Urteil des OLG Hamm vom 06.10.2008

OLG Hamm: reparaturkosten, bezahlung, fälligkeit, wiederbeschaffungswert, ermessen, fahrzeug, klagerücknahme, abweisung, wiederholung, prozesskosten

Oberlandesgericht Hamm, 13 W 30/08
Datum:
06.10.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 W 30/08
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 1 O 310/07
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen die Kostenentscheidung
aus dem Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom
09.04.2008 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 3.500,- €
festgesetzt.
GRÜNDE:
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I.
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Der Kläger war am 16.06.2007 in einen Verkehrsunfall verwickelt, den sein
Unfallgegner, dessen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer die Beklagte ist, allein
schuldhaft verursacht hatte. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach für die
dem Kläger bei dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen entstandenen Schäden ist
zwischen den Parteien unstreitig.
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Nach dem Unfallereignis ließ der Kläger sein beschädigtes Fahrzeug zunächst
begutachten und sodann reparieren. Die vom Sachverständigen kalkulierten und vom
Kläger für die Instandsetzung des PKW aufgewendeten Reparaturkosten beliefen sich
auf 16.384,09 €. Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs betrug 13.235,29 €, der
Restwert 8.699,- €. Die Beklagte leistete vorprozessual am 16.07.2007 an den Kläger
eine Zahlung in Höhe von 4.536,29 € , nachdem sie zuvor bereits einen Teilbetrag von
264,71 € gezahlt hatte. Die Erbringung weiterer Leistungen lehnte die Beklagte in einem
Schreiben vom 07.09.2007 mit der Begründung ab, der Kläger könne zunächst lediglich
den Wiederbeschaffungs-aufwand ersetzt verlangen. Es bestehe zwar grundsätzlich
auch eine Bereitschaft zur Zahlung des rechnerisch korrekt ermittelten Differenzbetrages
zwischen dem bereits gezahlten Betrag und den vollen Reparaturkosten. Diese hänge
allerdings davon ab, dass das klägerische Integritätsinteresse durch eine Weiternutzung
des Fahrzeugs über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten nach Eintritt des
Schadensfalls nachgewiesen werde. Da sich der Unfall am 16.06.2007 ereignet habe,
sei dies frühestens am 16.12.2007 möglich. Bis zu diesem Zeitpunkt komme eine
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sei dies frühestens am 16.12.2007 möglich. Bis zu diesem Zeitpunkt komme eine
Regulierung über den bereits erstatteten Wiederbeschaffungsaufwand nicht in Betracht.
Unter dem 05.11.2007 hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zur
Zahlung eines Betrages in Höhe von 11.847,80 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.08.2007 zu verurteilen; daneben
hat er die Freistellung von vorprozessual angefallenen Anwaltsgebühren auf Basis
eines Geschäftswertes von bis zu 13.000,- € begehrt. Der Kläger vertritt die Auffassung,
sein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten inklusive der Integritätsspitze sei als
deliktisch begründete Schadensersatzforderung bereits im Zeitpunkt des
Schadenseintritts fällig geworden. Da eine vollständige und fachgerechte Reparatur
erfolgt sei, lägen hinreichende Anzeichen für seinen Weiternutzungswillen vor. Bei
dieser Sachlage sei es der Beklagten verwehrt, die Erfüllung ihrer Ersatzverpflichtung
bis Ablauf eines Zeitraumes von 6 Monaten ab dem Unfallereignis zu verweigern.
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Die Beklagte hat sich gegen die Klage unter Bezugnahme auf ihre bereits vorprozessual
vertretene Rechtsauffassung mit dem Hinweis verteidigt, die geltendgemachte
Klageforderung sei noch nicht fällig; vor Ablauf einer Frist von 6 Monaten ab dem
Unfallereignis sei der Kläger auf die Geltendmachung des
Wiederbeschaffungsaufwandes beschränkt. Entscheidend sei insoweit, dass nach
gefestigter Rechtsprechung zur Wahrung des besonderen Integritätsinteresses außer
der Vornahme einer fachgerechten Reparatur auch die anschließende Weiternutzung
durch den Geschädigten über einen gewissen Zeitraum hinweg erforderlich sei. Die
Anforderungen an die Dauer der Weiterbenutzung sei vom BGH zwischenzeitlich auf
mindestens 6 Monate ab dem Unfalltag konkretisiert worden.
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Am 24.01.2008 hat die Beklagte an den Kläger auf den geltendgemachten
Schadensersatzanspruch einen weiteren Betrag in Höhe von 11.583,09 € gezahlt.
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Der Kläger hat daraufhin die Klage in Höhe von 264,71 € zurückgenommen und den
Rechtsstreit im Übrigen in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich der
Erledigungserklärung mit Ausnahme der vom Kläger beanspruchten Zinsen und der
geltend gemachten Freistellung hinsichtlich der vorgerichtlich angefallenen
Anwaltsgebühren angeschlossen.
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Das Landgericht hat mit dem am 09.04.2008 verkündeten Urteil über die verbliebenen
Klageanträge entschieden und die Kosten des Rechtsstreits gemäß §§ 91 a, 92 Abs. 2
ZPO insgesamt der Beklagten auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die
Auferlegung der Kosten auf die Beklagte entspreche billigem Ermessen, da diese ohne
den Eintritt des erledigenden Ereignisses in dem Rechtsstreit aller Voraussicht nach
unterlegen gewesen wäre. Die Klage auf Ersatz der den Wiederbeschaffungswert
übersteigenden Reparaturkosten entsprechend der Rechnung der Fa. M AG sei im
Zeitpunkt der entsprechenden Zahlung durch die Beklagte begründet gewesen. Für die
Beklagte habe keine Berechtigung bestanden, den vollständigen Ausgleich der
Forderung von der Weiternutzung des Fahrzeugs über den Zeitraum von 6 Monaten
abhängig zu machen. Der Kläger habe vielmehr nach Durchführung der Reparatur, die
den Anforderungen an eine vollständige und fachgerechte Instandsetzung des
Fahrzeuges genügt habe, Anspruch auf volle Erstattung der entstandenen
Reparaturkosten gehabt. Schon durch die Beauftragung der ordnungsgemäßen
Reparatur, deren Durchführung, der Bezahlung der Reparaturrechnung und durch die
sich daran anschließende Weiterbenutzung habe der Kläger sein Integritätsinteresse,
auf welches abzustellen sei, hinreichend zum Ausdruck gebracht.
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Gegen diese Kostenentscheidung des landgerichtlichen Urteils wendet sich die
Beklagte mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie vertritt weiter die Auffassung, die Klage
sei bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses unbegründet gewesen, da der Kläger
bis zum Ablauf der 6-Monats-Frist sein Integritätsinteresse nicht nachgewiesen habe, so
dass die Klage ursprünglich der Abweisung habe unterfallen müssen. Da nach Ablauf
der vorgenannten Frist, also zu einem Zeitpunkt, zu dem erstmals hinreichende
Beweisanzeichen für die Weiternutzungsabsicht des Klägers vorgelegen hätten, die
Restforderung sogleich beglichen worden sei, bleibe insoweit für eine Auferlegung der
Kosten des Rechtsstreits auf sie – die Beklagte – kein Raum. Vor diesem Hintergrund
komme im Hinblick auf die teilweise Klagerücknahme durch den Kläger die Anwendung
des § 92 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht. Die Kosten des Rechtsstreits seien
vollumfänglich dem Kläger aufzuerlegen. In der Urteilsbegründung habe das
Landgericht im Übrigen zu Unrecht unterstellt, dass die Zahlung der Reparaturkosten
durch den Geschädigten erfolgt sei. Hierzu habe der Kläger jedoch erstinstanzlich nichts
vorgetragen und entsprechende Feststellungen seien nicht getroffen worden, so dass
auch aus diesem Gesichtspunkt heraus eine Fälligkeit des geltendgemachten
Zahlungsanspruchs nicht angenommen werden könne.
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Der Kläger tritt der sofortigen Beschwerde der Beklagten unter Wiederholung und
Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens entgegen.
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Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde der Beklagten nicht abgeholfen und die
Sache durch Beschluss vom 23.06.2008 dem Oberlandesgericht Hamm als dem
zuständigen Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
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II.
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Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist zulässig, bleibt in der Sache allerdings ohne
Erfolg.
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Die Kostenentscheidung, die das Landgericht in seinem Urteil vom 09.04.2008 auf
Grundlage der §§ 91 a, 92 Abs. 2 ZPO getroffen hat, ist nicht zu beanstanden. Das
Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass hinsichtlich des für erledigt erklärten
Teils der Klage die Kosten des Rechtsstreits nach billigem Ermessen der Beklagten
aufzuerlegen waren, weil diese den Rechtsstreit insoweit ohne den Eintritt des
erledigenden Ereignisses verloren hätte.
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Dabei kommt es auf die Frage, ob der Kläger bereits vor Ablauf der 6-Monats-Frist sein
Integritätsinteresse durch die Beauftragung und Bezahlung der vollständig und
fachgerecht ausgeführten Reparatur belegt hat, nicht an. Der Senat folgt insoweit der
Auffassung, dass die vom BGH geforderte Nutzungsdauer von 6 Monaten ab dem
Unfallgeschehen lediglich ein Beweisanzeichen für die Weiternutzungsabsicht des
Geschädigten ist, nicht aber eine Fälligkeitsvoraussetzung für den klägerischen
Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten inclusive der Integritätsspitze darstellt.
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Eine andere Bewertung ließe sich weder mit den allgemeinen Grundsätzen des
Schadensrechts in Übereinstimmung bringen, noch kann sie aus den bereits
erstinstanzlich diskutierten Entscheidungen des BGH vom 23.05.2006 und 13.11.2007
hergeleitet werden. Zur Frage der Fälligkeit des Schadensersatzanspruchs finden sich
in den vorgenannten Urteilen keine expliziten Ausführungen. Zu berücksichtigen ist
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aber, dass nach der Rechtsprechung des BGH im Falle der Weiternutzung eines
verunfallten Fahrzeuges der Restwert lediglich einen hypothetischen Rechnungsposten
darstellt, der sich in der Schadensbilanz nicht niederschlagen darf, wenn und solange
der Geschädigte ihn nicht realisiert (BGH, Urteil vom 23.05.2005, VI ZR 192/05).
Unter Zugrundelegung dessen ist der klägerische Anspruch auf Ersatz der vollen
Reparaturkosten inclusive der Integritätsspitze bereits mit Durchführung und Bezahlung
der Reparatur fällig geworden (vgl. LG Kiel, Urteil vom 03.04.2008, 10 S 65/07; LG
Bonn, Urteil vom 07.11.2007, 1 O 214/07, Elsner, jurisPR-VerkR1/2007 Anm. 6). Der
Kläger war nicht daran gehindert, die Klageforderung bereits vor Ablauf der 6-Monats-
Frist gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Es hätte sich für ihn allenfalls die
Verpflichtung ergeben können, den über den Wiederbeschaffungswert hinausgehenden
Betrag an die Beklagte zurückzuzahlen, wenn er das Fahrzeug letztlich doch weniger
als 6 Monate gehalten hätte, weil dann ab dem Zeitpunkt der vorzeitigen Veräußerung
sein Integritätsinteresse nicht mehr feststellbar gewesen wäre und deswegen der
Restwert des PKW bei der Schadensbilanz doch noch konkret hätte eingestellt werden
müssen.
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Aus Sicht der Versicherung mag die aus den vorstehenden Erwägungen folgende
Notwendigkeit der Überprüfung der Abrechnungsgrundlagen nach Ablauf der 6-Monats-
Frist lästig sein; dies ist aber kein Anlass, den Geschädigten, der ein Integritätsinteresse
hat, zur Vorfinanzierung der ihm zustehenden vollen Reparaturkosten über einen
Zeitraum von mehreren Monaten zu zwingen, obgleich sein diesbezüglicher
Schadensersatzanspruch bereits mit Zahlung der Kosten fällig wird.
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Dass vorliegend auf Seiten des Klägers von vorneherein ein Integritätsinteresse
bestand, steht fest, nachdem dieser sein – repariertes – Fahrzeug über einen Zeitraum
von 6 Monaten nach dem Unfallgeschehen hinaus genutzt hat. Dass der Kläger dieses
Integritätsinteresse nicht schon bei Klageerhebung ausreichend hat nachweisen
können, ist nicht von Belang. Eine zeitweise Beweisnot der klagenden Partei steht der
Fälligkeit eines begründeten Anspruchs nämlich nicht entgegen (vgl. OLG Nürnberg
DAR 2008, 27 f).
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Soweit die Beklagte schließlich mit der Beschwerde rügt, das Landgericht habe seiner
Entscheidung zu Unrecht zugrunde gelegt, dass der Kläger die Reparaturrechnung
tatsächlich ausgeglichen habe, verhilft dies ihrer Rechtsverteidigung gleichfalls nicht
zum Erfolg. Der Einwand, der Kläger habe entsprechendes nicht vorgetragen, geht
nämlich fehl. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass der Kläger schon in der Klageschrift
ausgeführt hat, die kalkulierten bzw. gezahlten Reparaturkosten hätten sich auf
16.384,09 € belaufen. Da die Beklagte dem erstinstanzlich nicht entgegengetreten ist,
durfte das Landgericht den entsprechenden klägerischen Vortrag auch als unstreitig
behandeln und zur Grundlage seiner Entscheidung machen.
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Nach alledem war der klägerische Anspruch auf Ersatz der vollen Reparaturkosten
schon zum Zeitpunkt der Klageerhebung begründet und fällig.
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Da sich hierzu zum maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses
– nämlich der Restzahlung der Beklagten vom 24.01.2008 – auch konkrete
Feststellungen treffen ließen, wäre die Beklagte im Falle der streitigen Entscheidung
des Rechtsstreits unterlegen. Ihr sind insoweit deshalb zu Recht auf Grundlage des § 91
a ZPO die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden. Für die Beklagte, die die
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klägerische Forderung nur deswegen nicht sofort beglichen hat, weil der Kläger sein
Integritätsinteresse zunächst noch nicht hatte nachweisen können, hat sich durch den
Zeitablauf und die damit veränderte Beweislage lediglich das von ihr zu tragende
Prozessrisiko verwirklicht. Das vom Gericht im Rahmen des § 91 a ZPO auszuübende
billige Ermessen gebietet es bei dieser Sachlage nicht, eine Kostenentscheidung
zulasten des Klägers zu treffen.
Da die Zuvielforderung in Höhe von 264,71€, um die der Kläger die Klageforderung
durch seine teilweise Klagerücknahme reduziert hat, im Verhältnis zum
Gesamtstreitwert verhältnismäßig geringfügig war, bestehen auch keine Bedenken
dagegen, dass das Landgericht auf Grundlage der §§ 91 a, 92 Abs. 2 ZPO der
Beklagten mit der angefochtenen Entscheidung die gesamten Prozesskosten auferlegt
hat.
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Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 97 ZPO.
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Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2,
Abs. 3 ZPO).
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