Urteil des OLG Düsseldorf vom 10.01.2011

OLG Düsseldorf (subjektives recht, elterliche sorge, eltern, beschwerdebefugnis, wohl des kindes, beschwerde, haushalt, jugendamt, zpo, zustellung)

Oberlandesgericht Düsseldorf, II-3 WF 148/10
Datum:
10.01.2011
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
II-3 WF 148/10
Tenor:
1. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 06. August 2010 gegen
den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Gel-dern vom 09.
Juli 2010 wird als unzulässig verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Beschwerde-
führerin auferlegt.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 1.500,00 Euro
festgesetzt.
Die 14-jährige Beschwerdeführerin und ihre volljährige Schwester J. sind aus der
geschiedenen Ehe ihrer Eltern hervorgegangen. Sie lebte zuletzt im Haushalt der
Kindesmutter, während ihre ältere Schwester seit Mai 2001 im Haushalt des
Kindesvaters lebt.
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Über das Sorge- und Umgangsrecht betreffend die Beschwerdeführerin haben die
Kindeseltern eine Vielzahl gerichtlicher Verfahren geführt. Auf die nachfolgende nicht
abschließende Aufstellung wird verwiesen:
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Geschäftsnummer
AG Geldern
Entscheidungsdatum Regelungsinhalt
12 F 15/99
04.11.1999
Übertragung des
Aufenthaltsbestimmungsrechts durch
einstweilige Anordnung auf die Kindesmutter
24.05.2000
Übertragung der elterlichen Sorge auf die
Kindesmutter
12 F 311/01
20.03.2002
Verständigung der Kindeseltern auf ein
gemeinsames Ausüben der elterlichen
Sorge mit Ausnahme des
Aufenthaltsbestimmungsrechts, das allein
bei der Kindesmutter verbleibt.
3
12 F 115/06
06.07.2007
Übertragung der elterlichen Sorge auf die
Kindesmutter
Über die Ausübung des Umgangsrechts durch den Kindesvater haben die Kindeseltern
in zwei weiteren gerichtlichen Verfahren gestritten.
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Anfang Februar 2010 wandte sich Frau Dr. S., Ärztin in dem St.-C.-Hospital in G., an das
Jugendamt und berichtete, dass die Beschwerdeführerin dort in den vergangenen
Monaten vermehrt wegen psychosomatischer Beschwerden behandelt worden war. Sie
litte unter dem Streit ihrer Eltern und habe sowohl Suizidgedanken geäußert als auch
wiederholt Essen und Trinken verweigert. Das Jugendamt richtete daraufhin eine
Erziehungsbeistandschaft ein und unterstützte die Kindesmutter durch eine
sozialpädagogische Familienhilfe.
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Der Kindesvater begehrt mit Antrag vom 08.06.2010 im Verfahren Amtsgericht Geldern,
30 F 88/10 vormals 12 F 354/10, die Übertragung der elterlichen Sorge, hilfsweise des
Aufenthaltsbestimmungsrechts. Nach Zustellung der Antragsschrift und der
Terminsladung in diesem Verfahren am 17.06.2010 hatte die eingesetzte pädagogische
Fachkraft auf Grund von Äußerungen der Beschwerdeführerin den Eindruck, dass diese
Selbsttötungsabsichten hege. Nach Vorstellung bei dem behandelnden Kinderarzt
wurde die Beschwerdeführerin von diesem in die Kinder- und Jugendpsychiatrie in B.-H.
eingewiesen, die sie jedoch noch am selben Tag verlassen konnte. Auf ihren Wunsch
hin verblieb sie bis zum Ende der Woche im Haushalt des Kindesvaters. Dieses
Ereignis nahm der Kindesvater zum Anlass, das vorliegende Verfahren mit
Antragsschrift vom 18.06.2010 einzuleiten, mit dem er die vorläufige Übertragung des
Aufenthaltsbestimmungsrechtes begehrt, dem die Kindesmutter entgegengetreten ist.
Nach Wiederaufnahme in den Haushalt der Kindesmutter ist die Beschwerdeführerin auf
ihren Wunsch am 21.06.2010 in Obhut genommen und in dem St.-J.-Stift untergebracht
worden, um am folgenden Tag Aufnahme in einer Pflegefamilie zu finden. Nachdem sie
die Unterbringung in einer Pflegefamilie bei Aufrechterhaltung des Wunsches auf
Fremdunterbringung verweigert hatte, ist sie vorübergehend wieder in dem Haushalt der
Kindesmutter aufgenommen worden. Am Wochenende vom 03. auf den 04. 07.2010 hat
sie bewusst eine zu hohe Dosis des Medikaments "Marcumar", eingenommen, das ihr
zur Behandlung einer seit zwei Jahren bestehenden Thrombose im Arm verordnet
wurde. Vom 08.07.2010 bis zum 21.07.2010 hat sie sich in stationärer Behandlung des
St.-C.-Hospitals befunden. Anschließend ist sie vorübergehend in einer
Bereitschaftspflegefamilie betreut und versorgt worden. Im Rahmen einer Beurlaubung
hat sie sich am Wochenende vom 24. auf den 25.07.2010 bei der Kindesmutter
aufgehalten. Am 25.07.2010 ist sie auf Grund einer Suiziddrohung erneut in der Kinder-
und Jugendpsychiatrie B.-H. aufgenommen worden, wo sie bis zu ihrer Aufnahme in
einer stationären Jugendhilfeeinrichtung am 03.08.2010 verblieben ist. Von dort ist sie
am 05.08.2010 entwichen. Seitdem lebt sie wieder im Haushalt der Kindesmutter.
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Der Kindesvater trägt vor:
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Seine Tochter sei in dem Haushalt der Kindesmutter den verbalen und körperlichen
Übergriffen des Lebensgefährten der Kindesmutter ausgesetzt. Unterstützung durch die
Kindesmutter erfahre sie nicht. Daher habe sie den Wunsch geäußert, in seinen
Haushalt zu wechseln.
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Das Jugendamt beantragt, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die
Gesundheitsfürsorge und das Recht, Hilfe zur Erziehung vorläufig zu beantragen, zu
übertragen.
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Der Kindesvater hat dem Antrag zugestimmt.
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Die Kindesmutter ist dem Antrag entgegengetreten.
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Sie hat mit Schriftsatz vom 02.07.2010 vorgetragen:
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Ihre Tochter sei von dem Antrag des Kindesvaters auf Übertragung der elterlichen Sorge
überrascht worden. Sie fühle sich hintergangen und lehne deshalb jeden Kontakt zum
Kindesvater ab. Sie habe den Wunsch geäußert weiter in ihrem Haushalt zu leben.
Suizidalität habe nicht bestanden.
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Die Beschwerdeführerin ist am 09.07.2010 in Anwesenheit des Verfahrensbeistandes
persönlich angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf die
gerichtliche Niederschrift verwiesen.
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Mit Beschluss vom 09.07.2010 ist das Amtsgericht der Anregung des Jugendamtes
gefolgt.
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Mit Schreiben vom 22.07.2010 führte die Beschwerdeführerin gegenüber dem
Amtsgericht Klage darüber, dass sie durch das Jugendamt nach Rheinland-Pfalz
geschickt werden solle.
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In ihrer erneuten persönlichen Anhörung am 06.08.2010 äußerte sie sich dahingehend,
dass ihre Eltern wieder Inhaber der elterlichen Sorge werden sollen.
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Sowohl der Verfahrensbeistand als auch das Jugendamt sehen weiterhin die
Notwendigkeit einer stationären Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung, sehen
aber angesichts der Verweigerungshaltung von J. derzeit keine realistische Möglichkeit
zur Durchsetzung dieser Maßnahme.
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Die Kindeseltern regen an, der Beschwerdeführerin einen neuen Verfahrensbeistand
beizuordnen. Der Kindesvater regt darüber hinaus an, sie persönlich anzuhören.
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Die Kindesmutter begehrt mit Schriftsatz vom 20.09.2010 gegenüber dem Amtsgericht
die Rückübertragung der Gesundheitsfürsorge wegen der Untätigkeit des
Ergänzungspflegers auf sich.
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II.
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Die Beschwerde vom 06.08.2010 ist wegen fehlender Beschwerdebefugnis unzulässig
aber auch in der Sache erfolglos.
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Die Zuschrift der Beschwerdeführerin vom 22.07.2010 ist nicht als Beschwerde zu
qualifizieren. Anders als in ihrer persönlichen Anhörung am 06.08.2010 stellt sie in
dieser Zuschrift nicht die teilweise Übertragung der elterlichen Sorge auf das Jugendamt
als Pfleger in Frage, sondern lediglich einzelne Maßnahmen des Pflegers, nämlich die
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geplante Betreuung in einer Einrichtung in Rheinland-Pfalz. Insbesondere begehrt sie
auch keine Überprüfung dieser Maßnahmen durch das Beschwerdegericht sondern
wendet sich ausdrücklich an die erkennende Richterin bei dem Amtsgericht.
Ihre gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde ist gleichwohl unzulässig. Zwar
ist ihre Beschwerde formgerecht im Sinne des § 64 FamFG eingelegt. Die hier erfolgte
Einlegung der Beschwerde zu richterlichem Sitzungsprotokoll steht der Einlegung zur
Niederschrift der Geschäftsstelle gemäß § 64 Abs. 2 FamFG gleich (Zöller/Heßler, ZPO,
28. Aufl., § 570 Rn. 9). Auch ist die zweiwöchige Beschwerdefrist nach § 63 Abs. 2 Ziffer
1 FamFG gewahrt. Zwar ist der angefochtene Beschluss der betroffenen Jugendlichen
ausweislich der zur Akte gelangten Postzustellurkunde am 15.07.2010 durch Einlegung
in den Briefkasten unter der Wohnanschrift der Kindesmutter gemäß § 15 Abs. 2 FamFG
iVm. § 180 ZPO zugestellt worden, so dass die Beschwerdefrist hiernach mit Ablauf des
29.07.2010 endete, jedoch war diese Zustellung unwirksam und konnte deshalb die
Beschwerdefrist nicht in Gang setzen. Dabei kann dahinstehen, ob die Zustellung
analog § 178 Abs. 2 ZPO (OLG Saarbrücken, Urt. v. 12.11.2009, 8 U 518/08,
veröffentlicht bei juris) schon deshalb unwirksam ist, weil sie durch Einlegung in einen
gemeinsamen Briefkasten der Beschwerdeführerin und der Kindesmutter erfolgte und
die Kindesmutter "Verfahrensgegnerin" im Sinne dieser Vorschrift ist. Maßgeblich ist
vielmehr, dass die Beschwerdeführerin ihre Wohnung bei der Kindesmutter zumindest
im Zeitpunkt der Zustellung bereits aufgegeben hatte und daher eine Ersatzzustellung
durch Einlegung in den Briefkasten dort nicht mehr wirksam erfolgen konnte
(Zöller/Stöber, aaO., § 181 Rn. 2). In ihrer persönlichen Anhörung im Krankenhaus am
09.07.2010 hat sie ihren Willen bekundet, auf Dauer nicht mehr in die Wohnung der
Kindesmutter zurückkehren zu wollen. Spätestens nachdem ihrem geäußerten Willen
folgend dem Jugendamt mit dem angefochtenen Beschluss das
Aufenthaltsbestimmungsrecht mit dem erklärten Ziel übertragen worden war, sie in einer
stationären Jugendhilfemaßnahme weiter zu betreuen, war für verständige Dritte
erkennbar, dass sie im Haushalt der Kindesmutter auf absehbare Zeit nicht mehr
regelmäßig übernachten wird und damit auch eine Aushändigung des angefochtenen
Beschlusses in absehbarer Zeit an sie fraglich war (Zöller/Stöber aaO., § 178 Rn. 6).
Eine Heilung gemäß § 184 ZPO mehr als 14 Tage vor dem 06.08.2010 ist nicht
feststellbar.
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Jedoch fehlt der Beschwerdeführerin die erforderliche Beschwerdebefugnis. Ihre
Beschwerdebefugnis folgt nicht schon aus § 60 FamFG, der dem früheren § 59 Abs. 1
FGG entspricht. Diese Bestimmung regelt nur einen besonderen Fall der
Verfahrensfähigkeit und setzt das allgemeine Erfordernis der Beschwerdeberechtigung
nach § 59 Abs. 1 FamFG voraus (Zöller/Feskorn, aaO., § 60 FamFG Rn. 2; OLG Hamm,
Beschl. v. 18.09.1973, 15 W 144/73, MDR 1975, 45, 46; BayObLG, Beschl. v.
19.11.1974, BReg 1 Z 34/74, MDR 1975, 581). Dies wird von der Gegenmeinung
(Coester in Staudinger, BGB 2009, § 1666 Rn. 301; LG Kassel, Beschluss v.
30.06.1970, 10 T 6/70, FamRZ 1970, 597), die schon aus der aus der Vorläufervorschrift
zu § 60 FamFG, den bereits zitierten § 59 FGG, die Beschwerdebefugnis des
minderjährigen Betroffenen ableitet, verkannt.
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In der Kommentarliteratur wird überwiegend eine Beschwerdebefugnis des
Minderjährigen im Zusammenhang mit Entscheidungen nach § 1666 BGB
angenommen. Dabei wird jedoch oftmals nicht hinreichend nach der Art der Maßnahme
differenziert. So nimmt Meyer-Holz (in Keidel, FamFG, 16. Aufl., § 60 Rn. 10) unter
Hinweis auf eine Entscheidung des BayObLG (Beschl. v. 06.08.1981, BReg 1 Z 36/81,
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DAVorm 1981, 987 ff.) und einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm (aaO.)
eine Beschwerdebefugnis an. Beide Entscheidungen betreffen jedoch nur die
Fallgestaltung, dass das Gericht Maßnahmen nach § 1666 BGB abgelehnt hat und nicht
wie hier anordnet. Hinsichtlich der Entscheidung des BayObLG ist zudem festzuhalten,
dass sich lediglich der redaktionelle Leitsatz, nicht jedoch der veröffentlichte Teil der
Entscheidung selbst hierüber verhält. Dies gilt auch für Olzen (in MüKo BGB, 5. Aufl., §
1666 Rn. 240). Auch er bejaht eine Beschwerdebefugnis des mindestens
vierzehnjährigen Minderjährigen in allen seine Person betreffenden Angelegenheiten
unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des BayObLG (Beschl. v. 18.01.1982, BReg
1 Z 141/81, DAVorm 1982, 351, 354), die jedoch auch nur eine ablehnende
Entscheidung nach § 1631a Abs. 2 a. F. BGB als besondere Eingriffsnorm zu § 1666
BGB zum Gegenstand hatte. Die von dem OLG Stuttgart (Beschl. v. 05.10.1962, 8 W
225/62, Die Justiz 1962, 293 f.) begründete frühere Gegenmeinung, dass in Fällen, in
denen Maßnahmen nach § 1666 BGB abgelehnt worden sind, eine
Beschwerdebefugnis nicht besteht, wird hingegen soweit ersichtlich, nicht mehr
vertreten.
Soweit in der Kommentarliteratur ausdrücklich die Beschwerdebefugnis auch im Fall der
Anordnung von Maßnahmen nach § 1666 BGB gegen die Eltern bejaht wird, erfolgt dies
zum Teil ohne nähere Begründung (Briesemeister in Jansen, FGG, 3. Aufl., § 20 Rn. 57,
59 Rn. 12). Zum Teil wird darauf abgestellt, dass der Minderjährige ein Recht auf
elterliche Sorge hat, das mit der Sorgepflicht der Eltern aus § 1626 Abs. 1 BGB
korrespondiert (Zöller/Philippi, ZPO, 27. Aufl., § 621e Rn. 14a).
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Hiervon abzugrenzen ist die Annahme einer Beschwerdebefugnis bei der Anordnung
einer Vormundschaft oder Pflegschaft (Meyer-Holz aaO.; Bumiller/Harders FG FamFG,
9. Aufl., § 59 Rn. 9 u. 11; BayObLG, Beschl. v. 21.08.1964, BReG. 1a Z 195/63,
BayObLGZ 64, 277, 281). Hiergegen richtet sich die Beschwerde im vorliegenden Fall
nicht und ist damit nicht Verfahrensgegenstand. Denn die nach § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB
erforderliche Bestellung eines Ergänzungspflegers ist lediglich notwendige Folge des
teilweisen Entzugs der elterlichen Sorge.
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Eine Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführerin wegen des teilweisen Entzugs der
elterlichen Sorge besteht nicht. Ausgangspunkt aller Überlegungen hierzu ist die
Regelung des § 59 Abs. 1 FamFG. Hiernach setzt die Beschwerdebefugnis die
Beeinträchtigung eigener Rechte voraus. Der Begriff der Beeinträchtigung im Sinne des
§ 59 Abs. 1 FamFG, der insoweit identisch mit der früheren Regelung des § 20 Abs. 1
FGG ist, setzt voraus, dass mit der Entscheidung unmittelbar in ein im Zeitpunkt der
Entscheidung bestehendes subjektives Recht des Beschwerdeführers eingegriffen wird
(Zöller/Feskorn, aaO., § 59 FamFG Rn. 3). Als "Recht" in diesem Sinne ist jede durch
Gesetz verliehen oder durch die Rechtsordnung anerkannte, von der Staatsgewalt
geschützte und dem Beschwerdeführer zustehende Rechtsposition anzusehen; ein
bloßes berechtigtes Interesse an der Änderung oder Beseitigung der Entscheidung
genügt hingegen nicht (Zöller/Feskorn, aaO.). Als subjektives Recht kommt nur die in §
1626 BGB einfachgesetzlich normierte elterliche Sorge in Betracht. Dabei handelt es
sich jedoch nach allgmeiner Meinung zunächst nur um ein subjektives Recht der Eltern
(Huber in MüKo, BGB, aaO., § 1626 Rn. 7). Jedoch ist dieses Recht den Eltern nicht um
ihrer selbst willen, sondern im Interesse und zum Schutz des Kindes verliehen (Peschel-
Gutzeit, Staudinger, BGB, 2007, § 1626 Rn. 19). Es handelt sich um ein sogenanntes
Pflichtrecht, denn mit der elterlichen Befugnis korrespondiert die Pflicht, dieses Recht
ausschließlich zum Wohl des Kindes auszuüben (Huber in MüKo, aaO.). Dabei ist es
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von Verfassungswegen geboten, dass das Kind seinen Eltern als Träger eines Rechts
auf pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge gegenübertritt (Huber in MüKo,
aaO.), denn niemand darf bloßes Objekt der Rechte Dritter sein. Mit diesem Befund
korrespondiert jedoch nur die Annahme einer Beschwerdebefugnis des Minderjährigen
bei der Ablehnung von Maßnahmen nach § 1666 BGB. Denn nur so kann er eine aus
seiner Sicht nicht seinem Wohl dienende Ausübung der elterlichen Sorge zur
Überprüfung im Instanzenzug stellen. Im hier vorliegenden umgekehrten Fall greift
dieser Gesichtspunkt nicht, da die Beschwerdeführerin durch ihre Beschwerde gerade
zum Ausdruck bringt, dass aus ihrer Sicht die Ausübung der elterlichen Sorge durch die
Eltern in den betroffenen Teilbereichen Aufenthaltsbestimmungsrecht und
Gesundheitsfürsorge ihrem Wohl entspricht. Dem Erziehungsrecht der Eltern entspricht
auch nicht zwingend ein Recht des Kindes auf Erziehung nur durch die Eltern. Dies wird
bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift deutlich. Anders als § 1684 Abs. 1 BGB, der
ausdrücklich ein Umgangsrecht des Kindes normiert, fehlt dies bei der Normierung der
elterlichen Sorge. Auch geht die überwiegende Meinung in Teilbereichen der elterlichen
Sorge davon aus, dass Rechten der Eltern, die aus der elterlichen Sorge entspringen
nicht zwingend auch ein Recht des Kindes entsprechen muss (OLG Nürnberg, Beschl.
v. 29.02.2000, 11 UF 145/00, veröffentlicht bei juris, für den Fall der Versagung der
Einbenennung).
Mithin fehlt der Beschwerdeführerin in Ermangelung eines subjektiven Rechts auf
Erziehung durch die Eltern die erforderliche Beschwerdebefugnis.
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Ungeachtet ihrer Unzulässigkeit ist die Beschwerde auch in der Sache ohne Erfolg. Die
Voraussetzungen für einen vorläufigen teilweisen Entzug der elterlichen Sorge lagen im
Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung vor und dauern jeweils unter
Zugrundelegung des gebotenen summarischen Maßstabs an.
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Der durch den angefochtenen Beschluss angeordnete Teilentzug der elterlichen Sorge
zu Lasten der Kindesmutter findet seine Grundlage in den §§ 1666, 1666a BGB. Er ist
erforderlich, um bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Gefahr zu verringern,
dass die Beschwerdeführerin angesichts des Streits ihrer Eltern um ihren Aufenthalt,
sich erneut selbst gefährdet, wie dies durch die bewusste Überdosierung des
Medikaments Marcumar bereits geschehen ist. Zwar ist der Versuch des Jugendamtes,
die Situation der Beschwerdeführerin durch eine Fremdunterbringung zu verbessern, an
ihrem Widerstand gescheitert, jedoch hat der bisherige Verlauf gezeigt, dass sie
zumindest vorläufig nur unter dem Druck einer drohenden Fremdunterbringung davon
absieht, ihrem Willen durch erneute selbstgefährdende Handlungen Geltung zu
verschaffen. Dabei kommt ihre Bereitschaft, selbstgefährdendes Verhalten manipulativ
als Mittel zur Durchsetzung ihres Willens einzusetzen, deutlich in ihrer Zuschrift vom
22.07.2010 an das Amtsgericht zum Ausdruck, wo sie unverhohlen damit droht, dass es
zu einer gesundheitlichen Verschlechterung komme könne, wenn ihr Wille nicht
respektiert werde. Dabei verkennt der Senat nicht, dass bei der gebotenen vorläufigen
Betrachtung dieses Verhalten insbesondere eine Reaktion auf den elterlichen Streit ist.
Jedoch konnten die Kindeseltern diesem manipulativem Verhalten bisher keinen Einhalt
gebieten, sondern haben es noch gefördert, indem sie versuchten, hieraus jeweils in
ihrem Ringen um ihr Kind einen Vorteil zu ziehen, indem sie den jeweils anderen für
dieses Verhalten verantwortlich gemacht haben. Auch wird der Streit der Eltern
unvermindert fortgeführt, wofür sinnfälliger Ausdruck auch das von dem Kindesvater
eingeleitete und fortgeführte Hauptsacheverfahren ist.
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Minderschwere Maßnahmen, auf die Beschwerdeführerin und die Kindeseltern
einzuwirken, wie ambulante Hilfen, sind unzureichend, wie die Vergangenheit gezeigt
hat.
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Auch besteht angesichts der Bereitschaft der Beschwerdeführerin zur konkreten
Selbstgefährdung ein dringender Handlungsbedarf.
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Eine Rückübertragung der Gesundheitsfürsorge auf die Kindesmutter kommt derzeit
nicht in Betracht. Die Kindesmutter bietet keine Gewähr dafür, dass in wesentlichen
Gesundheitsfragen eine angemessene Behandlung erfolgt. Sie hat in der
Vergangenheit die psychosomatischen Beschwerden ihrer Tochter nicht zum Anlass
genommen, Hilfen einzufordern. Dies geschah erst, nachdem die behandelnde Ärztin
selbst das Jugendamt eingeschaltet hatte. Was ihre Klage angeht, ihre Tochter nehme
in ihrer Begleitung erforderliche Arzttermine wahr, ist festzuhalten, dass dies nicht
zwingende Aufgabe des Pflegers ist, sondern er sich insoweit Hilfspersonen bedienen
kann.
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Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 84 FamFG.
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Die Festsetzung des Wertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 41, 45 Abs. 1
Ziffer 1 FamGKG.
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