Urteil des OLG Frankfurt vom 02.04.2017

OLG Frankfurt: zulage, abrechnung, computerprogramm, mehrarbeit, strafvollzug, bekanntgabe, gefangener, beweismittel, erstellung, betrug

1
2
3
4
5
Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 1138 -
1142/06 (StVollz),
3 Ws 1138/06
(StVollz), 3 Ws
1139/06 (StVollz),
3 Ws 1140/06
(StVollz), 3 Ws
1141/06 (StVollz)
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 43 Abs 3 StVollzG, § 43 Abs
5 StVollzG
(Strafvollzug: Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit des
Beschäftigungsnachweises)
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Leiters der JVA ... gegen den Beschluss des
Landgerichts Gießen - Strafvollstreckungskammer – vom 3. November 2006 wird
mit der Maßgabe verworfen, dass die Neubescheidung des Strafgefangenen
hinsichtlich der Berechnung des Arbeitsentgelts nach Minuten entfällt.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die dadurch entstandenen
notwendigen Auslagen des Strafgefangenen fallen der Staatskasse zur Last.
Der Gegenstandswert wird für beide Instanzen auf unter 300 Euro festgesetzt (§§
65, 63 Abs. 3, 60, 52 Abs. 3 GKG).
Gründe
I.
Der Antragsteller verbüßt eine Freiheitstrafe in der JVA ... (Antragsgegnerin).
Dort ist er seit dem 1. März 2002 in der Anstaltsküche beschäftigt und in
Lohnstufe 5 eingruppiert, was derzeit einem Tagesgrundlohn von 13,23 Euro
entspricht. Soweit die Arbeitszeit des Antragstellers auf das Wochenende fiel,
erhielt er hierfür bis einschließlich Juli 2006 eine Mehrarbeitszulage von 25 %. Für
den Monat August 2006 erstellte die JVA die Lohnabrechnung mit einem neuen
Computerprogramm ("Basis-Web"). Die Berechnung erfolgt anhand der geleisteten
Arbeitsminuten (10452) und dem auf die Vergütungsstufe bezogenen Minutensatz
(3,291 ct), der sich aus dem Tagesgrundlohn und der Tagesarbeitszeit (402
Minuten) ergibt. Zudem sind dort verschiedene Zulagen, unter anderem die
Mehrarbeitszulage mit nunmehr 10% gesondert ausgewiesen, wobei der
zulagenfähige Zeitraum ebenfalls in Minuten abgegeben ist. Dieser betrug im
Abrechnungsmonat 2412 Minuten.
Außerdem gibt der Lohnabrechnungsschein an, wie sich die Gesamtnettobezüge
auf Hausgeld, Eigengeld und Überbrückungsgeld verteilen.
Danach hat die Antragsgegnerin die von ihr auf 449,98 Euro berechneten
Gesamtnettobezüge in Höhe von 193,48 Euro auf das Hausgeld und in Höhe von
256,50 Euro auf das bereits vorher voll angesparte Überbrückungsgeld verbucht.
Schließlich enthält der Lohnschein Angaben zu den Kontoständen von Hausgeld,
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
Schließlich enthält der Lohnschein Angaben zu den Kontoständen von Hausgeld,
Eigengeld, Überbrückungsgeld und Sparguthaben.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Lohnschein für den Monat August 2006 (Bl. 7
d.A.) Bezug genommen.
Soweit die Mehrarbeitszulage nur noch in Höhe von 10% gewährt wurde, verweist
die Antragsgegnerin dazu auf die Vorschrift des § 3 Abs. 4 der Hessischen
Richtlinien zur Strafvollzugsvergütungsordnung (Runderlass des MdJ vom
27.9.2002 – JMBl. 2002 S. 561), die eine Staffelung zwischen 5% und 25 %
vorsieht. Eine Umsetzung dieser Staffelung war mit dem bisher zur Erstellung der
Abrechnung eingesetzten Computerprogramm nicht möglich.
Der Antragsteller hat die mangelnde Nachvollziehbarkeit der Abrechnung
beanstandet. Zudem beansprucht er weiterhin eine Mehrarbeitszulage in Höhe
von 25%.
Auf den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung nach § 109
StVollzG hat das Landgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, den Gefangenen
unter Beachtung der Auffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit der Rechtsbeschwerde, die auf die
Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützt ist.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Die Nachprüfung der Entscheidung ist zur
Fortbildung des Rechts geboten (§ 116 Abs. 1 StVollzG).
A. Die Aufklärungsrüge ist jedoch nicht in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2
Satz 2 StPO). Es fehlt die Angabe der Beweismittel sowie der Tatsachen, die die
vermißte Beweiserhebung ergeben hätten (vgl. BGHSt 2, 168; BGHR StPO § 344
Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 6).
B. Zu der gleichfalls erhobenen Sachrüge ist Folgendes auszuführen:
1. Der Gefangene hat Anspruch auf schriftliche Bekanntgabe seines
Arbeitsentgelts (§ 43 Abs. 5 StVollzG). Die Beschäftigungs- und
Arbeitsentgeltnachweise müssen verständlich und nachvollziehbar sein (vgl.
Däubler/Spaniol in: Feest, StVollzG 5. Aufl. § 43 Rn. 13). Diesen Anforderungen
genügt der von der JVA ausgestellte Lohnschein nicht.
a. Allerdings widerspricht die Berechnung des Arbeitsentgelts anhand der
geleisteten Arbeitsminuten entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht der
gesetzlichen Regelung (§ 43 Abs. 2 Satz 3 StVollzG). Insoweit hat die
Rechtsbeschwerde Erfolg.
Grundlage der Berechnung der Antragsgegnerin sind hier der Tages grundlohn ,
der 13,23 Euro beträgt, und die täglichen Sollarbeitsminuten (402). Bei kürzerer
Arbeitszeit hat ein Gefangener lediglich Anspruch auf ein anteilig gekürztes
Arbeitsentgelt. Die Praxis der JVA, den Tagessatz durch die Sollarbeitsminuten zu
teilen und den Gefangenen entsprechend der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit zu
vergüten, ist nicht zu beanstanden. Diese Art der Berechnung entspricht den
Verhältnissen des Arbeitsalltags in Freiheit (vgl. OLG Dresden NStZ 2000, 465).
Dies gilt auch für die Berechnung der Zulagen.
b. Im übrigen ist der Lohnschein in mehrfacher Hinsicht rechnerisch nicht
nachvollziehbar und teilweise auch falsch, insoweit bleibt der Rechtsbeschwerde
der Erfolg versagt und ist der Strafgefangene hinsichtlich der Vergütung für den
Monat August 2006 durch die JVA neu zu bescheiden.
aa. Dies gilt zunächst für die Angabe der Gesamtbezüge (462,68 Euro), die sich
bei verständiger Sichtweise aus den Summen der Grundvergütung und den
Zulagen zusammensetzen müßte. Die Grundvergütung (10452 min x 0,03291
Euro = 343,98 Euro) ist in dem Lohnschein indessen nicht gesondert ausgewiesen.
Rechnet man diesem Betrag die Zulagen hinzu (103,22 Euro + 7,92 Euro + 3,96
Euro) ergäbe sich die Summe von 459,08 Euro. Wo die Differenz zu dem
angegebenen Gesamtbetrag (3,60 Euro) herrührt, erschließt sich nicht.
bb. Die Berechnung der Zulagen weist ebenfalls nicht nachvollziehbare Rechen-
bzw. Rundungsfehler auf:
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
Leistungszulage: 30% X 10452 X 0,03291 Euro = 103,19 Euro (angegeben:
103,22 Euro)
Mehrarbeitszulage: 10% X 2412 X 0,03291 Euro = 7,94 Euro (angegeben: 7,92
Euro)
Zulage wegen ung. Arbeitszeit: 5% X 2412 X 0,03291 Euro = 3,97 Euro
(angegeben: 3,96 Euro)
Die sich so ergebenden Differenzen führen zwar nach beiden Berechnungen dazu,
dass die Summe der Zulagen hier 115,10 Euro beträgt. Dies ändert aber nicht an
der fehlenden rechnerischen Nachvollziehbarkeit.
cc. Nicht nachvollziehbar ist schließlich die Berechnung der Mehrarbeitszulage.
(1) Der Strafgefangene hat an insgesamt sechs Tagen zulagenfähige Mehrarbeit
im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 StVollzVergO geleistet. Diesem Zeitraum entspricht
die von der JVA angegebene Arbeitsminutenzahl (402 x 6 = 2412). Insofern ist
nicht verständlich, weshalb die JVA ihrer Berechnung unter Anwendung des
Runderlasses (dort § 3 Abs. 4) nur den Zulagensatz für an bis zu vier Tagen
geleistete Mehrarbeit (10%) zugrundegelegt hat.
Soweit die JVA im Zusammenhang mit der nicht in zulässiger Weise erhobenen
Verfahrensrüge ausgeführt hat, drei der sechs Mehrarbeitstage seien durch
Freizeit ausgeglichen worden, findet sich dies zwar in der Abrechnung insoweit
wieder, als dort angegeben ist: "Freizeitausgleich/ 21, 23, 28".
Unverständlich bleibt aber, weshalb die JVA bei der Berechnung der Zulage den
Zulagensatz ohne Anrechnung des Freizeitausgleichs auf den vollen
Mehrarbeitszeitraum von sechs Tagen (2412) angewendet hat.
(2) Soweit dem Strafgefangenen die geleistete Mehrarbeit bislang mit einer
Zulage von 25% vergütet worden ist, hat die Strafvollstreckungskammer zu Recht
darauf hingewiesen, dass diese Zulage nicht ohne weiteres auf 10% gekürzt
werden durfte.
Bei der Gewährung einer Mehrarbeitszulage handelt es sich um einen
begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (vgl. Arloth/Lückemann,
StVollzG § 43 Rn. 16-17). Insoweit liegt die Sache anders, als bei der
einzelfallbezogenen Leistungszulage, die jeweils nach neuer Leistungsbewertung
festgesetzt wird (vgl. dazu: KG ZfStrVo 1982, 315; NStZ 2002, 336; HansOLG
Hamburg, Beschluss vom 11. Februar 2002 - 3 Vollz (Ws) 6/02 – zit. nach juris).
Die Mehrarbeitszulage durfte daher nur unter den Voraussetzungen von § 48
VwVfG gekürzt werden. Die Gewährung der nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 StVollzVergO
höchstmöglichen Zulage von 25% war hier rechtswidrig, weil ermessensfehlerhaft.
Nach § 2 Abs. 1 StVollzVergO "kann" die Zulage bis zu 25% des Grundlohnes
betragen. Von dem ihr sonach eingeräumten Ermessen hat die JVA indessen
keinen Gebrauch gemacht (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG 9. Aufl. § 40 Rn. 59),
weil das von ihr verwendete Computerprogramm die in der Richtlinie vorgesehene
Staffelung nicht umzusetzen vermochte. Zudem hat sich die JVA dadurch nicht an
die aufgrund des Erlasses eingetretene Selbstbindung gehalten (vgl.
Kopp/Ramsauer aaO Rn. 26).
Nach alledem wird die JVA bei der Neubescheidung des Strafgefangenen
hinsichtlich der Mehrarbeitszulage § 48 VwVfG zu prüfen und beachten haben.
2. Hinsichtlich der Verbuchung der Bezüge ist die Abrechnung insoweit nicht
nachvollziehbar, als dies die Angaben zum Überbrückungsgeld betrifft. Zwischen
den Parteien ist außer Streit, dass der Antragsteller das Überbrückungsgeld
bereits voll angespart hat. Dies ist aus den Angaben zum Kontostand jedoch nicht
ersichtlich. Im Gegenteil weist der Lohnschein dazu einen Kontostand von "0" und
ein "Überbrückungsgeld-Soll" von 2.208,-- Euro aus. Damit entsteht der Eindruck,
als sei das auf 2.208,-- Euro festgesetzte Überbrückungsgeld noch in voller Höhe
einzuzahlen.
Zudem erschließt sich nicht, weshalb 256,50 Euro der Gesamtnettobezüge auf das
33
34
35
Zudem erschließt sich nicht, weshalb 256,50 Euro der Gesamtnettobezüge auf das
Überbrückungsgeld verbucht wurden ("davon Überbrückungsgeld"), obwohl dieses
unstreitig bereits voll angespart war. Soweit die Antragsgegnerin in ihrer
Stellungnahme vom 24. Oktober 2006 darauf hingewiesen hat, das überschüssige
Überbrückungsgeld sei tatsächlich dem Eigengeld zugebucht worden, bleibt
unverständlich, weshalb dies aus dem Lohnschein, der hierfür sogar eine Rubrik
vorsieht ("davon Eigengeld") nicht hervorgeht. Der auf das Eigengeld verbuchte
Anteil der Gesamtnettobezüge ist dort vielmehr - unverständlich angesichts der
Ausführungen der Antragsgegnerin - mit "0" angegeben.
Die Antragsgegnerin wird dafür zu sorgen haben, dass der Lohnschein selbst die
tatsächliche Verbuchung der Nettobezüge und auch die Kontostände zutreffend
wiedergibt.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. § 473 Abs. 1 und
Abs 4 StPO. Wegen des nur geringfügigen Teilerfolges hat die Beschwerdeführerin
die gesamten Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.