Urteil des OLG Frankfurt vom 16.02.2009

OLG Frankfurt: wiedereinsetzung in den vorigen stand, eigenes verschulden, verfahrenskosten, beschwerdefrist, rücknahme, hessen, fax, rechtsmittelfrist, auszahlung, post

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Gericht:
OLG Frankfurt
Vergabesenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 Verg 17/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 128 GWB, § 233 ZPO
Vergabenachprüfungsverfahren: (Un-)Zulässigkeit einer
sofortigen Beschwerde gegen die Neufestsetzung der
Verfahrenskosten
Leitsatz
Setzt die Vergabekammer die Kosten für das Verfahren vor der Vergabekammer auf
die sofortige Beschwerde der Kostenschuldnerin herab, so fehlt für eine dagegen
gerichtete Beschwerde der obsiegenden Partei regelmäßig die erforderliche Beschwer.
Tenor
Der Antrag der Antragstellerin vom 23.1.2009 auf Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist wird zurückgewiesen.
Die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Antragstellerin gegen
den Änderungsbeschluss der 1. Vergabekammer des Landes Hessen bei dem
Regierungspräsidium Darmstadt vom 8.9.2008 (Az: 69 d-VK-13/2007) werden mit
der Maßgabe verworfen, dass das Beschwerdeverfahren 11 Verg 8/07 gebührenfrei
ist und Kosten nicht erstattet werden.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht
erstattet.
Gründe
I. Mit Beschluss vom 29.05.2007 (69 d VK 13/2007) hatte die Vergabekammer den
Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 2.4.2007 zurückgewiesen, die Kosten
für das Verfahren vor der Vergabekammer auf 21.200 € festgesetzt und diese der
Antragstellerin auferlegt.
Gegen diesen Beschluss vom 29.05.2007 legte die Antragstellerin sofortige
Beschwerde hinsichtlich der festgesetzten Kosten ein. Mit Beschluss vom 4.6.2008
(11 Verg 8/07) hat der Senat den Beschluss der Vergabekammer im Kostenpunkt
aufgehoben, soweit die Vergabekammer die Verfahrenskosten auf 21.200 €
festgesetzt hatte, und die Sache insoweit an die Vergabekammer zur erneuten
Prüfung und Entscheidung einschließlich der Entscheidung über die Kosten des
Beschwerdeverfahrens zurückverwiesen.
Die Vergabekammer hat durch Beschluss vom 8.9.2008 in Abänderung der Ziffer
3 des Beschlusses vom 29.5.2007 die Höhe der Verfahrenskosten auf 9.300 €
festgesetzt.
Sie hat dabei einen Auftragswert von 58.629.304 € zugrunde gelegt. Auf den
Betrag von 10.000 € könne nicht abgestellt werden, da es zu keiner Zeit während
des Verfahrens deutlich geworden sei, dass es der Antragstellerin ausschließlich
um diese Summe gegangen sei. Zur Ermittlung der wirtschaftlichen Bedeutung
des Gegenstandes des Nachprüfungsverfahrens sei daher von der
Auftragssumme für den gesamten in Rede stehenden Auftrag auszugehen. Erst
durch den Vortrag im Beschwerdeverfahren habe die Antragstellerin klar zum
Ausdruck gebracht, dass es ihr vornehmlich um den Erhalt des Anspruchs auf die
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Ausdruck gebracht, dass es ihr vornehmlich um den Erhalt des Anspruchs auf die
Auszahlung der ausgelobten Aufwandsentschädigung in Höhe von 10.000 €
gegangen sei. Darin liege in gewisser Weise eine Rücknahme des ursprünglichen
Antrags, die zu einer Reduzierung der Verfahrensgebühr auf die Hälfte, also
10.600 €, führe.
Von diesem Betrag seien die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens in Höhe
von aufgerundet 1.300 € abzuziehen, weil diese die Antragsgegnerin zu tragen
habe.
Gegen diesen Abänderungsbeschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der
Antragsgegnerin, mit der sie geltend macht, die Voraussetzungen für eine
Halbierung der Gebühren gemäß § 128 Abs. 3 Satz 3 GWB lägen nicht vor.
Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, sie sei durch die Entscheidung der
Vergabekammer beschwert, weil diese Entscheidung von ihrem im Verfahren
erklärten Rechtsschutzziel abweiche, auf der Grundlage eines Auftragswerts von
58.629.304,00 € die Kosten der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung
notwendigen Aufwendungen im Verfahren vor der Vergabekammer der
Antragstellerin aufzuerlegen. Die Entscheidung führe dazu, dass ihr die Kosten der
zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen nicht in
vollem Umfang erstattet würden, da die Ansicht vertreten werde, durch eine
nachträglich erklärte Rücknahme des Nachprüfungsantrags werde die
Entscheidung der Vergabekammer mit Einschluss der Kostenentscheidung
wirkungslos.
Die Antragsgegnerin beantragt,
1. die Entscheidung der 1. Vergabekammer des Landes Hessen beim
Regierungspräsidium Darmstadt vom 8. September 2008 – Az.: 69 d – VK –
13/2007 aufzuheben,
2. die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin gemäß §
128 Abs. 4 GWB für notwendig zu erklären,
3. die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen.
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 30.9.2008, eingegangen bei Gericht am
selben Tag, gegen den ihr laut Empfangsbekenntnis am 15.9.2008 zugestellten
(VKA 461) Beschluss der Vergabekammer ihrerseits sofortige Beschwerde
eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen:
Die Vergabekammer habe für die Festsetzung der Gebühren nicht den
Auftragswert als Bezugsgröße zugrunde legen dürfen, weil die Erteilung des
Zuschlags noch nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen sei. Das wirtschaftliche
Interesse der Antragstellerin sei zu diesem Zeitpunkt nur auf die ausgelobte
Aufwandsentschädigung in Höhe von 10.000 € gerichtet gewesen. Selbst wenn
man vom Bruttoauftragswert als Richtgröße ausginge, seien 5 % des
Bruttoauftragswerts in analoger Anwendung von § 50 GKG zugrunde zu legen.
Auch sei der Verwaltungsaufwand der Vergabekammer im niedrigsten Bereich
anzusiedeln, da weder Angebotsprüfungen noch sonstige wie auch immer geartete
arbeitsintensive Ermittlungstätigkeit notwendig gewesen seien, sondern nur
Standardfragen zur Entscheidung anstanden. Der Entscheidung der
Vergabekammer sei auch nicht zu entnehmen, ob Billigkeitserwägungen angestellt
wurden. Angesichts der vorherrschenden mehr als schleppenden Zahlungsmoral
der Klienten und der allgemein angespannten Konjunkturlage sei eine Reduzierung
der Verfahrenskosten im Wege einer weiteren Billigkeitserwägung angezeigt. Die
Kosten in der ausgeworfenen Höhe seien geeignet, die Beschwerdeführerin schwer
und nachhaltig zu treffen.
Die Antragstellerin macht geltend, die zuständige Mitarbeiterin ihrer
Verfahrensbevollmächtigten habe der Berechnung der Beschwerdefrist den
17.9.2008, das Zugangsdatum des per Post übersandten Beschlusses vom
8.9.2008, zugrunde gelegt und dementsprechend den 1.10.2008 als Fristablauf
vermerkt. Ein etwaiges Verschulden dieser Fachkraft der Berechnung des
Fristendes nicht den 15.9.2008, an dem der Beschluss per Fax zuging, zugrunde
gelegt zu haben, sei der Antragstellerin nicht zuzurechnen.
Die Antragstellerin beantragt, 1. ihr Wiedereinsetzung in die versäumte
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Die Antragstellerin beantragt, 1. ihr Wiedereinsetzung in die versäumte
Beschwerdefrist zu gewähren, 2. den Änderungsbeschluss der Vergabekammer
aufzuheben, soweit als Geschäftswert der Auftragswert der Angelegenheit
zugrunde gelegt wird, und die Kosten neu festzusetzen, hilfsweise den
Änderungsbeschluss der Vergabekammer aufzuheben, soweit als Geschäftswert
der Auftragswert zugrunde gelegt wird, und der Vergabekammer aufzugeben, die
Verfahrenskosten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts
neu festzusetzen, 3. die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen,
4. der Gegnerin die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, 5.
festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes notwendig war.
Die Antragsgegnerin beantragt,
1. Die sofortige Anschlussbeschwerde der Anschlussbeschwerdeführerin wird
zurückgewiesen.
2. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes auf Seiten der
Anschlussbeschwerdegegnerin gemäß § 128 Abs. 4 GWB für notwendig zu
erklären.
3. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der
Anschlussbeschwerdeführerin aufzuerlegen.
Sie verteidigt den Abänderungsbeschluss, soweit die Vergabekammer der
Gebührenfestsetzung die Auftragssumme von 58.629.304 € zu Grunde gelegt hat.
Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen.
II. 1. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Neufestsetzung der
von der Antragstellerin zu tragenden Gebühren für das Verfahren vor der
Vergabekammer ist mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig. Die
Antragsgegnerin ist durch den angegriffenen Änderungsbeschluss, soweit dieser
die von der Antragstellerin zu zahlenden Kosten des Verfahrens vor der
Vergabekammer herabsetzt, nicht beschwert. Dies gilt auch insoweit, als die
Vergabekammer die von der Antragstellerin zu zahlenden Gebühren des
Verfahrens vor der Vergabekammer um Gerichtsgebühren des
Beschwerdeverfahrens vermindert hat.
Die Antragsgegnerin kann eine Beschwer auch nicht erfolgreich aus der
Rechtsprechung einiger Vergabesenate herleiten, wonach bei einer Rücknahme
des Nachprüfungsantrags im Beschwerdeverfahren außergerichtliche Kosten des
Antragsgegners im Verfahren vor der Vergabekammer nicht erstattet werden. Die
Vergabekammer ist zwar davon ausgegangen, es liege in gewisser Weise eine
Rücknahme des ursprünglichen Antrags vor. Die Rechtsprechung, wonach die
einen Nachprüfungsantrag zurückweisende Entscheidung der Vergabekammer
durch eine nachträglich erklärte Rücknahme des Nachprüfungsantrags insgesamt
und rückwirkend wirkungslos werde, betrifft jedoch nur solche Fälle, in denen die
Kostenentscheidung der Vergabekammer infolge eines Rechtsmittels noch nicht
bestandskräftig geworden ist. Dies ist hier jedoch der Fall, denn das Rechtsmittel
der Antragstellerin richtete sich auch im ersten Beschwerdeverfahren
ausschließlich gegen die Festsetzung der Gebühren der Vergabekammer. Zu dem
Gegenstandswert, der für die Berechnung der im Verfahren vor der
Vergabekammer entstandenen Rechtsanwaltsgebühren maßgebend ist und für
den § 50 Abs. 2 GKG entsprechend herangezogen wird (OLG Düsseldorf, Beschluss
vom 17.01.2006, Verg 29/05), verhält sich der angegriffene Änderungsbeschluss
nicht.
Soweit die Vergabekammer in der Begründung des Änderungsbeschlusses
allerdings ausführt, die Antragsgegnerin habe die Kosten des ersten
Beschwerdeverfahrens (11 Verg 8/07) zu tragen, ist ihr nicht zu folgen. Insofern ist
vielmehr § 66 Abs. 8 GKG analog anzuwenden, mit der Folge der Gebührenfreiheit
des Beschwerdeverfahrens und der Nichterstattung von Kosten (vgl. OLG Koblenz,
Beschluss v. 16.02.2006 - 1 Verg 2/06, NZBau 2006, 740; Summa in: juris PK-
Vergaberecht, § 128 Rn. 82). Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin war
daher mit der (klarstellenden) Maßgabe zu verwerfen, dass das
Beschwerdeverfahren 11 Verg 8/07 gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet
werden.
2. Die am 30.9.2008 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde der
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2. Die am 30.9.2008 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde der
Antragstellerin gegen den ihr am 15.9.2008 zugestellten Beschluss der
Vergabekammer ist nicht in der Frist des § 117 Abs. 1 GWB eingelegt worden.
Der Antragstellerin kann wegen der Versäumung der Beschwerdefrist keine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
Gegen die Versäumung der Beschwerdefrist ist zwar ein Antrag auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statthaft (§§ 120 Abs. 2, 73 Nr. 2 GWB, §
233 ZPO). Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auch form-
und fristgerecht gemäß §§ 234, 236 ZPO gestellt worden und damit zulässig.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist aber unbegründet.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann gemäß § 233 ZPO nur gewährt
werden, wenn ein Beteiligter ohne Verschulden verhindert war, die versäumte Frist
einzuhalten. Dabei kommt es nicht nur auf persönliches Verschulden eines
Beteiligten an. Weil das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden des
Beteiligten gleichsteht (§§ 120 Abs. 2, 73 Nr. 2 GWB, § 85 Abs.2 ZPO), hätte der
Antragstellerin nur dann Wiedereinsetzung gewährt werden können, wenn ihre
Verfahrensbevollmächtigte an der Fristversäumung kein Verschulden träfe. Dies
ist indes nicht der Fall.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Rechtsanwalt
zwar die Berechnung und Notierung einfacher und in seinem Büro geläufiger
Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig
überwachten Bürokraft überlassen. Er hat jedoch durch geeignete organisatorische
Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und
kontrolliert werden (BGH, Beschl. v. 27.09.2007 - IX ZA 14/07, AnwBl 2008, 71
m.w.N., zitiert nach Juris Rn. 9). Ob die Verfahrensbevollmächtigte hier die
geeigneten organisatorischen Maßnahmen getroffen hatte, kann dahingestellt
bleiben, weil sie unabhängig davon ein eigenes Verschulden trifft.
Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin musste wegen des
Empfangsbekenntnisses, das dem per Fax übermittelten Beschluss beigefügt war,
davon ausgehen, dass der Beschluss durch die Vergabekammer mit
Zustellungswillen und nicht nur vorab zur Kenntnisnahme übersandt worden war.
Der Rechtsanwalt darf das Empfangsbekenntnis über eine Zustellung aber erst
unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist
festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist.
Dieses Sorgfaltsgebot hat die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin
verletzt, als sie am 15.9.2008 das Empfangsbekenntnis unterzeichnet und
zurückgegeben hat, ohne zuvor die Notierung der Rechtsmittelfrist sichergestellt
zu haben (BGH, wie vor, zitiert nach Juris Rn. 10).
Als unselbständiges Anschlussrechtsmittel (BayObLGZ 2002, 336) hat die
Beschwerde der Antragstellerin analog § 567 Abs. 3 Satz 2 ZPO infolge der
Verwerfung der sofortigen Beschwerde der Antragsgegnerin ihre Wirkung verloren.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf einer
entsprechenden Anwendung des § 66 Abs. 8 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.