Urteil des OLG Hamburg vom 24.04.2014

OLG Hamburg: Nährwertbezogene Angabe nach Health-Claim-Verordnung auf Müsli-Produkt

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Nährwertbezogene Angabe nach Health-Claim-Verordnung auf Müsli-Produkt
1. Die Angaben "LowCarb" auf der Verpackung eines Proteinmüsli-Produkts und "mit wenig Kohlehydraten" in der Werbung
für ein solches Produkt werden vom angesprochenen Verkehr dahin verstanden, dass lediglich ein geringer, nicht aber ein -
gegenüber einem vergleichbaren Produkt - geringerer Kohlehydratgehalt des Produkts versprochen wird. Sie unterfallen
daher nicht der Angabe "REDUZIERTER [NAME DES NÄHRSTOFFS]-ANTEIL" gemäß dem Anhang der Verordnung (EG) Nr.
1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben (Health-Claim-Verordnung / HCV) und verstoßen mangels
einer zugelassene nährwertbezogene Angabe zu kohlehydratarmen Produkten gegen Art. 8 Abs. 1 HCV.
2. Verstünde der Verkehr die Angaben als solche über einen reduzierten Nährstoff(hier Kohlehydrat)-Anteil, wären die
Angaben nach Art. 9 Abs. 1 Satz 2 HCV nur dann zulässig, wenn der Unterschied in der Menge des Nährstoffs im Vergleich zu
Lebensmitteln derselben Kategorie und in Bezug auf dieselbe Menge angegeben worden wäre.
3. Auch eine markenmäßige Verwendung der Angabe "LowCarb" ist nicht gemäß Art. 1 Abs. 3 HCV zulässig, wenn einer
solchen Kennzeichnung keine nährwert- oder gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist, die der Verordnung entspricht.
Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg 3. Zivilsenat, Beschluss vom 24.04.2014, 3 W 27/14
Art 1 Abs 3 EGV 1924/2006, Art 8 Abs 1 EGV 1924/2006, Art 9 Abs 1 S 2 EGV 1924/2006
Verfahrensgang
vorgehend LG Hamburg, 27. Februar 2014, Az: 406 HKO 28/14, Beschluss
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts
Hamburg, Kammer 6 für Handelssachen, vom 27. Februar 2014 abgeändert:
1. Im Wege der einstweiligen Verfügung, der Dringlichkeit wegen ohne mündliche
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Verhandlung, wird der Antragsgegnerin unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall
der schuldhaften Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall,
dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft
bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,00; Ordnungshaft
insgesamt höchstens 2 Jahre)
verboten,
in der Bundesrepublik Deutschland im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des
Wettbewerbs ein Proteinmüsli
a) unter Verwendung der Angabe "Low Carb" anzubieten und/oder zu bewerben, wenn
dies wie nachfolgend wiedergegeben geschieht:
- es folgt die jeweils mit „und/oder“ verknüpfte bildliche Darstellung von vier
Produktverpackungen eines Protein-Müslis vier verschiedener Geschmacksrichtungen
mit der Bezeichnung „LOWCARB.ONE“ –
und/oder
b) mit der Angabe "mit wenig Kohlehydraten" zu bewerben.
2. Der weitergehende Verfügungsantrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Erlassverfahrens und des Beschwerdeverfahrens fallen der
Antragstellerin zu 1/4 und der Antragsgegnerin zu 3/4 zur Last.
Der Beschwerdewert beträgt € 100.000,00.
Gründe
Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist überwiegend begründet. Der
Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die
Antragsgegnerin – zu lit. a) jedenfalls im Umfang der konkreten Verletzungsform – zu,
denn die angegriffenen Angaben „LowCarb“ (Antrag zu 1. a] - Verpackung) und „mit wenig
Kohlehydraten“ (Antrag zu 1. b]) – Werbung im Internet gemäß der Anlage Ast 6)
verstoßen gegen Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und
gesundheitsbezogene Angaben (Health-Claim-Verordnung – im Folgenden: HCV), womit
ein Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG einhergeht (vgl. BGH GRUR 2011, 246 – Gurktaler
Kräuterlikör; GRUR 2013, 958 - Vitalpilze), der entsprechende Unterlassungsansprüche
der Antragstellerin, die – auch auf dem Gebiet des Vertriebs von (Protein-/Müsli-
Produkten (Anlage Ast 2) – Mitbewerberin der Antragsgegnerin ist, begründet (§ 8 Abs. 1
UWG).
1. Bei den angegriffenen Angaben handelt es sich um nährwertbezogene Angaben im
Sinne der HCV. Nährwertbezogene Angaben sind nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 HCV alle
Angaben, mit denen erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht
wird, dass ein Lebensmittel besondere positive Nährwerteigenschaften besitzt, und zwar
aufgrund der Nährstoffe oder anderen Substanzen, die es liefert (lit. b] i]), in verminderter
oder erhöhter Menge enthält (lit. b] ii]) oder nicht enthält (lit. b] iii]). Zu den erfassten
Nährstoffen gehören gerade auch die Kohlehydrate (Art. 2 Abs. 2 Nr. 2 HCV).
Die Angaben „LowCarb“ und „mit wenig Kohlehydraten“ weisen auf eine geringe Menge
von Nährstoffen – hier Kohlehydraten – hin, so dass Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 lit. b) ii) HCV,
jedenfalls aber Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 lit. b) i) HCV, einschlägig ist.
2. Die vorliegend streitigen Angaben haben keinen unmittelbar vergleichenden Charakter.
Sie werden vom angesprochenen Verkehr, zu denen auch die Mitglieder des Senats
gehören, dahin verstanden, dass lediglich ein geringer Kohlehydratgehalt des Produkts
versprochen wird und nicht ein geringerer Gehalt an Kohlehydraten, was auf ein – auch
unbenanntes – Vergleichsobjekt hinweisen könnte. Die Angabe wird vom Verkehr daher
entgegen der von der Antragsgegnerin in ihrer Antwort auf die Abmahnung der
Antragstellerin (Ast 8) und der vom Landgericht im angegriffenen Beschluss vertretenen
Auffassung (Anlage Ast 9) nicht dahin verstanden, dass ein – gegenüber welchem
Vergleichsobjekt auch immer – reduzierter Kohlehydratanteil werblich hervorgehoben
wird. Denn es heißt nicht „LowerCarb“ oder „mit weniger Kohlehydraten“. Dass auch
derartige Angaben ohne unmittelbar vergleichenden Charakter von der Verordnung
erfasst sind, macht – worauf die Antragstellerin zutreffend hinweist – der Umstand
deutlich, dass sich im Anhang zur HCV (siehe auch Anlage Ast 10) auch bloß auf einen
geringen Gehalt von Nährstoffen hinweisende nährwertbezogene Angaben, wie „fettarm“,
„natriumarm“, „arm an gesättigten Fettsäuren“, finden.
3. Gemäß Art. 8 Abs. 1 HCV dürfen nährwertbezogene Angaben nur gemacht werden,
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wenn sie im Anhang aufgeführt sind und den in dieser Verordnung festgelegten
Bedingungen entsprechen. Die in Art. 28 Abs. 3 HCV enthaltene Übergangsregelung ist
seit dem 20.1.2010 nicht mehr gültig.
a) Im Anhang zur HCV findet sich bezogen auf einen geringen – nicht geringeren –
Kohlehydratgehalt von Lebensmitteln keine spezifische nährwertbezogene Angabe. Auch
keine solche, die für den Verbraucher "voraussichtlich dieselbe Bedeutung" hat. Soweit
die Antragsgegnerin jener Wendung entnimmt, dass die Liste der in der Anlage zur HCV
angeführten nährwertbezogenen Angaben nicht abschließend sei, und meint, die
angegriffene Angabe sei zulässig, weil sie für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe
Bedeutung habe wie eine der zugelassenen Angaben, kann dem nicht gefolgt werden.
Wegen der vorstehend angeführten nährstoffbezogenen Angaben, die bloß auf einen
geringen Gehalt von Nährstoffen hinweisen, ist die Liste der zulässigen Angaben
jedenfalls insoweit abgeschlossen, als die zugelassenen Angaben bestimmten
Nährstoffen zugewiesen sind. "Voraussichtlich dieselbe Bedeutung" können in diesem
Zusammenhang nur Angaben haben, die den jeweils in der Anlage genannten Nährstoff,
also etwa Fette, Salze usw., betreffen. Eine Erweiterung auf Angaben über nicht
ausdrücklich angeführte Nährstoffe – wie hier die Kohlehydrate – lässt die erweiternde
Klausel zur Zulässigkeit bedeutungsgleicher Angaben hier nicht zu.
Die Antragstellerin verweist zutreffend darauf, dass sich – wie ausgeführt – im Anhang zur
HCV mehrere zugelassene Angaben finden, die auf einen geringen Gehalt eines
bestimmten Nährstoffs verweisen. So etwa Angaben zu geringem Gehalt von Energie,
Fett, gesättigten Fettsäuren oder Salz, die in der deutschen Fassung der Verordnung stets
durch die Verwendung des Wortbestandteils „-arm„ bzw. der Worte „Arm an …“
gekennzeichnet sind. In der englischen Fassung der Verordnung (Ast 14) findet dafür das
Wort „Low“ Verwendung. Die Angabe „Low Carbohydrate“ bzw. „Kohlehydratarm“ findet
sich in der Anlage nicht. Das macht zunächst deutlich, dass der europäische Gesetzgeber
eine solche nährwertbezogene Angabe bezogen auf Kohlehydrate von der Zulassung
ausgeklammert hat. Entsprechend vertritt die britische Gesundheitsbehörde die
Auffassung, dass „Low Carb-Claims“, weil sie in der Liste der zugelassenen
nährwertbezogenen Angaben nicht enthalten sind, nicht mehr verwendet werden dürfen
(Anlage Ast 15; vgl. auch Meisterernst /Haber, Health & Nutrition Claims, Art. 8 Rn. 91).
b) Die angegriffenen Angaben lassen sich aber entgegen der von der Antragsgegnerin
vertretenen Auffassung auch nicht damit rechtfertigen, dass die HCV im Anhang eine
zugelassene Angabe aufweist, die in der Variation „reduzierter Kohlehydrat-Anteil“
zulässigerweise verwendet werden könnte.
Im Anhang zur HCV wird zwischen den angeführten Angaben, die auf einen geringen („-
arm“ bzw. „low“) Nährstoffanteil hinweisen, und solchen, die auf einen Unterschied
zwischen dem Nährstoffanteil in der Nährstoffmenge verschiedener Lebensmittel
hinweisen („reduced“ – vgl. Anlage Ast 14), sorgsam unterschieden. Daraus wird deutlich,
dass zulässige – vergleichende – nährwertbezogene Angaben, wie die Angabe
„Reduzierter [Angabe des Nährstoffs]-Anteil“, also im Streitfall vergleichbar mit
„Reduzierter Kohlehydrat-Anteil“, nicht zugleich auch solche Angaben erfassen, mit
denen wie auf der angegriffenen Produktverpackung geschehen bloß auf einen geringen
bzw. niedrigen („low“, „wenig“) Nährstoffanteil hingewiesen wird. Dies hier ebenfalls nicht
deshalb, weil der zulässigen Angabe eines reduzierten Nährstoffanteils nach dem
Wortlaut des Anhangs zur HCV solche Angaben gleichgestellt sind, „die für den
Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung“ haben. Zwar bleibt auch die
Aussagekraft des Begriffs „low“ bzw. „wenig“ ohne einen Bezugspunkt, an dem sich die
Angabe orientiert, unscharf. Das stellt derartige Angaben aber nicht schon solchen gleich,
die einen im vorstehend beschriebenen Sinne vergleichenden Inhalt haben. Die
Verordnung selbst schafft nämlich bei solchen Angaben, mit denen – unscharf – bloß auf
einen niedrigen Nährstoffgehalt hingewiesen wird, die notwendige Klarheit des Begriffs,
indem sie in der Anlage zur HCV für vergleichbare Angaben zu anderen Nährstoffen stets
konkrete Grenzwerte je Gewichtseinheit nennt, die einzuhalten sind, um die jeweilige
Angabe zulässig zu machen. Damit verfolgt der europäische Gesetzgeber einen
einheitlichen Maßstab, der bei der Verwendung der jeweils zugelassenen Claims
einzuhalten ist. Solche Grenzwerte sind für Kohlehydrate gerade nicht angegeben.
c) Die Antragstellerin weist im Übrigen zutreffend darauf hin, dass die Angaben
"LowCarb" und „mit wenig Kohlehydraten“ auch dann, wenn man sie als einen
unbenannten Unterfall der Angabe „Reduzierter [Angabe des Nährstoffs]-Anteil“ ansähe
(die Antragsgegnerin behauptet hier ein entsprechendes Verkehrsverständnis),
unzulässig wären, weil ihre Zulässigkeit zusätzlich nach Art. 9 Abs. 1 HCV zu beurteilen
wäre (vgl. Meisterernst/Haber, aaO, Art. 9 Rn. 10f.). Zulässig wären die Angaben nach Art.
9 Abs. 1 Satz 2 HCV aber nur dann, wenn der Unterschied in der Menge des Nährstoffs
im Vergleich zu Lebensmitteln derselben Kategorie und in Bezug auf dieselbe Menge
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angegeben worden wäre (vgl. Meisterernst/Haber, aaO, Art. 9 Rn. 34ff.; Meyer/Streinz,
HCVO, 2. Aufl., HCVO Rn. 36). Das ist indes an keiner Stelle der Verpackung der Fall.
Was die Antragsgegnerin dazu im vorliegenden Verfahren vorträgt, ist für die Zulässigkeit
der konkreten Angaben auf dem Produkt ohne Belang.
4. Die Angabe „LowCarb“, die von der Antragsgegnerin innerhalb der
Gesamtbezeichnung “LowCarb.ONE“ nach Art einer Marke benutzt wird, ist schließlich
auch nicht nach Art. 1 Abs. 3 HCV zulässig, denn nach jener Vorschrift dürfen
Handelsmarken, Markennamen oder Phantasiebezeichnungen, die in der
Kennzeichnung, Aufmachung oder Werbung für ein Lebensmittel verwendet werden und
als nährwert- oder gesundheitsbezogene Angabe aufgefasst werden können, ohne die in
dieser Verordnung vorgesehenen Zulassungsverfahren nur verwendet werden, sofern der
betreffenden Kennzeichnung, Aufmachung oder Werbung eine nährwert- oder
gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist, die der Verordnung entspricht. Das ist
vorliegend ebenfalls nicht der Fall. Zwar findet sich sowohl auf der Verpackung als auch
in der Werbung gemäß der Anlage Ast 6 der Hinweis auf die Eignung des Lebensmittels
„für eine kohlehydratreduzierte Ernährung“. Dabei handelt es sich indes ebenfalls nicht
um eine Angabe, die der Verordnung entspricht, weil die beigefügte Angabe nach Artt. 8
Abs. 1, 9 Abs. 1 HCV i.V. mit dem Anhang zur HCV wie ausgeführt nur zulässig wäre,
wenn der Unterschied in der Menge des Nährstoffs im Vergleich zu anderen
Lebensmitteln derselben Kategorie angegeben worden wäre (Art. 9 Abs. 1 Satz 2 HCV),
was nicht der Fall ist.
Da es indes möglich erscheint, dass die Antragsgegnerin einer markenmäßig
verwendeten Bezeichnung "LowCarb" eine nach der Verordnung zulässige
ernährungsbezogene Angabe beifügt und so eine zulässige Verwendungsform von
"LowCarb" wählt, hat der Senat allein das Verbot der konkreten Verletzungsform gemäß
der aus dem Tenor ersichtlichen Gestaltung ausgesprochen und den darüber
hinausgehenden, verallgemeinerten Antrag zurückgewiesen. Das ist mit der Streichung
des im Verfügungsantrag zu lit. a) noch enthaltenen Wortes "insbesondere", das auf eine
nur beispielhafte Darstellung nachfolgend angeführter Verletzungsalternativen verweist,
zum Ausdruck gebracht.
Die zu lit. b) verbotene Äußerung ist indes in jeglicher Verwendungsform unzulässig,
solange sie nicht in die Liste der zugelassenen ernährungsbezogenen Angaben
aufgenommen ist.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.