Urteil des OLG Frankfurt vom 25.05.2005

OLG Frankfurt: einziehung, sicherungsabtretung, sicherheit, aufrechnung, kaufpreis, arbeitsrecht, abtretungsvertrag, zitat, kopie, kaufvertrag

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Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 U 124/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 166 Abs 2 InsO
(Insolvenzverfahren: Verwertungsrecht des
Insolvenzverwalters bezüglich einer abgetretenen
Forderung)
Leitsatz
Zur Wirksamkeit eines Aufrechnungsvertrages im Insolvenzverfahren
Gründe
I. Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen des A (nachfolgend:
Schuldner).
Das Insolvenzverfahren wurde am 14.5.2001 eröffnet. Der Beklagte war
Steuerberater des Schuldners. Er hatte mit diesem am 23.12.1997 einen
Bauträgervertrag über zwei noch zu errichtende Eigentumswohnungen in der B-
Straße, O1, geschlossen (Anlage K 6, Bl. 26 ff. d. A.). In § 6 dieses Vertrages heißt
es, der Verkäufer trete alle Zahlungsansprüche aus der Urkunde an das
bauzwischenfinanzierende Kreditinstitut ab (Bl. 35 d. A.). Die Zwischenfinanzierung
dieses Objektes stellte die X-Bank (nachfolgend: Bank) aufgrund eines Vertrages
vom 18.2./5.3.1998 (Bl. 332 ff. d. A.) bereit. Ausweislich S. 3 dieses Kreditvertrages
(Bl. 334 d. A.) verpflichtete sich der Schuldner als Sicherheit u. A. zur Abtretung
der Rechte und Ansprüche aus den Kaufverträgen mit sämtlichen Erwerbern; die
Sicherungsabtretung vereinbarte er in einer gesonderten Urkunde gleichen
Datums mit der Bank (Anlagen K 22, 23, Bl. 189 ff., 213 d. A.). Der Notar, der den
Bauträgervertrag beurkundet hatte, übersandte der Bank erstmals unter dem
21.9.1998 (Anlage A 4, Bl. 340 d. A.) eine Kopie der Vertragsurkunde mit der Bitte
um Erteilung einer Freistellungserklärung. Die Klägerin nimmt den Beklagten
nunmehr auf Zahlung des aus dem Bauträgervertrag noch offenen „Kaufpreis“-
Restes von 50.100 DM (= 25.615,72 €) in Anspruch. Der Beklagte verteidigt sich
im Wesentlichen mit einem Aufrechnungsvertrag, den er am 1.11.2000 mit dem
Schuldner schloss (Anlage K 16, Bl. 119 d. A.); in diesem Vertrag einigten sich der
Schuldner und der Beklagte auf eine gegenseitige Aufrechnung der
streitgegenständlichen Rest-„Kaufpreis“-Forderung und gleich hoher
Gebührenforderungen des Beklagten gegen den Schuldner. Die Parteien streiten
u. A. um die Wirksamkeit dieses Aufrechnungsvertrages. Wegen der Einzelheiten
des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den
Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit ihrer im Wesentlichen auf Rechtsausführungen gestützten Berufung verfolgt die
Klägerin ihren erstinstanzlichen Antrag weiter, d. h. sie beantragt, das
landgerichtliche Urteil abzuändern und den Beklagten zur Zahlung von 25.615,72
€ nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 7.6.2003 zu verurteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen. Er verteidigt das landgerichtliche Urteil.
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II. Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.
1. Das Landgericht hat bereits zutreffend ausgeführt, dass der Klage angesichts
der vom Beklagten erhobenen Einwände nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis
fehlt, weil die Klageforderung in der notariellen Urkunde über den Bauträgervertrag
tituliert ist. Dem ist auch angesichts des Berufungsvortrags des Beklagten nichts
hinzuzufügen.
2. Die restliche Entgeltforderung aus dem Bauträgervertrag ist an sich unstreitig.
Das Recht der Klägerin zur Einziehung dieser Forderung folgt aus § 166 Abs. 2
InsO, denn der Schuldner hatte diese an die Bank nur sicherungshalber
abgetreten.a) Eine Vollabtretung ist im landgerichtlichen Urteil nicht mit den Senat
bindender Wirkung tatbestandlich festgestellt. Die tatbestandlichen Feststellungen
zur Abtretung beschränken sich letztlich auf ein verkürzendes Zitat der in § 6 des
Bauträgervertrages getroffenen Regelung, verhalten sich insbesondere nicht zu
den der Abtretung zugrunde liegenden, also „kausalen“ Abreden zwischen dem
Schuldner und der Bank; nur anhand dieser Abreden kann zwischen Voll- und
Sicherungsabtretung unterschieden werden.b) Ausweislich der im
Berufungsverfahren vorliegenden Urkunden handelte es sich um eine
Sicherungsabtretung. Der Schuldner trat die Entgeltforderungen aus den
Bauträgerverträgen einschließlich der Forderung gegen den Beklagten zur
Sicherheit für das ihm von der Bank gewährte Zwischenfinanzierungsdarlehen ab.
Der Beklagte hat eine Vollabtretung schon unzureichend behauptet, weil er auch
nach dem Hinweisbeschluss des Senats vom 16.3.2005 (Bl. 309 f. d. A.) zu den
der Abtretung zugrunde liegenden Abreden zwischen dem Schuldner und der Bank
nichts vorgetragen hat. Hinzu kommt, dass auf der Grundlage der
kaufvertraglichen Abtretungsklausel überhaupt kein Abtretungsvertrag zustande
gekommen ist. In der Übersendung der Urkunde über den Bauträgervertrag durch
den Notar am 21.9.1998 kann kein Angebot des Schuldners auf Abschluss eines
Abtretungsvertrages gesehen werden, nachdem die Abtretung bereits in einer
anderen Urkunde vereinbart worden und Zweck der Übersendung der
Kaufvertragsurkunde allein war, die Freistellungserklärung zu erreichen; bei dieser
Sachlage ist im Erhalt und Behalten der Kaufvertragsurkunde keine Annahme
eines im Kaufvertrag enthaltenen Abtretungsangebotes durch die Bank zu sehen.
3. Die streitgegenständliche Entgeltforderung ist nicht durch den
Aufrechnungsvertrag vom 1.11.2000 erloschen.a) Der Schuldner war zu diesem
Zeitpunkt nicht mehr Gläubiger der Entgeltforderung, die er an die Bank
abgetreten hatte. Er war nicht befugt, über sie zu verfügen, sei es durch
Einziehung, sei es durch Aufrechnung oder einen darauf gerichteten Vertrag.b) Die
Klägerin hat diesen Vertrag nicht genehmigt, insbesondere nicht dadurch, dass sie
während des erstinstanzlichen Verfahrens eine Eintragung des Beklagten als
Eigentümer der beiden vertragsgegenständlichen Wohnungen im Grundbuch
ermöglicht hat. Sie hat damit lediglich auf die Einrede aus § 320 BGB, nicht aber
auf die gegen den Beklagten gerichtete Forderung verzichtet.c) Es bedarf keiner
Entscheidung, ob die Bank den Aufrechnungsvertrag nach der Korrespondenz vom
9./11.7.2001 (Bl. 168, 195 d. A.) dadurch konkludent genehmigt hat, dass sie
gegen Rückgabe einer Bürgschaftsurkunde seine Wohnungen aus der
Pfandhaftung entlassen und damit eine lastenfreie Eigentumsumschreibung
ermöglicht hat. Zu diesem Zeitpunkt, also nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
stand die Genehmigungsbefugnis nämlich der Klägerin und nicht mehr der Bank
als Sicherungszessionarin zu. Das ergibt sich aus § 166 Abs. 2 InsO. Dem
Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters entspricht „spiegelbildlich“ ein
Ausschluss des Zessionars von der Verwertung der Forderung, der bis zur
Verfahrenseröffnung von seinem Verwertungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat
(vgl. Pape NZI 2000, 301, 302 f.; ähnlich Braun, InsO, 2. Aufl., § 166 Rn. 15;
Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 166 Rn. 13 [„Vorrang des Einziehungsrechts des
Verwalters“]). Die Frage einer etwaigen Erfüllungswirkung von Zahlungen an die
Bank nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt sich im Streitfall nicht; solche
Zahlungen hat der Beklagte nicht geleistet.
4. Die Einziehung der Klageforderung durch die Klägerin stellt sich nicht als
rechtsmissbräuchlich dar, insbesondere nicht allein deshalb, weil sie den Großteil
des Verwertungserlöses an die absonderungsberechtigte Bank abzuführen hat.
Die ausschließlich auf die Kostenbeiträge abstellende Betrachtung des Beklagten
greift schon deshalb zu kurz, weil die alleinige oder doch vorrangige
Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters diesen in die Lage versetzt, der
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Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters diesen in die Lage versetzt, der
Masse günstige Vereinbarungen mit Sicherungszessionaren abzuschließen.
Hierauf hat die Klägerin bereits auf S. 6 ihres Schriftsatzes vom 28.11.2003 (Bl.
212 d. A.) hingewiesen; dies ist in der Berufungsinstanz unstreitig geblieben.
Welche Abreden die Klägerin wann mit der Bank getroffen hat, ist nicht
entscheidungserheblich.
5. Auf Fragen des im Aufrechnungsvertrag vereinbarten Rücktrittsrechts und der
insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit kommt es danach nicht an.
6. Der Ausspruch über die Zinsen folgt aus § 291 BGB.
7. Es besteht kein Grund dafür, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Ein
allgemein vorrangiges Verwertungsrecht des Sicherungszessionars wird – soweit
ersichtlich – nirgends vertreten, insbesondere nicht von den Autoren, die der
Beklagte im Schriftsatz vom 9.5.2005 (Bl. 357 ff. d. A.) zitiert hat. Die Frage eines
Schutzes des nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch an den
Sicherungszessionar zahlenden Schuldners stellt sich im Streitfall nicht. Die
übrigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
III. Die mündliche Verhandlung ist nicht wieder zu eröffnen (§ 156 ZPO). Schon in
der ersten Berufungsverhandlung, spätestens aber seit dem Hinweisbeschluss
vom 16.3.2005 (Bl. 309 f. d. A.) konnte der Beklagte schwerlich übersehen, dass
es dem Senat entscheidend auf die Qualität der Abtretung ankam, so dass der
Beklagte allen Anlass hatte, etwaige weitere Argumente bis zum Schluss der
mündlichen Verhandlung vorzubringen. Bereits in der ersten
Berufungsverhandlung hatte der Senat unmissverständlich darauf hingewiesen,
dass er auf § 242 BGB gestützten Erwägungen voraussichtlich nicht folgen werde.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.