Urteil des OLG Hamm vom 27.09.1999

OLG Hamm: eintritt des versicherungsfalles, grobe fahrlässigkeit, parkplatz, diebstahl, verschulden, sorgfalt, versicherungsnehmer, fahrzeugführer, entwendung, fotoapparat

Oberlandesgericht Hamm, 6 U 52/99
Datum:
27.09.1999
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
6. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 U 52/99
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 2 O 656/95
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 30. November 1998
verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund
abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschwer der Klägerin: unter 40.000,00 DM.
Entscheidungsgründe:
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I.
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Die Klägerin war Eigentümerin eines bei dem Beklagten kasko-
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versicherten Pkw, der ihr am 23.6.1995 zwischen 14.30 Uhr und 15.45 Uhr auf einem
Parkplatz in U (V) entwendet
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wurde.
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Laut Protokoll über die Strafanzeige vom gleichen Tage gab die Klägerin gegenüber der
örtlichen Polizei an, nach dem Abstellen des Pkw sei sie noch einmal zu dem Fahrzeug
zurückgekehrt, habe den Kofferraum aufgeschlossen, einen Fotoapparat
herausgenommen und anschließend vergessen, den Schlüssel abzuziehen. Am
26.6.1995 erklärte die Klägerin bei der Polizei, tatsächlich habe sie den Schlüssel
abgezogen und in ihre Hosentasche gesteckt.
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Mit Schreiben vom 27.9.1995 verweigerte der Beklagte Leistungen aus der
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Mit Schreiben vom 27.9.1995 verweigerte der Beklagte Leistungen aus der
Kaskoversicherung, weil die Klägerin in der Kasko-Schadenanzeige vom 28.6.1995
zum Verbleib des Schlüssels
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falsche Angaben gemacht habe.
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Das Landgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme mit der Begründung
stattgegeben, daß der Beklagte selbst dann nicht leistungsfrei geworden sei, wenn die
Klägerin den Schlüssel im Kofferraumschloß habe stecken lassen. Die Klägerin habe
den Eintritt des Versicherungsfalles nämlich auch in diesem Falle nicht im Sinne des §
61 VVG grob fahrlässig herbeigeführt, weil der Klägerin dann allenfalls
Augenblicksversagen bei einer Routinehandlung vorgeworfen werden könne. Der
Beklagte sei auch nicht gemäß § 6 Abs. 3 VVG wegen Falschangaben der Klägerin in
der Kasko-Schadenanzeige leistungsfrei geworden, weil die Vorsatzvermutung
widerlegt sei.
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Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit dem Ziel der Klageabweisung.
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Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung.
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II.
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Auf die Berufung des Beklagten war die Klage unter Abänderung des angefochtenen
Urteils abzuweisen. Denn ein Zahlungsanspruch gemäß §§ 1, 49 VVG, 12 AKB steht
der Klägerin nicht zu, da der Beklagte gemäß § 61 VVG leistungsfrei geworden ist.
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Die Klägerin hat die Entwendung ihres Pkw und damit den Eintritt des
Versicherungsfalles grob fahrlässig dadurch verursacht, daß sie den Fahrzeugschlüssel
im Kofferraumschloß hat stecken lassen, als sie sich von ihrem abgestellten Pkw
entfernte.
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Daß der Schlüssel sichtbar von außen im Kofferraumschloß gelassen worden ist, steht
nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme fest. Der Zeuge L hat dies
am 23.6.1995 gegen 15.00 Uhr, also mindestens 30 Minuten nachdem die Klägerin
ihren Pkw verlassen hatte und ca. 45 Minuten bevor sie ihn auf den Parkplatz nicht
wieder vorgefunden hat, gesehen. Entsprechendes hat der Zeuge bei seiner
Vernehmung durch die Polizei am 28.6.1995, bei der er das Fahrzeug genau
beschreiben konnte und sogar noch die Anfangsbuchstaben des amtlichen
Kennzeichens in Erinnerung hatte, so bekundet. In einem Schreiben an das Landgericht
vom 1.3.1997 hat er die Richtigkeit seiner damaligen polizeilichen Aussage noch einmal
ausdrücklich bestätigt. Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus der
Aussage des Zeugen anläßlich seiner kommissarischen Vernehmung vom 27.11.1997.
Zweifel an der Richtigkeit dieser Zeugenaussage ergeben sich nicht daraus, daß die
Kunststoffreide des Schlüssels schwarz war und die Lackierung des Pkw
auberginefarben. Denn für eine Person, die sich wie der Zeuge L nahe bei dem Pkw
befunden hat, war der Schlüssel gleichwohl zu erkennen.
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Der Aussage des Zeugen L steht ferner nicht entgegen, daß die Zeugin T bekundet hat,
sie habe gesehen, daß die Klägerin nach dem Herausnehmen des Fotoapparates aus
dem Kofferraum einen Schlüssel mit einem braunen Etui in der Hand gehabt habe.
Denn abgesehen davon, daß es sehr unwahrscheinlich ist, daß die Zeugin an einem
derartigen Sachverhalt später noch eine sichere Erinnerung hatte, kann es sich bei dem
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Schlüssel, den die Zeugin T gesehen haben will, um einen anderen Schlüssel als den
Fahrzeugschlüssel gehandelt haben. Wie sich aus der Aussage der Zeugin W vom
20.11.1997 ergibt, hat die Klägerin nämlich nach dem Diebstahl in ihre Handtasche
einen Schlüsselbund zwischen ihren Reisepapieren gefunden. Um den
Fahrzeugschlüssel hat es sich dabei aber nicht gehandelt. Aus der Aussage der Zeugin
T läßt sich somit letztlich nichts zum Vorteil der Klägerin herleiten. Vielmehr spricht die
Tatsache, daß der Schlüssel unstreitig ausgerechnet in der kurzen Zeitspanne zwischen
dem Schließen des Kofferraums und der Rückkehr zum Abstellort des Pkw abhanden
gekommen ist, deutlich dafür, daß er, wie vom Zeugen L bekundet, im Kofferraumschloß
verblieben ist. Auf die weitere Frage, ob hierfür zusätzlich der Inhalt des
Polizeiprotokolls vom 23.6.1995 spricht oder ob die darin enthaltenen Angaben der
Klägerin auf einem Mißverständnis zwischen der Klägerin und der als Dolmetscherin
tätig gewesenen Zeugin W beruhen, kommt es unter diesen Umständen nicht mehr an.
Allerdings deutet die Aussage des Zeugen C, der als Polizeibeamter mit dem Vorgang
befaßt gewesen ist, eher darauf hin, daß es zu einem solchen Mißverständnis nicht
gekommen ist.
Der Pkw ist unter Verwendung des im Kofferraumschloß verbliebenen
Fahrzeugschlüssels gestohlen worden. Dies muß daraus gefolgert werden, daß der
Schlüssel für eine an einem Pkw-Diebstahl interessierte Person ebenso gut sichtbar war
wie für den Zeugen L, ferner daraus, daß auf dem Parkplatz keine Aufbruchspuren
gefunden worden sind sowie daraus, daß der Pkw von einem belebten Parkplatz
entwendet worden ist, obwohl er mit einer elektronischen Wegfahrsperre ausgerüstet
war.
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Die Klägerin hat sich grob fahrlässig verhalten, indem sie den Schlüssel im
Kofferraumschluß beließ und dadurch den Eintritt des Versicherungsfalles herbeiführte.
Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt unter Berücksichtigung sämtlicher
Umstände in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und das unbeachtet läßt, was im
gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.
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Objektiv handelt es sich bei dem Zurücklassen eines Pkw mit außen steckendem
Fahrzeugschlüssel um einen besonders schweren Fehler. Zu den von jedem
Versicherungsnehmer ohne weiteres zu erwartenden Sicherheitsvorkehrungen gehört
es, ein abgestelltes Fahrzeug gemäß § 14 Abs. 2 StVO gegen unbefugte Benutzung zu
sichern und zur Vermeidung eines Fahrzeugdiebstahls die Fahrzeugschlüssel so
aufzubewahren, daß sie vor dem Zugriff beliebiger Dritter geschützt sind (vgl. OLG
Hamm, VersR 94, 1462, 1463). Aber auch in subjektiver Hinsicht trifft die Klägerin das
für die Annahme grober Fahrlässigkeit erforderliche gegenüber einfacher Fahrlässigkeit
gesteigerte Verschulden. Zwar mag der Klägerin ihr Fehler auch deswegen unterlaufen
sein, weil es sich bei dem Herausnehmen eines Gegenstandes aus einem Pkw-
Kofferraum um eine Routinetätigkeit handelt. Allein deswegen, weil die Klägerin
entscheidend nur während eines kurzen Augenblicks versagt hat, entfällt aber der
Vorwurf grober Fahrlässigkeit noch nicht (vgl. Römer/Langheid VVG § 61 An. 30 ff.
m.w.N.). Zwar trifft einen Fahrzeugführer, der einen Fahrzeugschlüssel bei seinem
Fahrzeug zurückläßt, nicht in jedem Falle der Vorwurf grober Fahrlässigkeit. So liegt
nicht ohne weiteres grobe Fahrlässigkeit vor, wenn auf einem nicht öffentlichen
Betriebsgelände ein Zündschlüssel während eines nur kurzfristig unterbrochenen
Arbeitsvorganges steckenbleibt (vgl. BGH VersR 71, 1019). Auch kann es an einem
gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigerten Verschulden fehlen, wenn etwa ein
Ver-sicherungsnehmer in der Tiefgarage des von ihm bewohnten Hauses die Pkw-
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Schlüssel im Kofferraumschloß zurückläßt, weil er sich dadurch hat ablenken lassen,
daß er in ungewöhnlicher Weise nicht nur mit dem Entladen des eigenen Pkw, sondern
auch noch eines weiteren Fahrzeugs befaßt war (vgl. OLG Düsseldorf r + s 99, 229 =
NVersZ 99, 386 = MDR 99, 1135). In der vorliegenden Sache ist aber zu
berücksichtigen, daß die Klägerin ihren Pkw auf einem öffentlichen und damit
jedermann zugänglichen Parkplatz zurückgelassen hat. Hinzu kam, daß es sich um ein
relativ neues Fahrzeug handelte, das potentielle Diebe in gesteigertem Maße zu einer
Spontantat reizen konnte, und zwar u.a. auch deswegen, weil es im Ausland abgestellt
war und von dort aus leicht einem Absatzmarkt für illegal beschaffte Pkw zugeführt
werden konnte. Schließlich hat die Klägerin ihren Pkw auch nicht nur für kurze Zeit,
sondern für die Dauer von etwa zwei Stunden aus den Augen gelassen. Insgesamt hatte
die Klägerin damit wegen erhöhter Diebstahlsgefahr konkreten Anlaß, bei der Sicherung
ihres Pkw erhöhte Sorgfalt walten zu lassen. Daß sie dem unter den gegebenen
Umständen nicht genügend Beachtung geschenkt hat, muß als grob fahrlässiges
Verhalten gewertet werden (vgl. auch OLG Hamm NZV 91, 195).
Die Klage war somit unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 546 ZPO.
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