Urteil des OLG Hamm vom 20.02.1980

OLG Hamm (grobe fahrlässigkeit, zustandekommen des vertrages, annahme des antrages, vvg, erste instanz, ursächlicher zusammenhang, aufbewahrung, brand, zpo, fahrlässigkeit)

Oberlandesgericht Hamm, 20 W 44/79
Datum:
20.02.1980
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 W 44/79
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 14 O 485/79
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird abgeändert.
Der Klägerin wird für die erste Instanz das Armenrecht bewilligt. Die
Beiordnung eines Armenanwaltes bleibt dem Vorsitzenden der
Zivilkammer vorbehalten.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten
werden nicht erstattet.
Gründe
1
Die nach § 127 ZPO zulässige Beschwerde ist begründet. Der Klägerin muß das
Armenrecht bewilligt werden, weil ihrer beabsichtigten Rechtsverfolgung eine
hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden kann (§ 114 Abs. 1 ZPO).
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1)
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Allerdings ist im vorliegenden Fall zweifelhaft, ob am Brandtag (15. Januar 1979) schon
Versicherungsschutz bestand.
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Der Versicherungsvertrag ist offenbar erst nach dem Brand, nämlich durch Annahme
des Antrages vom 9. Januar 1979 durch Ausstellung und Übersendung des
Versicherungsscheins vom 23. Januar 1979 zustandegekommen. Vor Zustandekommen
des Vertrages kann aber die materielle Haftung des Versicherers im allgemeinen nicht
beginnen, wenn - wie hier in § 8 Ziff 2 AFB nur die einfache Einlösungsklausel
vereinbart ist und nicht die erweiterte, wie z.B. in § 3 Abschn. I Abs. 3 Satz 2 AHB oder §
7 Abs. 1 Satz 2 AUB (siehe hierzu Prölß-Martin, 21. Aufl., Anm. 1 zu § 2 VVG und Anm.
5 zu § 38 VVG). Das kann jedoch offen bleiben. Denn die Beklagte hat im Schriftsatz
vom 5. Februar 1980 (Bl. 87 d.A.) ausdrücklich erklärt, daß sie sich hierauf nicht berufen
wolle. Es kann daher unerörtert bleiben, ob die Beklagte unter dem Gesichtspunkt des
Verschuldens bei Vertragsabschluß - falsche Beratung über den Beginn des
Deckungsschutzes durch den Vermittlungsagenten (§ 278 BGB) - im Wege des
Schadensersatzes wie aus einem Vertrag haften würde, wofür der Vortrag der Klägerin
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Anhaltspunkte bietet.
2)
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Eine Leistungsfreiheit der Beklagten nach § 7 AFB (§ 6 Abs. 1 VVG) wegen Verletzung
einer vereinbarten, vor dem Versicherungsfall zu erfüllenden Obliegenheit kommt nicht
in Betracht. Die Parteien haben folgende Sicherheitsvorschrift nach § 7 AFB vereinbart:
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Aufbewahrung von Tabakresten, Asche usw.
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In den Gasträumen dürfen für Asche, Tabakreste, Streichhölzer und ähnliches
ausschließlich Metallbehälter mit doppelter Wand und selbsttätig schließendem Deckel
vorhanden sein; Tischaschenbecher dürfen nicht aus brennbarem Material bestehen.
Behälter, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, müssen unverzüglich aus den
Gasträumen entfernt werden.
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Nach dem Vortrag der Klägerin, den sie durch Benennung ihres Ehemannes als Zeugen
unter Beweis stellt, diente der hinter der Theke stehende Plastikeimer nicht der
Aufbewahrung von Asche, Tabakresten, Streichhölzern oder ähnlichen. Der Eimer war
vielmehr für die Aufnahme von anderen Abfällen, vor allem Kronenkorken bestimmt. Die
vereinbarte Sicherheitsklausel kann nicht weiter ausgelegt werden, als ihr Wortlaut
reicht. Sie schreibt nur für die Aufbewahrung von Abfällen, die glimmen und daher zur
Entstehung eines Feuers führen können, Metallbehälter mit doppelter Wand und
selbsttätig schließendem Deckel vor, nicht aber auch für andere, feuerungefährliche
Abfälle.
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3)
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Auch auf Leistungsfreiheit nach § 6 AFB (§§ 23ff VVG) wegen Gefahrerhöhung kann
sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen. Zwar mag in der Aufstellung eines
Plastikeimers zur Aufnahme von Abfällen hinter der Theke eine Gefahrerhöhung liegen,
weil wegen der Möglichkeit, daß dieser Abfallbehälter bestimmungswidrig auch zur
Leerung von Aschenbechern benutzt wird, die Brandgefahr generell erhöht wird (Prölß-
Martin, 21. Aufl., Anm. 1 zu § 6 AFB -Anh. II nach § 107 c VVG-). Leistungsfreiheit nach
§ 6 AFB kann aber nur eintreten, wenn die Gefahrenlage nach Stellung des
Versicherungsantrages erhöht wird (§ 6 Abs. 4 AFB). Im vorliegenden Fall stammte der
Versicherungsantrag vom 9. Januar 1979. Die Beklagte trägt selbst nicht vor, daß der
Plastikeimer erst nach diesem Tage hinter der Theke aufgestellt worden ist. Zu Gunsten
der Klägerin muß daher davon ausgegangen werden, daß er dort auch schon vor der
Antragstellung stand. Dann liegt keine zu Leistungsfreiheit führende Gefahrerhöhung
vor (siehe OLG Hamm in VersR 75/607).
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4)
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Ob die Beklagte nach § 16 AFB (§ 61 VVG) wegen grobfahrlässiger Herbeiführung des
Versicherungsfalles leistungsfrei ist, kann noch nicht abschließend entschieden werden.
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a)
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Es mag fahrlässig sein, in einer Gaststätte hinter der Theke einen Plastikeimer zur
Aufbewahrung von Abfall - Kronenkorken und Bierdeckel - aufzustellen, weil die Gefahr
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Aufbewahrung von Abfall - Kronenkorken und Bierdeckel - aufzustellen, weil die Gefahr
besteht, daß in diesen Eimer doch einmal ein Aschenbecher ausgeleert wird, oder daß
ein Gast eine noch glimmende Zigarettenkippe über die Theke in den Eimer wirft
(allerdings Fahrlässigkeit noch verneinend: OLG Hamm in VersR 75/607). Der Senat hat
aber Bedenken, insoweit generell grobe Fahrlässigkeit anzunehmen (so aber LG Köln
in VersR 80/155). Grobfahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt
gröblich, im hohen Grade außer acht läßt, wer nicht beachtet, was unter den gegebenen
Umständen Jedem einleuchtet (Prölß-Martin a.a.O., Anm. 12 zu § 6 VVG). Sicher
leuchtet jedem ein, daß Plastikeimer brennbar sein können und deshalb zur
Aufbewahrung von Tabakresten, die erfahrungsgemäß glimmen können, nicht geeignet
sind (OLG Hamm in VersR 79/997). Dagegen drängt es sich weniger auf, daß auch
schon die Verwendung eines Plastikeimers hinter der Theke zur Aufnahme von
Kronenkorken und Bierdeckeln gefährlich ist, weil der Wirt, der seinen Platz hinter der
Theke hin und wieder verlassen muß, eine bestimmungswidrige Verwendung für
Tabakreste z.B. durch vor der Theke sitzende angetrunkene Gäste nicht unbedingt
bemerken muß und verhindern kann. Mehr vorwerfbar ist vielleicht, daß der Eimer nicht
nach Betriebsschluß entleert worden ist (so LG Köln a.a.O.). Hier ist aber auch zu
bedenken, daß das vom Verband der Sachversicherer herausgegebene "Merkblatt für
die Brandverhütung", in dem die Entleerung sämtlicher Abfallbehälter in
Sammelbehälter außerhalb des Gebäudes nach Betriebsschluß empfohlen wird, der
Klägerin offenbar erst mit dem Versicherungsschein, also nach dem Brand übersandt
worden ist. Bei Abwägung aller dieser Umstände neigt der Senat dazu, eine grobe
Fahrlässigkeit zu verneinen.
b)
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Während bei einer Obliegenheitsverletzung nach § 7 AFB (§ 6 Abs. 2 VVG) und auch
bei einer Gefahrerhöhung nach § 6 AFB (§ 25 Abs. 3 VVG) ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Versicherungsfall vermutet
wird und dem Versicherungsnehmer der Kausalitätsgegenbeweis offen steht, muß nach
§ 16 AFB (§ 61 VVG) der Versicherer beweisen, daß der Versicherungsnehmer den
Schaden herbeigeführt hat (Prölß-Martin, Anm. 6 zu § 61 VVG). Im vorliegenden Fall
kann nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand nicht mit einer die Erfolgsaussicht
der Klage ausschließenden Wahrscheinlichkeit gesagt werden, daß die Beklagte den
ihr obliegenden Beweis, daß der Brand in dem Plastikeimer entstanden ist, führen kann.
Sie hat zwar das im Strafverfahren erstattete Gutachten des Ing. Frieling vom. 26. Juli
1979 für sich. Die Klägerin hat aber Zeugenbeweis dafür angetreten, daß der Brand in
der Hölzdecke entstanden und der Plastikeimer erst durch einen von der Decke
gefallenen brennenden Balken in Brand geraten sei. Sie kann mit den Beweismitteln,
mit denen sie das Gutachten vom 26. Juli 1979 erschüttern will, nicht ausgeschlossen
werden. Das Amtsgericht Rheine, bei dem die Klägerin und ihr Ehemann wegen
fahrlässiger Brandstiftung angeklagt sind (6 Ls 46 Js 1138/79 AG Rheine), hat die
Hauptverhandlung am 5. Februar 1980 vertagt, um noch Beweis zu erheben. Allein der
Umstand, daß gegen die Klägerin Anklage erhoben worden ist, reicht nicht aus, um mit
Wahrscheinlichkeit festzustellen, daß der Beklagten im vorliegenden Verfahren der ihr
obliegende Beweis der Ursächlichkeit gelingen wird.
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Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (Nr. 1181 KV). Außergerichtliche Kosten
werden nicht erstattet (§ 118a Abs. 4 ZPO).
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