Urteil des OLG Frankfurt vom 18.09.2008

OLG Frankfurt: bemessung der invalidität, widerklage, zustand, unfallversicherung, bindungswirkung, gutachter, auflage, versicherer, beweislastumkehr, bereicherung

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 U 206/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 7 AUB 1988, § 11 Abs 1 AUB
1988
Beurteilung des unfallbedingten Invaliditätsgrades im
Rahmen einer Unfallversicherung
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden – 5.
Zivilkammer – vom 17.07.2006 (5 O 408/04) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Klage und Widerklage werden abgewiesen.
Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Von den Kosten beider Instanzen tragen der Kläger 70 % und die Beklagte 30 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien dürfen die Vollstreckung der Gegenseite gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 115 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn
nicht die Gegenseite zuvor Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Die Beschwer des Klägers beträgt 20.328,38 Euro.
Die Beschwer der Beklagten beträgt 8.713.02 Euro.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einem
Unfallversicherungsvertrag in Anspruch, dem die AUB 99/L und AUB 88
zugrundeliegen. Invaliditätseintritt, ärztliche Feststellung und fristgerechte
Geltendmachung sind dabei unstreitig. Der Verlust oder die Funktionsunfähigkeit
des Beins über der Mitte des Oberschenkels sollte mit einem Invaliditätsgrad von
70 % bemessen werden. Am 01.10.2001 erlitt der Kläger beim Verlassen des
Fahrerhauses seines von ihm geführten LKW eine schwere Distorsion des rechten
Kniegelenks mit vorderer Kreuzbandruptur. Aufgrund eines von der Beklagten in
Auftrag gegebenen unfallchirurgischen Gutachtens des Prof. Dr. SV1, Dr. SV2 vom
25.11.2002 (Bl. 34 – 42 d. A.), welches die Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit
des rechten Beines zur Zeit und auf Dauer auf 2/7 einschätzte, errechnete die
Beklagte einen Invaliditätsanspruch des Klägers von insgesamt 29.042,-- Euro und
regulierte entsprechend (Bl. 43 d. A.).
Der Kläger begehrt weitere 20.328,38 Euro mit der Behauptung, die
Beeinträchtigung sei am Ende des maßgeblichen 3-Jahreszeitraums nach dem
Unfall mit 2/5 zu bewerten.
Die Beklagte hat geltend gemacht, die Funktionsbeeinträchtigung betrage nur
2/10 und hat im Wege der Widerklage Erstattung der Überzahlung in Höhe von
Euro 8.713,02 begehrt.
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Das Landgericht, auf dessen Urteil zur Darstellung des weiteren Sach- und
Streitstandes verwiesen wird, hat Beweis erhoben durch Einholung eines
Gutachtens der Sachverständigen Dr. SV3 und die Sachverständige hierzu
mündlich angehört. Durch das angegriffene Urteil hat es die Klage abgewiesen und
der Widerklage entsprochen. Der Kläger habe zum Ende des 3-Jahreszeitraums
eine Beeinträchtigung von 2/5 nicht bewiesen. Die Sachverständige sei im Rahmen
ihrer Begutachtung zum Ergebnis gelangt, es sei nachträglich eine Besserung
eingetreten, die eine Einordnung der Funktionsbeeinträchtigung von 2/10
rechtfertige. Die Widerklage hat das Landgericht für begründet erachtet, weil die
Beklagte einen Rückerstattungsanspruch nach den Grundsätzen der
ungerechtfertigten Bereicherung habe. Zur weiteren Begründung wird in vollem
Umfang auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils verwiesen.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren weiter und
rügt, maßgeblicher Zeitpunkt für die Bemessung der Invalidität sei der Zustand
am 01.10.2004, nämlich 3 Jahre nach dem Unfallereignis, was weder das
Landgericht noch die Sachverständige beachtet hätten. Auch im Übrigen sei das
Gutachten fehlerhaft. Zudem hätte ein unfallchirurgisches, nicht aber ein
orthopädisches Gutachten in Auftrag gegeben werden müssen. Die Widerklage sei
unbegründet, weil sich die Beklagte eine Neubemessung des Invaliditätsgrades
nicht vorbehalten habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteils des Landgerichts Wiesbaden – 5 O 408/04 – vom 17.07.2006
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn aufgrund der zwischen den
Parteien bestehenden Unfallversicherung Nr. ...wegen des Schadensfalles vom
01.10.2001 über den Betrag von 29.042,-- Euro hinaus weitere 20.328,38 Euro
nebst 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 08.12.2004 zu
zahlen.
Weiterhin beantragt er, die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
II. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines unfallchirurgischen
Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. SV4, auf das Bezug
genommen wird (Bl. 363 – 393 d. A.).
Die Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, sie ist form- und fristgerecht
eingelegt und begründet worden. In der Sache hat die Berufung allerdings nur
teilweise Erfolg und führt zur Abweisung der Widerklage, während sie im Übrigen
unbegründet ist.
Ein aus § 7 Abs. 1 AUB 88 i. V. m. den Besonderen Bedingungen des
Versicherungsscheines herzuleitender weiterer Invaliditätsanspruch besteht nicht.
Der Kläger hat zwar im Hinblick auf die Regulierung vom 14.12.2002 (Bl. 43 d. A.)
die Neubemessung der Invaliditätsleistung fristgemäß geltend gemacht (§ 9 Ziff.
3.2. AUB 99/L), das vom Senat hierzu eingeholte Sachverständigengutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. SV4 hat indessen seine Behauptung, die unfallbedingte
Einschränkung der Funktionsfähigkeit seines rechten Beines auf Dauer sei mit 2/5
Beinwert anzusetzen (Stichtag: 01.10.2004) nicht bestätigt. Der Sachverständige
hat die in dieser Sache bereits erstatteten Gutachten ausgewertet und ist in
Anlehnung an die dem Stichtag nächst gelegenen Gutachten zu einem Beinwert
von 1/5 gelangt. Begründet hat er dies mit der geringen Funktionsstörung (5 – 10
Grad Streckhemmung, der muskulär kompensierbaren Instabilität und der
Schädigung des Knorpels). Gegen diese nachvollziehbare Bewertung sind
substantiierte Angriffe des Klägers nicht erhoben worden. Dieser meint lediglich, es
sei an eine Beweislastumkehr zu denken, weil die Gutachter die Rechtsmeinung
des Klägers stützten und die Beklagte zum Ende des maßgeblichen 3-
Jahreszeitraums kein Gutachten habe erstellen lassen. Dem folgt der Senat nicht,
weil die Beklagte der Empfehlung des Dr. SV5 in seinem Gutachten vom
25.02.2003 nachgekommen ist, zum Ende des dritten Unfalljahres eine neue
Begutachtung durchzuführen. Zu diesem Zweck hat die Beklagte das Gutachten
des Dr. SV6 eingeholt, der unter dem 18.10.2004 die Bewertung des Dr. SV5 (2/10
Beinwert) bestätigte (Bl. 75 – 90 d. A.). Es liegt also kein Verhalten der Beklagten
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Beinwert) bestätigte (Bl. 75 – 90 d. A.). Es liegt also kein Verhalten der Beklagten
vor, das eine Beweislastumkehr rechtfertigen würde, auch wenn der Kläger mit
dem Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen Dr. SV6 nicht einverstanden
war.
Der Senat sah Veranlassung ein erneutes Gutachten einzuholen, weil das
Landgericht und die Sachverständige Dr. SV3 nicht beachtet haben, dass bei der
Bemessung des Invaliditätsgrades auf den 3 Jahre nach dem Unfall bestehenden
Zustand abzustellen ist, genauer gesagt auf den medizinischen Sachverhalt, der
bis zum Abschluss der 3-Jahresfrist erkennbar geworden ist. Spätere Erkenntnisse
dürfen nicht verwertet werden (BGH VersR 2001, 1547; OLG Koblenz VersR 2001,
1150). Die Sachverständige Dr. SV3 hat indessen, wie insbesondere in ihrer
mündlichen Erläuterung des Gutachtens deutlich wird, im wesentlichen den von
dem Gutachter Dr. SV7 am 29.01.2003 festgestellten Zustand mit dem
Untersuchungszustand verglichen, den die Sachverständige selbst am 01.12.2005
erhoben hatte. Maßgeblicher Stichtag für die Bemessung der
Invaliditätsentschädigung wäre allerdings der 01.10.2004 gewesen.
Die Widerklage war abzuweisen. Der aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alternative BGB
(Leistungskondiktion) herzuleitende Rückforderungsanspruch besteht nicht, denn
die Regulierung aufgrund des Schreibens vom 04.12.2002 (Bl. 43 d. A.) erweist
sich für die Beklagte als bindend, so dass sie im Nachhinein bei einer
festgestellten Invalidität von 2/10 Beinwert nicht Rückforderung des
Differenzbetrages verlangen kann. Die Beklagte hat dem Kläger zunächst mit
Schreiben vom 12.07.2002 (Bl. 138 d. A.) einen Vorschuss angekündigt und auf
eine für November 2002 vorgesehene Begutachtung hingewiesen. Dabei handelt
es sich um das unfallchirurgische Gutachten des Prof. Dr. SV1 vom 25.11.2002 (Bl.
34 – 42 d. A.), welches eine Beeinträchtigung von 2/7 Beinwert feststellt. Aufgrund
dieser gutachterlichen Feststellungen hat die Beklagte auf der Basis eines
Beinwertes von 2/7 reguliert (Schreiben vom 04.12.2002, Bl. 43 d. A.). Es handelte
sich dabei um die gemäß § 11 Abs. 1 AUB 88 (§ 9 Ziff. 1.1. AUB 99/L) vorgesehene
Erklärung des Versicherers, ob und in welcher Höhe er einen Anspruch anerkennt.
Zwar weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass diese Erklärung kein
Anerkenntnis der Leistungspflicht darstellt und dass der Versicherer auch bei
Angabe eines Anerkenntnisses nach § 11 AUB nicht daran gehindert ist, die
geleistete Entschädigung wegen ungerechtfertigter Bereicherung
zurückzuverlangen (BGH VersR 1977, 471); das Recht auf Neubemessung des
Invaliditätsanspruchs bis zu 3 Jahren nach Eintritt des Unfalls verbleibt dem
Versicherer aber nur, wenn er sich die Neubemessung mit der Abgabe seiner
Erklärung entsprechend § 11 I AUB 88 vorbehält (vgl. § 11 IV AUB 88; § 9 Ziff. 3.2.
AUB 99/L). Eine solche Erklärung hat die Beklagte indessen in ihrem
Regulierungsschreiben vom 04.12.2002 nicht abgegeben. Dies hat zur Folge, dass
die darin zur Entschädigungsgrundlage gemachte Invaliditätsbemessung von 2/7
Beinwert für sie bindend geworden ist (Prölss/Martin-Knappmann, VVG 27. Auflage,
§ 11 AUB 88, Rz. 9; Grimm AUB 3. Auflage, § 11 AUB 88/94, Rz. 28). Das
nachträgliche Neubemessungsverlangen des Klägers, gestützt auf das Gutachten
des Dr. SV7, beseitigt diese Bindungswirkung nicht. Denn es liegt auf der Hand,
dass das Neubemessungsverlangen unter der Einschränkung einer
Neubemessung zugunsten des Klägers stand. Dieses Verlangen gibt der
Beklagten kein Recht zur Abänderung ihrer Erklärung vom 04.12.2002 zum
Nachteil des Klägers, weil ansonsten die Bindungswirkung der Festsetzung
unterlaufen würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ergibt sich aus §§ 708 Ziff. 10, 711,
108 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen ihrer
Zulassung nicht gegeben sind.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.