Urteil des OLG Düsseldorf vom 22.12.2010

OLG Düsseldorf (beschwerde, ankauf, richtlinie, erwerb, käufer, auftraggeber, arztpraxis, dienstleistung, verkauf, berechtigung)

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 41/10
Datum:
22.12.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 41/10
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der
Vergabekammer bei der Bezirksregierung Detmold vom 08. März 2010
(VK.2-07/10) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Aufwendungen der Antragsgegnerin trägt die
Antragstellerin.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 87.000,00 €
festgesetzt
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
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I.
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Die Antragsgegnerin ist eine durch den Kreis H. gegründete Anstalt des öffentlichen
Rechts und betreibt in H. ein Klinikum. Ab 2008 führte sie mit dem Facharzt für
Radiologie Dr. X... Verhandlungen über den "Erwerb seines Kassenarztsitzes", um
neben der stationären Krankenhausbehandlung auch eine ambulante Versorgung mit
radiologischen Leistungen anbieten zu können. Im fraglichen Planungsbereich besteht
für diese Arztgruppe eine Überversorgung, es sind daher Zulassungsbeschränkungen
angeordnet, § 103 SGB V.
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Am 29. Juni 2010 unterzeichneten Dr. X... und die Antragsgegnerin ein Vertragswerk.
Danach verpflichtete sich Dr. X... daran mitzuwirken, dass seine Zulassung zur
vertragsärztlichen Versorgung auf dem Gebiet der Radiologie in H. auf die
Antragsgegnerin in zwei Stufen überging (vgl. § 103 Abs. 4a SGB V). Dazu gehörte
auch der "good-will" der Praxis, nicht aber Geräte und Inventar. Des Weiteren sollte Dr.
X... als Arbeitnehmer bei der Antragsgegnerin tätig werden.
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Dagegen hat die Antragstellerin, gleichfalls Inhaberin eines radiologischen
Facharztsitzes in dem Bezirk, einen Nachprüfungsantrag eingereicht. Sie hat das
Fehlen eines geregelten Vergabeverfahrens gerügt und beantragt,
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1. festzustellen, dass die Antragstellerin durch das Verhalten der Antragsgegnerin, ohne
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Durchführung eines Vergabeverfahrens nach den §§ 97 ff. GWB die radiologische
Arztpraxis und/oder den Vertragsarztsitz des Facharztes für Radiologie Dr. X... zu
erwerben, in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist,
2. geeignete Maßnahmen zu treffen, die festgestellten Rechtsverletzungen zu
beseitigen, insbesondere auszusprechen, dass der Vertrag über den Erwerb der
radiologischen Arztpraxis zwischen der Antragsgegnerin und dem Facharzt für
Radiologie Dr. X... gemäß § 101b Nr. 2 GWB unwirksam ist.
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Die Antragsgegnerin hat beantragt,
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den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
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Sie hat geltend gemacht, es fehle bereits an der Antragsbefugnis. Die Antragstellerin
interessiere sich lediglich ihrerseits für den "Erwerb des Kassenarztsitzes" Dr. X...s,
nicht jedoch für einen "Verkauf" ihres Facharztsitzes an die Antragsgegnerin, wie sich
aus dem Schriftverkehr und dem Inhalt der geführten Gespräche ergebe. Darüber hinaus
handele es sich bei dem "Ankauf eines Vertragsarztsitzes" nicht um einen öffentlichen
Auftrag im Sinne des § 99 GWB.
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Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag mangels Antragsbefugnis
zurückzugewiesen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie
beantragt,
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unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nach den vor der Vergabekammer
gestellten Anträgen zu erkennen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien sowie die Akte
der Vergabekammer verwiesen.
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II.
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Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Jedenfalls im Ergebnis zu Recht
hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurückgewiesen.
Dabei kann offenbleiben, ob der Antragstellerin – wie die Vergabekammer
angenommen hat – die Antragsbefugnis fehlt. Jedenfalls richtet sich ihr Antrag nicht auf
die Nachprüfung der Vergabe eines Auftrages im Sinne des § 99 GWB.
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1.
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Bei dem "Ankauf eines Vertragsarztsitzes" in einem Planungsbereich, für den
Zulassungsbeschränkungen bestehen, handelt es sich nicht um einen Lieferauftrag im
Sinne des § 99 Abs. 2 GWB, Art. 1 Abs. 2 lit. c) der Richtlinie 2004/18/EG.
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Der Antragstellerin ist zuzugeben, dass es sich bei funktioneller Betrachtungsweise (vgl.
dazu in anderem Zusammenhang Senat NZS 2008, 194) um die "Lieferung" eines
Vertragsarztsitzes handelt. Zwar wird nach § 103 Abs. 4a SGB V der Vertragsarztsitz
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nicht von dem Verkäufer auf den Käufer übertragen (anders möglicherweise im Falle
des S. 2, wonach das "medizinische Versorgungszentrum den Vertragsarztsitz
übernimmt"), vielmehr muss der "Verkäufer" auf seinen Vertragsarztsitz verzichten,
wonach er zwingend dem "Käufer" zugewiesen wird. Wirtschaftlich gesehen handelt es
sich bei diesem "Ankauf" um einen Kauf. Durch die von einer gewöhnlichen
Übertragung abweichende Rechtskonstruktion allein dürfte die Anwendbarkeit des
Vergaberechts nicht ausgeschlossen werden.
Gegenstand der Lieferung ist aber nicht eine "Ware" im Sinne des § 99 Abs. 2 GWB, Art.
1 Abs. 2 lit. c) der Richtline 2004/18/EG. Bei dem "Kaufgegenstand", dem
Vertragsarztsitz, handelt es sich um die öffentlich-rechtliche Berechtigung des Inhabers,
Versicherte der öffentlichen Krankenkassen zu behandeln und dafür ein Entgelt zu
erhalten. Die Vertragsarztzulassung ist damit nur als das rechtliche Gewand für die
Berechtigung und Verpflichtung des Inhabers zur Erbringung bestimmter entgeltlicher
Dienstleistungen und zur Abrechnung dieser Dienstleistungen gegenüber dem
öffentlichen Gesundheitssystem anzusehen (§ 95 Abs. 3 S. 1 SGB V). Damit ist aber
Gegenstand des Vertrages im Kern diese Dienstleistung und ist – ebenso wie der
"Verkauf" einer (mit einer Verpflichtung verbundenen) Dienstleistungsberechtigung
durch einen öffentlichen Auftraggeber - nach den dafür geltenden Grundsätzen zu
beurteilen (vgl. nachfolgend unter 2.).
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Der Senat hat bereits im Beschluss vom18. Oktober 2010 darauf hingewiesen, dass der
Ankauf von Patientendokumenten nicht ausreicht (vgl. EuGH, Urteil vom 06.05.2010 –
C-145/09, C-149/09) und Inventar und Geräte nicht mit angekauft werden.
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2.
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Bei dem Vertrag handelt es sich auch nicht um einen Dienstleistungsauftrag im Sinne
des § 99 Abs. 4 GWB, Art. 1 Abs. 2 lit. d) der Richtlinie 2004/18/EG.
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Für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages ist allerdings zunächst unerheblich,
dass es sich bei der fraglichen Dienstleistung um nichtprioritäre Dienstleistungen nach
Kategorie 25 (Anlage I Teil B zur VOL/A) handelt. Obwohl nach § 4 Abs. 4 VgV die
Vergaberegeln für solche Dienstleistungen nur beschränkt gelten, betrifft dies die
Zulässigkeit eines Nachprüfungsverfahrens nicht (vgl. in anderem Zusammenhang
Senat, NZBau 2010, 582).
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a) Soweit sich die Antragsgegnerin Leistungen Dr. X...s beschafft, handelt es sich nicht
um Dienstleistungen im vergaberechtlichen Sinne. Arbeitsverträge sind nach § 100 Abs.
1 (vor lit. a)) GWB, Art. 16 lit. e) der Richtlinie 2004/18/EG von der Geltung des
Vergaberechts ausgenommen.
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b) Ob die Antragsgegnerin selbst infolge des "Erwerbs des Vertragsarztsitzes" im
vergaberechtlichen Sinne zur Erbringung von Dienstleistungen verpflichtet ist (vgl. § 95
Abs. 3 S. 1 SGB V) und ob es sich im Verhältnis zum Zulassungsausschuss um einen
Dienstleistungsauftrag oder um eine Dienstleistungskonzession handeln würde, kann
offen bleiben. Vergaberechtspflichtig sind nur Verträge, durch die der öffentliche
Auftraggeber (hier die Antragsgegnerin) von einem Anderen (hier: Dr. X... oder einen
anderen Arzt) zu erbringende Dienstleistungen in Auftrag gibt. Das ist unter diesem
Aspekt gerade nicht der Fall.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 120 Abs. 2 i.V.m. § 78 GWB, die
Streitwertfestsetzung auf § 50 Abs. 2 GKG.
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Schüttpelz Frister Offermanns
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