Urteil des OLG Frankfurt vom 21.09.2010

OLG Frankfurt: einstweilige verfügung, treu und glauben, aufrechnung, vollziehung, erlass, zustellung, anfechtung, vertriebsvertrag, befristung, nichterfüllung

1
2
3
Gericht:
OLG Frankfurt 10.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 U 183/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 99 ZPO, § 927 ZPO, § 929
Abs 2 ZPO
Leitsatz
Ein Rechtsschutzbedürfnis für den Aufhebungsantrag besteht auch dann, wenn der
Verfügungsbeklagte damit nur eine Abänderung der Kostenentscheidung aus dem
Anordnungsverfahren erreichen kann.
Tenor
Die Verfügungsklägerin wird darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, die
Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Die Verfügungsklägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.
Gründe
I.
Die Verfügungsklägerin (nachfolgend: Klägerin) hat gegen die Verfügungsbeklagte
(nachfolgend: Beklagte) eine durch Urteil des Landgerichts Gießen vom 3.4.2008
erlassene einstweilige Verfügung erwirkt, durch die es der Beklagten bis zum
31.12.2008 unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt worden
ist, näher bestimmte Vertriebshandlungen vorzunehmen. Das Urteil ist der
Beklagten zwar von Amts wegen am 7.5.2008 zugestellt worden, eine
Parteizustellung durch die Klägerin ist jedoch unterblieben. Mit am 20.4.2010
eingegangenem Schriftsatz hat die Beklagte deshalb die Aufhebung der
einstweiligen Verfügung mangels Vollziehung (§ 929 Abs. 2 ZPO) beantragt und
dies u. a. mit ihrem Interesse an der Abänderung der Kostenentscheidung
begründet. Der Klägerin ist dem entgegengetreten und hat gemeint, dem
Aufhebungsantrag fehle es wegen Ablaufs der Befristung des Verbots am
erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, die bloße Anfechtung der
Kostenentscheidung widerspreche § 99 Abs. 1 ZPO. Ferner hat sie hilfsweise die
Aufrechnung gegen den eventuellen Kostenerstattungsanspruch der Beklagten
mit eigenen Schadensersatzforderungen aus der Nichterfüllung von Lieferpflichten
aus dem Vertriebsvertrag zwischen den Parteien erklärt. Das Landgericht hat dem
Aufhebungsantrag durch das angefochtene Urteil stattgegeben und der Klägerin
die Kosten des Aufhebungsverfahrens sowie des einstweiligen
Verfügungsverfahrens auferlegt. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin.
Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und beruft sich darauf, es sei
treuwidrig, nach eineinhalb Jahren die einstweilige Verfügung anzufechten.
Die Beklagte habe nach der Zustellung der einstweiligen Verfügung zu erkennen
gegeben, dass sie diese auch ohne Vollziehung respektieren werde. Zugleich
hätten die Parteien Vergleichsgespräche geführt, wobei die Beklagte klargestellt
habe, dass sie nur zu einer Einigung „im Paket“ bereit sei. Eine Zustellung der
einstweiligen Verfügung sei somit aufgrund der Gespräche mit der Beklagten und
deren Stellungnahmen unterblieben.
Die Klägerin beantragt,
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
das Urteil des Landgerichts Gießen vom 2.8.2010, Az.: 8 O 36/08, aufzuheben
und die mit Urteil des Landgerichts Gießen vom 3.4.2008 erlassene einstweilige
Verfügung wiederherzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die gewechselten
Schriftsätze verwiesen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht
eingelegt und begründet worden.
In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keine Erfolgsaussicht. Das Landgericht
hat dem Aufhebungsantrag zu Recht stattgegeben.
Ein Rechtsschutzbedürfnis für den Aufhebungsantrag besteht auch dann, wenn der
Verfügungsbeklagte damit nur eine Abänderung der Kostenentscheidung aus dem
Anordnungsverfahren erreichen kann. Dies hat der Bundesgerichtshof bereits für
den Fall entschieden, dass der Verfügungskläger auf die Rechte aus der
einstweiligen Verfügung verzichtet und diese an den Verfügungsbeklagten
herausgegeben hat, jedoch den Kostenerstattungsanspruch des
Verfügungsbeklagten nicht anerkennt (BGHZ 122, 179; Zöller/Vollkommer, ZPO,
28. Aufl., § 927 Rdn. 3; § 926 Rdn. 12 m. w. N.). Nicht anders liegt der Streitfall. In
beiden Konstellationen droht eine Vollstreckung aus der einstweiligen Verfügung
auch ohne deren Aufhebung nicht mehr.
Das Verbot der isolierten Anfechtung der Kostenentscheidung (§ 99 Abs. 1 ZPO)
steht dem nicht entgegen. Die Bestimmung betrifft nur Rechtsmittel, nicht
dagegen sonstige Rechtsbehelfe (Zöller/Herget, § 99 Rdn. 8;
Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 67. Aufl., § 99 Rdn. 5 zum
Widerspruch gegen eine einstweilige Verfügung), gilt somit für den
Aufhebungsantrag nicht. Zudem wäre vorliegend auch nicht der Zweck des § 99
Abs. 1 ZPO betroffen, der verhindern will, dass das Rechtsmittelgericht bei der
Überprüfung der Kostenentscheidung – inzident – erneut die Hauptsache
beurteilen muss (BGH FamRZ 2003, 1269; OLG Düsseldorf JurBüro 1991, 430;
Zöller/Herget, a. a. O. Rdn.1). Denn im Aufhebungsverfahren können dem
Verfügungsantrag nur die veränderten Umstände entgegengehalten werden, die
beim Erlass der einstweiligen Verfügung noch nicht zu prüfen waren.
Der Aufhebungsantrag ist ferner nicht wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben
unzulässig. Zwar kann die Berufung auf den Ablauf der Vollziehungsfrist
rechtmissbräuchlich sein, wenn der Verfügungsbeklagte die Einhaltung der
Vollziehungsfrist arglistig vereitelt hat (OLG Celle, OLGZ 1986, 489;
Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 22. Aufl., § 929 Rdn. 15). Ein solcher Fall ist hier aber
nicht schon deshalb gegeben, weil die Beklagte gemäß dem Vortrag der Klägerin
nach dem Erlass der einstweiligen Verfügung zu erkennen gegeben habe, dass sie
sich an das Verbot halte. Sie hat damit der Klägerin nicht nahe gelegt, auf die
Parteizustellung des Urteils zu verzichten. Sie mag zwar mit ihrem Verhalten
bezweckt haben, Vollstreckungsmaßnahmen der Klägerin zu vermeiden, dies ging
jedoch nicht so weit, die Klägerin von der formellen Anforderung der
Urteilszustellung im Sinne von § 929 Abs. 2 ZPO befreien zu wollen. Auch die
Voraussetzungen einer prozessualen Verwirkung sind nicht gegeben. Jedenfalls ist
das sog. Umstandsmoment nicht ersichtlich.
Das Landgericht hat der Klägerin zutreffend nicht nur gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die
Kosten des Aufhebungsverfahrens, sondern auch die Kosten des
Anordnungsverfahrens auferlegt. Zwar bleibt beim Kostenausspruch im
Aufhebungsverfahren die Kostenentscheidung des Anordnungsverfahrens
grundsätzlich unberührt, dies gilt jedoch in einigen Ausnahmefällen nicht. Einer
dieser Fälle ist die Aufhebung mangels fristgemäßer Vollziehung (OLG Frankfurt
am Main, RPfleger 1963, 251; NJW-RR 2002, 1080; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2000,
68; Stein/Jonas/Grunsky, a. a. O. Rdn.16).
15
16
Die von der Klägerin erklärte Aufrechnung mit eigenen Schadensersatzansprüchen
hindert die Kostenentscheidung nicht. Die Aufrechnung gegenüber dem
eventuellen Kostenerstattungsanspruch der Gegenpartei ist im
Erkenntnisverfahren unzulässig, weil ansonsten schon in diesem
Verfahrensstadium die Höhe der Kosten festgestellt werden müsste, was indessen
dem Kostenfestsetzungsverfahren vorbehalten ist. Zudem wäre der Prozessrichter
entgegen § 308 Abs. 2 ZPO gehindert, im Urteil über die Kostentragungspflicht zu
entscheiden (OLG Nürnberg, JurBüro 1965, 314, 315; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22.
Aufl., § 104 Rdn. 17). Abgesehen davon ist ein Gegenanspruch der Klägerin nicht
näher dargelegt.
Da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung
des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine
Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil erfordert, ist beabsichtigt, die
Berufung durch Beschluss zurückzuweisen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.