Urteil des OLG Hamm vom 11.04.2000

OLG Hamm: geldwerter vorteil, leistungsfähigkeit, einkünfte, stadt, haus, verwertung, zustand, abweisung, abhängigkeit, grundsteuer

Oberlandesgericht Hamm, 7 UF 519/99
Datum:
11.04.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
7. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 UF 519/99
Vorinstanz:
Amtsgericht Meschede, 7 F 206/97
Tenor:
Die Berufungen beider Parteien gegen das Urteil des Amtsgerichts -
Familiengericht - Meschede vom 16. November 1999 werden
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 1/3 der kla-genden
Stadt und zu 2/3 dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
1
(ohne
Tatbestand
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I.
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Die klagende Stadt macht Unterhaltsansprüche des jetzt 32 Jahre alten Sohnes des
Beklagten X für den Zeitraum vom 1. April 1995 bis 31. Mai 1997 geltend. Sie hat im
erstinstanzlichen Verfahren einen Gesamtbetrag von 19.192,76 DM verlangt. Das
Amtsgericht hat den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung
von 11.582,17 DM verurteilt. Beide Parteien haben gegen dieses Urteil Berufung
eingelegt. Die Klägerin verfolgt ihren erstinstanzlich geltend gemachten Anspruch
weiter, der Beklagte erstrebt die völlige Abweisung der Klage.
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Beide Berufungen sind zulässig, aber nicht begründet.
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II.
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1.
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Der Anspruch ist dem Grunde nach aus §§ 1601, 1602 BGB, 91 BSHG gerechtfertigt.
Die Klägerin hat in dem streitbefangenen Zeitraum Sozialhilfe für den Zeugen X in einer
die Klageforderung übersteigenden Höhe geleistet und den Anspruch des Zeugen
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ordnungsgemäß auf sich übergeleitet.
Für die Entscheidung des Falles kommt es entgegen der Ansicht des Beklagten nicht
darauf an, ob dem Zeugen in dem betreffenden Zeitraum ein Anspruch auf
Ausbildungsunterhalt zustand, oder ob er "studierfähig" war. Entscheidend ist, daß der
erstinstanzlich beauftragte Sachverständige Dr. S zu dem Ergebnis gekommen ist, daß
X im streitbefangenen Zeitraum arbeitsunfähig war. Das wird auch vom Beklagten nicht
in Zweifel gezogen. Da der Zeuge, abgesehen von Leistungen nach den BAFÖG, die
bei der Berechnung der Gesamtsumme berücksichtigt sind, keine Einkünfte hatte und
auch nicht über Vermögen verfügt, war er außer Stande, sich selbst zu unterhalten, §
1602 Abs. 2 BGB. Die Vernehmung des Zeugen hat ergeben, daß er über die mit der
Klage bezifferten BAFÖG-Leistungen hinaus auch keinen Anspruch auf weitere
Ausbildungsförderung hatte. Seine Bedürftigkeit ist auch nicht durch Unterbringung in
stationärer Behandlung gemindert. Seine Aufenthalte in psychiatrischen
Krankenhäusern lagen vor dem hier streitbefangenen Zeitraum.
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2.
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Der geltend gemachte Anspruch, soweit er den tenorierten Umfang übersteigt, scheitert
jedoch an der fehlenden Leistungsfähigkeit des Beklagten.
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Das angefochtene Urteil geht von durchschnittlichen Erwerbseinkünften des Beklagten
in Höhe von netto monatlich rund 1.620,00 DM aus. Diese Feststellung ist von keiner
Partei angegriffen worden. Das Amtsgericht hat dem Beklagten darüber hinaus einen
geldwerten Vorteil aufgrund der ihm gewährten privaten Pkw-Nutzung der Arbeitgeberin
in Höhe von monatlich netto 300,00 DM zugerechnet. Diesen Betrag hält auch der Senat
für angemessen. Ein darüber hinausgehender geldwerter Vorteil ist von der Klägerin
nicht substantiiert dargelegt. Auch der vom Amtsgericht angesetzte geldwerte Vorteil für
das mietfreie Wohnen des Beklagten im Haus seiner Ehefrau ist mit 500,00 DM
angemessen berücksichtigt. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung aller
Obergerichte, wonach der Wohnbedarf in der Regel mit höchstens 30 % des
verfügbaren Einkommens anzusetzen ist, bei geringeren Einkünften weniger. Hieraus
ergibt sich folglich ein unterhaltsrelevantes Monatseinkommen von 2.420,00 DM.
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Weitere tatsächliche oder fiktive Einkünfte sind dem Beklagten nicht zuzurechnen.
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a)
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Die von der Klägerin ins Feld geführte kostenfreie Nutzung von Kellerräumen, in denen
der Beklagte sein Hobby betreibt - Ausstellung von "Oldtimern" - ergibt keinen
unterhaltsrechtlich meßbaren wirtschaftlichen Vorteil, weil der Beklagte dadurch keine
notwendigen Aufwendungen für die allgemeine Lebensführung erspart.
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b)
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Auch eine Zurechnung fiktiver Einkünfte des Beklagten gegenüber seiner zweiten
Ehefrau kommt nicht in Betracht. Insoweit ist unstreitig, daß Unterhaltsansprüche des
Zeugen X gegenüber seiner Stiefmutter (der zweiten Ehefrau des Beklagten) nicht
bestehen und deshalb auch nicht gemäß § 91 BSHG auf die klagende Stadt übergehen
können. Ist dies aber der Fall, so besteht auch keine Auskunftspflicht der zweiten
Ehefrau über ihre Einkünfte und ihr Vermögen, und zwar auch nicht in der Weise, daß
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etwa der Beklagte von der klagenden Stadt auf Auskunft über Einkünfte und Vermögen
seiner dem Hilfe-Empfänger gegenüber nicht unterhaltspflichtigen Ehefrau in Anspruch
genommen werden könnte. Etwas andere gilt nach § 116 BSHG nur dann, wenn der
Beklagte seinerseits Leistungen nach dem BSHG beantragt.
Die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Beklagten gegenüber seinem
volljährigen Sohn erhöht sich auch nicht dadurch, daß er gegenüber seiner zweiten
Ehefrau über Unterhaltsansprüche verfügte. Denn Unterhalt deckt nach der gesetzlichen
Definition des § 1610 II BGB immer nur und ausschließlich den eigenen Lebensbedarf
des Berechtigten im Rahmen seiner Lebensstellung. Hierzu gehört nicht die Übernahme
von Schulden des Unterhaltsbedürftigen, ganz gleich, ob es sich um gewöhnliche
Kreditverbindlichkeiten oder um Unterhaltsverbindlichkeiten handelt. Auch aus § 1360
BGB ergibt sich nichts anderes. Diese Vorschrift regelt nur die Ansprüche der Ehegatten
zueinander in einem Familienverbund, ohne die Haftung des einen für Verbindlichkeiten
des anderen Ehegatten Dritten gegenüber zu begründen. Ausnahmen hiervon sieht
lediglich § 1357 BGB für Geschäfte des täglichen Lebens vor.
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Soweit der Beklagte von seiner zweiten Ehefrau getrennt gelebt hat, könnten ihm
Unterhaltsansprüche als fiktives Einkommen nicht zugerechnet werden, weil er
zusammen mit den Unterhaltszahlungen immer nur seinen eigenen eheangemessenen
Bedarf erhalten hätte; (auch die von der Klägerin herangezogenen obergerichtlichen
Entscheidungen besagen nichts anderes).
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c)
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Dem Beklagten können auch Mieteinnahmen im streitbefangenen Zeitraum nicht in der
Weise zugerechnet werden, daß diese seine Leistungsfähigkeit meßbar erhöhen. Die
Klägerin hat mit der Berufungsbegründung ohne jede sachliche Substanz vermutete
Mieteinnahmen in Höhe von monatlich 2.000,00 DM "ins Blaue hinein" - und damit
prozeßrechtlich unbeachtlich - behauptet.
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Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung zugestanden, im streitbefangenen
Zeitraum Eigentümer eines von seiner Mutter ererbten gegen Ende der 60er Jahre
erbauten Einfamilienhauses gewesen zu sein, welches er zeitweilig - u. a. an die
Stieftochter seiner zweiten Ehefrau - vermietet hatte. Die monatlichen Mieteinnahmen
sollen zwischen 500,00 und 600,00 DM gelegen haben, jedoch durch die laufenden
Kosten für öffentliche Abgaben und Reparaturen vollkommen aufgezehrt worden sein.
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Diese wenigen bekannten Tatsachen erlauben dem Senat eine Schätzung, inwieweit
dem Beklagten eine Netto-Rendite aus der Vermietung verblieb, nicht. Es ist allgemein
bekannt, daß für jedes bebaute Grundstück öffentliche Abgaben in Form von
Grundsteuer, Anlegerbeiträgen, Straßenreinigung etc. und erhebliche Kosten für die
Hausversicherung anfallen. Bei einem mehr als 30 Jahre alten Haus ist auch von
erheblichem laufenden Erhaltungsaufwand auszugehen. Der Senat bemißt solche
Kosten üblicherweise pauschal im Wege der Schätzung in Abhängigkeit von Größe,
Alter und Zustand des Gebäudes. Eine solche pauschalierte Schätzung ist hier wegen
Fehlens aller notwendigen Schätzungsgrundlagen nicht möglich. Diesen Nachteil trägt
die Klägerin, da ihr als Anspruchstellerin die Darlegungs- und Beweislast für alle
anspruchsbegründenden Tatsachen obliegt. Von diesem allgemein geltenden
unterhaltsrechtlichen Grundsatz besteht eine Ausnahme nur dann, wenn es um die
Leistungsfähigkeit eines verschärft haftenden Elternteils für ein minderjähriges Kind
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geht, § 1603 Abs. 2 BGB. Das ist hier aber nicht der Fall.
3.
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Soweit die Klägerin meint, der Beklagte sei zur Verwertung von Vermögensteilen - in
Sonderheit den ihm gehörenden "Oldtimern" verpflichtet gewesen -, vermag der Senat
dem ebenfalls nicht zu folgen. Wie die Beweisaufnahme in erster Instanz (Zeugin X2)
ergeben hat, sind die Fahrzeuge an eine Sparkasse und eine Volksbank
sicherheitsübereignet. Sie entziehen sich daher einer wirtschaftlichen Verwertung. Der
Erlös aus dem Hausverkauf stand dem Beklagten bis zum Ende des hier
streitbefangenen Zeitraums noch nicht zur Verfügung.
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III.
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Zutreffend ist das Amtsgericht bei der Berechnung der Leistungsfähigkeit des Beklagten
von einem Selbstbehalt von 1.800,00 DM ausgegangen und somit zu einer
Leistungsfähigkeit im streitbefangenen Zeitraum von insgesamt 11.582,17 DM gelangt.
Auf die zutreffende Berechnung S. 5/6 des angefochtenen Urteils wird zur Vermeidung
von Wiederholungen verwiesen.
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Eine Kürzung des Selbstbehalts im Hinblick auf ein mietfreies Wohnen des Beklagten
kommt nicht mehr in Betracht, da diesem Gesichtspunkt schon dadurch Rechnung
getragen wurde, daß dem Beklagten bei der Einkommensermittlung ein geldwerter
Vorteil wegen mietfreien Wohnens zugerechnet worden ist.
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IV.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Ziffer 10 ZPO.
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