Urteil des OLG Frankfurt vom 18.08.2009

OLG Frankfurt: eizelle, einpflanzung, wiederholungsgefahr, schmerzensgeld, dokumentation, geburt, fehlbehandlung, vollstreckung, versuch, labor

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Gericht:
OLG Frankfurt 8.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 U 178/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 823 BGB
Vorwurf der mangelnde ärztliche Aufklärung über
Polkörperdiagnostik
Leitsatz
Zum Vorwurf der mangelnden ärztlichen Aufklärung über die Vor- und Nachteile der
Polkörperdiagnostik
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts
Wiesbaden vom 16.3.2007 – Az.: 7 O 166/04 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden,
wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des
jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten. - 2 -
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert beträgt 82.418,11 € (15.864,68 + 60.000,-- + 6.053,43 + 500,-- €).
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen einer behaupteten
reproduktionsmedizinischen Fehlbehandlung und angeblicher mangelhafter
Aufklärung auf Ersatz materieller (15.864,68 €) und immaterieller Schäden
(mindestens 60.000,-- € Schmerzensgeld) sowie auf negative Feststellung (kein
Anspruch der Beklagten auf Behandlungskosen im Jahr 2003) und Unterlassung in
Anspruch.
Wegen eines unerfüllten Kinderwunsches nach einem zweiten Kind wandte sich die
Klägerin im Frühjahr 2003 an die Beklagten, welche in ... ein Zentrum für
Reproduktionsmedizin betreiben. Bei der Klägerin besteht eine Tubenpathologie
sowie eine sog. balancierte Translokation (= genetischer Defekt: Umlagerung
eines Bruchstücks eines Chromosoms an ein anderes Chromosom). Bei Paaren,
bei denen ein Partner Träger einer balancierten Translokation ist, ergibt sich als
Folge unterschiedlicher Kombinationsmöglichkeiten der Verteilung der betroffenen
Chromosomen bei der Bildung der Geschlechtszellen eine erhöhte
Wahrscheinlichkeit für ein Implantationsversagen, eine Fehlgeburt oder die Geburt
eines Kindes mit körperlicher und/oder geistiger Behinderung. Da die balancierte
Translokation sich nicht bei allen Eizellen wiederfinden muss, hoffte die Klägerin,
mit Hilfe der sog. Polkörperdiagnostik schwanger zu werden. Bei der
Polkörperdiagnostik, welche eine Alternative zu der in Deutschland nicht zulässigen
Pränataldiagnostik darstellt, werden die sich zwischen Eizelle und Eizellhülle
bildenden Polkörper der befruchteten Eizelle entnommen und mit Hilfe genetischer
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bildenden Polkörper der befruchteten Eizelle entnommen und mit Hilfe genetischer
Sonden untersucht. Sodann werden die Eizellen ausgewählt, bei denen eine
normale Weiterentwicklung anzunehmen ist. Alle drei Behandlungszyklen, denen
sich die Klägerin im März/April 2003, Juli 2003 und August/September 2003 bei den
Beklagten unterzog, führten nicht zum Erfolg.
Die Klägerin hat behauptet, es habe keine ausreichenden Aufklärungsgespräche
über die Polkörperdiagnostik und die aussichtsreichere Pränataldiagnostik
gegeben. Außerdem seien den Beklagten sowohl bei der Stimulationstherapie und
der Entnahme von Eizellen als auch bei der Polkörperdiagnostik Fehler unterlaufen.
Die Beklagten haben eine Fehlbehandlung und eine mangelnde Aufklärung
bestritten. Es sei auch unzutreffend, dass bei Anwendung der
Präimplantationsdiagnostik an Stelle der Polkörperdiagnostik bessere Ergebnisse
zu erzielen gewesen wären. Erstere sei in Deutschland verboten, weswegen sich
die Frage der Vergleichbarkeit beider Methoden erst gar nicht stelle.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Anhörung der Beklagten zu 2) und 3),
durch Vernehmung der Zeugin Z1 und des Zeugen Z2 (Bl. 193 bis 204, 228 bis
232 d.A.) sowie durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens
nebst Ergänzung des Sachverständigen Prof. Dr. SV1 vom 12.4.2006 (Extraband)
und 22.11.2006 (Bl. 336 bis 342 d.A.). Dem Antrag auf mündliche Erläuterung des
Gutachtens durch den Sachverständigen hat das Landgericht nicht entsprochen.
Sodann hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil den Beklagten weder ein
Aufklärungsversäumnis noch ein Behandlungsfehler anzulasten sei. Die Klägerin
sei hinreichend aufgeklärt gewesen, was sich aus der Parteianhörung, der
Zeugenvernehmung und den schriftlichen Unterlagen ergebe. Nach den
überzeugenden Ausführungen des medizinischen Sachverständigen seien die
reproduktionsmedizinischen Maßnahmen fehlerfrei erfolgt. Dass sie nicht zum
Erfolg geführt hätten, sei Folge der biologischen Gegebenheiten der Klägerin. Der
Klägerin stehe auch kein Anspruch auf Unterlassung der Äußerung zu, dass sie
psychische Probleme mit ihrem unerfüllten Kinderwunsch habe, da die Äußerung –
wenn überhaupt – nur zwischen zwei die Klägerin behandelnden Ärzten gefallen sei
und Wiederholungsgefahr nicht bestehe.
Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihre
Ansprüche weiter; hilfsweise beantragt sie Zurückverweisung des Rechtsstreits an
das Landgericht.
Sie rügt zunächst, dass das Landgericht den Sachverständigen nicht geladen
habe. Der Antrag sei rechtzeitig gestellt worden, der Formulierung konkreter
Fragen habe es zur Zulässigkeit nicht bedurft. Angesichts der komplizierten
naturwissenschaftlichen Fragen könne eine vorherige Formulierung derselben nicht
verlangt werden. Ergänzenden Erläuterungsbedarf sieht die Klägerin bezüglich der
Auswertung der RecDate-Unterlagen, der Zertifizierung des Verfahrens und
hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Einpflanzung der Eizellen. Wegen der
weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 528 f d.A. verwiesen.
Des Weiteren wiederholt die Klägerin ihre Auffassung, nicht ordnungsgemäß
aufgeklärt worden zu sein, zumal der Beklagte zu 3) nicht als Partei vernommen
worden sei. Da sie bereits zu einem Eingriff im Wege der
Präimplantationsdiagnostik im Ausland entschieden gewesen sei, sei sie von den
Beklagten „umgestiftet“ worden. Bei dieser Sachlage sei sie über die Vor- und
Nachteile der Alternativmethoden Polkörperdiagnostik einerseits und
Präimplantationsdiagnostik andererseits aufzuklären gewesen, wobei das Verbot
der Letzteren in Deutschland hätte Erwähnung finden können. Auch dem
Unterlassungsbegehren sei zu Unrecht nicht entsprochen worden, da die Klägerin
gegenüber anderen Ärzten unzulässigerweise als neurotisch bezeichnet worden
sei.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagten zu verurteilen
1. an die Klägerin 15.864,68 € nebst 5% Zinsen über Basiszinssatz seit
Klageerhebung zu zahlen,
2. an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, jedoch nicht weniger
als 60.000,-- € nebst 5% Zinsen über Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen,
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3. festzustellen, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, für die Behandlung der
Beklagten im Jahr 2003 Zahlungen zu leisten;
4. die Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, gegenüber Dritten sich
dahingehend zu äußern, dass die Klägerin psychische Probleme mit ihrem
unerfüllten Kinderwunsch habe,
hilfsweise,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Das Landgericht habe den
Sachverständigen zu Recht nicht geladen, da der Antrag rechtsmissbräuchlich
gewesen sei. Die Notwendigkeit der Erörterung sei nicht begründet worden. Im
Übrigen habe die Klägerin mit der Berufung nicht vorgetragen, in welcher Hinsicht
noch weiterer Aufklärungsbedarf bestehe. Rechtsfehlerfrei habe das Landgericht
auch entschieden, dass die Klägerin vor Durchführung der Polkörperdiagnostik
über diese aufgeklärt worden ist. Auch die Präimplantationsdiagnostik sei
Gegenstand der Erörterung gewesen. Die Beklagten hätten überdies mit
strafrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen, wenn sie die Klägerin hierzu ins
Ausland geschickt hätten. Das Unterlassungsbegehren sei zu Recht abgewiesen
worden, da es sowohl an einer Tatsachenbehauptung als auch an der
Wiederholungsgefahr fehle.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines ergänzenden mündlichen
Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. SV1. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 1.4.2008 (Bl. 532 bis 546
d.A.) verwiesen. Des Weiteren hat der Senat gemäß Beweisbeschlüssen vom 20.5.
und 23.12.2008 Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens
nebst Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. SV2.
Insoweit wird auf die Gutachten vom 12.10.2008 (Bl. 608 bis 682 d.A.) und
28.2.2009 (Bl. 707 bis 715 d.A.) Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Den Beklagten ist weder ein Behandlungs- noch ein Aufklärungsfehler anzulasten,
so dass die Klägerin weder materiellen Schadensersatz noch Schmerzensgeld
beanspruchen kann; ebenso wenig kann sie die gezahlten Behandlungskosten
zurück verlangen und ihr Unterlassungsbegehren mit Erfolg begründen.
1.Zwar rügt die Berufung mit Recht, dass das Landgericht dem Antrag auf Ladung
des Sachverständigen Prof. Dr. SV1 zur Erläuterung seines Gutachtens nicht
entsprochen hat. Der Erläuterungsantrag ist innerhalb der bis zum 15.1.2007
verlängerten Frist zur Stellungnahme auf das Ergänzungsgutachten (Bl. 352 d.A.)
rechtzeitig am 15.1.2007 gestellt worden (Bl. 365 d.A.). Dass die Klägerseite
innerhalb dieser Frist keine an den Sachverständigen zu richtenden Fragen
formuliert hat, stand der Ladung nicht entgegen, auch wenn der Sachverständige
schon ein Ergänzungsgutachten erstattet hatte (Baumbach, ZPO, 66. Aufl. ZPO, §
411 Rdnr. 11; Zöller-Greger, 26. Aufl. ZPO, § 411 Rdnr. 5e). Bereits die Komplexität
der Materie rechtfertigte den Erläuterungsantrag.
Die vom Senat in der mündlichen Verhandlung nachgeholte Erläuterung des
Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. SV1 konnte der Berufung der Klägerin
jedoch ebenso wenig wie die weiteren Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr.
SV2 zum Erfolg verhelfen.
2.Mit dem Landgericht ist zunächst festzuhalten, dass den Beklagten ein
Aufklärungsfehler nicht zur Last zu legen ist.
Insoweit ist vorab darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nicht rügt, nicht darüber
aufgeklärt worden zu sein, dass die Durchführung der Polkörperdiagnostik
fehlschlagen kann, also nicht zur erwünschten Schwangerschaft führt.
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Soweit sie den Beklagten vorwirft, nicht ausreichend über die Vor- und Nachteile
der Polkörperdiagnostik einerseits und der Alternativmethode der
Präimplantationsdiagnostik andererseits informiert worden zu sein, so kann sie
damit nicht durchdringen. Ein Aufklärungsversäumnis trifft die Beklagten auch
nicht unter dem Aspekt, die angeblich bereits zur Durchführung der – in
Deutschland verbotenen, im Ausland aber zulässigen – Präimplantation
entschlossene Klägerin dahingehend umgestimmt zu haben, es doch mit dem
Verfahren der Polkörperdiagnostik zu versuchen. Dahinstehen kann dabei,
inwieweit das in Deutschland unzulässige Verfahren der
Präimplantationsdiagnostik als Behandlungsalternative seitens der Beklagten
überhaupt diskutiert werden musste. Denn zum einen ist der Senat mit dem
Landgericht davon überzeugt, dass die mit der Problematik vertraute Klägerin mit
dem Wunsch zu den Beklagten kam, gerade über die Möglichkeiten der
Polkörperdiagnostik in Kenntnis gesetzt zu werden. Zum anderen hat der
Sachverständige Prof. Dr. SV1 ausgeführt, dass Vorteile der
Präimplantationsdiagnostik gegenüber der Polkörperdiagnostik nicht bestehen.
Der Sachverständige hat bei seiner mündlichen Erläuterung vor dem Senat
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch im Zeitpunkt der Behandlung der
Klägerin die Polkörperdiagnostik nicht schlechter gewesen sei als die
Präimplantationsdiagnostik, wobei es allerdings nur eine Studie gebe, welche beide
Verfahren verglichen habe, nämlich die von Frau Dr. A. Nach dieser betrug die
Schwangerschaftsrate nach Polkörperdiagnostik 23% und war damit jedenfalls
nicht schlechter als die Erfolgsrate bei Präimplantationsdiagnostik. Waren aber
beide Verfahren im Ergebnis gleichwertig, so bestand für die Beklagten keine
Veranlassung, der Klägerin die Präimplantationsdiagnostik als die
vorzugswürdigere Methode darzustellen.
3.Den Beklagten ist auch kein Behandlungsfehler vorzuwerfen.
Zutreffend hat das Landgericht festgestellt, dass die
präimplantationsdiagnostischen Maßnahmen der Beklagten dem ärztlichen
Standard entsprechend durchgeführt worden sind. Diese Einschätzung erfährt
weder eine Änderung durch das mündliche Ergänzungsgutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. SV1 noch durch die Gutachten des Sachverständigen
Prof. Dr. SV2.
Die Sachverständigen haben ausgeführt, dass die Behandlungen der Beklagten
sowohl aus klinischer als auch aus reproduktionsbiologischer Sicht nach den
Standards des Fachgebietes vorgenommen worden sind. Dabei haben sie die
reproduktionstechnischen Maßnahmen an Hand der RecDate-Unterlagen, der
elektronischen Dokumentation, nachvollzogen.
Danach ist davon auszugehen, dass sowohl die Entnahme der Polkörper zeit- und
sachgerecht erfolgt ist als auch deren präzise Fixierung durch die
Reproduktionsbiologin.
Nachdem der Sachverständige Prof. Dr. SV1 bei seiner mündlichen Erläuterung
vor dem Senat nicht endgültig Stellung zu der Frage bezogen hat, ob die
Entnahme zweier Polkörper zur Beurteilung der Translokation zwingend erforderlich
ist und darauf hingewiesen hat, dass die Beantwortung bestimmter genetischer
Fragen nicht in sein Fachgebiet falle bzw. die Beurteilung, welche Eizelle
transferiert wird und welche nicht, dem Humangenetiker vorbehalten bleibe, hat
der Senat zusätzlich den Sachverständigen Prof. Dr. SV2 hinzugezogen.
Auch seine gutachterlichen Feststellungen vermögen der Klägerin nicht zum Erfolg
ihrer Berufung zu verhelfen.
a)Fehl geht zunächst der Vorwurf der Klägerin, die Behandlung im April 2003 sei
nicht fachgerecht gewesen. Die Untersuchung der Eizelle Nr. 2 habe nämlich
ergeben, dass diese zur Einpflanzung geeignet gewesen sei. Zwar hat der
Sachverständige Prof. Dr. SV2 hierzu ausgeführt, dass es aus Sicht der Klägerin
durchaus nachvollziehbar sei anzunehmen, dass ein Fehler unterlaufen sei, weil die
Untersuchung eine balancierte und damit zur Einpflanzung geeignete Eizelle
ergeben habe. Diese Einschätzung der Klägerin gehe jedoch von der nicht
zutreffenden Annahme aus, dass eine für das betreffende Chromosom balancierte
Signalkonstellation im 1. und 2. Polkörper stets mit einer normalen
Chromosomenverteilung der Eizelle verbunden ist. Letzteres sei nicht immer der
Fall. Insoweit habe das von der Humangenetikerin Frau Dr. B angewandte
Testsystem von nur zwei Sonden keine zweifelsfreie Identifikation erlaubt;
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Testsystem von nur zwei Sonden keine zweifelsfreie Identifikation erlaubt;
Interpretationsfehler seien möglich, die bei Verwendung wenigstens einer weiteren
Sonde vermieden worden wären. Dass eine dritte Sonde nicht verwendet worden
ist, gereicht den Beklagten indessen nicht zum Vorwurf. Dabei kann dahinstehen,
ob eine etwaige fehlerhafte Unterlassung der hinzugezogenen Humangenetikerin
Dr. B den Beklagten überhaupt zugerechnet werden könnte, weil sie – den Fällen
eines vom behandelnden Arzt hinzugezogenen Labormediziners oder Pathologen
vergleichbar - nicht als Erfüllungsgehilfin der Beklagten, sondern als im Verhältnis
zur Klägerin eigenverantwortlich tätig werdende Wissenschaftlerin anzusehen sein
könnte mit der Folge, dass die Beklagten allenfalls für ein etwaiges
Auswahlverschulden haften könnten. Denn aus den Ausführungen des
Sachverständigen Prof. Dr. SV2 ist zu folgern, dass eine schuldhafte Fehlleistung
der Humangenetikerin nicht gegeben ist: So habe es im Jahre 2003 hinsichtlich der
Durchführung der Polkörperdiagnostik weder entsprechende Leitlinien noch ein
Konsenspapier gegeben, welche ein bestimmtes Verfahren vorgegeben hätten.
Dass – von diesbezüglichen Vorgaben abgesehen – eine in den einschlägigen
medizinischen Fachkreisen standardisierte Vorgehensweise bestanden hätte, ist
bereits deswegen nicht anzunehmen, weil es sich bei der Polkörperdiagnostik um
eine junge wissenschaftliche Sparte und keine Routinediagnostik handelte. Über
die erfolgreiche Etablierung dieses Untersuchungsverfahrens zur Diagnostik von
chromosomalen Imbalancen und die Geburt des ersten Kindes nach
Polkörperdiagnostik ist – wie der Sachverständige dargelegt hat – erstmals 2002
berichtet worden. Auf nochmalige Nachfrage hat der Sachverständige Prof. Dr.
SV2 klargestellt, dass auch er die zweite Eizelle nicht zur Einpflanzung empfohlen
hätte.
b)Ohne Erfolg bleibt auch die weitere Beanstandung der Klägerin, im Juli 2003 sei
fälschlich kein Polkörper der drei befruchteten Eizellen untersucht worden. Insoweit
hat der Sachverständige festgestellt, dass nach dem Polkörperdiagnostik-Protokoll
von Frau Dr. B alle drei Eizellen für einen Transfer nicht geeignet gewesen seien,
wobei sie unter klinischen Gesichtspunkten als für diese Frage ausreichend
untersucht anzusehen seien.
Der Sachverständige Prof. Dr. SV1 hat darüber hinaus ausgeführt, dass entgegen
der Behauptung der Klägerin beim zweiten Versuch auch nicht zu früh punktiert
worden sei, da die Größe der Follikel ein Zuwarten nicht gerechtfertigt hätte. Dass
der erste und dritte Versuch deutlich bessere Stimulationsergebnisse gezeitigt
habe, sei auf biologische Ursachen zurückzuführen und nicht den Beklagten
anzulasten. c)Was die weitere Behauptung der Klägerin anbelangt, es entspreche
nicht den Regeln der Technik, bei einer Polkörperdiagnostik jeweils nur den 1.
Polkörper zu untersuchen, so hat der Sachverständige Prof. Dr. SV2 dies bestätigt.
Allerdings sei im Labor der Beklagten nicht gegen diesen Grundsatz verstoßen
worden: es seien nämlich regelhaft zwei Polkörper entnommen worden. Die
erfolgreiche Entnahme beider Polkörper sei aber aus technischen oder zeitlichen
Gründen nicht immer möglich. Neben der technischen Unmöglichkeit, beide
Polkörper ohne Gefährdung der Eizelle zu gewinnen, könnten sich Verluste durch
Fragmentation der Polkörper, beim Transfer, bei der Fixierung und beim
Wiederauffinden auf dem Objektträger ergeben. Da seinerzeit keine bindenden
Leitlinien oder Empfehlungen zur Frage des Transfers von Embryonen
unvollständig analysierter Eizellen vorlagen, habe die Entscheidung im Ermessen
des betreuenden Reproduktionsmediziners gelegen. Wenn die Entnahme des
zweiten Polkörpers nicht möglich sei, könne auch die Untersuchung des Polkörpers
1 allein erfolgen.
d)Entgegen der Auffassung der Klägerin hat nach Meinung beider
Sachverständiger auch die organisatorische und zeitliche Einrichtung der
Diagnostik den gesetzlichen Vorgaben und dem internationalen
reproduktionstechnischen Wissensstand entsprochen. Die üblichen Abläufe der
Praxis, der OP und im Labor seien im Rahmen der ISO-Zertifizierung durch einen
fachlichen Auditor bestätigt worden, der die wissenschaftlich korrekte
Vorgehensweise in den gesamten Arbeitsbereichen bestätigt habe.
Den Vorwurf der Klägerin, die von den Beklagten geleistete Diagnostik habe nicht
zu korrekten Ergebnissen führen können, weil bereits Zersetzungsprozesse
vorgelegen hätten, haben beide Gutachter zurückgewiesen. Zwar haben sie
festgehalten, dass die Dokumentation der Humangenetikerin Frau Dr. B nicht
optimal gewesen ist, weil Datums- und Zeitangaben fehlen. Hieraus lasse sich
jedoch letztlich nichts herleiten, weil die in Frage stehenden Zeiträume zwischen
Entnahme der Polkörper und Fixierung nicht kritisch seien. Nach erfolgter Fixierung
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Entnahme der Polkörper und Fixierung nicht kritisch seien. Nach erfolgter Fixierung
seien Zersetzungsprozesse innerhalb von 24 Stunden nicht zu erwarten. Die
Qualität der Untersuchung hänge vielmehr von der Polkörperbeschaffenheit und
den verwendeten Sonden sowie der zur Verfügung stehenden Zeit ab.Die
Sachverständigen haben die reproduktionstechnischen Maßnahmen an Hand der
sog. RecDate-Unterlagen nachvollzogen und keine Fehler festgestellt. Danach ist
die Fixierung jeweils 1 Stunde nach der Polkörperbiopsie erfolgt.
Soweit die Klägerin mögliche Manipulationen an den RecDate-Daten vermutet,
handelt es sich mangels Darlegung konkreter Anknüpfungspunkte um eine
unzulässige Behauptung ins Blaue hinein. Die Tatsache, dass die Protokolle von
Frau Dr. B keine hinreichenden Datums- und Zeitangaben enthalten, mit denen
die Eintragung im RecDate zweifelsfrei validiert werden könnte, bildet keinen
hinreichenden Anhaltspunkt für die Annahme unkorrekten Vorgehens bzw. einen
den Beklagten anzulastenden Organisationsmangel.
e)Was die Anmerkung der Klägerin zu dem Gutachten anbetrifft, die Ausführungen
des Sachverständigen Prof. Dr. SV2 beruhten nicht auf das Jahr 2003 betreffenden
Unterlagen, hat der Sachverständige festgestellt, dass die von ihm zitierten
Veröffentlichungen das Jahr 2003 ebenfalls erfassen und nochmals darauf
hingewiesen, dass es zum Zeitpunkt der Behandlung der Klägerin keine
entsprechenden berufsständischen Empfehlungen oder Leitlinien gegeben habe.
4.Die Entscheidung des Landgerichts ist auch insoweit nicht zu beanstanden, als
es dem Unterlassungsbegehren der Klägerin nicht entsprochen hat. Selbst wenn
der Beklagte zu 3) der Zeugin Z1 gegenüber telefonisch geäußert haben sollte,
die Klägerin habe einen neurotischen Kinderwunsch, so handelt es sich um eine
Erörterung unter Fachkollegen über die medizinische Qualifizierung des
klägerischen Verhaltens, also eine Diagnosestellung. Eine solche kann nicht
Gegenstand eines Unterlassungsanspruchs sein, zumal es auch an der Darlegung
einer Wiederholungsgefahr mangelt.
Nach allem konnte die Berufung keinen Erfolg haben, so dass sie mit der sich aus
§ 97 Abs.1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen war.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10,
711 ZPO.Zur Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, da die
Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.