Urteil des OLG Hamm vom 26.09.2000

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Oberlandesgericht Hamm, 27 U 93/00
Datum:
26.09.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
27. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
27 U 93/00
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 5 O 3/00
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 24. März 2000 ver-kündeten
Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird
zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Das Urteil beschwert keine der Parteien mit mehr als 60.000,00 DM.
Tatbestand:
1
Der Kläger (F) macht gegen den Beklagten einen Schadensersatzanspruch aus
übergeleitetem Recht geltend. Er ist Dienstherr des geschädigten Dr. S, der am 16. April
1999 gegen 08:40 Uhr einen Wegeunfall mit seinem Fahrrad erlitt, als er auf dem Weg
von seiner Wohnung zu seiner Arbeitsstelle, der R, mit dem Hund des Beklagten
kollidierte. Er befuhr den Radweg auf der Hevener Straße in Witten-Heveney, ca. 23 m
südlich des dortigen Parkplatzes, als der Hund des Beklagten seine Fahrspur kreuzte. In
Folge der Kollision kam Dr. S zu Fall und zog sich schwerste Kopfverletzungen zu. Der
Kläger hat für den Geschädigten bislang Kosten in Höhe von 90.762,44 DM
aufgebracht. Der Haftpflichtversicherer des Beklagten hat diesen Schaden nach einer
Quote 1:3 zu dessen Lasten reguliert, so daß der mit der Klage geltend gemachte Betrag
von 22.293,72 DM noch offen ist. Überdies begehrt der Kläger die Feststellung, daß der
Beklagte auch künftig zu 100 % ersatzverpflichtet ist.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an ihn (Kläger) 22.293,72 DM nebst 4 % Zinsen seit
dem 21. Juni 1999 zu zahlen,
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sowie,
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festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, die auf ihn (Kläger) übergegangenen
und noch übergehenden Schadensersatzansprüche des Dr. S, in voller Höhe zu
ersetzen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat sich auf den Standpunkt gestellt, nur teilweise, nämlich zu 3/4, zu
haften, weil der Geschädigte sich ein mit einem Viertel zu bewertendes Mitverschulden
anrechnen lassen müsse, weil er keinen Schutzhelm getragen und sich deshalb die
schweren Kopfverletzungen zugezogen habe.
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Das Landgericht hat dem Feststellungsbegehren entsprochen und den Beklagten
antragsgemäß zur Zahlung verurteilt aus im wesentlichen diesen Gründen. Der
Beklagte schuldet dem Kläger gemäß § 833 S. 1 BGB, 99 LBG 2 ,30 ,31 Abs. 1 und 2
BeamtVG vollen Schadensersatz. Ein Mitverschuldensvorwurf gegen den Geschädigten
sei nicht begründet, weil nach einhelliger Meinung das Gebot der Eigensicherung nicht
verletzt werde, wenn der Radfahrer im Straßenverkehr keinen Schutzhelm trage. Das
folge zum einen aus dem Fehlen einer entsprechenden gesetzlichen Pflicht und zum
anderen auch daraus, das sich kein Verkehrsbewußtsein in dieser Richtung gebildet
habe. Allenfalls bei Kindern sei teilweise ein Bewußtseinswandel dahin festzustellen,
das reiche aber zur Begründung eines Mitverschuldensvorwurfes nicht hin.
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Gegen dieses Urteil, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, richtet sich die
Berufung des Beklagten.
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Er beanstandet die rechtliche Würdigung des Landgerichts zur Frage des
Mitverschuldens und wirft dem Geschädigten zur Begründung eines Eigenverschuldens
vor, mit 25 - 30 km/h unangemessen schnell gefahren zu sein.
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Der Beklagte beantragt,
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abändernd die Zahlungsklage insgesamt sowie den Feststellungsantrag insoweit
abzuweisen, als das Landgericht eine über 75 % hinausgehende Haftung des
Beklagten festgestellt hat.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen des Vorbringens der Parteien im einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt
der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung hat keinen Erfolg.
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1.
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Der Umstand, daß der Geschädigte zur Zeit des Unfalls keinen Schutzhelm getragen
hat, begründet kein anspruchsminderndes Mitverschulden zu Lasten des Klägers. Von
einer allgemeinen Überzeugung von der Notwendigkeit eines solchen Eigenschutzes
kann nicht ausgegangen werden. Dabei spielt der Gesichtspunkt, daß eine
entsprechende gesetzliche Regelung nicht besteht, keine entscheidende Rolle, weil
sich eine allgemeine Überzeugung derart notwendigen Eigenschutzes auch
unabhängig davon hätte bilden können. Der Umstand, daß eine solche gesetzliche
Regelung de lege ferenda nicht einmal nachhaltig diskutiert wird, ist allerdings eher ein
nicht unbeachtliches Indiz für das Fehlen eines allgemeinen entsprechenden
Verkehrsbewußtseins. Es mag sein, daß sich das Tragen von Schutzhelmen auch bei
erwachsenen Radfahrern weiter verbreitet hat, indes läßt sich ohne Umfrageergebnisse,
Statistiken, amtliche oder nichtamtliche Erhebungen zur Verkehrsanerkennung kein
allgemeines Schutzbewußtsein in dem hier maßgeblichen Sinne feststellen (BGH NJW
1979, 1980; OLG Nürnberg zfs 1999, 467; OLG Stuttgart OLG-Report 1998, 345).
Solchen Erkenntnismöglichkeiten von Amts wegen nachzugehen, ist nicht veranlaßt.
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2.
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Auch der Vorwurf, der Geschädigte habe die notwendige Eigensicherung unterlassen,
weil er zu schnell gefahren sei und sich in Folge dessen die schweren Verletzungen
zugezogen habe, hat keine tragfähige Grundlage. Ungeachtet fehlender nachprüfbarer
Darlegung einer konkreten Gefahrensituation, die überhaupt eine geringe
Geschwindigkeit geboten hätte, gibt es auch keine aussagekräftigen Indizien dafür, daß
der Geschädigte wirklich zu schnell gefahren ist. Allein ein Blutfleck in einer Entfernung
von 6,5 m von einem vermuteten, tatsächlich aber nicht gesicherten Kollisionsort ist
nicht aussagekräftig, weil die Endlage des Geschädigten nach dem Unfall nicht
dokumentiert ist und also die Maßgeblichkeit des Blutfleckes ungeklärt bleibt; dieser
kann auch auf andere Weise, etwa im Rahmen der Unfallversorgung entstanden sein.
Im übrigen bewegt sich die Berufung mit ihrer Mutmaßung, die Entfernung des
Blutfleckes vom Kollisionsort indiziere eine Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h, im
Bereich der Spekulation. Das zeigt etwa die Erwägung, daß der Geschädigte auch bei
geringerer Geschwindigkeit nach dem Anstoß gestrauchelt und erst einiger Meter später
zu Fall gekommen sein könnte. Mangels entsprechender Sachanknüpfungspunkte ist
die Schlußfolgerung des Beklagten einer Aufklärung durch Sachverständigengutachten
nicht zugänglich.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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