Urteil des OLG Düsseldorf vom 07.07.2008

OLG Düsseldorf: form, sicherheitsleistung, zwangsvollstreckung, patentanspruch, prothese, leistungsfähigkeit, bestimmungsort, beendigung, gefahr, vorrang

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-2 U 90/06
Datum:
07.07.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-2 U 90/06
Tenor:
I. Auf Antrag der Beklagten wird die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil
der 4a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 20. Juli 2006
gegen Sicherheitsleistung der Beklagten in Höhe von 1.000.000 Euro
einstweilen eingestellt.
II. Der weitergehende Einstellungsantrag wird zurückgewiesen.
Der Einstellungsantrag der Beklagten hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen
Umfang Erfolg.
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Gemäß §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann, wenn gegen ein für vorläufig
vollstreckbar erklärtes Urteil Berufung eingelegt wird, die Zwangsvollstreckung aus dem
Urteil – gegen oder ohne Sicherheitsleistung – einstweilen eingestellt werden. Im
Rahmen der demnach zu treffenden Ermessensentscheidung hat das Gericht die
widerstreitenden Interessen des Gläubigers einerseits und des Schuldners andererseits
abzuwägen. Dabei hat es die Wertentscheidung des Gesetzgebers zu beachten, dass
grundsätzlich den Belangen des Vollstreckungsgläubigers der Vorrang gebührt. Der
Vorschrift des § 709 Satz 1 ZPO ist zu entnehmen, dass der Vollstreckungsschuldner in
aller Regel bereits durch die vom Gläubiger vor der Vollstreckung zu leistende
Sicherheit hinreichend geschützt ist. Es entspricht daher gefestigter Rechtsprechung,
dass in Fällen, in denen das angefochtene Urteil (wie hier) nur gegen
Sicherheitsleistung des Gläubigers vollstreckbar ist, eine Einstellung der
Zwangsvollstreckung allenfalls in Ausnahmefällen unter besonderen Umständen in
Betracht kommen kann (vgl. nur OLG Düsseldorf, MDR 1987, 415; OLG Celle, OLGZ
1993, 475 f.). Zu dieser allgemeinen Erwägung tritt im Bereich des Patentrechts noch
die Besonderheit, dass die Laufzeit des Patent und damit das von ihm vermittelte
Unterlassungsgebot zeitlich begrenzt ist, weshalb jedenfalls bei einem zeitnahen Ablauf
des Schutzrechts jedes Hinausschieben der Zwangsvollstreckung zu einem
vollständigen Leerlaufen des Unterlassungsanspruchs führen kann (BGH, GRUR 2000,
862/863 – Spannvorrichtung). Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist daher nur
gerechtfertigt, wenn entweder bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den
Einstellungsantrag bei der im Verfahren nach §§ 719, 707 ZPO gebotenen
summarischen Prüfung festgestellt werden kann, dass das angefochtene Urteil
voraussichtlich keinen Bestand haben wird oder wenn der Schuldner die Gefahr eines
besonderen Schadens darlegen und glaubhaft machen kann, der über die allgemeinen
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Vollstreckungswirkungen hinausgeht (Senat, Mitt. 1997, 257, 256 - Steinknacker; B. v.
30. Aug. 1999, Az. I - 2 U 103/99; zuletzt B. v. 21. Feb. 2008, Az. I - 2 U 57/07; allg. z.
ZwV. OLG Frankfurt/Main, MDR 1997, 393; OLG Köln, ZIP 1994, 1053).
Im Streitfall sind die Voraussetzungen der erstgenannten Alternative erfüllt. Das
erstinstanzliche Urteil wird voraussichtlich keinen Bestand haben, weil nach derzeitigem
Sach- und Streitstand mit der Vernichtung des Klagepatents in seiner jetzigen Form zu
rechnen ist. Die hiesige Beklagte hat gegen das Klagepatent Nichtigkeitsklage erhoben,
über die das Bundespatentgericht am 27. Mai 2008 mündlich verhandelt hat. In diesem
Termin hat die hiesige Klägerin, die Beklagte des Nichtigkeitsverfahrens, einen
Hilfsantrag B 5 gestellt. Auf Antrag der Nichtigkeitsklägerin hat sich das
Bundespatentgericht vertagt, um dieser Zeit für eine auf den Hilfsantrag B 5 gerichtete
Recherche zu geben. Dies lässt nur den Schluss zu, dass das Bundespatentgericht die
Vernichtung des Patents in seiner jetzigen Form beabsichtigt und eine
Aufrechterhaltung allenfalls in Form des Hilfsantrages B 5 erwägt. Es ist nicht
veranlasst, der Gegenseite eine Recherche zu einem Hilfsantrag zu ermöglichen, der
ohnehin nicht zu bescheiden wäre.
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Gegen eine solche Entscheidung des Bundespatentgerichts stünde der Klägerin als der
Nichtigkeitsbeklagten zwar der Rechtsweg zum Bundesgerichtshof offen. Der
Bewertung durch das Bundespatentgericht kommt jedoch aufgrund seiner besonderen
Sachkunde insoweit Bedeutung zu, als dass eine die Vernichtung des Patents
aussprechende Entscheidung des Bundespatentgerichts regelmäßig die Annahme
rechtfertigt, das Patent und damit auch die auf ihm beruhende Verurteilung werde
voraussichtlich keinen Bestand haben. Es entspricht daher der Praxis des Senats, in
einem solchen Fall die Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil
einzustellen (Senat, B. v. 13. März 2006, Az. I - 2 U 61/04).
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Dieser Konsequenz einer für sie negativen Entscheidung des Bundespatentgerichts in
Bezug auf die derzeitige Fassung des Patentanspruchs ist die Klägerin auch nicht
substantiiert entgegengetreten. Im Wesentlichen hat sie sich auf die Argumentation
beschränkt, das Klagepatent werde jedenfalls in der Fassung des Hilfsantrags B 5
aufrechterhalten werden, die angegriffenen Ausführungsformen erfasse es auch
weiterhin. Letzteres trifft nicht zu. Ob das Bundespatentgericht das Klagepatent
insgesamt vernichtet oder in Form des Hilfsantrags B 5 aufrecht erhält, kann
dahinstehen. Eine Aufrechterhaltung in Form des Hilfsantrags B 5 nutzt der Klägerin im
vorliegenden Verletzungsprozess nichts, unter einen derart gefassten Patentanspruch
würde keine der angegriffenen Ausführungsformen fallen. Das neu hinzutretende
Merkmal
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"wobei die Griffanordnung (40) an den Körper (18) angebunden ist"
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ist nicht verwirklicht.
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Der Bedeutungsgehalt dieses Merkmals, mit dem erstmals die Griffanordnung in den
Patentanspruch aufgenommen wird, erschließt sich aus dem Anspruch selbst nicht. Es
bleibt unklar, ob mit "angebunden" nur die Art der Befestigung oder eine zusätzliche
Sicherung gemeint ist. Letzteres dürfte allerdings schon deshalb näher liegen, weil die
Art der Befestigung des Griffs am Körper für den Verwendungszweck ohne Bedeutung
ist. Beide dienen nur dazu, die Prothese an ihrem Bestimmungsort zu platzieren. Gemäß
§ 14 S. 2 PatG sind daher die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung des
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Patentanspruchs heranzuziehen. Mit der Anbindung der Griffanordnung an den Körper
befasst sich die Beschreibung nur auf den Seiten 14 Zeile 28 bis 15 Zeile 5 der
deutschen Übersetzung des Klagepatents. Den entsprechenden Ausführungen der
Beklagten ist die Klägerin inhaltlich nicht entgegengetreten. Schon von daher muss das
mit dem Hilfsantrag B 5 eingeführte weitere Merkmal diesem Teil der Patentschrift
entnommen worden sein. Auch sprachlich orientiert es sich an der Formulierung im
einleitenden Satz dieses Abschnitts, lediglich das Wort "Ringanbringungsanordnung"
wurde durch "Körper" ersetzt. Danach dient das Anbinden der Griffanordnung an den
Körper der Schaffung einer Verbindung, die es dem Chirurgen ermöglicht, auch nach
der Lösung der Griffanordnung vom Körper - zur Schaffung eines besseren Sichtfeldes -
den Körper nach Beendigung des Annähvorgangs entfernen zu können. Bei der
Anbindung handelt es sich folglich um eine von der primären Verbindung der
Griffanordnung mit dem Körper zu unterscheidende zusätzliche Verbindung in Form
eines Sicherungsmittels, welches den Körper unverlierbar mit der Griffanordnung
koppelt.
Mit der bei ohnehin nur einem Teil der angegriffenen Ausführungsformen bestehenden
Verbindung zwischen dem Körper und einem diesen überbrückenden Träger ("Clutch")
in Gestalt einer Verschnürung mittels eines Fadens kann die merkmalsgemäße
Anbindung folglich nicht gleich gesetzt werden. Unabhängig von der Frage, ob der
"Clutch" bei den angegriffenen Ausführungsformen Teil des Körpers oder Teil der
Griffanordnung ist, handelt es sich bei dieser Verschnürung um die alleinige
Befestigung des Körpers am "Clutch" und damit nicht um eine daneben bestehende
zusätzliche Sicherung. Würde bei den angegriffenen Ausführungsformen der "clutch" mit
dem Griff zur Ermöglichung einer besseren Sicht vom Körper gelöst, bestünde keine
Möglichkeit mehr, den Körper (mit Hilfe dieses Fadens) zu entfernen.
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Da folglich unabhängig davon, ob das Patent ganz vernichtet oder in Form des
Hilfsantrages B 5 aufrecht erhalten werden wird, die Verurteilung der Beklagten
voraussichtlich keinen Bestand haben wird, ist es geboten, die Zwangsvoll-streckung
aus dem angefochtenen Urteil des Landgerichts einstweilen gegen Sicherheitsleistung
von 1.000.000 Euro einzustellen.
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Eine Einstellung ohne Sicherheitsleistung kommt nicht in Betracht. Sie ist in § 707 Satz
2 ZPO nur für den Fall vorgesehen, dass der Schuldner zur Sicherheitsleistung nicht in
der Lage ist und ihm die Vollstreckung außerdem einen nicht zu ersetzenden Nachteil
bringen würde. Zumindest für die erstgenannte Voraussetzung (mangelnder
Leistungsfähigkeit) haben die Beklagten nichts vorgetragen.
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