Urteil des OLG Frankfurt vom 08.08.2002

OLG Frankfurt: anstalt, unterbringung, behandlung, strafvollzug, persönlichkeitsstörung, wechsel, beendigung, sucht, zivilprozessrecht, dokumentation

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 831/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 64 StGB, § 67d Abs 5 StGB
(Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Beendigung
mangels Therapieaussicht)
Leitsatz
Allein der Umstand, dass der Verurteilte in der Entziehungsanstalt Schwierigkeiten
bereitet, Rückfälle in sein Suchtverhalten erleidet oder Lockerungen zu Straftaten
missbraucht, stellt noch keinen Anlass dar, ihn in den Strafvollzug zu überweisen.
Tenor
1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen
notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. Juli 2001 wurde gegen
den Verurteilten wegen neunfachen Diebstahls, räuberischen Diebstahls und
anderer Delikte eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verhängt. Zusätzlich
wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB
angeordnet. Derzeit wird die Maßregel vollstreckt, der Halbstrafenzeitpunkt ist
noch nicht erreicht. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die
Strafvollstreckungskammer ausgesprochen, dass die Unterbringung nicht weiter
zu vollziehen und der Verurteilte deshalb in den Strafvollzug zu überführen sei (§
67d Abs. 5 StGB). Hiergegen richtet sich die zulässige sofortige Beschwerde des
Verurteilten, die auch in der Sache Erfolg hat. Die Kammer ist zu Unrecht davon
ausgegangen, dass die mit Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. Juli
2001 angeordnete Unterbringung nach Maßgabe des § 67d Abs. 5 StGB in der
Fassung, welche die Vorschrift nach der Teilnichtigkeitserklärung durch den
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.3.1994 (BVerfGE 91, 1 ff. =
NStZ 1994, 578 ff. = StV 1994, 594 ff.) erhalten hat, nicht weiter vollzogen werden
darf. Zwar ist vom weiteren Vollzug der Maßregel bereits dann abzusehen, wenn
aus in der Person des Verurteilten liegenden Gründen, insbesondere wegen
dauerhaft verfestigter Therapieunwilligkeit oder Therapieunfähigkeit keine konkrete
Aussicht auf einen Behandlungserfolg mehr besteht. Hierbei ist nach ständiger
Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Beschl. v. 23.7.2002 - 3 Ws 753/02
m.w.N.) entscheidend, ob bei der gebotenen Gesamtschau des bisherigen
Verhandlungsverlaufs eine mit therapeutischen Mitteln des Maßregelvollzugs nicht
mehr aufbrechbare Behandlungsunwilligkeit oder Behandlungsunfähigkeit des
Verurteilten vorliegt, namentlich eine realistische Chance auf das Erreichen des
Maßregelzwecks (i.e. die zumindest zeitweilige Heilung von der Sucht) weder durch
einen Wechsel der behandelnden Therapeuten und/oder der angewandten
Therapie, noch durch ein Überwechseln des Verurteilten in den Vollzug einer
anderen Maßregel oder einen teilweisen Vorwegvollzug der Strafe begründet
werden kann. Diese Feststellung darf nur auf einer zuverlässigen
Erkenntnisgrundlage erfolgen (BVerfG 91, 1, 15; Senat, Beschlüsse v. 11.6.2002 -
3 Ws 668/01 und v. 15.8.2001 - 3 Ws 785/01; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 67d
Rn. 7; Horn, in: SKStGB 1998, § 67d Rn. 7a), d.h. die dauerhafte
Therapieunwilligkeit oder -fähigkeit muss sich ausreichend durch Tatsachen
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Therapieunwilligkeit oder -fähigkeit muss sich ausreichend durch Tatsachen
untermauern lassen. Insbesondere stellt der Umstand, dass der Verurteilte in der
Anstalt Schwierigkeiten bereitet, Rückfälle in sein Suchtverhalten erleidet oder gar
Lockerungen zu Straftaten missbraucht, als solches noch keinen Anlass dar, ihn in
den Strafvollzug zu überweisen (vgl. Senat aaO). Diese Auffassung des Senats
korrespondiert mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Dieser
hat mehrfach hervorgehoben, dass die Unterbringung auch und gerade dazu
dient, die Ursache fehlender Therapiemotivation oder -fähigkeit zu beheben,
namentlich fehlende Therapiebereitschaft überhaupt erst zu wecken, um so die
Voraussetzungen einer erfolgsversprechenden Weiterbehandlung zu schaffen
(BGH, NStZ-RR 1998, 70; NStZ-RR 1999, 10; NStZ-RR 2002, 7 - jew. m.w.N.). Von
daher geht auch die Annahme der Strafvollstreckungskammer, es bedürfe weder
der Behandlung des Verurteilten im Maßregelvollzug über einen längeren
Zeitraum, noch der Erprobung verschiedener therapeutischer Ansätze, bevor nach
§ 67d Abs. 5 StGB verfahren werde könne, in dieser apodiktischen Form fehl.
Bei der gebotenen Gesamtschau des bisherigen Behandlungsverlaufs lässt sich
eine durch Tatsachen ausreichend untermauerte dauerhaft verfestigte
Behandlungsunwilligkeit oder Therapieunfähigkeit des Verurteilten (derzeit noch)
nicht feststellen. Den Willen, sich einer Behandlung seiner Sucht und seiner die
mitbedingenden und überlagernden Persönlichkeitsstörung zu unterziehen, hat
der Verurteilte mehrfach bekundet. Kammer und Anstalt nehmen demzufolge
auch an, der Abbruch des Maßregelvollzugs sei deshalb geboten, weil die
Persönlichkeitsstörung des Verurteilten mit den Mitteln des Maßregelvollzugs nicht
(mehr) behandelbar sei, was nach sich ziehe, dass auch die Suchtproblematik
therapeutisch nicht (mehr) angegangen werden könne. Weder der angefochtene
Beschluss noch die Anstalt verhalten sich aber dazu, ob - was mit Blick auf
normverletzendes Verhalten des Verurteilten vor allem in Gruppensituationen
sogar nahe liegt - durch eine intensivierte, über den normalen Einsatz dieser
Therapieform im Behandlungsalltag der Anstalt hinausgehende Behandlung des
Verurteilten in Einzeltherapie, ggf. bei gleichzeitigem Wechsel deren theoretischer
Grundlage (z.B. tiefenpsychologisch statt bisher verhaltenstherapeutisch
angeleitet) nachhaltigere Erfolge zu erzielen wären. Der Senat weist vorsorglich
darauf hin, dass die Anstalt und die Vollstreckungsbehörde gehalten sind, auch
derartige - das Personal der Anstalt zugegebenermaßen stark beanspruchende -
vom "Regelvollzug" abweichende Therapien zur Anwendung gelangen zu lassen,
bevor sie geltend machen können, die behandlerischen Möglichkeiten des
Maßregelvollzugs seien erschöpft. Notfalls muss das Personal aufgestockt oder die
Verlegung des Verurteilten in eine geeignetere Anstalt, ggf. auch in den Vollzug
einer anderen Maßregel (§ 67a StGB) vorgenommen werden. Es ist nämlich
Aufgabe der für den Vollzug der Maßregel zuständigen Vollstreckungs- und
Verwaltungsbehörden, hinreichend geeignete, auch auf die individuellen
Besonderheiten des Untergebrachten abgestimmte Behandlungsmöglichkeiten
zur Verfügung zu stellen (vgl. BGH, NStZ-RR 2002, 7 - st. Rspr.).
Ferner wird die angenommene dauerhafte Resistenz des Verurteilten gegen
therapeutische Bemühungen seitens der Anstalt nicht ausreichend durch
Tatsachen untermauert. Immerhin ist es dem Verurteilten für die Dauer des
gesamten bisherigen Maßregelvollzugs gelungen, Rückfälle in sein Suchtverhalten
zu vermeiden, so dass zumindest ein zeitlich begrenzter Erfolg der Unterbringung
vorliegt. Es kann auch dahinstehen, ob dem Verurteilten die ihm seitens der
Anstalt zur Last gelegten Regelverstöße begangen hat oder nicht. Aus ihnen allein
kann jedenfalls die Behandlungsresistenz nicht abgeleitet werden. Dass der
Verurteilte, wie die Anstalt dargelegt hat, bisher bezüglich seiner Einsicht in die
Notwendigkeit einer Behandlung und die Aufarbeitung seiner Delinquenz keine
Fortschritte gemacht hat, ist hingegen ursächlich in seiner Persönlichkeitsstörung
begründet. Dass diese in der oben beschriebenen Weise therapeutisch
angegangen worden wäre, lässt sich den Stellungnahmen der Klinik indes nicht
entnehmen. Nach alledem reichen auch sämtliche von der Maßregeleinrichtung
und der Strafvollstreckungskammer herangezogenen sogenannten
Negativfaktoren nicht aus, um bereits jetzt von einer dauerhaft verfestigten
Behandlungsunfähigkeit auszugehen. Angesichts der erst wenige Monate
vollzogenen Unterbringung ist eine solche Schlussfolgerung ohne einen weiteren
Beobachtungszeitraum und ohne Veränderung im therapeutischen Konzept
vielmehr zur Zeit noch verfrüht.
Der angefochtene Beschluss war mithin mit der Kosten- und Auslagenfolge der §§
467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO in entsprechender Anwendung aufzuheben.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.