Urteil des OLG Düsseldorf vom 22.12.2010

OLG Düsseldorf (beschwerde, los, vergabeverfahren, angebot, genehmigung, amtsblatt, entgelt, notwendigkeit, preis, bieter)

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 43/10
Datum:
22.12.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 43/10
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der
Ver-gabekammer bei der Bezirksregierung Arnsberg vom 02. September
2010 (VK 16/10) aufgehoben, als er das Los 2 betrifft.
Der Antragsgegnerin wird untersagt, hinsichtlich des Loses 2 einen
Zuschlag zu erteilen, ohne zuvor eine Wertung unter Einschluss des
Angebotes der Antragstellerin durchgeführt zu haben.
Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen zu 1. gegen den Beschluss
der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Arnsberg vom 02.
September 2010 (VK 16/10) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens der Vergabekammer tragen die
Antragstellerin zu 72 % sowie die Antragsgegnerin und die Beigeladene
zu 1. als Gesamtschuldner zu 28 %.
Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Verfahren vor der
Verga-bekammer notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin tragen
die An-tragsgegnerin und die Beigeladene zu je 14 %. Die
Hinzuziehung eines Ver-fahrensbevollmächtigten durch die
Antragstellerin war notwendig.
Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Verfahren vor der
Verga-bekammer notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin
trägt die Antragstellerin zu 72 %.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Aufwendungen der Antragstellerin und der
Antragsgegnerin tragen zu 62 % die Antragstellerin und zu 38 % die
Antragsgegnerin.
Im Übrigen tragen die Verfahrensbeteiligten ihre Aufwendungen selbst.
Der Beschwerdewert betrug zunächst bis 80.000 €, nach dem 20.
Oktober 2010 bis 13.000 €.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
1
I.
2
Die Antragsgegnerin schrieb die Vergabe von Postdienstleistungen in zwei Losen aus.
Los 1 betraf die Bearbeitung der allgemeinen Postdienstleistungen, Los 2 die förmlichen
Zustellungsaufträge.
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Die Antragstellerin gab Angebote für beide Lose ab, und zwar für Los 2, das nur noch
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, wie folgt:
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"Eingeklebte Tabelle"
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Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 30. Juni 2010 mit, ein
Zuschlag solle hinsichtlich des Loses 1 an die Beigeladene zu 2. und für das Los 2 an
die Beigeladene zu 1. erfolgen. Das Angebot der Antragstellerin sei auszuschließen,
und zwar – soweit für das Beschwerdeverfahren noch von Belang – deshalb, weil es nur
ein Staffelentgelt ab 5.000 Stück enthalte.
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Nach erfolgloser Rüge hat die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren hinsichtlich
beider Lose eingeleitet. Sie hat die Auffassung vertreten, ihre Preisangabe sei
eindeutig. Sie verlange – entsprechend der eingereichten Genehmigung der
Bundesnetzagentur – ein Entgelt von 2,25 € je Zustellung; die in der Genehmigung
genannte Untergrenze von 5.000 Stück je Kalenderjahr würden ausweislich der
vorliegenden Zahlen mit 28.000 für das Jahr 2009 bei weitem überschritten. Eine
unzulässige Bedingung liege damit nicht vor. Sie hat daher beantragt,
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1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Angebot der Antragstellerin vom 27.
Mai 2010 nicht gemäß § 25 Nr. 1 VOL/A in dem Vergabeverfahren
"Briefpostdienste" gemäß der Veröffentlichungen im Supplement zum Amtsblatt der
Europäischen Union vom 01.05.2010 (AZ: 2010/S 85-128141) auf der Grundlage
ihrer Vorabmitteilung vom 30.06.2010 auszuschließen;
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2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren "Briefpostdienste"
gemäß der Veröffentlichungen im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen
Union vom 01.05.2010 (AZ: 2010/S 85-128141) hinsichtlich der Lose 1 und 2 in
den Stand vor Wertung des Angebots nach § 25 Nr. 1 VOL/A zurückzuversetzen
und die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der
Vergabekammer unter Einbeziehung des Angebots der Antragstellerin vom
27.05.2010 zu wiederholen.
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Die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu 1. haben beantragt,
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den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
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Sie haben zum Los 2 vorgetragen, die Preisangabe der Antragstellerin sei unzulässig.
Sie enthalte einen unzulässigen Vorbehalt und lasse zudem nicht erkennen, welcher
Preis für die "ersten" 5.000 Stück gelte.
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Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Was das Los 2
betrifft, hat sie ausgeführt, die Preisangabe der Antragstellerin sei zweideutig. Es sei
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unklar, ob die Preisangabe von 2,25 €/Stück sämtliche Zustellungen oder erst
Zustellungen ab dem 5.000. Stück betreffe. Zudem seien ihre
Nachunternehmererklärungen unklar. Des Weiteren hat die Vergabekammer u.a. die
notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen zu 1. der Antragstellerin auferlegt, ohne
allerdings die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten
auszusprechen.
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin. Soweit sie Los 1
betrifft, hat sie ihre Beschwerde zwischenzeitlich zurückgenommen. Ihre Preisangabe
sei eindeutig, der Preis gelte für sämtliche Zustellungen. Sie beantragt daher,
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unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses der Vergabekammer
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a) die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Angebot der Antragstellerin hinsichtlich
des Loses 2 vom 27. Mai 2010 nicht gemäß § 25 Nr. 1 VOL/A in dem
Vergabeverfahren "Briefpostdienste" gemäß der Veröffentlichungen im Supplement
zum Amtsblatt der Europäischen Union vom 01.05.2010 (AZ: 2010/S 85-128141)
auf der Grundlage ihrer Vorabmitteilung vom 30. Juni 2010 auszuschließen;
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b) die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren "Briefpostdienste"
gemäß der Veröffentlichungen im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen
Union vom 01.05.2010 (AZ: 2010/S 85-128141) hinsichtlich des Loses 2 in den
Stand vor Wertung des Angebots nach § 25 Nr. 1 VOL/A zurückzuversetzen und
die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der
Vergabekammer unter Einbeziehung des Angebots der Antragstellerin vom
27.05.2010 zu wiederholen.
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Die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu 1. beantragen,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung. Sie verweisen auch auf die ihrer
Ansicht nach unklare und widersprüchliche Preisangabe der Antragstellerin zu den
Nachforschungskosten.
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Die Beigeladene zu 1. hat zudem Beschwerde gegen die Weigerung der
Vergabekammer eingelegt, die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines
Verfahrensbevollmächtigten festzustellen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze
der Verfahrensbeteiligten, die Vergabekammerakte sowie die Vergabeakte verwiesen.
22
II.
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Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat, soweit sie aufrecht erhalten wird,
Erfolg. Ihr Angebot zu Los 2 konnte entgegen der von der Vergabekammer geteilten
Auffassung der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 1. nicht nach § 25 Nr. 1
VOL/A ausgeschlossen werden.
24
1.
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Wie der Senat bereits im Beschluss vom 04. Oktober 2010 ausgeführt hat, ist die
Preisangabe der Antragstellerin "ab 5.000 Stck. pro Kalenderjahr 2,25 €"
vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Es ist zwar richtig, dass nur Angebote mit
vollständigen und widerspruchsfreien Preisangaben gewertet werden dürfen (vgl. OLG
München, Beschluss vom 29.07.2010 – Verg 9/10). Das ist jedoch der Fall.
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a) Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin, der Beigeladenen und der
Vergabekammer fehlt für die "ersten" 5.000 Stck. nicht die Angabe eines Preises.
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Angebote sind wie sonstige Willenserklärungen auch auszulegen. Ergibt die Auslegung
eindeutig ein bestimmtes Ergebnis, kann das Angebot nicht wegen fehlender oder
unklarer Angaben ausgeschlossen werden (vgl. Dicks, in Kulartz/Marx/Portz/Prieß,
VOB/A, § 16 Rdnr. 41).
28
Die Preisangabe war vor dem Hintergrund ihrer – der Antragsgegnerin vorliegenden -
Genehmigung durch den Beschluss der Bundesnetzagentur auszulegen. Dies ist bereits
deshalb der Fall, weil das Entgelt von der Agentur zu genehmigen ist und von den
genehmigten Entgelten nach § 23 PostG nicht abgewichen werden kann. Nach der
Praxis der Bundesnetzagentur bedeutet die Formulierung "ab … Stück" bei
Staffelentgelten aber nicht, dass das betreffende Entgelt nur für die Zustellungen, die
über die genannte Menge hinausgehen, genehmigt wird, sondern für die Gesamtmenge.
Diese Praxis ist auch für die Auslegung des Angebotes maßgeblich.
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b) Die Bemerkung "ab 5.000" Stück stellt auch keinen unzulässigen Vorbehalt dar. Zwar
ist es richtig, dass Preisangaben unbedingt zu machen sind. Die Bemerkung stellte aber
nur einen Hinweis darauf ab, dass das Entgelt nur dann genehmigt war, wenn eine
Gesamtmenge pro Kalenderjahr von 5.000 Stück überschritten wurde. Das war
angesichts der Genehmigung sowie der Tatsache, dass die Entgelte
genehmigungspflichtig waren, eindeutig. Entgegen der von der Beigeladenen zu 1. im
Termin vom 08. Dezember 2010 vertretenen Auffassung macht es insoweit keinen
Unterschied, ob der Bieter den Preis "nur" in einem Begleitschreiben erläutert oder ob er
den Hinweis bei der Preisangabe macht. Beides ist gleichermaßen entweder zulässig
oder unzulässig.
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Auch die Tatsache, dass die Antragstellerin bei ihrer Kalkulation Staffelpreise
berücksichtigte und bei ihrer Preisangabe von einer Zustellmenge von mehr als 5.000
Stück pro Kalenderjahr ausging, ist nicht zu beanstanden. Dass die Zustellmenge diese
Zahl unterschreiten würde, ist zwar nicht vollständig ausgeschlossen, angesichts der
bisherigen und den Bietern mitgeteilten Zahlen aber sehr unwahrscheinlich.
Staffelpreise sind bei Großkunden üblich. Diese übliche Kalkulation hat die
Antragsgegnerin in den Verdingungsunterlagen nicht ausgeschlossen. Die Bieter
durften danach die Unterlagen so verstehen, dass sie ihrer Kalkulation die mitgeteilten
Zahlen zugrunde legen und die üblichen Staffelpreise als Preisangabe einsetzen
durften.
31
2.
32
Auch die Preisangaben der Antragstellerin zu "2.3 Adressrecherche" sind nicht
widersprüchlich. Ihre Angabe ist zwanglos so zu verstehen, dass die Adressrecherche
als solche kostenlos und nur die Zusendung einer Anschriftenbenachrichtigungskarte
an die Antragsgegnerin "…" € kosten sollte. Das gilt unabhängig davon, ob die
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Zusendung einer Anschriftenbenachrichtigungskarte obligatorisch war oder nicht.
3.
34
Auch die von der Vergabekammer angenommenen Ungereimtheiten zu den
eingesetzten Nachunternehmern liegen nicht vor.
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Wie der Senat bereits im Beschluss vom 04. Oktober 2010 ausgeführt hat, war der Bieter
nicht zur Ausfüllung eines Nachunternehmerverzeichnisses unter Darstellung der
einzelnen Einsatzgebiete verpflichtet. Auch aus Punkt 3 der Leistungsbeschreibung
ergibt sich dies nicht. Nach dieser Klausel mussten die Nachunternehmer hinsichtlich
des von ihnen übernommenen Zustellbereichs lizenziert sein. Dabei handelt es sich
"nur" um eine vertragliche Pflicht des Auftragnehmers, nicht um eine Obliegenheit des
Bieters, bereits im Vergabeverfahren seine Nachunternehmer offen zu legen und deren
Einsatzgebiete genau zu bezeichnen.
36
III.
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1.
38
Die Entscheidung zu den Kosten der Vergabekammer beruht auf § 128 Abs. 3 GWB.
39
2.
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Für die Entscheidung zu den Aufwendungen der Verfahrensbeteiligten im Verfahren vor
der Vergabekammer ist § 128 Abs. 4 GWB maßgeblich.
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a) Im Verhältnis der Antragstellerin und der Antragsgegnerin untereinander entspricht
die Quote dem Wertverhältnis der Lose 1 (hinsichtlich dessen der Nachprüfungsantrag
der Antragstellerin erfolglos geblieben ist) und 2 (hinsichtlich dessen ihr
Nachprüfungsantrag Erfolg hat). Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines
Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin ist nach § 128 Abs. 4 S. 4 GWB
i.V.m. § 80 Abs. 2, Abs. 3 S. 2 VwVfG NRW auszusprechen.
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b) Die Aufwendungen der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, § 128 Abs. 4 S. 2
GWB. Die Beigeladene zu 2. hat an dem Nachprüfungsverfahren nicht teilgenommen.
Die Beigeladene zu 1. hat zwar teilgenommen und Anträge gestellt, ihre Beteiligung
beschränkte sich aber auf das Los 2. Dass sie hinsichtlich des Loses 1
Nachunternehmerin der Beigeladenen zu 1. war – so ihr Vortrag in der mündlichen
Verhandlung vom 08. Dezember 2010 -, ist unerheblich; als solche ist sie nicht
beigeladen worden, sie hat auch nicht als Subunternehmerin der Beigeladenen zu 2.
Stellung genommen. Abgesehen davon dürfte eine Nachunternehmerstellung kein
Beiladungsgrund nach § 109 GWB sein; die bejahende Auffassung von Portz, in
Kulartz/ Kus/Portz,GWB, § 109 Rdnr. 21 m.w.N. beruht auf der Ansicht, dass auch
Nachunternehmern ein Interesse im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB zukommt (aA Senat,
Beschluss vom 14.05.2008, - VII-Verg 27/08).
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Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen zu 1., mit der sie sich gegen die
Nichtanerkennung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines
Verfahrensbevollmächtigten durch die Vergabekammer wendet, hat danach mangels
Erstattungsfähigkeit ihrer notwendigen Auslagen dem Grunde nach von vornherein
44
keinen Erfolg.
3.
45
Für die Kosten des Beschwerdeverfahrens gilt § 120 Abs. 2 i.V.m. § 78 GWB. Insoweit
gelten die Ausführungen zu 2. entsprechend. Die abweichende Quotierung
berücksichtigt die Tatsache, dass hinsichtlich des Verfahrensbevollmächtigten der
Antragstellerin infolge der teilweisen Rücknahme der Beschwerde eine
Verfahrensgebühr nur zu einem niedrigeren Streitwert angefallen ist. Die Beschwerde
der Beigeladenen zu 1. hat praktisch keine kostenmäßigen Auswirkungen.
46
4.
47
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 50 Abs. 2 GWB, wobei die Optionen
berücksichtigt wurden.
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Schüttpelz Frister Offermanns
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