Urteil des OLG Hamm vom 15.06.2007

OLG Hamm: unfallversicherung, versicherungsschutz, unfallversicherer, versicherungsnehmer, beruf, leistungsfähigkeit, ausschluss, prämie, durchschnitt, verkehr

Oberlandesgericht Hamm, 20 U 50/07
Datum:
15.06.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 50/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Dortmund, 2 O 314/06
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 1. Februar 2007 verkündete
Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird
zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der nach dem Urteil
vollstreckbaren Beträge abzuwenden, falls nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % der beizutreibenden
Beträge leistet.
Gründe:
1
I.
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Der Kläger hat bei der Beklagten eine Rechtsschutzversicherung genommen, welcher
die ARB P 01.02 zugrunde liegen. Vereinbart ist eine "Unternehmens-
Rechtsschutzkombi mit Privat-Rechtsschutzkombi" gemäß § 26 dieser Bedingungen.
Dort heißt es:
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"(1) Versicherungsschutz besteht
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a) für die im Versicherungsschein bezeichnete gewerbliche [...] Tätigkeit des
Versicherungsnehmers;
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b) für den Versicherungsnehmer [...] auch im privaten Bereich [...].
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[...]
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(3) Der Versicherungsschutz umfasst:
8
[...]
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Rechtsschutz im Vertrags- und Sachenrecht für den privaten Bereich [...]".
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Am 03.06.2004 verunfallte der Kläger während der Ausübung seiner Tätigkeit als
selbständiger Bäckermeister. Wegen der Folgen macht er Ansprüche aus einer
(privatrechtlichen) Unfallversicherung gegen die X AG geltend und begehrt hierfür von
der Beklagten Versicherungsschutz.
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Die Beklagte hat gemeint, die - bereits erhobene - Klage gegen den Unfallversicherer
gehöre nicht zum "privaten Bereich" im Sinne § 26 Abs. 3 der vereinbarten
Bedingungen, sondern zum gewerblichen Bereich, für welchen aber - unstreitig -
Vertragsrechtsschutz nicht vereinbart sei. Entscheidend sei, dass der Unfall im Rahmen
der gewerblichen Tätigkeit des Klägers geschehen sei.
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Das Landgericht hat festgestellt, dass die Beklagte Rechtsschutz zu gewähren hat.
Wegen der Begründung und der Einzelheiten des Sach- und Streitstands in erster
Instanz wird auf das - zur Veröffentlichung vorgesehene - Urteil des Landgerichts (vom
01.02.2007 - 2 O 314/06 -) Bezug genommen.
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Mit der Berufung begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage. Sie wiederholt und
vertieft ihr Vorbringen erster Instanz.
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Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
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II.
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Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht einen Anspruch auf
Rechtsschutz bejaht.
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Der Begriff des "privaten Bereichs" in § 26 Abs. 3 der vereinbarten Bedingungen
umfasst auch die hier in Rede stehende Klage aus der Unfallversicherung des Klägers.
Denn so wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer bei Abschluss einer
Unternehmens-/Privatrechtsschutz-Kombination, wie die Parteien sie vereinbart haben,
die Regelung des § 26 bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und
Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen (vgl. zu diesem
Auslegungsmaßstab nur BGHZ 123, 83 ff.).
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Versichert ist in der Unfallversicherung des Klägers, wie bereits das Landgericht
hervorgehoben hat, schlechthin dessen körperliche und geistige Leistungsfähigkeit; die
genommene Unfallversicherung deckt weder allein - oder auch nur in besonderer Weise
- Gefahren aus der gewerblichen Tätigkeit des Klägers, noch gewährt sie allein - oder
auch nur in besonderer Weise - Ausgleich bei Einschränkungen der beruflichen
Leistungsfähigkeit des Klägers. Es handelt sich um eine "normale" Unfallversicherung,
wie sie ebenso von Angestellten, Arbeitern, Beamten und anderen gehalten wird. Der
durchschnittliche Versicherungsnehmer einer Unternehmens/ Privatrechtsschutz-
Kombination, wie die Parteien sie vereinbart haben, wird jedenfalls die
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Geltendmachung von Ansprüchen und die Klage aus einer solchen Unfallversicherung
dem "privaten Bereich" im Sinne des § 26 Abs. 3 der vereinbarten Bedingungen
zuordnen. Es handelt sich nicht um einen Anspruch aus einer gewerblichen
Vertragsbeziehung, sondern um einen Anspruch aus einer privaten Absicherung des
Klägers, aus einem Vertrag, welchen der Kläger nicht in seiner Eigenschaft als
selbständiger Bäckermeister oder Gewerbetreibender geschlossen hat, sondern
welchen er geschlossen hat wie jedermann. Hiernach wird ein Anspruch gegen den
Unfallversicherer auch dann nicht zu einer gewerblichen Angelegenheit, wenn der
Unfall in Ausübung des Berufs geschehen ist. Dies berührt nicht die "Natur" der
Vertragsbeziehung zwischen Unfallversicherer und Versicherungsnehmer, und es
berührt auch nicht die "Natur" des vom Kläger wahrgenommenen rechtlichen Interesses.
Der Umstand, dass möglicherweise die Unfallgefahr bei einem selbständigen
Bäckermeister höher ist als beim Durchschnitt der privat Unfallversicherten und dass
möglicherweise der Kläger deshalb dem Unfallversicherer eine erhöhte Prämie hat
zahlen müssen, ändert nichts. Auch dies macht die Unfallversicherung nicht zu einer
gewerblichen Angelegenheit.
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Jedenfalls aber wäre, wie auch bereits das Landgericht ausgeführt hat, die vorstehende
Auslegung des § 26 Abs. 3 der vereinbarten Bedingungen ernsthaft möglich und müsste
daher gemäß § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten der Beklagten gelten.
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Es kann dahinstehen, ob Anspruch auf Rechtsschutz auch dann zu bejahen wäre, wenn
in § 26 der vereinbarten Bedingungen Versicherungsschutz ausgeschlossen worden
wäre für "die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Zusammenhang mit einer
selbständigen oder freiberuflichen Tätigkeit" (so etwa § 25 Abs. 1 Satz 2 ARB 75, vgl.
dazu einerseits OLG Koblenz, VersR 1999, 1487, OLG München, r+s 1992, 203,
LG Ellwangen, r+s 2000, 290; andererseits aber die beachtlichen Gründen in dem hier
angefochtenen Urteil m.w.N.). Die hier vereinbarte Regelung in § 26 stellt nicht auf
einen solchen Ausschluss (schon) bei "Zusammenhang mit einer selbständigen
Tätigkeit" ab, sondern verspricht schlechthin Vertrags-Rechtsschutz "für den privaten
Bereich". Sie verweist auch nicht etwa, erst recht nicht zweifelsfrei im Sinne des § 305c
Abs. 2 BGB, auf § 21 der Bedingungen. Vielmehr nennt die Zwischenüberschrift vor
Abs. 1 des § 26 als "Privat-Rechtschutzbausteine" ausdrücklich die Bereiche "Privat,
Verkehr, Haus und Wohnung, Beruf" (Hervorhebung hinzugefügt). Danach ist
keineswegs erkennbar, dass der Rechtsschutz bei einem Bezug zum Beruf des
Versicherungsnehmers ausgeschlossen sein soll.
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III.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst (§ 543 Abs. 2 ZPO). Wie vorstehend
angesprochen und im Senatstermin erörtert ist die von der Beklagten angeführte
Rechtsprechung zu anderen Bedingungen ergangen; die hier vereinbarten
Bedingungen werfen keine Frage auf, welche einer Klärung durch den
Bundesgerichtshof bedürfte (vgl. dazu allgemein Zöller/Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 543
Rn. 11 m.w.N.).
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