Urteil des OLG Hamm vom 12.02.2008
OLG Hamm: beschränkung, ermächtigung, pflichtverteidiger, konkretisierung, vollmacht, körperverletzung, versicherung, wahlverteidiger, abgabe, freibeweis
Oberlandesgericht Hamm, 3 Ss 514/07
Datum:
12.02.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ss 514/07
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 11 Ns 40/07
Schlagworte:
Berufung, Berufungsbeschränkung, Teilrücknahme
Normen:
§ 302 StPO
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des
Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.
Gründe:
1
I.
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Das Amtsgericht Bielefeld hat den Angeklagten am 09.03.2007 wegen gefährlicher
Körperverletzung in zwei Fällen, versuchter gefährlicher Körperverletzung und
Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt.
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Das Landgericht Bielefeld hat die Berufung durch Urteil vom 26.07.2007 mit der
Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr
und vier Monaten verurteilt wird.
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Gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld hat der Angeklagte form- und fristgerecht
Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als unbegründet zu
verwerfen.
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II.
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Die zulässige Revision des Angeklagten hat auf die Sachrüge teilweise - zumindest
vorläufig - Erfolg.
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Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung von Verfahrenshindernissen
(Teilrechtskraft) ergibt, dass die Kammer zu Unrecht eine Beschränkung der Berufung
auf den Rechtsfolgenausspruch angenommen und damit den Umfang ihrer Prüfungs-
und Feststellungspflicht verkannt hat.
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Durch den Schriftsatz des Verteidigers vom 13.06.2007 ist keine wirksame
Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß erfolgt. Denn bei der erklärten
Beschränkung der Berufung handelt es sich nicht um eine Konkretisierung des
Rechtsmittels, sondern um eine Teilrücknahme, für die der Verteidiger gemäß § 302
Abs. 2 StPO einer ausdrücklichen Ermächtigung des Angeklagten bedarf. Einer solchen
ausdrücklichen Ermächtigung zur Rechtsmittelbeschränkung hätte der Verteidiger nur
dann nicht bedurft, wenn die Beschränkung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist
nach § 317 StPO erfolgt wäre. In diesem Fall würde es sich bei der
Rechtsmittelbeschränkung nicht um eine Teilrücknahme, sondern lediglich um eine
Konkretisierung des Rechtsmittels handeln, die nicht den Anforderungen des § 302 Abs.
2 StPO unterliegt. Denn in der Anfechtungserklärung selbst liegt noch keine Aussage
darüber, in welchem Umfang das Urteil angefochten werden soll. Dieser wird – wie bei
der Revision – erst durch die innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist nachfolgende
Erklärung bestimmt. Nach Ablauf der Begründungsfrist kann das Rechtsmittel nur noch
durch eine Teilrücknahme beschränkt werden (vgl. BGHSt 38, 4; OLG Hamm, 1.
Strafsenat, Beschluss vom 17.05.2005, 1 Ss 62/05; OLG Hamm, 4. Strafsenat,
Beschluss vom 08.08.2000, 4 Ss 193/00; OLG Koblenz, NStZ-RR 2001, 247; Meyer-
Goßner, StPO, 50. Auflage, § 302, Rdnr. 29).
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Die durch den (damaligen) Pflichtverteidiger in dem Schriftsatz vom 13.06.2007
enthaltene Erklärung, die Berufung solle "nur auf das Strafmaß beschränkt werden", ist
nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erfolgt. Denn das erstinstanzliche Urteil
ist dem Verteidiger am 25.05.2007 wirksam zugestellt worden, so dass die
Berufungsbegründungsfrist am 01.06.2007 endete.
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Eine ausdrückliche Ermächtigung zur Erklärung der Teilrücknahme ist nicht ersichtlich.
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Der als Pflichtverteidiger bestellte Rechtsanwalt war nicht mit einer entsprechenden
Vollmacht ausgestattet. Selbst wenn der Verteidiger vorher als Wahlverteidiger
bevollmächtigt gewesen wäre, würde eine solche Vollmacht nach Niederlegung des
Wahlmandats im Zusammenhang mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger nicht
fortgelten (vgl. BGH, NStZ 1991, 94; OLG Koblenz, NStZ-RR 2001, 247; Ruß in
Karlsruher Kommentar zur StPO, § 302, Rdnr. 23).
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Der Nachweis der Ermächtigung kann zwar noch nach Abgabe der Erklärung erfolgen,
z.B. durch zustimmendes Nicken des Angeklagten zu der in der Hauptverhandlung
abgegebenen Erklärung des Verteidigers (BGH bei Kusch, NStZ-RR 1999, 262). Im
konkreten Sachverhalt enthält das Protokoll der Berufungshauptverhandlung aber nur
den Hinweis darauf, dass die "Rechtzeitigkeit der auf das Strafmaß beschränkten
Berufung" festgestellt wurde. Anhaltspunkte für einen Nachweis der Ermächtigung
ergeben sich daraus aber nicht.
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Schließlich kann der Nachweis gegenüber dem Revisionsgericht noch dann erbracht
werden, wenn das Berufungsgericht über die - von ihm als wirksam beschränkt
behandelte - Berufung entschieden hat (BayObLG MDR 1982, 249). Die dazu im
Freibeweis (vgl. BayObLG NStZ 1995, 142) vom Senat vorgenommenen Ermittlungen
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haben den Nachweis der Ermächtigung jedoch nicht erbracht. Insbesondere ist der
Nachweis nicht durch anwaltliche Versicherung des damaligen Verteidigers (vgl. dazu
BGH NJW 1952, 273; wistra 2000, 391, 392) erbracht worden. Der Verteidiger hat auf
Nachfrage des Senats vielmehr mitgeteilt, er habe die Beschränkung der Berufung ohne
vorherige Rücksprache mit dem Angeklagten erklärt.
Das Fehlen der Ermächtigung zur Beschränkung der Berufung hat zur Folge, dass das
Rechtsmittel als unbeschränkt eingelegt anzusehen ist. Mangels einer wirksamen
Beschränkung war die Strafkammer verpflichtet, den Sachverhalt in vollem Umfang
festzustellen und rechtlich zu bewerten. Das ist nicht erfolgt.
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Das angefochtene Urteil war daher mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben und
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine
Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückzuverweisen. Diese wird auch über die
Kosten der Revision zu entscheiden haben, da deren Erfolg noch nicht feststeht.
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