Urteil des OLG Frankfurt vom 18.04.2005

OLG Frankfurt: anmeldung der forderung, rechtskräftiges urteil, erfüllung, geschäftsführer, feststellungsurteil, zwangsvollstreckung, ratenzahlung, einwendung, verjährungsfrist, rechtsschutzinteresse

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Gericht:
OLG Frankfurt 19.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
19 W 9/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 266a StGB, § 302 Nr 1 InsO,
§ 823 Abs 2 BGB, § 852 Abs 1
BGB
(Verjährungsunterbrechung für Ansprüche aus unerlaubter
Handlung durch Haftungsbescheid des
Sozialversicherungsträgers)
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der ihm Prozesskostenhilfe
versagende Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main
vom 1. März 2005 aufgehoben.
Dem Beklagten wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug ohne
Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt A, O1, ...straße ... zur Wahrnehmung
seiner Rechte beigeordnet.
Gründe
Die Klägerin nahm den Beklagten als Geschäftsführer und Alleingesellschafter der
X ... GmbH mit bestandskräftigen Haftungsbescheid vom 8.1.1997 wegen nicht
gezahlter Sozialversicherungsbeiträge für die Monate Juni bis August 1996 auf
Zahlung von 66.992,94 DM in Anspruch. Mit Beschluss vom 4. 6. 2004 wurde über
das Vermögen des Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 16. 6. 2004
meldete die Klägerin u. a. Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagebeträge
vom 17. 6. 1996 bis 31. 8. 1996 in Höhe von 32.708,02 € zur Insolvenztabelle an
und trug vor, in diesem Betrag seien Arbeitnehmeranteile in Höhe von 15.430,51 €
enthalten, die der Beklagte im Wege der unerlaubten Handlung vorsätzlich nicht
abgeführt habe. Der Beklagte hat der Feststellung des Rechtsgrundes der
vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung widersprochen.
Die Klägerin begehrt mit der am 25. 10. 2004 eingegangenen Klage die
Feststellung, dass der Widerspruch des Beklagten gegen die Anmeldung der
Forderung über 15.430,51 € unter dem Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen
unerlaubten Handlung im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten
unbegründet ist.
Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und beantragt, ihm zur
Verteidigung gegen die Klage Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Diesen Antrag hat das Landgericht mit dem Beklagten am 3. 3. 2005 zugestellten
Beschluss zurückgewiesen. Hiergegen hat der Beklagte am 7. 3. 2005 sofortige
Beschwerde eingelegt.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 127 Abs. 2, 569 ZPO).
Sie ist auch begründet, da die beabsichtigte Rechtsverteidigung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO). Der Widerspruch des Beklagten gegen die
Eintragung der Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung in die
Tabelle ist begründet, weil die festzustellende Forderung verjährt ist.
Nach § 302 Nr. 1 InsO werden von der Restschuldbefreiung Verbindlichkeiten des
Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht berührt,
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Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht berührt,
sofern der Gläubiger die entsprechende Forderung unter Angabe dieses
Rechtsgrundes nach § 174 Abs. 2 beim Insolvenzverwalter angemeldet hat. Die
Eintragung in die Tabelle wirkt für die festgestellten Forderungen wie ein
rechtskräftiges Urteil (§§ 178 Abs. 3, 201 Abs. 2 InsO). Der Gläubiger kann die
Zwangsvollstreckung aus der Eintragung in die Tabelle wie aus einem
vollstreckbaren Urteil betreiben. Diese Wirkung entfällt erst bei einem Widerspruch
des Schuldners gegen die Insolvenzforderung, wenn der Widerspruch nicht durch
ein entsprechendes Feststellungsurteil beseitigt ist.
Der Widerspruch des Schuldners ist begründet, wenn ihm eine materielle
Einwendung gegen den Grund, die Höhe oder die Durchsetzbarkeit des Anspruchs,
dessen Feststellung beantragt ist, zusteht (Braun InsO 2. A. § 302 RZ 4; Ahrens in
Frankfurter Komm. zur InsO 3. A. § 302 RZ 6; Stephan in Münchener Komm. zur
InsO § 302 RZ 17).
Dies ist der Fall. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus unerlaubter
Handlung ist verjährt. Gemäß § 852 Abs. 1 BGB a. F. (Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB)
verjährt der Anspruch auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung (hier: §§ 823
Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 a StGB) entstandenen Schadens innerhalb von drei
Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der
Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Dies war hier bereits im Januar 1997
der Fall. Spätestens zu der Zeit, als sie den Haftungsbescheid erließ, hatte die
Klägerin Kenntnis davon, dass der Beklagte als Geschäftsführer der GmbH
Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht abgeführt hatte.
Verjährung des geltend gemachten Anspruchs auf Schadensersatz aus dem
Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung war damit im Januar 2000 eingetreten.
Der Lauf der Verjährungsfrist ist durch den Erlass des Haftungsbescheides nicht
unterbrochen worden. Ebenso wie eine Klage nur die Verjährung für Ansprüche in
der Gestalt und dem Umfang, wie sie in ihr geltend gemacht wurden, unterbricht
(BGHZ 104, 6ff), konnte auch der Haftungsbescheid eine unterbrechende Wirkung
nur für die Verpflichtung zur Beitragszahlung entfalten, nicht aber für den jetzt
geltend gemachten Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung.
Gegenstand des Haftungsbescheides waren allein Ansprüche auf Zahlung der
Sozialversicherungsbeiträge. Der jetzt geltend gemachte Anspruch auf
Schadensersatz aus dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung beruht
demgegenüber auf einem anderen Lebenssachverhalt. Für die Anwendbarkeit des
§ 266 a StGB kommt es nicht nur darauf an, dass die Zahlung von
Arbeitnehmeranteilen ausgeblieben ist, es tritt vielmehr hinzu, dass dem
Handlungspflichtigen die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht im Zeitpunkt der
Beitragsfälligkeit möglich und zumutbar gewesen ist (BGH ZIP 2003, 921ff).
Zudem ist der Anspruch auf Ersatz eines Schadens, bei dessen Bemessung es
auch darauf ankommt, ob Zahlungen vom Insolvenzverwalter über das Vermögen
der GmbH angefochten worden wären (BGH ZIP 2001, 80ff), und nicht auf Erfüllung
einer Beitragspflicht gerichtet. Schließlich hätte ein Anspruch auf Schadensersatz
auch nicht im Wege eines Verwaltungsaktes festgesetzt werden können (OLG
Dresden, ZInsO 2004, 622ff mit zustimmender Anmerkung von Kahlert ZInsO
2005, 192ff).
§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV findet lediglich auf Ansprüche auf Beiträge, nicht aber
auf einen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung Anwendung (BGH
ZIP 2003, 34ff). Es handelt sich bei der Vorschrift des § 25 Abs. 1 S. 1 SGB IV
lediglich um eine verjährungsrechtliche Besonderheit. Eine besondere
Anspruchsgrundlage entsteht dadurch nicht (vgl. auch OLG Dresden, ZInsO 2004,
622ff).
Die Verjährung war auch nicht nach §§ 202, 203 BGB a. F. gehemmt. Der
Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches stand kein materiell-
rechtliches Leistungsverweigerungsrecht des Beklagten entgegen. Die Klägerin war
auch nicht gehindert, den Schadensersatzanspruch in unverjährter Zeit gerichtlich
geltend zu machen. Die Klägerin hätte jedenfalls eine Klage auf Feststellung, dass
ihr ein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung in Höhe der nicht
gezahlten Arbeitnehmerbeiträge zusteht, erheben können. Der Bundesgerichtshof
geht in BGH Z 152, 148f und ZVI 2002, 422f davon aus, dass es dem Gläubiger,
der über einen Titel verfügt, in dem nur eine vertragliche Anspruchsgrundlage
genannt ist, zuzumuten ist, eine Klage auf Feststellung, dass der titulierte
Anspruch auch auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht, zu
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Anspruch auch auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht, zu
erheben, um dem Schuldner, der bisher keinen Anlass hatte, sich gegen den
Vorwurf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung zu wehren, eine sachgerechte
Verteidigung vor dem Prozessgericht zu ermöglichen. Das Rechtsschutzinteresse
für eine solche Feststellungsklage folgt aus der verschärften Haftung des
Schuldners bei einer Forderung aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung (§ 850 f
ZPO).
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 127 Abs. 4 ZPO.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.