Urteil des OLG Düsseldorf vom 27.04.2007

OLG Düsseldorf: örtliche zuständigkeit, abgabe, abschiebungshaft, bezirk, rechtswidrigkeit, fortdauer, gerichtsverfassung, freiheitsentziehung, bindungswirkung, aufenthalt

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-3 SA 3/07
Datum:
27.04.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-3 SA 3/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Kleve, 22 XIV 210/06
Tenor:
Als örtlich zuständiges Gericht im Sinne des § 106 Abs. 2 Satz 2
AufenthG wird das Landgericht P. bestimmt, § 5 FGG.
I.
1
Das Amtsgericht K. hat am 18. August 2006 für die Dauer von längstens drei Monaten
Abschiebungshaft gegen den Betroffenen angeordnet. Seine sofortige Beschwerde ist
beim Landgericht ohne Erfolg geblieben. Auf die sofortige weitere Beschwerde hat der
Senat die landgerichtliche Entscheidung wegen Verfahrensfehlern aufgehoben. Am 17.
November 2006 wurde der Betroffene aus der Haft entlassen. Zuvor war ein
Haftverlängerungsantrag gestellt worden und hatte das Amtsgericht K. mit Beschluss
vom 16. November 2006 das Verfahren gemäß § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG an das
Amtsgericht P. abgegeben.
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Am 25. Januar 2007 hat der Betroffene um Feststellung der Rechtswidrigkeit der
Haftanordnung sowie eine Auslagenentscheidung zu seinen Gunsten nachgesucht.
3
Das Amtsgericht P. hat die Akten an das Landgericht K. übermittelt, das diese an das
Amtsgericht P. zurückgesandt hat, mit dem Bemerken, bei Antragseingang am
25.01.2007 sei das Verfahren bereits an das Amtsgericht P. abgegeben gewesen,
wodurch sich die örtliche Zuständigkeit – auch im Rechtsmittelzug - geändert habe.
4
Das Landgericht P. hat am 2. April 2004 seine Unzuständigkeit beschlossen und "den
Rechtsstreit" an das seiner Meinung nach zuständige Landgericht K. verwiesen. Zu
Begründung hat es u. A. ausgeführt, nach dem Wortlaut des Abgabebeschlusses des
Amtsgerichts K. vom 16. November 2006 habe sich die Abgabe nur auf künftige Anträge
auf Verlängerung der Abschiebungshaft bezogen. Damit seien dem Zusammenhang
nach lediglich Entscheidungen über etwaige künftige Anträge auf Verlängerung der
Abschiebungshaft gemeint, die jeweils ein selbständiges verfahren nach dem FEVG
einleiteten. Der vorliegende Antrag betreffe jedoch die Frage der Feststellung der
Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Amtsgerichts K., mit dem erstmalig die
Abschiebungshaft angeordnet worden sei. Auf die Abgabe dieses selbständigen
Verfahrens beziehe sich der Abgabebeschluss nicht.
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Das Landgericht K., das sich seinerseits für örtlich unzuständig hält, hat gemäß § 5 Abs.
1 Satz 1 FGG dem Senat die Akten zur Bestimmung des für die Entscheidung über den
Antrag des Betroffenen vom 25. Januar 2007 örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt und
ausgeführt, es sei schon zweifelhaft, ob eine Abgabe nach § 106 Abs. 2 Satz 2
AufenthG überhaupt zu einer Spaltung der örtlichen Zuständigkeit führen kann. Das
Gesetz sage nichts dazu, dass nur das Verfahren über die Fortdauer der
Abschiebungshaft abgegeben werden könne. Eine anstehende Entscheidung über die
Fortdauer der Abschiebungshaft sei lediglich Voraussetzung für eine Abgabe des
gesamten Verfahrens. Darüber hinaus könne in der Abgabeentscheidung des
Amtsgerichts K. vom 16. November 2006 eine Beschränkung "nur auf künftige Anträge
auf Verlängerung der Abschiebungshaft" nicht gesehen werden.
6
II.
7
1.
8
Der Senat ist gemäß §§ 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG; 3 Satz 2 FEVG; 5 Abs. 1 Satz 1
FGG zur Entscheidung über den zwischen den Landgerichten K. und P. bestehenden
Streit über die örtliche Zuständigkeit berufen, weil gemeinsames oberes Gericht der
streitenden Gerichte der Bundesgerichtshof ist und das zuerst mit der Sache befasste
Amtsgericht K./Landgericht K. zum Bezirk des OLG Düsseldorf gehört. § 5 FGG ist auch
anwendbar, wenn sich Landgerichte als Beschwerdegerichte nicht über die örtliche
Zuständigkeit einigen können (KG JFG 20, 118; Sternal in Keidel/Kuntze/Winkler 15.
Auflage 2003 § 5 Rdz. 21).
9
2.
10
Als örtlich zuständiges Gericht ist das Landgericht P. zu bestimmen.
11
a)
12
Ursprünglich war das Amtsgericht K. für die Anordnung der Abschiebungshaft zuständig
als das Gericht, in dessen Bezirk nach Rückführung des Betroffenen aus den
Niederlanden das Bedürfnis für die Freiheitsentziehung entstanden ist (§ 4 Abs. 1
FEVG). Hieraus leitet sich die örtliche (Erstbeschwerde-) Zuständigkeit des
Landgerichts K., des nach der Gerichtsverfassung übergeordneten Landgerichts, ab
(Kahl in Keidel/Kuntze/Winkler § 19 Rdz. 43).
13
Nachdem ein Antrag auf Haftfortdauer gestellt worden war, hat das Amtsgericht K. von
der Möglichkeit nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG Gebrauch gemacht, wonach das
Verfahren an das Gericht abgegeben werden kann, in dessen Bezirk die
Abschiebungshaft vollzogen wird. Danach ist nunmehr als Eingangsgericht das
Amtsgericht P. und – hiervon abgeleitet - als Erstbeschwerdegericht das Landgericht P.
örtlich zuständig. Der Abgabebeschluss nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist bindend,
was im Gesetzestext dadurch zum Ausdruck kommt, das das Amtsgericht durch
unanfechtbaren Beschluss entscheidet (KG FG-Prax 2006, 280; Senat FGPrax 1995,
168).
14
b)
15
Die Bindungswirkung von Abgabebeschlüssen ist auch im Rahmen der
Zuständigkeitsbestimmung nach § 5 FGG zu beachten (KG a.a.O.; Senat a.a.O.).
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Umstände, die den Abgabebeschluss des Amtsgerichts K. vom 11. November 2006 als
unwirksam und deshalb nicht bindend erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich. Dies
wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung offensichtlich die in § 106 Abs. 2 Satz 2
AufenthG eingeräumte Verweisungskompetenz überschreiten und deshalb der
gesetzlichen Grundlage entbehren würde (KG a.a.O.; BayObLG 1999, 57; Senat a.a.O.).
So liegen die Dinge hier aber nicht.
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Das Amtsgericht K. hat seine Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht P. nicht auf
Entscheidungen über etwaige künftige Anträge auf Verlängerung beschränkt. Damit,
dass das Amtsgericht K. die Abgabe mit dem gestellten Fortdauerantrag und dem
Aufenthalt des Betroffenen in der JVA begründet, gibt es lediglich die Voraussetzungen
des § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthaltsG wieder. Dass § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthaltsG
nur eine im Sinne der Auffassung des LG P.s eingeschränkte Abgabe erlaubt, also eine
uneingeschränkte Abgabe des Verfahrens verbietet, lässt sich der Vorschrift nicht
entnehmen.
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Dies hat zur Folge, dass der – auf einer nicht vertretbaren "Auslegung" beruhende -
Verweisungsbeschluss des Landgerichts P. mit Blick auf die zuvor unanfechtbar erfolgte
Abgabe durch das Amtsgericht K. keine zuständigkeitsbegründende Wirkung entfalten
konnte.
19
Danach ist nunmehr - abgeleitet von der Zuständigkeit des Amtsgerichts P. als
Eingangsgericht - das Landgericht P. als das örtlich zuständige (Erstbeschwerde-)
Gericht zu bestimmen.
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