Urteil des OLG Düsseldorf vom 22.12.2010

OLG Düsseldorf (angebot, klausel, auftraggeber, bieter, ausschluss, preis, kenntnis, rüge, bauarbeiten, pauschale)

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 33/10
Datum:
22.12.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 33/10
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin und der
Beigeladenen wird der Beschluss der Vergabekammer bei der
Bezirksregierung Arnsberg vom 06. Juli 2010 (VK 07/10) aufgehoben.
Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Vergabekammer sowie die der Antragsgegnerin und der
Beigeladenen im Verfahren vor der Vergabekammer entstandenen
notwendigen Auslagen trägt die Antragstellerin. Die Hinzuziehung von
Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin und die
Beigeladene war notwendig.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Auslagender Antragsgegnerin und der Beigeladenen
trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 387.500 €
festgesetzt.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
1
I.
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Die Antragsgegnerin schrieb Bauarbeiten (Straßenbau, Erd- und Kanalbau) europaweit
aus. Dem Formblatt "Aufforderung" zufolge sollte der Vordruck "HVA B-StB-EG-
Bewerbungsbedingungen" Bestandteil der Heftung sein. In Nr. 7 war vorgesehen, dass
"die anliegenden EG-Bewerbungsbedingungen … zu beachten" seien. Beigefügt war
jedoch nicht das Formblatt "HVA B-StB-EG-Bewerbungsbedingungen", sondern das für
nationale Ausschreibungen vorgesehene Formblatt "HVA B-StB-
Bewerbungsbedingungen". Dort hieß es unter "B. Ergänzung für den Straßen- und
Brückenbau" unter 3. wie folgt:
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Hauptangebote mit negativen Einheitspreisen werden von der Wertung
ausgeschlossen. Das gilt nicht, soweit negative Einheitspreise ausdrücklich für
bestimmte OZ (Positionen) in der Leistungsbeschreibung zugelassen sind.
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Unter 5. "Nebenangebote" hieß es dort:
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1. Nebenangebote mit negativen Einheitspreisen werden nur gewertet, wenn die
betreffende OZ (Position) als Pauschale angeboten wird.
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Entsprechende Vorschriften sind auch in den - nicht beigefügten - HVA B-StB-EG-
Bewerbungsbedingungen enthalten.
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Das Angebot der Beigeladenen enthielt in einigen Positionen negative Preise. Nach
Einholung zweiter sich widersprechender Gutachten entschied sich die
Antragsgegnerin, dem Angebot der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen. Dies rügte
die Antragstellerin nach Erhalt der Bietermitteilung und reichte nach Zurückweisung der
Rüge einen Nachprüfungsantrag ein.
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Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, unabhängig von der Verwechslung der
Formulare seien negative Preise unzulässig, das Angebot der Beigeladenen damit
auszuschließen. Sie habe davon auch nicht auf unlautere Weise Kenntnis erlangt. Sie
hat daher beantragt,
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1. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist,
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2. festzustellen, dass der beabsichtigte Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen
nicht erteilt werden darf, weil deren Angebot wegen der Abgabe negativer
Einheitspreise ausgeschlossen werden muss und demzufolge die Auftraggeberin zu
verpflichten, die Angebotswertung unter Berücksichtigung des Ausschlusses zu
wiederholen;
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3. hilfsweise, andere zur Wahrung der Rechte der Antragstellerin erforderliche
Anordnungen zu treffen.
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Antragsgegnerin und Beigeladene haben beantragt,
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den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
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Sie haben den Antrag für unzulässig erachtet, weil die Antragstellerin Kenntnis von den
zur Stützung ihres Antrages herangezogenen Tatsachen nur auf unlautere Weise
erlangt haben könne. Auf die fragliche Klausel könne ein Ausschluss des Angebots der
Beigeladenen bereits deswegen nicht gestützt werden, weil lediglich die nationalen
Bewerbungsbedingungen beigefügt gewesen seien, die aber nicht hätten gelten sollen.
Zudem sei das Verbot negativer Preise unwirksam. Die Beigeladene hat hinzugefügt,
das Verbot gelte nicht für Entsorgungsdienstleistungen, um die es hier gehe.
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Die Vergabekammer hat die Vergabestelle angewiesen, bei Fortbestand der
Vergabeabsicht vor Zuschlagsentscheidung die Angebote unter Ausschluss des
Angebots der Beigeladenen neu zu werten. Sie ist davon ausgegangen, die
Antragsgegnerin habe wirksam ein Verbot negativer Preise ausgesprochen. Das
Angebot der Beigeladenen habe in diesen Punkten keine ordnungsgemäßen
Preisangaben enthalten.
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Dagegen richten sich die Beschwerden der Beigeladenen und der Antragsgegnerin. Sie
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ergänzen und vertiefen ihre vor der Vergabekammer vertretene Auffassung und
beantragen,
unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses der Vergabekammer den
Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die Beschwerden zurückzuweisen.
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Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss unter Vertiefung ihres Vortrages vor der
Vergabekammer.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
22
II.
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Die zulässigen Beschwerden von Antragsgegnerin und Beigeladener haben Erfolg.
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Dabei kann offen bleiben, ob der Rüge der Antragstellerin entgegen steht, dass ihre
Kenntnis von den zu ihrer Begründung herangezogenen Tatsachen auf einem
unlauteren Verhalten beruht, wie die Antragsgegnerin und die Beigeladene meinen.
Denn der Nachprüfungsantrag ist jedenfalls unbegründet.
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1.
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Das Angebot der Beigeladenen kann nicht wegen der Angabe "negativer Preise" in
einigen Leistungspositionen ausgeschlossen werden.
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a) Das Verbot negativer Preise durch die Klausel in B.3 HVA-StB-
Bewerbungsbedingungen in Verbindung mit der Nichtzulassung negativer Preise in den
betreffenden Postionen ist unwirksam. Es wird durch die vergaberechtlichen
Bestimmungen nicht gedeckt.
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Unter welchen Bedingungen Angebote nicht zu berücksichtigen sind oder nicht
berücksichtigt werden können, ist in der – hier einschlägigen - VOB/A grundsätzlich
abschließend geregelt. Es ist dem öffentlichen Auftraggeber versagt, weitere
Ausschlussgründe zu bestimmen. Der Auftraggeber kann lediglich mittelbar
Ausschlussgründe dadurch schaffen, dass er bestimmte Angaben an bestimmter Stelle
in bestimmter Form fordert Des Weiteren kann er die Leistung grundsätzlich nach seinen
Wünschen in Leistungspositionen aufgliedern, jeder Leistungsposition bestimmte
Arbeiten zuordnen und verlangen, dass für die dort beschriebenen Arbeiten ein "echter"
Preis ausgewiesen wird (vgl. Dicks, in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOB/A, § 13 Rdnrn. 58
- 60). Schließlich kann er die Vertragsbestimmungen regeln, von denen der Bieter nicht
abweichen darf.
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Um solche förmlichen Anforderungen handelt es sich bei diesem Verbot jedoch nicht.
Vielmehr hat die Antragsgegnerin dadurch unzulässige inhaltliche Anforderungen,
nämlich an die Preishöhe, gestellt.
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Der Auftraggeber kann – von gesetzlich bestimmten Ausnahmen abgesehen (etwa
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gesetzliche Regeln über Preise von Leistungen, Mindestlöhne) – nicht den Preis oder
die Kalkulationsgrundlage für die von ihm durch eine Leistungsposition näher
beschriebene Teilleistung vorgeben. Die VOB/A sieht in § 25 Nr. 3 VOB/A lediglich bei
unangemessen hohen oder niedrigen Angebotspreisen eine nähere Prüfung vor, wobei
sich dies aber auf Gesamtangebotspreise und nicht Einzelpreise bezieht. Des Weiteren
kann erwogen werden, sittenwidrigen Einheitspreisen bei Leistungspositionen (vgl.
BGH NZBau 2009, 232 zu weit überhöhten Preisen bei Leistungspositionen, bei denen
der Bieter aufgrund seiner Sachkenntnis davon ausgeht, dass die Vordersätze –
Mengenansätze viel zu niedrig sind) bereits auf vergaberechtlichem Wege entgegen zu
treten; das kann damit gerechtfertigt werden, dass dem Auftraggeber nicht ein
Vertragsabschluss zugemutet werden kann, bei dem der Preis einer Leistungsposition
sittenwidrig und damit nichtig ist.
Darum geht es hier aber nicht. Der öffentliche Auftraggeber hat bestimmte
Leistungspositionen gebildet. Er kann zwar erwarten, dass der Bieter diese
Leistungsposition zutreffend kalkuliert, das heißt, bei der Kalkulation dieser
Leistungsposition sämtliche Leistungen berücksichtigt, die zu der betreffenden
Leistungsposition gehören, und andere Arbeiten bei den für sie zutreffenden
Leistungspositionen kalkuliert (vgl. BGH VergabeR 2004, 473). Er kann aber für die
näher beschriebenen Leistungen – von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen
– keine Mindestpreise festsetzen. Insbesondere kann der Bieter nicht gezwungen
werden, - wie hier nach der Kalkulation der Beigeladenen - bestimmte Gewinnspannen
einzurechnen.
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Eine derartige unzulässige Festsetzung von Mindestpreisen stellt es aber dar, wenn
negative Preise untersagt werden. Bei Arbeiten, bei deren Durchführung der
Auftragnehmer vermögenswerte Güter erhält (bei Bauarbeiten z.B. Abbruch- oder
Ausbaggerungsgut; bei Lieferungen Altgeräte; s. auch BGH, Beschluss vom 01.02.2005
– X ZB 27/04 – NZBau 2005, 290 = VergabeR 2005, 328: Altpapier bei Verträgen über
die Einsammlung von Altpapier), kann und darf der Bieter dies bei seiner Kalkulation
berücksichtigen. Dies kann zu negativen Preisen führen (vgl. BGH, a.a.O.). Der
öffentliche Auftraggeber kann dies nur dadurch verhindern, indem er einen
Eigentumserwerb des Auftragnehmers an den im Zuge der Arbeiten gewonnenen
Gütern ausschließt. Er kann aber nicht darüber hinaus einen Mindestpreis dadurch
festlegen, dass er bei dieser Fallgestaltung negative Preise untersagt (vgl. auch VHB
Bayern Ausgabe 2008, Richtlinie 320.StB unter 2.).
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Ein Verbot negativer Preise im Hauptangebot kann auch nicht dadurch gerechtfertigt
werden, dass nach B. zu 5. Abs. 1 der Bewerbungsbedingungen "Nebenangebote mit
negativen Einheitspreisen" zulässig sein sollen, "wenn sie als Pauschale angeboten
wird". Vergaberechtsverstöße zu Hauptangeboten werden nicht dadurch irrelevant, dass
Abweichungen von den Anforderungen in Nebenangeboten unter bestimmten
Umständen gestattet werden. Der Senat bemerkt im Übrigen, dass die vorgenannte
Klausel sprachlich widersprüchlich ist, wenn sie Einheitspreisangaben (§ 5 Nr. 1 lit. a)
VOB/A 2006) als Pauschalen (§ 5 Nr. 2 lit. b) VOB/A) zulässt; zudem ist fraglich, ob eine
Pauschale in den Fallgestaltungen, in denen sie eingreifen soll (Mengen und damit der
von dem Auftraggeber zu erzielende Erlös sind unklar), nach § 5 Nr. 1 lit. b) VOB/A
zulässig ist.
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b) Entgegen der Auffassung der Vergabekammer fehlt es bei einem negativen Preis
auch nicht an einer Preisangabe im Sinne der § 21 Nr. 1, § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b) VOB/A.
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Auch negative Preise sind Preise. Derartige Angaben erfüllen die Voraussetzungen, die
nach der Rechtsprechung des BGH (a.a.O.) an Preisangaben zu stellen sind. Sie sind
eindeutig und ermöglichen einen unmittelbaren Vergleich der Angebote.
Eine Mischkalkulation (vgl. BGH NZBau 2005, 594) liegt ersichtlich nicht vor.
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c) Die Unwirksamkeit des Verbots führt dazu, dass ein darauf gestützter Ausschluss des
Angebotes nicht möglich ist (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2010 – VII-Verg
47/10). Dem steht nicht entgegen, dass die Beigeladene die Klausel bis zum Ende der
Angebotsfrist nicht als vergaberechtswidrig gerügt hat. Allerdings bestand der Verstoß
der Antragsgegnerin gegen Vergaberecht bereits in der Stellung der Klausel in den
Verdingungsunterlagen, nicht erst in einer auf diese Klausel gestützten
Ausschlussentscheidung (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.01.2010 – 15 Verg
1/10). Die Frage der Zulässigkeit des Verbots negativer Preise ist bisher aber noch nicht
näher erörtert worden, die Problematik war damit für die Beigeladene nicht erkennbar
(§ 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB).
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d) Gründe für einen Ausschluss des Angebots nach § 25 Nr. 3 VOB/A liegen nicht vor.
Der Senat kann offen lassen, ob - obwohl der Gegenstand der Prüfung der Gesamtpreis
ist (vgl. Dicks, a.a.O., § 16 Rdnr. 234) - auch ungewöhnliche oder hoch spekulative
negative Preise in Einzelpositionen Anlass zu einem Verfahren nach § 25 Nr. 3 VOB/A
(jetzt § 16 Abs. 6 VOB/A 2009) bieten können; es besteht in diesen Fällen die Gefahr,
dass der Bieter bei erheblichen Preisrückgängen für das von ihm bei den Bauarbeiten
gewonnene Material in finanzielle Schwierigkeiten geraten kann. Derartiges liegt hier
jedoch nicht vor. Das Angebot der Beigeladenen ist auch in den betreffenden Positionen
realistisch kalkuliert, wie eine Untersuchung der Antragsgegnerin ergeben hat.
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2.
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Die Antragstellerin ist zwar nicht durch den unterlassenen Ausschluss des Angebots der
Beigeladenen, aber durch die unwirksame Klausel in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7
GWB verletzt.
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Dies hat jedoch keine vergaberechtlichen Folgen, Anordnungen nach § 114 Abs. 1,
§ 123 GWB sind nicht geboten. Denn die Bieterchancen der Antragstellerin sind
dadurch nicht beeinträchtigt worden (vgl. zu diesem Erfordernis Senat, Beschluss vom
14.04.2010 – VII-Verg 60/09; OLG München, Beschluss vom 21.05.2010 – Verg 2/10).
Sie hat nämlich – auch nach Erörterung dieses Punktes durch den Senat im Termin vom
24. November 2010 - nichts dafür dargetan, dass sie durch das – sich nunmehr als
rechtswidrig herausstellende – Verbot negativer Preise daran gehindert wurde,
ihrerseits negative Preise einzustellen, und zwar in einem Umfange, der die Differenz
zwischen dem Angebot der Antragstellerin und der Beigeladenen von rund 380.000 €
umgekehrt hätte.
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3.
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Ein Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften besteht des Weiteren darin, dass die
Antragsgegnerin das unzutreffende Bewerbungsblatt beigefügt hat.
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Ob die Antragstellerin mit einer entsprechenden Rüge nach § 107 Abs. 3 S. 1 GWB
ausgeschlossen wäre, kann offen bleiben. Jedenfalls ist nichts dafür ersichtlich, dass sie
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dadurch Nachteile zu erleiden droht.
III.
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Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren richtet sich nach § 120 Abs. 2
i.V.m. § 78 GWB.
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Die Entscheidungen über die Verteilung der Kosten des Verfahrens vor der
Vergabekammer beruht auf § 128 Abs. 3 bzw. Abs. 4 GWB. Die Beiziehung von
Verfahrensbevollmächtigten für die Antragsgegnerin und die Beigeladene war wegen
der unter 2. angesprochenen Rechtsfragen notwendig, § 128 Abs. 4 S. 5 i.V.m. § 80
VwVfG NRW.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 50 Abs. 2 GKG.
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Schüttpelz Frister Breiler
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