Urteil des OLG Hamm vom 13.02.2007

OLG Hamm: wiedereinsetzung in den vorigen stand, anschrift, aufenthalt im ausland, zustellung, wohnung, beendigung, belgien, briefkasten, strafverfahren, vollmacht

Oberlandesgericht Hamm, 3 Ws 16/07
Datum:
13.02.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ws 16/07
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 33 Ns 70 Js 244/03 (15/05)
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung
vom 14.11.2006 gewährt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem
Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der
Staatskasse zur Last.
Gründe:
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I.
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Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts – Schöffengericht – Dorsten vom
09.12.2004 wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu
einer Freiheitsstrafe vom neun Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.
Gegen dieses Urteil wandte sich der Angeklagte mit seiner rechtzeitig durch Schriftsatz
seines Verteidigers Rechtsanwalt Y aus C vom 09.12.2004 eingelegten Berufung. Nach
Einholung eines verkehrstechnischen Sachverständigengutachtens beraumte das
Landgericht Essen Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 14.11.2006 an. Zu
diesem Termin wurde der Angeklagte unter der Anschrift Q-Straße in ####2 C mittels
Ersatzzustellung durch Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten am 28.08.2006
geladen. Das Ladungsschriftstück wurde am 29.09.2006 an das Landgericht Essen mit
einem Begleitschreiben der Frau D, Q-Straße, #### C zurückgesandt, in welchem Frau
D darauf hinweist, dass sie die Zustellung an den Angeklagten in ihrem Briefkasten
vorgefunden habe, dieser aber nicht bei ihr wohne und auch nicht unter der o. g.
Anschrift gemeldet sei. Der Aufenthaltsort des Angeklagten sei ihr zur Zeit nicht genau
bekannt. Insofern wisse sie nur, dass er derzeit bei Freunden in Belgien wohne. Er
melde sich bei ihr vorher an, wenn er vorbei komme, um seine Post abzuholen.
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Zu dem von der Kammer aufrechterhaltenen Berufungshauptverhandlungstermin
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erschien der Angeklagte nicht, sondern lediglich als sein Verteidiger Rechtsanwalt Y
aus C. Durch Urteil vom 14.11.2006 hat die XIII. kleine Strafkammer des Landgerichts
Essen die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 StPO mit der Begründung
verworfen, der Angeklagte sei trotz ordnungsgemäßer Ladung zum
Hauptverhandlungstermin unentschuldigt nicht erschienen. Nach Zustellung dieses
Urteil hat der Angeklagte durch Schreiben vom 23.11.2006 rechtzeitig beantragt, ihm
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der
Berufungshauptverhandlung zu gewähren. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe
die Ladung zu dem Termin am 14.11.2006 nicht erhalten. Er habe seinen Wohnsitz für
die Sommerzeit vorübergehend nach Belgien und in die Niederlade verlegt gehabt. Der
Termin sei für ihn zwei Jahre nach dem Urteil des Amtsgerichts Dorsten unerwartet
gekommen. Rechtsanwalt Y aus C habe für die Berufungshauptverhandlung von ihm
kein Vertretungsmandat erhalten.
Die Vorsitzende der XIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen hat durch den
angefochtenen Beschluss vom 04.12.2006 den Antrag des Angeklagten auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verworfen. Zur Begründung wird ausgeführt, die
Zustellung der Ladung sei unter der Anschrift Q-Straße, ####2 C bewirkt worden. Dass
sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Zustellung dort nicht aufgehalten habe und dort
auch nicht gemeldet gewesen sei, stehe der Wirksamkeit der Ladung nicht entgegen.
Über diese Anschrift habe er nämlich auch während seiner Abwesenheit seinen
Postverkehr abgewickelt, was sich aus dem Schreiben der Wohnungsinhaberin vom
29.09.2006 sowie angesichts der Tatsache ergebe, dass ihn das Verwerfungsurteil
unter dieser Anschrift erreicht habe. Überdies habe er dafür Sorge tragen müssen, dass
ihn seine Post auch tatsächlich erreiche.
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Gegen diesen dem Angeklagten am 08.12.2006 und Rechtsanwalt Y aus C am
11.12.2006 zugestellten Beschluss wendet sich der Angeklagte durch seine beim
Landgericht Essen am 18.12.2006 eingegangene sofortige Beschwerde vom
16.12.2006.
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II.
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1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 329 Abs. 3, 46 Abs. 3 StPO statthaft und
fristgerecht (§ 311 Abs. 2 StPO) von dem Angeklagten eingelegt worden.
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Maßgeblich für den Beginn des Fristenlaufs zur Einlegung der sofortigen Beschwerde
war hier die Zustellung des angefochtenen Beschlusses an Rechtsanwalt Y aus C
mittels dessen Empfangsbekenntnis vom 11.12.2006. Die Frist des § 311 Abs. 2 StPO
endete danach erst mit Ablauf des 18.12.2006, so dass die an diesem Tag beim
Landgericht Essen eingegangene sofortige Beschwerde des Angeklagten fristgerecht
erfolgt ist.
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Nach § 37 Abs. 2 StPO richtet sich die Berechnung einer Frist, sofern die für einen
Beteiligten bestimmte Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte bewirkt wird, nach
der zuletzt bewirkten Zustellung. Dies ist vorliegend die Zustellung des angefochtenen
Beschluss an Rechtsanwalt Y aus C am 11.12.2006. Dieser war auch noch ermächtigt,
gemäß § 145 a Abs. 1 StPO Zustellungen für den Beschwerdeführer in Empfang zu
nehmen. Es ist nämlich nicht erkennbar, dass das Verteidigungsverhältnis zwischen
dem Beschwerdeführer und Rechtsanwalt Y zum Zeitpunkt der Zustellung des
angefochtenen Beschlusses nicht mehr bestand. Ausweislich der bei den Akten
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befindlichen Vollmacht des Angeklagten vom 24.11.2004 hatte er Herrn Rechtsanwalt Y
mit seiner Verteidigung in diesem Strafverfahren vor dem erstinstanzlichen
Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht Dorsten beauftragt. Diese Vollmacht
erstreckte sich, vorbehaltlich einer vorzeitigen Beendigung des Mandatsverhältnisses,
auf das gesamte Verfahren bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss. Dass es zu einer
Beendigung des Verteidigerverhältnisses, die durch den Angeklagten jederzeit durch
Kündigung herbeigeführt werden konnte (vgl. Meyer-Goßner StPO 49. Aufl., vor § 137
Rn. 5, 6), vor der Zustellung des angefochtenen Beschlusses gekommen war, ist nicht
ersichtlich und ergibt sich insbesondere nicht aus der in dem Wiedereinsetzungsantrag
enthaltenen Erklärung des Angeklagten, Rechtsanwalt Y für die
Berufungshauptverhandlung kein Vertretungsmandat erteilt zu haben. Aus dieser
Erklärung ergibt sich lediglich, dass der Angeklagte Herrn Rechtsanwalt Y, nachdem
dieser für ihn durch Schriftsatz vom 09.12.2004 Berufung eingelegt hatte, nicht
ausdrücklich damit beauftragt hat, ihn in der Berufungshauptverhandlung zu vertreten.
Dies war indes für ein Fortbestehen des Mandatsverhältnisses nach dem oben
Gesagten auch nicht erforderlich. Dafür, dass es vor der Berufungshauptverhandlung
und auch danach nicht zu einer Beendigung des Verteidigungsverhältnisses gekommen
ist, spricht demgegenüber, dass Herr Rechtsanwalt Y als Verteidiger des Angeklagten
zu dem Termin am 14.11.2006 beim Landgericht Bielefeld erschienen ist und trotz der in
der Folgezeit jeweils auch an ihn erfolgten Zustellungen in dem gegen den Angeklagten
gerichteten Strafverfahren eine Beendigung des Mandatsverhältnisses gegenüber dem
Landgericht nicht mitgeteilt hat.
2. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den die Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung gemäß § 329 Abs. 3 StPO
ablehnenden Beschluss ist auch begründet.
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Der Angeklagte war zu dem Termin zur Berufungshauptverhandlung vor dem
Landgericht Essen am 14.11.2006 nicht ordnungsgemäß geladen. Insofern ist
anerkannt, dass der nicht oder nicht ordnungsgemäß Geladene dem Säumigen i. S. v. §
44 StPO gleichzusetzen ist und ihm ohne Rücksicht auf ein Verschulden
Wiedereinsetzung zu gewähren ist, wenn das Gericht das Fehlen oder die
Unwirksamkeit der Ladung nicht gesehen hat (vgl. Meyer-Goßner a. a. O., § 329 Rn. 41).
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Die Ersatzzustellung der Ladung zum Hauptverhandlungstermin am 14.11.2006 war
unwirksam. Aufgrund des Anschreibens der Frau D vom 29.09.2006 ist die im
Wiedereinsetzungsgesuch bzw. in der Beschwerdeschrift enthaltene Angabe des
Angeklagten, dass er unter der Anschrift Q-Straße in ####2 C nicht mehr wohnhaft war,
hinreichend glaubhaft gemacht. Die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung gemäß § 181
Abs. 1 ZPO ist grundsätzlich nur dann gegeben, wenn diese durch Einlegung in einen
zur Wohnung gehörenden Briefkasten erfolgt. Grundsätzlich gilt als Wohnung der
räumliche Lebensmittelpunkt des Zustellungsempfängers, wobei maßgeblich ist, ob er
hauptsächlich in den Räumen lebt. Unerheblich ist es demgegenüber, ob es sich hierbei
um die Meldeanschrift handelt (vgl. Meyer-Goßner a. a. O., § 37 Rn. 8 m. w. N.). Hierbei
genügt eine bloß urlaubsbedingte oder zeitlich begrenzte Abwesenheit nicht, um den
Räumen die Eigenschaft, zustellungsfähige Wohnung zu sein, zu nehmen, weil sie nicht
zu einer Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts bzw. des Lebensmittelpunktes des
Zustellungsempfängers führt. Etwas anderes gilt aber dann, wenn dem Ortswechsel
etwas Endgültiges anhaftet (vgl. KG VRS 2006, 434, 435). Nach diesen Kriterien wohnte
der Angeklagte zur Zeit der Zustellung nicht unter der genannten Anschrift in C, da er
seinen räumlichen Lebensmittelpunkt dort zu dieser Zeit nicht mehr hatte. Auch wenn
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der Angeklagte mit seinem Wiedereinsetzungsantrag mitgeteilt hat, seinen Wohnsitz nur
"vorrübergehend für die Sommermonate" nach Belgien verlegt zu haben, so lässt sich
dem nicht entnehmen, dass er nach diesem Auslandsaufenthalt wieder unter der
Anschrift Q-Straße in C gewohnt hat oder dies beabsichtigte. Aus dem Inhalt des
Schreibens der Frau D vom 29.09.2004 ergibt sich vielmehr, dass der Angeklagte
keinerlei "Wohnbezug" zu der Wohnung Q-Straße in C mehr unterhielt, er diese
vielmehr entgültig als Wohnstätte aufgegeben hatte, wovon auch nach den weiteren
Angaben des Angeklagten in der Beschwerdeschrift vom 16.12.2006 auszugehen ist.
Seine Angabe, nur "vorübergehend, für die Sommermonate" weggezogen zu sein,
bezieht sich danach offensichtlich auf seinen Aufenthalt im Ausland und nicht auf ein
zeitlich begrenztes, nur vorübergehendes Verlassen der Wohnung in der Q-Straße in C.
Zwar wird darüber hinaus vertreten, dass die tatsächliche Benutzung einer Wohnung
dann nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung ist, wenn sich der
Adressat nicht nur für diese Wohnung angemeldet hat, sondern sich als dort wohnend
geriert, seinen Schriftwechsel unter dieser Anschrift führt und seine Post dort abholt (vgl.
in diesem Sinne der 2. Strafsenat des OLG Hamm VRS 2004, 57, 58; Thüringer OLG
VRS 2006, 422, 423; BayObLG VRS 2004, 452, 453). Auch diese Voraussetzungen
liegen hier aber nicht vor, so dass der Senat offen lassen kann, ob für diese Fälle
ausnahmsweise auch ohne eine tatsächliche Wohnnutzung die Ersatzzustellung nach §
181 ZPO wirksam sein kann. Der Angeklagte war nämlich, soweit ersichtlich, unter der
Anschrift Q-Straße in C auch nicht gemeldet und gerierte sich in dem hier
maßgelblichen Zeitraum der Ladung zum Hauptverhandlungstermin am 14.11.2006
auch nicht als dort wohnend. Vielmehr hat er in dem Wiedereinsetzungsantrag die
Anschrift Q-Straße in C lediglich als "Postanschrift z. Zt." bezeichnet und damit gerade
zum Ausdruck gebracht, dass er dort nicht wohnt. Dass den Angeklagten das
Verwerfungsurteil tatsächlich unter der Anschrift Q-Straße in C erreicht hat –
möglicherweise weil es an ihn durch Frau D weitergereicht worden ist – ändert danach
nichts an dem Umstand, dass der Angeklagte dort nicht wohnte und der Anschrift
danach nicht die Eigenschaft zukam, zustellfähige Wohnung zu sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 7 StPO und § 467 StPO analog.
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