange das Einziehungs- und
Verwertungsrecht nach § 166 Insolvenzordnung nur für solche Forderungen der
Insolvenzschuldnerin gegen Dritte, die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch
bestanden hätten. Hier sei aber vor der Insolvenzeröffnung durch die Hinterlegung des
Betrages durch die H zugunsten u. a. der Insolvenzschuldnerin deren Forderung bereits
erfüllt gewesen. Dadurch habe die Masse jegliche Verwertungsrechte daran verloren.
Ein etwaiger Herausgabeanspruch gegen die Hinterlegungsstelle könne auch nicht als
Surrogat der ursprünglichen Forderung angesehen werden.
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Die Beklagten beantragen,
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unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Im Wege der Anschlußberufung beantragt er,
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unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, daß die
Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, an ihn 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz abzüglich von der Hinterlegungsstelle gezahlter
Hinterlegungszinsen seit dem 01.03.2003 bis zum Tage der Auszahlung des
hinterlegten Betrages in Höhe von 14.794,10 Euro zu zahlen.
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Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung und führt dazu aus, der geltend
gemachte Freigabeanspruch ergebe sich aus § 166 Abs. 2 Insolvenzordnung. Die
Insolvenzschuldnerin habe im Hinblick auf die Hinterlegung noch keine Befriedigung
ihrer Forderung erlangt. An die Stelle ihrer Forderung gegen die H sei als Surrogat der
öffentlich-rechtliche Herausgabeanspruch gegen die Hinterlegungsstelle getreten. Auch
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diesen Anspruch könne der Insolvenzverwalter daher nach § 166 Abs. 2
Insolvenzordnung an sich ziehen, um das Schuldnervermögen zusammen zu führen.
Zudem sei die Sicherungsabtretung vom 11.01.01 zugunsten der Beklagten im Sinne
des § 131 Insolvenzordnung inkongruent gewesen, da die Beklagten darauf keinen
Anspruch gehabt hätten. Diese Sicherungsabtretung sei daher vom Kläger wirksam
angefochten worden. Ohnehin sei die Sicherungsabtretung an die Beklagten in
Anbetracht der vorrangigen Globalzessionen zugunsten der Sparkassen J2 und Hagen
schon ins Leere gegangen, so daß die Beklagten selbst keinen Anspruch auf Freigabe
des hinterlegten Betrages hätten.
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Auch die Anschlußberufung sei begründet. Das Kausalitätsargument des Landgerichts
verfange nicht. Es sei anerkannt, daß zu einer Haftungsbegründung Mitursächlichkeit
ausreichen würde. Ein Zurechnungszusammenhang sei damit gegeben, da es genüge,
daß die Beklagten den Schaden nicht allein, sondern im Zusammenwirken mit anderen
herbeiführen konnten. Auch habe der Kläger die Globalzessionen zugunsten der
Sparkassen angefochten, so daß auch diese einer Freigabe des hinterlegten Betrages
an ihn nicht entgegenstehen würden.
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Die Beklagten beantragen,
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die Anschlußberufung zurückzuweisen.
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Insoweit verteidigen sie die angefochtene Entscheidung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren
Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO:
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Die Berufung der Beklagten ist unbegründet (I); die Anschlußberufung des Klägers hat
hingegen Erfolg und führt zu der Feststellung, daß die Beklagten verpflichtet sind, an
den Kläger Verzugszinsen auf den hinterlegten Betrag zu zahlen (II).
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I.
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Das Landgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagten auf
Einwilligung in die Freigabe des beim Amtsgericht Siegburg hinterlegten Betrages von
28.934,75 DM (= 14.794,10 Euro) aus § 166 Abs. 2 Insolvenzordnung bejaht.
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Sinn und Zweck dieser Norm gebieten es, daß Einziehungs- und Verwertungsrecht des
Insolvenzverwalters auch auch auf den Herausgabeanspruch gegen die
Hinterlegungsstelle zu erstrecken.
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1.
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Die Beklagten weisen zwar zutreffend darauf hin, daß die Drittschuldnerin H durch die
Hinterlegung des geschuldeten Betrages unter Ausschluß ihres Rücknahmerechtes
gem. § 378 BGB frei geworden ist. Im Falle der rechtmäßigen Hinterlegung erlischt die
Schuld mit Wirkung ex tunc, wie wenn der Schuldner im Zeitpunkt der Hinterlegung an
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den Gläubiger geleistet hätte.
Die zedierte Forderung ist damit zum Hinterlegungszeitpunkt am 25.04.2001 erloschen.
Zwar war der Kläger bereits mit Beschluß des Amtsgerichts Düsseldorf vom 23.03.2001
zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden. Dem vorläufigen Insolvenzverwalter
sind jedoch Verwertungs- und Abwicklungsmaßnahmen aus eigenem Recht in der
Regel nicht gestattet, so daß dem Kläger in Hinsicht auf die Forderung gegen die H bis
zur Hinterlegung des geschuldeten Betrages das Einziehungs- und Verwertungsrecht
nach § 166 Abs. 2 Insolvenzordnung (noch) nicht zustand (BGH NJW-RR 2003, 1490).
Die endgültige Bestellung des Klägers zum Insolvenzverwalter erfolgte hingegen erst
nach der Hinterlegung mit Beschluß vom 01.06.2001.
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2.
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Allein mit der Leistung des Schuldners und dem Erlöschen der Forderung gegen ihn ist
jedoch eine Erfüllung beim Gläubiger noch nicht eingetreten. Hinzu kommen muß
vielmehr noch der Empfang und die Annahme des vom Schuldner Geleisteten durch
den Gläubiger als die zur Erfüllung geschuldete Leistung.
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Durch die Hinterlegung nach §§ 372 ff. BGB wird dieser Erfüllungsvorgang jedoch
gestreckt. Zwar erlischt durch die Hinterlegung unter Verzicht auf das Rücknahmerecht
bereits die Forderung gegen den Schuldner. Der rechtmäßige Gläubiger hat dadurch die
geschuldete Leistung – insbesondere im Falle eines Prätendentenstreites – aber noch
nicht erlangt. Dementsprechend tritt die Rechtsfolge des § 362 BGB (Erfüllung) auch
erst ein, wenn die hinterlegte Sache an den berechtigten Gläubiger ausgehändigt
worden ist, da erst dann eine Annahme durch ihn erfolgt ist (RG HRR 31 Nr. 683).
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Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Bestellung des Klägers
zum Insolvenzverwalter am 01.06.2001, ab dem der Kläger nach § 166 Abs. 2
Insolvenzordnung vorzugehen berechtigt war, war daher die von der H auf die
Forderung erbrachte Zahlung noch nicht beim berechtigten Empfänger angelangt.
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Weiterhin haben auch die bezüglich der Forderung ursprünglich vorgenommenen
Sicherungszessionen noch fortgewirkt. So leiten die Beklagten den von ihnen geltend
gemachten Anspruch auf Auskehr des hinterlegten Betrages gerade aus dem
Sicherungsabtretungsvertrag mit der Insolvenzschuldnerin vom 11.01.2001 (Bl. 20 ff.
GA) her. Die weiteren Prätendenten, die Sparkassen J2 und I, berufen sich ebenfalls auf
die zu ihren Gunsten erfolgten Globalzessionen. Auch der gegen die
Hinterlegungsstelle bestehende öffentlich-rechtliche Herausgabeanspruch wird daher
noch durch die Frage nach der Wirksamkeit der vorgenommenen
Sicherungsabtretungen bestimmt und ist damit einer sicherungsabgetretenen Forderung
im Sinne des § 166 Abs. 2 Insolvenzordnung durchaus vergleichbar.
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Der Erfüllungsvorgang hinsichtlich der abgetretenen Forderung ist mithin noch nicht
vollständig abgeschlossen und das Verhältnis der beteiligten Parteien wird weiterhin
von der Frage nach der Wirksamkeit der Sicherungszessionen beeinflußt. Die Rechts-
und Interessenlage der um die wahre Berechtigung an der Forderung und des zu ihrer
Erfüllung Geleisteten streitenden Parteien ist daher derjenigen durchaus vergleichbar,
wie sie bestehen würde, wenn der Schuldner auf die zedierte Forderung noch keine
Leistung erbracht hätte und § 166 Abs. 2 Insolvenzordnung unmittelbar zur Anwendung
käme.
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§ 166 Abs. 2 Insolvenzordnung verfolgt aber gerade den Zweck, dem Insolvenzverwalter
zunächst ein Zusammenziehen des Vermögens des Insolvenzschuldners zu
ermöglichen, sodann das Bestehen etwaiger Absonderungsrechte zu prüfen und die
Befriedigung der bevorrechtigten Gläubiger vorzunehmen. Dieser Regelungszweck des
§ 166 Abs. 2 Insolvenzordnung würde jedoch unterlaufen, wenn man im Falle einer
Hinterlegung des auf die sicherungsabgetretene Forderung gezahlten Betrages ein sich
auf den Herausgabeanspruch gegen die Hinterlegungsstelle erstreckendes
Einziehungs- und Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters verneinen und damit
Prätendentenstreitigkeiten stets auf außerhalb des Insolvenzverfahrens verlagern
würde. Durch § 166 Abs. 2 Insolvenzordnung soll eine Klärung der an den Forderungen
des Insolvenzschuldners bestehenden Sicherungsrechte aber zunächst dem
Insolvenzverwalter übertragen werden und vorbehalten bleiben; er soll das Vermögen
des Insolvenzschuldners zunächst sichern und sodann eine rechtmäßige Verteilung an
die Gläubiger vornehmen können. Um diesen Normzweck auch im Falle der
Hinterlegung zu wahren, ist dem Insolvenzverwalter bei Prätendentenstreitigkeiten mit
Sicherungszessionaren in entsprechender Anwendung des § 166 Abs. 2
Insolvenzordnung ein Einziehungs- und Verwertungsrecht auch in Hinsicht auf den
öffentlich-rechtlichen Herausgabeanspruch gegen die Hinterlegungsstelle zuzubilligen.
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Der Kläger kann daher von den Beklagten die Bewilligung der Freigabe des von der H
beim Amtsgericht S hinterlegten Betrages von 28.934,75 DM (= 14.794,10 Euro)
beanspruchen, so daß die Berufung der Beklagten unbegründet ist.
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II.
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Auf die Anschlußberufung des Klägers ist weiterhin die Verpflichtung der Beklagten
festzustellen, auf den hinterlegten Betrag Verzugszinsen zu entrichten.
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Der Senat folgt insoweit nicht der Ansicht des Landgericht, daß eine Zinspflicht der
Beklagten deshalb entfällt, weil ihre Weigerung zur Abgabe einer Freigabeerklärung die
Auszahlung des hinterlegten Betrages an den Kläger nicht kausal verhindert hat, da
auch die zudem beteiligten Sparkassen bislang keine entsprechende Freigabeerklärung
zugunsten des Klägers abgegeben haben.
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Denn die seitens der Beklagten unterlassene Freigabeerklärung stand einer
Auszahlung an den Kläger ebenfalls entgegen, so daß sie in Hinsicht auf die
unterbliebene Auskehrung des hinterlegten Geldes jedenfalls mitursächlich geworden
ist. Zutreffend weist der Kläger insoweit darauf hin, daß zur Haftungsbegründung in der
Regel eine Mitverursachung des Schadens ausreicht (vgl. BGH NJW 2000, 3423; 1993,
1723). Dieser Rechtsgedanke ist auch in § 830 Abs. 1 BGB zum Ausdruck gekommen.
Wollte man dies hier anders sehen, könnten unberechtigte Prätendenten die
Auszahlung des hinterlegten Betrages an den wahren Berechtigten (zeitweise)
blockieren, ohne diesem den dadurch entstandenen Schaden ersetzen zu müssen.
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Da die fehlende Freigabeerklärung der Beklagten somit den dem Kläger durch die
Nicht-Auszahlung des hinterlegten Betrages entstandenen und noch entstehenden
Verzögerungsschaden zumindest mitverursacht (hat), sind die Beklagten zum Ersatz
dieses Verzugsschadens aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB verpflichtet.
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III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision war gem. § 543 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 ZPO zuzulassen. Die Frage, ob sich
das Einziehungs- und Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters aus § 166 Abs. 2
Insolvenzordnung auch auf den öffentlich-rechtlichen Herausgabeanspruch gegen die
Hinterlegungsstelle erstreckt, ist – soweit ersichtlich – höchstrichterlich noch nicht
entschieden. Da eine Hinterlegung und ein Prätendentenstreit im Zusammenhang mit
einem Insolvenzverfahren in der Praxis durchaus nicht selten vorkommen dürften,
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ist ein Auftreten dieser Fragestellung auch in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu
erwarten, so daß ihr grundsätzliche Bedeutung beizumessen ist.
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