Urteil des OLG Hamm vom 08.02.2002

OLG Hamm: radiologische untersuchung, stationäre behandlung, körperverletzung, schuldfähigkeit, persönlichkeitsstörung, untersuchungshaft, wohnung, trennung, operation, rückzahlung

Oberlandesgericht Hamm, 2 Ss 836/01
Datum:
08.02.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ss 836/01
Vorinstanz:
Amtsgericht Bochum, 72 Ds 63 Js 738/00 (606/00)
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden
Feststellungen auf-gehoben, soweit der Angeklagte wegen gefährlicher
Körperverletzung, be-gangen am 25. Mai 2000, verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung
und Ent-scheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens
einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der
Nebenklägerin, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum
zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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Der Angeklagte ist durch das angefochtene Urteil wegen "gefährlicher Körperverletzung
begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit in Tatmehrheit mit
Körperverletzung" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden,
deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
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Wegen der zum Nachteil seiner Tochter L am 9. April 2000 begangenen vorsätzlichen
Körperverletzung hat das Amtsgericht eine Einzelstrafe von 50 Tagessätzen zu je 100,-
DM und wegen der am 25. Mai 2000 zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau
begangenen gefährlichen Körperverletzung eine Einzelstrafe von
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11 Monaten festgesetzt.
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Die Revision richtet sich ausschließlich gegen die Verurteilung wegen gefährlicher
Körperverletzung zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau und ist insoweit
beschränkt worden.
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Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils ist die Ehe des Angeklagten und
der Zeugin N im Jahre 1998 geschieden worden, nachdem sich die Zeugin bereits zuvor
einem anderen Mann zugewandt hatte. Der Angeklagte konnte die Trennung nicht
verwinden und belästigte die Zeugin und ihren Lebensgefährten vielfach. Zudem hatte
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sich ein Streit über die Schenkung eines Betrages von 40.000,- DM an die beiden
Töchter des Angeklagten und eine mögliche Rückzahlung dieses Betrages entwickelt.
Zu der Tat vom 25. Mai 2000 enthält das Urteil folgende Feststellungen:
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"Am 25.05.2000 fand wegen der ständigen Belästigungen durch den Angeklagten,
die unter anderem in dem Strafverfahren 63 Js 156/2000 Staatsanwaltschaft
Bochum ihren Niederschlag gefunden hatten, in der Fachstelle für Täter-
Opferausgleich in Bochum unter Leitung der Zeugin X ein Ausgleichsgespräch
zwischen dem Angeklagten und der Zeugin N statt, an dem auch die Töchter des
Angeklagten teilnahmen. Das Gespräch musste jedoch abgebrochen werden, da
der Angeklagte, nachdem ihm die Rückzahlung der 40.000,- DM verweigert
wurden, sowohl seine geschiedene Ehefrau, wie auch seine Kinder damit bedrohte
"ihnen in die Fresse zu schlagen", wenn er sein Geld nicht bekomme. Nach
Beendigung des Gesprächs war der Angeklagte immer noch sehr aufgebracht, weil
er sein Geld nicht zurückerhalten sollte und entschloss sich nochmals, seine Ex-
Frau zur Rede zu stellen. Hierzu fuhr er zunächst die Wohnung seiner Ex-Frau an,
sodann die Wohnung der Tochter, wie auch der Schwiegereltern und letztlich als er
seine Ex-Frau nicht antreffen konnte, die Wohnung des jetzigen Lebensgefährten
der Zeugin N auf dem Grundstück "G". Als die Zeugin die Haustür aufschließen
wollte, schlug ihr der Angeklagte mehrfach, zumindest zweimal, mit der Faust mit
erheblicher Wucht ins Gesicht und auch in den Magen. Die Versuche der Zeugin,
sich gegen die Schläge zu wehren, führten dazu, dass ihr der Angeklagte
nochmals mit der Faust ins Gesicht schlug. Durch die Schläge fiel die Zeugin zu
Boden. Der Angeklagte kümmerte sich sodann nicht weiter um die Zeugin, obwohl
er bemerkt hatte, dass durch seine Schläge das Nasenbein gebrochen war und die
Nase schief im Gesicht stand. Sodann fuhr er davon.
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Der Angeklagte war zum Zeitpunkt der Tat vermindert schuldfähig im Siinne des §
21 StGB. Zwar war seine Einsichtsfähigkeit nicht beeinträchtigt, wohl aber seine
Steuerungsfähigkeit. Als ursächlich hierfür ist eine Persönlichkeitsstörung
anzusehen, die sich im Rahmen der Trennung von seiner Ehefrau ausgebildet hat.
Ausgehend von dieser Persönlichkeitsstörung mit fanatischen Anteilen, die sich im
Rahmen einer narzisstischen Kränkung bei dem Angeklagten ausgebildet hat,
bestand zur Tatzeit eine affektive Bewusst-
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seinseinengung und damit eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit.
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Die Zeugin N wurde durch die erlittenen Schläge in lebensgefährlicher Weise
verletzt. Sie musste sich für die Zeit vom 25.05.2000 bis 31.05.2000 in stationäre
Behandlung ergeben. Dort wurde ein Monockelhämatom links, sowie ein stark
ausgeprägtes Hämatom der rechten Orbita und des rechten Jochbogens
festgestellt. Darüber hinaus ergab die radiologische Untersuchung eine
Jochbeinfraktur mit Beteiligung des Orbitabodens sowie des Jochbodens und der
Kieferhöhle rechtsseitig und eine Nasenbeinfraktur. Am 26.05.2000 musste daher
operativ eine Orbitabodenrevision mit Jochbeinverplattung rechts sowie eine
Nasenbeinreposition durchgeführt werden. Eine weitere Operation wird
erforderlich, um die bei der Operation verwandten Metallteile wieder zu entfernen.
Die Zeugin leidet bis heute unter Taubheitsgefühlen im Gesichtsbereich. Eine
Besserung dieser Beschwerden ist nicht zu erwarten. Darüber hinaus hat die
Zeugin ein psychisches Trauma erlitten. Sie ist jedoch zur Zeit nicht in
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entsprechender ärztlicher Behandlung.
Nach dem 25.05.2000 befand sich der Angeklagte zunächst in Untersuchungshaft.
Die Aussetzung der Untersuchungshaft nutzte der Angeklagte jedoch erneut, um
seine geschiedene Ehefrau zu belästigen und zu bedrohen. Er musste daraufhin
zur Verhinderung weiterer Straftaten am 09. August 2000 erneut in
Untersuchungshaft genommen werden. Nach Aufhebung des entsprechenden
Haftbefehls und Entlassung des Angeklagten am 07.09.2000 ist es jedoch zu
keinen weiteren Belästigungen bzw. Bedrohungen der Zeugin N mehr gekommen."
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Zur Frage, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit erheblich vermindert oder
ausgeschlossen war, hat das Amtsgericht die folgenden Feststellungen getroffen:
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"Aufgrund des von dem Sachverständigen Dr. H im Rahmen der Hauptverhandlung
erstatteten Sachverständigengutachtens ist ferner davon auszu-
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gehen, dass der Angeklagte zur Tatzeit im Sinne des § 21 StGB vermindert
schuldfähig war. Der Sachverständige hat insoweit nachvollziehbar dargelegt, dass
der Angeklagte im Zuge der Trennung von seiner Ex-Ehefrau eine
Persönlichkeitsstörung im Sinne einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im
Sinne des § 21 StGB entwickelt hat.
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Grundlage dieser Persönlichkeitsstörung ist eine narzisstische Erkrankung mit
fanatischen Anteilen, die dazu führte, dass der Angeklagte am 25.05. in der
dortigen affektiven Ausnahmesituation in seiner Steuerungsfähigkeit in
erheblichem Umfang vermindert war. Ausgehend von den von dem
Sachverständigen durchgeführten Explorationen des Angeklagten und seiner
Einlassung in der Hauptverhandlung hielt der Sachverständige es auch für
denkbar, dass während des affektiven Ausnahmezustandes selber die
Steuerungsfähigkeit letztendlich am Ende auch gänzlich aufgehoben gewesen
sein könne.
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Das Gericht ist dem Sachverständigen insoweit nicht gefolgt. Ausgehend
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von der Richtigkeit der Aussage zum Tathergang, so wie ihn die Zeugin N
geschildert hat, hat es während des Tatablaufes keinen Bruch gegeben, der ihm
Rahmen des Tatverlaufs eine differenzierte Betrachtungsweise hinsichtlich der
Schuldfähigkeit rechtfertigen könnte. Danach kann zugunsten des Angeklagten für
den gesamten Tathergang des 25.05.2000 lediglich von einer verminderten
Schuldfähigkeit im Sinne des
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§ 21 StGB ausgesprochen (gemeint offensichtlich: ausgegangen) werden."
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Die auf diese Tat wirksam beschränkte Revision des Angeklagten hat mit der in
zulässiger Weise erhobenen Rüge der Verletzung materiellen Rechts zumindest
vorläufig Erfolg.
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Die bislang vom Tatrichter getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des
Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB
nicht.
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Der Schuldspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken:
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Die Darlegung in den Urteilsgründen, warum entgegen den Ausführungen des
psychiatrischen Sachverständigen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB
auszuschließen ist, genügt - worauf die Revision zu Recht hinweist - den aus
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§ 261 StPO herzuleitenden Anforderungen an die Urteilsgründe nicht.
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Setzt sich nämlich das Gericht mit seiner Beweiswürdigung in Widerspruch zu der
Ansicht des Sachverständigen, dann muss es die Gegengründe des Sachverständigen
ausführlich erörtern und mit eigenen Gründen so widerlegen, dass ersichtlich wird, dass
es das von ihm beanspruchte bessere Sachwissen auf dem zur Erörterung stehenden
Teilbereich des fremden Wissensgebietes zu Recht für sich in Anspruch nimmt (vgl.
BGH NStZ 1983, 377; LR-Gollwitzer, StPO, 25. Aufl., § 261
25
Rdnr. 91; KK-Engelhardt, StPO, 4. Aufl., § 261 Rdnr. 33, jeweils m.w.N.).
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Gegebenenfalls muss es bei fehlendem eigenen Sachwissen im Fall des Abweichens
von der Beurteilung eines Sachverständigen einen weiteren Sachverständigen hören.
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Vorliegend hat der Tatrichter lediglich ausgeführt, es habe während des Tatablaufes
keinen Bruch gegeben, der eine differenzierte Betrachtungsweise hinsichtlich der
Schuldfähigkeit rechtfertigen könnte. Das Gericht lässt jedoch offen, aus welchen
Umständen der Sachverständige es für denkbar gehalten hat, dass die
Steuerungsfähigkeit gegen Ende der Tatausführung auch gänzlich aufgehoben
gewesen sein könnte. Insoweit lässt das Urteil auch die erforderliche Mitteilung der
Anknüpfungstatsachen vermissen, wobei zudem offen bleibt, von welchem Zeitpunkt an
der Sachverständige von einer möglichen Schuldunfähigkeit ausgegangen ist.
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Wenn es nach der vom Tatrichter vorgenommenen Beweiswürdigung während des
Tatablaufs "keinen Bruch" gegeben hat, bliebe - wenn man die Beurteilung des
Sachverständigen zugrunde legen würde - auch die Möglichkeit, dass der Angeklagte
zum Zeitpunkt sämtlicher Körperverletzungshandlungen schuldunfähig war. Auch hierzu
lassen die Urteilsgründe die erforderliche Auseinandersetzung vermissen.
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Das Urteil kann daher im angefochtenen Umfang keinen Bestand haben, so dass es
insoweit mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels -
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an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum zurückzuverweisen war (§ 354 Abs.
2 StPO).
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Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass die bislang getroffenen
Feststellungen nicht ausreichen, um eine Subsumtion des Tatgeschehens unter das
Tatbestandsmerkmal einer das Leben gefährdenden Behandlung im Sinne des
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§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB rechtsfehlerfrei vornehmen zu können.
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Das Amtsgericht hat hierzu festgestellt, die Nebenklägerin sei durch die erlittenen
Schläge "in lebensgefährlicher Weise" verletzt worden und hat im Anschluss daran
mehrere Hämatome und Knochenbrüche aufgelistet. Es versteht sich aber nicht von
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selbst, dass die erlittenen Verletzungen lebensgefährlich waren, auch wenn sie sich im
Bereich des Kopfes befunden haben. Dazu hätte es zumindest näherer Ausführungen
bedurft, zumal medizinisches Allgemeinwissen für die Beurteilung dieser Frage in der
Regel nicht ausreichen dürfte.
Wenn aber die Verletzungen als solche nicht lebensgefährlich sein sollten, bedürfte es
näherer Ausführungen und der Darlegung weiterer Einzelheiten, warum die
Behandlung, die zu diesen Verletzungen geführt hat, als zumindest abstrakt geeignet für
eine Lebensgefährdung anzusehen ist. Auch bei Faustschlägen auf den Kopf sind
insoweit nähere Ausführungen nicht entbehrlich (vgl. BGH StV 1988, 65; OLG
Düsseldorf JZ 1995, 908; OLG Köln StV 1994, 247 und NJW 1983, 2274; LK-Lilie, StGB,
11. Aufl., § 224 Rdnr. 36 und 37 m.w.N.).
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Für den Fall, dass in der neuen Hauptverhandlung hinreichende Feststellungen zur
Tatbestandserfüllung des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB getroffen und Schuldunfähigkeit
ausgeschlossen werden können, jedoch von erheblich verminderter Schuldfähigkeit im
Sinne des § 21 StGB auszugehen sein sollte, müssen die Urteilsgründe auch zu
erkennen geben, dass sich das Gericht der Möglichkeit bewusst war, dass im Hinblick
auf den vertypten Milderungsgrund des § 21 StGB auch die Annahme eines minder
schweren Falles gemäß § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB möglich wäre (vgl.
Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 50 Rdnr. 2, 2 a m.w.N.). Eine Ausnahme hiervon ist
nur dann möglich, wenn alle Umstände, die für diese Wertung bedeutsam sein können,
von vornherein die Annahme eines minder schweren Falles als so fernlie-
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gend oder gar abwegig erscheinen lassen, dass die Verneinung auf der Hand liegt (vgl.
BGH GA 1987, 227). Eine sich dann ggf. ergebende Verschiebung des Straf-
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rahmens ließe jedoch den Unrechtsgehalt des deliktischen Verhaltens als solches
unberührt.
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Im übrigen gehört zu der gem. § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO in die Urteilsformel
aufzunehmenden rechtlichen Bezeichnung der Tat nicht eine Strafzumessungs-
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regel wie § 21 StGB (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 260 Rdnr. 25
m.N.).
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