Urteil des OLG Düsseldorf vom 11.02.2009

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Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 64/08
Datum:
11.02.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 64/08
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der
Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 23. Oktober 2008
(VK VOL 23/08) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tra-
gen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu
160.000 Euro festgesetzt.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
1
I.
2
Der Antragsgegner schrieb im Mai 2008 einen Sukzessivlieferungsvertrag ohne
Abnahmeverpflichtung über die Ausstattung von cirka 6.000 Diktanten- und 7.000
Schreibarbeitsplätzen mit digitalen Diktiergeräten für die Justiz des Landes Nordrhein-
Westfalen im offenen Verfahren europaweit aus. Angebote waren bis zum 30. Juli 2008
einzureichen. Der Antragsgegner stellte die Ausschreibungsunterlagen ins Internet, die
auf Anfrage von Interessenten freigeschaltet wurden.
3
Die Leistungsbeschreibung bestand aus einem Allgemeinen Teil und einem
Anforderungskatalog, der seinerseits das Leistungsverzeichnis und die technischen
Rahmenbedingungen enthielt. In der Leistungsbeschreibung, Allgemeiner Teil unter
"2.9 Markteinführung/Produktstand" war als Mindestanforderung ausgeführt:
4
Das angebotene Produkt muss zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe käuflich
erwerblich sein. Von einer Markteinführung wird bei einem Verkauf der Produkte im
Internet durch mindestens drei voneinander unabhängige Endverkäufer
ausgegangen.
5
Die später zur Auslieferung bestimmten Geräte, sowie die Teststellung (Ziff. 2.8)
darf in keiner Weise von dem angebotenen Produkt abweichen. Insbesondere ist
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der Firmwarebestand mit der Angebotsabgabe festgeschrieben. Nur hiermit kann
eine Vergleichbarkeit die Angebote gewährleistet werden. Zudem wird somit der
spätere Einsatz in der Justiz sichergestellt werden.
Eine Abweichung der Teststellung vom angebotenen Produkt und eine fehlende
Markteinführung führen zum Ausschluss des Angebots von der Wertung.
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Im Anforderungskatalog der Leistungsbeschreibung unter "III c) Technischer Teil, III.c.1.
Mindestkriterien/Ausschlusskriterien" waren technische Anforderungen an die
Diktiergeräte – wie folgt – festgelegt:
8
Aufgrund der Anforderungen, die durch die bereits vorhandene
Softwareausstattung bestehen, muss das angebotene Gerät folgende
Eigenschaften aufweisen.
9
......
10
Unterstützung
Workflowsoftware
Das Gerät muss an die Workflowsoftware Thax Fidentity (Version
3.0 oder höher) angebunden werden können. Der dazu erforderliche
Aufwand darf über die Einbindung des SDK`s (Bem.: Software
Development Kits) nicht hinausgehen. Diese Einbindung ist über
eine entsprechende Erklärung der Fa. Thax nachzuweisen.
Speicherkapazität Aufgrund der erwarteten Vielzahl von Diktaten ist eine
Speicherkapazität von mind. 512 MB auf einem (externen)
Wechselspeicher (z.B. SD-Karte) erforderlich.
11
Die Antragstellerin, die am 30. Mai 2008 um Freischaltung der Verdingungsunterlagen
bat, stellte mit Schreiben vom 27. Juni 2008 und vom 9. Juni 2008 mehrere Fragen,
insbesondere zur Auslegung der Ziffern 2.9 der Leistungsbeschreibung. Die Fragen
beantwortete der Antragsgegner mit Schreiben vom 2. Juli 2008 und vom 14. Juli 2008,
die sie an alle Bieter übersandte.
12
Mit der "Ergänzung zur Leistungsbeschreibung" gab der Antragsgegner die
Bewertungsmethoden bekannt, anhand derer die Angebote geprüft werden sollten. Für
die letzte Wertungsstufe hatte der Antragsgegner eine Bewertungsmatrix erstellt und
den Bietern bekannt gegeben, anhand derer auch die technischen Leistungsmerkmale
der angebotenen Diktiergeräte mittels eines Punktvergabesystems bewertet werden
sollten. In der Bewertungsmatrix waren achtzehn Wertungskriterien in vier
Wertungsgruppen zusammengefasst. Dem einzelnen Wertungskriterium sollten bei
geringem Zielerfüllungsgrad Null bis drei Wertungspunkte, bei durchschnittlichem
Zielerfüllungsgrad vier bis sieben und bei hohem Zielerfüllungsgrad acht bis zehn
Wertungspunkte erteilt werden. Jedem Bewertungskriterium war zudem eine konkrete
Gewichtungspunktzahl (z.B. 1200, 800, ...) zugewiesen, mit der die erreichten
Wertungspunkte von Null bis zehn multipliziert werden sollten. Für jede Kriteriengruppe
war in Abhängigkeit von ihrer Bedeutung eine Mindestpunktzahl festgelegt. Das
Nichterreichen der Mindestpunktzahl einer Kriteriengruppe sollte nach den
Erläuterungen zur Bewertungsmatrix zum Ausschluss eines Angebots führen.
13
Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 16. Juli 2008 unter anderem, der
Antragsgegner habe sich geweigert, ihre Bieterfragen klar und eindeutig zu
beantworten. Ferner machte sie geltend, die Forderung nach einer Produkteinführung
des anzubietenden Gerätes nach Ziffern 2.9 des Allgemeinen Teils der
Verdingungsunterlagen sei unverhältnismäßig und innovationsfeindlich. Mit dem
Erfordernis der freien Käuflichkeit der Produkte habe der Antragsgegner eine von ihr,
der Antragstellerin, nicht erfüllbare Anforderung gestellt, da sie selbst die Produkte nicht
frei käuflich anbiete. Auch die Anforderung "Einheit des Diktiergeräts mit dem
erweiterten Software Development Kit" (nachfolgend SDK) verlange, dass das Gerät
und das SDK auf dem Markt als Kombinationsprodukt eingeführt sein müsse. Das
Erfordernis einer Einheit des Diktiergeräts mit externem Speichermedium von 523
Megabyte (MB) setze ebenfalls voraus, dass Diktiergerät mit externem Speichermedium
auf dem Markt frei käuflich erhältlich sein müsse. Die (technischen) Anforderungen der
Bewertungsmatrix seien zudem objektiv geeignet, das kein Metallgehäuse, keine
softwareseits belegbaren Schalter und längere Startzeiten aufweisende Diktiergerät,
welches von ihr, der Antragstellerin, angeboten werden könne, zu diskriminieren.
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Der Antragsgegner wies die Rügen der Antragstellerin mit Schreiben vom 18. Juli 2008
zurück. Daraufhin reichte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der
Vergabekammer ein.
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Die Vergabekammer lehnte mit Beschluss vom 23. Oktober 2008 den
Nachprüfungsantrag als unzulässig ab. Auf den Inhalt der Entscheidung wird Bezug
genommen.
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Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde, mit der sie die
Aufhebung und Neuausschreibung des Vergabeverfahrens begehrt. Sie macht geltend:
Die Forderung nach einer Markteinführung des Diktiergeräts als Einheit mit dem
externen Speichermedium und einem SDK sei willkürlich. Die Antragstellerin habe das
Kriterium der Markteinführung nicht anders verstehen können, als dass dieses Kriterium
für das Gerät als Einheit mit der externen Speicherkarte und dem SDK gelten sollte. Das
SDK sei technisch nicht dem Diktiergerät, sondern der Workflowsoftware zuzuordnen
und werde üblicherweise zusammen mit dieser vertrieben. Da das SDK nicht vom
Gerätehersteller, sondern vom Workflowanbieter bereitgestellt werde, könne sie die
Markteinführung für das SDK nicht nachweisen. Ferner seien die Anforderungen und die
Ausgestaltung der Bewertungsmatrix diskriminierend (§ 8 Nr. 3 VOL/A). Hilfsweise
macht sie geltend, der Antragsgegner habe die Pflicht zur eindeutigen und
erschöpfenden Leistungsbeschreibung (§ 8 Nr. 1 VOL/A) sowie zur Erteilung
sachdienlicher Auskünfte verletzt (§ 17 Nr. 6 VOL/A).
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Antragstellerin zudem geltend
gemacht: Auch die Ausgestaltung der Bewertungsmatrix habe sie an der Einreichung
eines Angebots gehindert. Ihr Diktiergerät könne die Höchstpunktzahl der drei
Wertungskriterien A.6.1 (Allgemeine Beschaffenheit des Gerätes), A.6.3 (Schalter und
Tasten) und A.6.4 (Gerätefunktionen) nicht erreichen. Da diese drei Wertungskriterien im
Verhältnis zu den anderen Wertungskriterien überproportional gewichtet worden seien,
könne das von ihr vertriebene Diktiergerät in der Anforderungsgruppe "Hardware" selbst
bei Vergabe von Höchstpunkten bei den anderen Wertungskriterien noch nicht einmal
die Mindestpunktzahl erreichen.
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Die Antragstellerin beantragt,
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1. den Beschluss der Vergabekammer vom 22. Oktober 2008 aufzuheben,
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2. die Aufhebung des Vergabeverfahrens zur Beschaffung von digitalen
Diktiergeräten für die Justiz NRW mit dem Geschäftszeichen 5470 ZIB 1701-2008
anzuordnen,
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3. dem Antragsgegner aufzugeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die
Auftragvergabe zur Lieferung von digitalen Diktiergeräten nur unter Verwendung
von Verdingungsunterlagen neu auszuschreiben, die den vergaberechtlichen
Grundsätzen der Gleichberechtigung, der Wirtschaftlichkeit und der
Produktneutralität und des Willkürverbots entsprechen.
22
Der Antragsgegner beantragt,
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die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
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Er macht geltend: Es sei in der Leistungsbeschreibung und mit den Antworten auf die
Bieterfragen nicht gefordert worden, dass die drei Produktkomponenten (Diktiergerät,
SDK und externe Speicherkarte) zeitgleich oder als Kopplungsangebot am Markt
käuflich erhältlich seien. Unzutreffend sei die Behauptung der Antragstellerin, dass das
SDK üblicherweise vom Workflowhersteller angeboten werde. Mit Ziffern 2.9 der
Leistungsbeschreibung sei lediglich nachzuweisen, dass Diktiergerät, SDK und externe
Speicherkarte jeweils für sich genommen markteingeführt, dass heißt praktisch erprobt
seien. Hintergrund der Anforderung "Markteinführung" sei, dass nicht jedes SDK und
jede externe Speicherkarte ein kompatibles Zubehör zu dem angebotenen Diktiergerät
darstelle. Hinsichtlich der freien käuflichen Erwerbbarkeit des SDK habe der
Antragsgegner auf Anfrage klargestellt, dass Nachfrager des vollständigen SDK im
Allgemeinen Integratoren seien, nicht aber die Verbraucher. Das Gerät müsse daher mit
dem vollständigen SDK für Integratoren verfügbar sein. Die erfolgreiche Einbindung des
SDK in die Workflowsoftware solle durch die Erklärung des Unternehmens Thax
nachgewiesen werden. Diesen Nachweis habe die Antragstellerin auch führen können.
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Für das Kriterium "Speicherkapazität" gelte die weitere Voraussetzung, dass das
angebotene Diktiergerät mit der (externen) Speicherkapazität markteingeführt sei. Das
Erfordernis der Markteinführung habe sich auch jeweils auf SDK und Speichermedium
erstreckt, da erst die "Einheit" bestehend aus Diktiergerät sowie den
Zubehörkomponenten SDK und externes Speichermedium das "Produkt" im Sinne von
Ziffern 2.9 ausmache.
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Auch die Antragstellerin biete im Übrigen eine externe Speicherkarte auf gesonderte
Anforderung an, die nur im Lieferumfang des Diktiergeräts als Zubehör enthalten sei, so
dass auch sie in der Lage gewesen sei, die freie käufliche Erwerbbarkeit der
Speicherkarte nachzuweisen. Es komme nicht darauf an, ob die Einzelkomponenten
zeitgleich oder in Form eines Kopplungsangebots (Pakets) auf den Markt gebracht
worden seien.
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Die Wertungskriterien A.6.1. (Allgemeine Beschaffenheit des Gerätes), A.6.3. (Schalter
und Tasten) und A.6.4. (Gerätefunktionen) der Bewertungsmatrix seien sachlich
gerechtfertigt. Dass die Höchstpunktzahl beim Bewertungskriterium A.6.1. nur erreicht
werden könne, wenn das Gerät eine Metallgehäuse aufweise, sei im Interesse der
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Langlebigkeit der Geräte im Dienstgebrauch gerechtfertigt. Dass die Vergabe der
Höchstpunktzahl beim Kriterium A.6.3. nur möglich sei, wenn die Schalter softwareseits
belegbar seien, liege im Interesse der optimalen Auspassung des einzelnen Geräts an
den jeweiligen Nutzer. Zur Erzielung der Höchstpunktzahl beim Kriterium A.6.4. sei eine
Startzeit von unter fünf Sekunden erforderlich. Dies sei aus Nutzersicht gerechtfertigt, da
die Geräte auch in mündlichen Verhandlungen von den Gerichten eingesetzt werden
sollten.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst
Anlagen verwiesen. Die Vergabeakten und die Verfahrensakten der Vergabekammer
lagen vor.
29
II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.
31
a) Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 107 Abs. 2 GWB), soweit sie behauptet hat,
durch die Forderung nach einer Markteinführung des Diktiergeräts als Einheit mit
erweitertem SDK und externer Speicherkarte in Rechten verletzt worden zu sein. Nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (VergabeR 2004, 473, 474= NZBau 2004,
457) ist es ausreichend, dass der den Nachprüfungsantrag stellende Bieter schlüssig
behauptet, dass und welche vergaberechtlichen Vorschriften im Verlauf des
Vergabeverfahrens verletzt worden sein sollen und dass er ohne die Rechtsverletzung
eine Chance auf Erteilung des Zuschlags hätte, so dass der eingetretene oder der
drohende Schaden auf die Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften zurückzuführen
ist. Solchen Vortrag hat die Antragstellerin mit dem Nachprüfungsantrag angebracht. Die
Antragstellerin hat auch ihr Interesse an der Erteilung des Auftrags bekundet. Zwar hat
sie kein eigenes Angebot eingereicht. Es kann jedoch offen bleiben, ob sie mit ihrer
Bitte um Freischaltung der Verdingungsunterlagen ihr Interesse an der Erteilung des
Auftrags ausreichend bekundet hat. Im Ausgangspunkt zutreffend ist zwar die
Auffassung der Vergabekammer, dass nach der ständigen Rechtsprechung der
Oberlandesgerichte Unternehmen, die kein Angebot abgegeben haben, substantiiert
darlegen müssen, an der Angebotseinreichung gerade durch ein vergabewidriges
Verhalten des Antragsgegners gehindert worden zu sein (vgl. BayObLG, Beschl. v.
4.2.2003 - Verg 31/02, VergabeR 2003, 345; Brandenburgisches OLG, VergabeR 2005,
138; OLG Koblenz, NZBau 2000, 445, 446; OLG Rostock VergabeR 2002, 193; vgl.
OLG Düsseldorf, NZBau 2004, 688, 689 unter II.1. b)). Nach dem schlüssigen
Vorbringen der Antragstellerin war sie gehindert, ein chancenreiches Angebot
einzureichen, weil sie nicht über ein markteingeführtes Diktiergerät verfüge, das eine
körperliche Einheit mit der Speicherkarte und dem SDK bilde. Im Übrigen ist jedenfalls
in der Rüge vom 16. Juli 2008 sowie in dem Nachprüfungsantrag eine ausreichende
Interessenbekundung an der Vergabe des Auftrags zu sehen.
32
b) Die Antragstellerin hat auch ihre Rügeobliegenheit nicht verletzt (§ 107 Abs. 3 GWB).
Die Antragstellerin war nicht verpflichtet, schon im Zeitpunkt der Freischaltung und
Kenntnisnahme der Verdingungsunterlagen Anfang Juni 2008 zu rügen, dass das
Erfordernis der Markteinführung von Diktiergerät, Speichermedium und Diktiergerät als
körperliche Einheit sie in Rechten verletze. Die Rügeobliegenheit entsteht erst,
nachdem der Antragsteller von der zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens
gemachten Nichtbeachtung von Vergaberechtsvorschriften weiß. Dies setzt die positive
Kenntnis aller tatsächlichen Umstände, aus denen die Beanstandung im
33
Nachprüfungsverfahren abgeleitet wird, sowie die zumindest laienhafte Wertung voraus,
dass sich aus ihnen eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren
ergibt. Wie auch sonst, wenn das Gesetz auf positive Kenntnis abstellt, bilden eine
Ausnahme nur die Fälle, in denen der Antragsteller sich der vorausgesetzten und ihm
möglichen Erkenntnis bewusst verschließt. Ansonsten reicht (anders als im Fall des im
Streitfall nicht einschlägigen § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB) bloße Erkennbarkeit nicht aus
(BGH, Beschl. v. 26.9.2006 - X ZB 14/06, VergabeR 2007, 59, 65 Rn. 35 und ständige
Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschl. v. 16.2.2005 - VII-Verg 74/04, VergabeR 2005,
364, 367 m.w.N.). Um die Notwendigkeit einer Rüge und deren Unverzüglichkeit
beurteilen zu können, bedarf es - vom Ausnahmefall eines Sich-der-Erkenntnis-
Verschließens abgesehen - im Rahmen des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB deshalb der
Feststellung, dass und ab wann der Antragsteller die Umstände kannte, aus denen sich
eine Verletzung von Vergabevorschriften ergibt, und dass er damit zumindest laienhaft
tatsächlich die Annahme eines Vergaberechtsverstoßes verbunden hat. Ist dem
Antragsteller hingegen nicht zu widerlegen, dass er auf den behaupteten
Vergaberechtsverstoß nur geschlossen oder ihn vermutet hat, ohne davon positive
Kenntnis zu haben, ist eine Rüge vor Anbringung des Nachprüfungsantrags entbehrlich
(vgl. Senat, Beschl. v. 8.12.2008, VII-Verg 55/08, Umdruck S. 8).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist im Streitfall folgendes festzustellen: Zwar hat
die Antragstellerin nach Freischaltung der Verdingungsunterlagen im Internet am 30.
Mai 2008 durch den Antragsgegner zumindest seit Anfang Juni 2008 Kenntnis von
Ziffern 2.9 der Verdingungsunterlagen. Sie verfügte jedoch nicht feststellbar über die
erforderliche Rechtskenntnis. Es kann der Antragstellerin nicht widerlegt werden, dass
sie positive Kenntnis vom Vorliegen eines Vergaberechtsverstoßes erst nach Zugang
und Auswertung der Antwort der Antragsgegnerin vom 14. Juli 2008 auf die Bieterfrage
vom 2. Juli 2008 erlangt hat. Der Umstand, dass sie mit den Schreiben vom 27. Juni und
2. Juli 2008 Fragen zur Auslegung von Ziffer 2.9 der Leistungsbeschreibung gestellt hat,
zeigt nur, dass sie einen Vergaberechtsverstoß vermutet hat. Für die Annahme von
positiver Rechtskenntnis genügt dies nicht. Der Antragsgegner, der die Darlegungs- und
Beweislast für eine Rechts- und Tatsachenkenntnis der Antragstellerin trägt, hat eine
frühere Rechtskenntnis nicht dargelegt und auch keinen Beweis angeboten.
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Die Rüge ist damit unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern erfolgt, nämlich mit
Schreiben vom 16. Juli 2008 und nur einen Tag nach Zugang des Antwortschreibens
vom 14. Juli 2008.
35
2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet.
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a) Die Antragstellerin ist durch das Erfordernis der Markteinführung der Produkte in
Ziffern 2.9 der Leistungsbeschreibung nicht in Rechten verletzt.
37
aa) Das Ausschlusskriterium der Markteinführung im Zeitpunkt der Angebotsabgabe
verlangt nicht, dass das angebotene Diktiergerät mit dem SDK und der SD-
Speicherkarte als gegenständliche Einheit (etwa in Form eines Kombinationsangebots
oder Pakets) am Markt eingeführt, das heißt frei käuflich erwerblich ist. Diese Forderung
hat der Antragsgegner auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt mit ihren Antworten auf
die Bieterfragen der Antragstellerin erhoben.
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Die Ziffern "2.9 Markteinführung/Produktstand" war als Mindestanforderung bezeichnet
und lautete wie folgt:
39
Das angebotene Produkt muss zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe käuflich
erwerblich sein. Von einer Markteinführung wird bei einem Verkauf der Produkte im
Internet durch mindestens drei voneinander unabhängige Endverkäufer
ausgegangen.
40
Die später zur Auslieferung bestimmten Geräte, sowie die Teststellung (Ziff. 2.8)
darf in keiner Weise von dem angebotenen Produkt abweichen. Insbesondere ist
der Firmwarebestand mit der Angebotsabgabe festgeschrieben. Nur hiermit kann
eine Vergleichbarkeit die Angebote gewährleistet werden. Zudem wird somit der
spätere Einsatz in der Justiz sichergestellt werden.
41
Eine Abweichung der Teststellung vom angebotenen Produkt und eine fehlende
Markteinführung führen zum Ausschluss des Angebots von der Wertung.
42
Das Kriterium der Markteinführung ist trotz der den Wettbewerb beschränkenden
Wirkung auf am Markt eingeführte Produkte sachlich gerechtfertigt. Das Erfordernis der
Markteinführung soll sicherstellen, dass Diktiergerät, SDK und Speichermedium mit der
Workflowsoftware Thax Fidentity kompatibel sind. Bei einer nicht am Markt eingeführten
SDK-Software besteht die Gefahr, dass eine Kompatibilität von Diktiergerät, SDK,
Speichermedium und Workflowsoftware nicht auf Anhieb gewährleistet ist, sondern
Anpassungsleistungen in erheblichem Umfang erforderlich sind. Die Antragstellerin
wäre von diesem Kriterium nicht in Rechten betroffen, weil sie über am Markt
eingeführte Produkte verfügt, wie noch darzulegen sein wird.
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Mit dem Kriterium der Markteinführung im Sinne von Ziffern 2.9 der
Leistungsbeschreibung war aber lediglich gefordert, dass Diktiergerät, SDK und
externes Speichermedium jeweils für sich genommen am Markt eingeführt sein müssen.
Der Begriff "Produkt oder Produkte" in Ziffer 2.9 erfasste sowohl die Diktiergeräte als
auch die Software SDK und ein externes Speichermedium, wie zum Beispiel eine SD-
Karte. Wie die Gesamtschau der technischen Anforderungen unter III.c.1. und III.c.2.
zeigen, waren Gegenstand der Ausschreibung ein Diktiergerät, ausgestattet mit einem
SDK sowie einem (externen) Speichermedium. Daraus folgt zugleich, dass "Produkt"
bzw. "Produkte" im Sinne der Ziffer 2.9 die mit der Leistungsbeschreibung geforderte
Hard- und Software sein sollte.
44
Das Erfordernis der Markteinführung, das heißt der freien käuflichen Erwerbbarkeit,
bezog sich aus der Sicht eines fachkundigen, mit dem Vertrieb von Diktiergeräten
befassten Bieters nicht nur auf das Diktiergerät, sondern auf alle vom Bieter zu
liefernden Hard- und Softwarekomponenten, wobei es ausreichte, dass jede
Komponente für sich am Markt eingeführt war. Nicht verlangt war in 2.9 der
Leistungsbeschreibung nachzuweisen, dass Diktiergerät, SDK und externes
Speichermedium als körperliche Einheit auf dem Markt eingeführt sind und als
einheitliches Produkt angeboten werden (z.B. in Form eines Kombinationsangebots
bestehend aus Diktiergerät, SDK und Speicherkarte als im Lieferumfang enthaltenes
Zubehör). Ein solches Verständnis durch einen verständigen Bieter ist fernliegend und
hätte in der Leistungsbeschreibung ausdrücklich gefordert werden müssen.
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Dem fachkundigen Bieter war nämlich bekannt, dass die Kompatibilität eines
Diktiergeräts mit der vorhandenen Workflowsoftware "Thax Fidentity" und der
Netzwerkumgebung nur über eine SDK-Software herzustellen war. Da auf dem Markt
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der Diktiergeräte eine Vielzahl von SDK und Speichermedien angeboten werden, war
es Sinn und Zweck der Anforderung "Markteinführung", die Kompatibilität von
Diktiergerät, SDK und Speichermedium mit der Workflowsoftware zu gewährleisten.
Dies folgt schließlich auch daraus, dass die Markteinführung in unmittelbaren
Zusammenhang mit der "Teststellung der Produkte" genannt ist. Die Teststellung sollte
zusätzlich - über den Nachweis der Markteinführung hinaus - die Kompatibilität von
Gerät, SDK und externem Speichermedium mit der Workflowsoftware im Praxistest
belegen.
Eine unmöglich von der Antragstellerin zu erfüllende Anforderung liegt in dem Nachweis
der Markteinführung nicht. Dabei ist aus Sicht des fachkundigen Bieters nicht von
Belang, ob die SDK`s nur von Softwareherstellern oder aber (auch) von
Geräteherstellern zusammen mit dem Diktiergerät angeboten werden. Es entspricht den
tatsächlichen Marktgegebenheiten, dass Hard- und Software für Rechnersysteme aus
einer Hand angeboten werden. Daran orientieren sich auch die Nachfrager, wie hier der
Antragsgegner. Auch die Antragstellerin hat erklärt, wie sich aus ihrer Bieterfrage 1.b)
vom 2. Juli 2008 ergibt, dass sie ein Diktiergerät mit einem auf dem Markt eingeführtem
SDK liefern (bereitstellen) kann. Damit hat sie zugleich zu erkennen gegeben, dass
auch sie das Erfordernis der Markteinführung in 2.9 der Leistungsbeschreibung
dahingehend verstanden hat, dass die Markteinführung sich auf Diktiergerät, SDK und
Speichermedium jeweils für sich genommen bezieht. Wie die Antragstellerin tatsächlich
die Anforderung von der Markteinführung verstanden hat, ist jedoch nur von indizieller
Bedeutung. Entscheidend ist allein, wie ein fachkundiger, Diktiergeräte herstellender
Bieter die Anforderung aufgefasst hat.
47
Auch wenn das vom Antragsgegner bestrittene Vorbringen der Antragstellerin in der
Bieterfrage 1.b) vom 2. Juli 2008 zuträfe, dass nur Workflowanbieter das SDK im
Zusammenhang mit der jeweiligen Workflowsoftware anbieten, so vermag dies eine
Unzumutbarkeit der Anforderung nicht zu begründen. Es bedeutet in der Sache keinen
wesentlichen Unterschied, ob ein Bieter die Lizenzen für ein markteingeführtes SDK bei
einem Dritthersteller (Geräte- oder Softwarehersteller) oder Vorlieferanten beschaffen
muss. Die Kosten für die Beschaffung der Lizenzen an einem markteingeführten SDK
konnten als Kostenfaktor in die Kalkulation des Preises für das Diktiergerät einbezogen
werden (s. Preisblatt). Die Antragstellerin musste lediglich nachweisen, dass SDK-
Software und externes Speichermedium eines Drittherstellers (Geräte- oder
Softwarehersteller) jeweils für sich genommen auf dem Markt eingeführt sind. Im
Übrigen konnte die Antragstellerin, soweit - entgegen III.c.1. Satz 2 (Der dazu
erforderliche Aufwand darf über die Einbindung des SDK`s nicht hinausgehen.) -
dennoch nicht vorhersehbare Anpassungsleistungen zwischen SDK und
Workflowsoftware erforderlich wären, sich der Fähigkeiten anderer Unternehmen
bedienen (vgl. § 7a Nr.3. Abs. 6 VOL/A).
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Die Anforderung unter 2.9 der Leistungsbeschreibung war deshalb auch nicht unklar im
Sinne des § 8 Nr. 1 VOL/A.
49
(bb) Der Antragsgegner hat mit den Antworten vom 2. und 14. Juli 2008 auf die
Bieterfragen vom 27. Juni und 9. Juli 2008 auch nicht nachträglich gegenüber allen
Bietern die Forderung erhoben, dass digitales Diktiergerät mit SDK und externem
Speichermedium als Einheit (z.B. als Kopplungsangebot mit SDK und/oder mit dem
Zubehör einer Speicherkarte) auf dem Markt eingeführt sein müssen. Die nachstehend
wiedergegebenen Fragen der Antragstellerin vom 27. Juni 2008 hat der Antragsgegner
50
wie folgt am 2. Juli 2008 beantwortet:
1d) Gelten die Anforderungen aus
Ziffer 2.9 des Allgemeinen Teils
des Anforderungskataloges zur
freien käuflichen Erwerblichkeit
auch angesichts der SDK-
Ausstattung? Ist eine freie
Erwerblichkeit von Geräten mit
SDK2-Ausstattung erforderlich?
Die Zielgruppe des SDK bilden im Allgemeinen
Integratoren, hier z.B. die Fa Thax und bildet mit
den Geräten einen Einheit. Aus diesem Grunde
umfasst auch die unter Ziff. 2.9 des Allgemeinen
Teils genannte Markteinführung/Produktstand auch
das SDK. Die Frage nach der Unterscheidung
nach SDK und SDK 2 kann hier nicht
nachvollzogen werden.
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Den Fragen der Antragstellerin unter Ziffer 1d) lässt sich nicht entnehmen, dass die
Antragstellerin den Vorgaben unter 2.9 der Leistungsbeschreibung die Bedeutung
beimaß, dass digitales Diktiergerät und SDK als körperliche Einheit auf dem Markt
eingeführt werden sollten. Zwar nehmen die Fragen Bezug auf die Ziffern 2.9 der
Leistungsbeschreibung, die den Begriff der Markteinführung mit der Formulierung "frei
käuflich erwerblich" gleichsetzt (vgl. Sätze eins und zwei der Ziffern 2.9). Obwohl die
Zielrichtung der sehr allgemein gehaltenen Frage nicht deutlich wird, ist die vom
Antragsgegner formulierte Antwort nicht unklar im Sinne des § 8 Nr. 1 VOL/A
ausgefallen. Aus Sicht eines öffentlichen Auftraggebers in der Situation des
Antragsgegners war die Frage der Antragstellerin nur so zu verstehen, ob das
Erfordernis der Markteinführung nach 2.9 der Leistungsbeschreibung auch hinsichtlich
der Software SDK, und zwar für sich genommen gilt. Der Satz 1 der Antwort zielt
deshalb darauf ab, klarzustellen, dass nicht der private Verbraucher als Nachfrager von
SDK auftritt, sondern Integratoren (auch Administratoren genannt: Betreuer eines
Rechnersystems bzw. eines Netzwerks) als Nachfrager (die "Zielgruppe") auf dem Markt
auftreten. Schon die Wahl des Begriffs "Integrator" (sich integrieren = sich in ein
übergeordnetes Ganzes einfügen) lässt darauf schließen, dass die Kompatibilität von
Diktiergerät mit der Workflowsoftware über das SDK erreicht werden soll. Soweit der
erste Satz der Antwort besagt, das SDK bilde mit den Geräten eine "Einheit", und der
zweite Satz eine Beziehung zum Kriterium der Markteinführung nach Ziffern 2.9 herstellt,
ergibt sich daraus nicht die Anforderung, dass Diktiergeräte und SDK als körperliche
Einheit (etwa in Form eines Kombinationsangebots oder des SDK als Zubehör) vom
Gerätehersteller auf dem Markt eingeführt sein müssen. Dieses enge rein körperliche
Verständnis misst die Antragstellerin dem von der Antragsgegnerin eingeführten Begriff
"Einheit" erstmals in ihrer ergänzenden Bieterfrage vom 2. Juli 2008 zu, wie noch
darzulegen sein wird. Der Begriff "Einheit" stellt aber in dem Kontext, in den er durch die
Bezugnahme auf 2.9 der Leistungsbeschreibung gestellt ist, ein Synonym für den
technischen Begriff "Kompatibilität" dar. Der Begriff "Kompatibilität" beschreibt die
Vereinbarkeit von Softwareprogrammen mit einer bestimmten Hardware, also im
vorliegenden Fall die Vereinbarkeit der Workflowsoftware Thax Fidentity mit dem
Diktiergerät, die durch die Einbindung der Integrationssoftware SDK`s hergestellt
werden soll. In der Leistungsbeschreibung unter III.c.1. "Unterstützung
Workflowsoftware" wird dies auch "Einbindung des SDK`s" oder "Anbindung des
Diktiergeräts" genannt. Nur in dem Sinn von technischer Vereinbarkeit/Kompatibilität ist
der Begriff "Einheit" aus Sicht eines fachkundigen Bieters und Herstellers von
Diktiergeräten auszulegen und zu verstehen. Der vom Antragsgegner eingeführte Begriff
"Einheit" trifft deshalb auch keine Aussage darüber, ob ein Bieter die Diktiergeräte mit
52
SDK und externem Speichermedium als Einheit (im Sinne von
Paket/Kopplungsangebot) zum Kauf anbieten muss, um das Erfordernis der
Markteinführung zu erfüllen.
Dieses Verständnis des Begriffs "Einheit" entspricht einer die beiderseitigen Interessen
berücksichtigende Auslegung (vgl. BGH, Beschl. v. 10.6.2008, X ZR 78/07, VergabeR
2008, 782, 787 - Tz.14). Die Interessenlage zeichnet sich dadurch aus, dass ein
öffentlicher Auftraggeber in der Rolle des Antragsgegners, der eine
Beschaffungsentscheidung über ein digitales Diktiergerät zu treffen hat, vor allem die
Kompatibilität zwischen der neu anzuschaffenden Hard- und Software mit dem
vorhandenen Hard- und Softwaresystem vom Bieter hergestellt und gewährleistet
wissen will. Zwischen einer markteingeführten SDK-Software und einem
markteingeführten Diktiergerät einerseits sowie der vorhandenen Workflowsoftware und
des aufgebauten Netzwerkes anderseits ist erfahrungsgemäß die Kompatibilität ohne
weitere Anpassungsleistungen zu gewährleisten. Aus technischer Sicht genügt es, dass
jede Komponente für sich genommen auf dem Markt eingeführt ist. Erst in zweiter Linie
besteht ein Interesse des Antragsgegners daran, alles (Hard- und Software) aus einer
Hand zu beziehen, wobei es für ihn nicht wesentlich ist, ob der Lieferant/Hersteller des
Diktiergeräts seinerseits das SDK von einem Dritthersteller/-lieferanten beziehen muss.
Diesem Interesse ist im Streitfall dadurch Rechnung getragen worden, dass der
Auftraggeber die Beschaffung von Hard- und Software gemeinsam ausgeschrieben hat.
Dass die Herbeiführung der Kompatibilität auch im Interesse des Bieters liegt, bedarf
keiner weiteren Darlegungen.
53
cc) Schließlich legen auch die Antworten des Antragsgegners vom 14. Juli 2008 auf die
mit Schreiben vom 2. Juli 2008 gestellten Bieterfragen kein rein körperliches
Verständnis des Begriffs "Einheit" nahe. Die Antragstellerin hatte in ihrer Bieterfrage
vom 2. Juli 2008 zu dem SDK folgende Fragen gestellt:
54
1.a) 1.b)…… Das erforderliche SDK stellt nach Ihrem Verständnis mit
dem zu liefernden Gerät eine Einheit dar, so dass die in Ziffer 2.9
geforderte Markteinführung die frei Käuflichkeit des Gerätes nebst
dem vorliegend erforderlichen SDK umfasst. Sofern wir die
Beantwortung zutreffend verstanden haben, dazu folgender Hinweis:
Die Funktionen DSS Recording und DSS Playing werden dabei durch
eine erweitertes SDK bereitgestellt, das je nach Anbieter z.Bsp. als
"SDK2" oder als "Speech Exec SDK" bezeichnet wird und einen extra
Lizenzerwerb erfordert. Der Lizenzerwerb erfolgt dabei regelmäßig
über die eingesetzte Workflowsoftware. Das heißt bei Einsatz der
jeweiligen Workflowsoftware wird der Lizenzerwerbsvorgang
ausgelöst. Das erweiterte SDK stellt daher gerade keine Einheit mit
dem Diktiergerät dar. Zwar ist eine Bereitstellung des erweiterten SDK
mit dem Gerät möglich. Da diese Kopplung von erweitertem SDK und
Gerät auf dem Markt üblicherweise jedoch nicht abgefragt wird,
können die Voraussetzungen einer Markteinführung im Sinne der
Ziffer 2.9 der Verdingungsunterlagen in Ansehung des Gerätes und
des erweiterten SDK als Einheit nicht erfüllt werden. Wir bitten daher
um Klarstellung, dass die Anforderung der Markteinführung im Sinne
der Ziffer 2.9 für den Verkauf des Diktiergerätes zusammen mit dem
erweiterten SDK nicht gilt. ….
Zu Ziffer 1.a)
und b) Es
werden keine
weitergehenden
Informationen
erteilt.
55
Erst mit der ergänzenden Bieterfrage 1 b) wurde aus Sicht eines öffentlichen
Auftraggebers in der Rolle des Antragsgegners deutlich, welche Bedeutung die
Antragstellerin dem Begriff "Einheit" tatsächlich beimaß. Die Antragstellerin greift in ihrer
Bieterfragen vom 2. Juli 2008 den von dem Antragsgegner mit Antwort vom 2. Juli 2008
eingeführten Begriff der "Einheit von Diktiergerät mit SDK" auf und misst ihm - vor dem
Hintergrund der Marktverhältnisse - einen rein körperlichen und keinen technischen
Bedeutungsgehalt zu. Diese Marktverhältnisse stellt die Antragstellerin in ihrer Frage
1.b) so dar, als dass Lizenzen am SDK regelmäßig mit den Lizenzen an der
Workflowsoftware erworben werden müssten (was der Antragsgegner allerdings auch
im Beschwerdeverfahren bestreitet). In diesem Sinne, so folgert die Antragstellerin,
stellten SDK und Diktiergerät im Hinblick auf die Markteinführung keine (körperliche)
Einheit dar. Diese beiden Sätze waren aus Sicht eines öffentlichen Auftraggebers in der
Rolle des Antragsgegners so zu verstehen, dass mit dem Angebot eines Diktiergeräts
"üblicherweise" kein Angebot auf Erwerb der Lizenzen an einem SDK gekoppelt ist. Da
die Antragstellerin aber selbst im nächsten Satz darauf hinwies, dass ihr eine
Bereitstellung des SDK (und der Lizenzen) zusammen mit dem Gerät möglich sei,
bedurfte es aus Sicht eines öffentlichen Auftraggebers keiner Klarstellung, dass das
Erfordernis der Markteinführung für Diktiergerät und SDK jeweils für sich genommen gilt.
Dies ergab sich schon aus 2.9 der Leistungsbeschreibung, die solches nicht verlangte.
Was die Markteinführung des Diktiergeräts mit SDK betraf, hatte der Antragsgegner
ohnehin das aus seiner Sicht technisch Erforderliche in seiner Antwort vom 2. Juli 2008
ausgeführt. Er durfte davon ausgehen, dass die Antragstellerin - trotz angeblich anderer
Marktgegebenheiten - in der Lage sei, Diktiergerät und SDK einschließlich der
erforderlichen Lizenzen "bereitzustellen", das heißt anzubieten und zu liefern und die
Markteinführung nachzuweisen.
56
dd) Die Antworten, die der Antragsgegner zu der Frage gab, ob das Kriterium der
Markteinführung in Ansehung des Diktiergeräts und des Wechselspeichers als Einheit
gelten, besagen ebenfalls nicht, dass das Diktiergerät, der Wechselspeicher und das
SDK eine körperliche Einheit bilden müssen (in Form eines im Lieferumfang des
Diktiergeräts enthaltenen Wechselspeichers/SDK). Die Antworten, die der
Antragsgegner zu den Bieterfragen 1 aa), 1 bb) und 1 cc) gab, sind ebenfalls im
Zusammenhang mit der Antwort vom 2. Juli 2008 auf die Bieterfrage vom 27. Juni 2008
auszulegen und zu verstehen. Diese lauteten folgendermaßen:
57
aa) Gilt auch die Forderung eines externen
Speichers zwingend (obwohl in Klammer
genannt)? bb) Gelten die Voraussetzungen
einer Markteinführung im Sinne von Ziffer
2.9 der Verdingungsunterlagen auch in
Ansehung des Diktiergerätes und des
Wechselspeichers als Einheit?
aa) Hierbei handelt es sich um ein
Mindestkriterium. bb) Die Ausstattung des
Diktiergerätes mit einem entsprechenden
externen Speichers ist als Einheit auch
im Sinne der Markteinführung zu sehen.
cc) Wenn ja, ist für die Markteinführung im
Sinne von Ziffer 2.9 der
Verdingungsunterlagen ausreichend, dass
die Speicherkarte zusätzlich zu einer
Grundausstattung des Diktiergerätes auf
cc) Wie aus Ziffer 2.9 des Allgemeinen
Teils ersichtlich muss das vollständige
Gerät (inkl. Speicherkarte) zum Zeitpunkt
der Angebotsabgabe frei käuflich
erwerbbar sein. Dabei ist das Zubehör,
58
Anforderung als Zubehör geliefert wird?
somit auch die Ausstattung mit einem
externen Speicher, inbegriffen.
Durch diese Antworten des Antragsgegners wird der Anforderung "Markteinführung" aus
Sicht eines fachkundigen Bieters nicht die Bedeutung beigelegt, diese sollte bezüglich
einer körperlichen Einheit bestehend aus Diktiergerät und SD-Karte als
Speichermedium (im Paket/Lieferumfang bzw. in der Grundaustattung des Diktiergeräts
ist eine Speicherkarte als kostenfreies Zubehör enthalten) nachgewiesen werden. Es
reichte vielmehr der Nachweis der Markteinführung hinsichtlich jeder Hard- und
Softwarekomponente für sich genommen aus. Auch insoweit besagt der Begriff "Einheit"
nur, dass zwischen dem digitalen Diktiergerät und dem Wechselspeicher eine
Vereinbarkeit (Kompatibilität) bestehen muss. Die Antwort des Antragsgegners vom 14.
Juli 2008 ist im Zusammenhang mit der Antwort vom 2. Juli 2008 auszulegen (§§ 133,
157 BGB). Die Antworten vom 2. und 14. Juli 2008 stehen dabei in einer
Wechselbeziehung. Dabei ist ausschlaggebend, dass die Antwort vom 2. Juli 2008 aus
Sicht eines fachkundigen Bieters so zu verstehen war, dass eine Kompatibilität
zwischen Diktiergerät, SDK und vorhandener Workflowsoftware herzustellen war. Dies
galt entsprechend auch für das externe Speichermedium in Form einer Speicherkarte
und das Diktiergerät. Die Antworten auf die Bieterfragen der Antragstellerin waren mithin
klar und eindeutig sowie sachgerecht.
59
b) Die Antragstellerin war durch das Ausschlusskriterium Markteinführung und auch
durch die Antworten des Antragsgegners auf die Bieterfragen nicht gehindert, ein
Angebot abzugeben, dass dem Erfordernis der Markteinführung entsprach. Es war ihr
vielmehr zuzumuten, ein Angebot vorzubereiten und einzureichen. Sie verfügt
mindestens seit 2007 über ein auf dem Markt eingeführtes und marktgängiges
Diktiergerät mit externem Speichermedium und konnte nach ihrem eigenen Vorbringen
in der Bieterfrage vom 2. Juni 2008 auch ein SDK einschließlich der erforderlichen
Softwarelizenzen anbieten ("bereitstellen"). Ein Speichermedium, nämlich eine SD-
Karte war zwar üblicherweise nicht in dem von ihr angebotenen Grundausstattung des
Diktiergeräts enthalten, sondern sie lieferte ein solches gegen ein gesondert verlangtes
Entgelt auf Anforderung als Zubehör, das für sich genommen auf dem Markt eingeführt
war. Sie konnte ein solches externes Speichermedium auch als Grundausstattung des
Diktiergeräts anbieten. Die Kosten hierfür sollten ausweislich des Preisblattes bei der
Kalkulation des Gesamtpreises für das Diktiergerät von den Bietern berücksichtigt
werden.
60
c) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin liegt auch keine produktspezifische
Ausschreibung im Sinne des § 8 a Nr. 5 VOL/A vor. Nach dieser Vorschrift darf, soweit
es nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, in den technischen
Spezifikationen nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft verweisen werden,
wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt werden.
Eine produktspezifische Ausschreibung liegt aber nicht nur dann vor, wenn ein
bestimmtes Produkt eines Herstellers namentlich in der Leistungsbeschreibung (etwa
als Leitfabrikat) genannt ist. Eine produktspezifische Ausschreibung liegt auch dann vor,
wenn die Leistungsbeschreibung so zugeschnitten und gestaltet ist, dass die in ihr
enthaltenen technischen Leistungsmerkmale nur durch die technischen Merkmale eines
bestimmten Erzeugnisses eines einzigen Herstellers erfüllt werden können. Die
Antragstellerin hat nicht dargelegt, dass nur das Produkt eines Herstellers die
61
technischen Leistungsmerkmale der Leistungsbeschreibung erfüllt. Tatsächlich sind auf
dem sachlichen Markt der digitalen Diktiergeräte neben der Antragstellerin noch zwei
weitere Hersteller mit digitalen Diktiergeräten vertreten, deren Geräte Gegenstand von
auch im vorliegenden Vergabeverfahren eingereichten Angebote sind. Es ist nicht
auszuschließen, dass beide Konkurrenzprodukte die in der Bewertungsmatrix
aufgeführten technischen Merkmale erfüllen. Der Senat hat deshalb auch keinen Anlass
von Amts wegen zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 8a Nr. 5 VOL/A für eine
produktspezifische Ausschreibung vorliegen.
Soweit die Antragstellerin beanstandet, in der Bewertungsmatrix beim Kriterium A.6.1.
"Allgemeine Beschaffenheit der Geräte" sei vorgesehen, dass die Höchstpunktzahl
vergeben werden soll, wenn das Gerät unter anderem ein Metallgehäuse aufweist, liegt
hierin kein Verstoß gegen § 8 a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A. Die Vorschrift erachtet es für
zulässig, dass der Auftraggeber technische Anforderungen in Form von Leistungs- oder
Funktionsanforderungen festlegt. Er darf dann jedoch ein Angebot, das einer nationalen
Norm oder europäischen Spezifikation entspricht nicht zurückweisen, wenn diese
Spezifikationen die von ihm geforderten Leistungs– und Funktionsanforderungen
betreffen. Ob es sich bei der technischen Vorgabe "Metallgehäuse" wegen ihres
konkreten und individuellen Charakters um keine technische Spezifikation im Sinne von
§ 8 a Nr. 2 VOL/A handelt oder ob unter technische Spezifikationen nur allgemeine
technische verallgemeinerungsfähige Anforderungen fallen (vgl. Anhang TS
Technische Spezifikationen; vgl. zur VOB/A: OLG München, Beschl. v. 11.8.2005, Verg
012/05, Umdruck S. 10, 11; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.10.2004, VII-Verg 56/04,
VergabeR 2005, 188, 191), kann dahinstehen. Die Antragstellerin hat jedenfalls nicht
dargelegt und nachgewiesen, dass das mit Gummi verstärkte Kunststoffgehäuse ihres
Diktiergeräts den vom Auftraggeber festgelegten Leistungs- und
Funktionsanforderungen, soweit es die Haltbarkeit und Stoßfestigkeit betrifft, entspricht.
62
d) Soweit die Antragstellerin ferner die Auswahl und die Gewichtung der in der
Bewertungsmatrix enthaltenen Wertungskriterien als sachlich nicht gerechtfertigt
beanstandet hat, soweit es die Kriterien A.6.1., A.6.3. und A.6.4. betrifft, ist kein
Ermessensfehler des Auftraggebers festzustellen.
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aa) Dass beim Kriterium "A.6.1. Allgemeine Beschaffenheit des Geräts" unter anderem
für die Erfüllung des technischen Merkmals Metallgehäuse acht bis zehn
Wertungspunkte vergeben werden können, während das Fehlen eines Metallgehäuses
mit einer Punktzahl von vier bis sieben Punkten bewertet wird, lässt ebenso keinen
Ermessenfehler des Antragsgegners erkennen. Dies gilt auch für den Umstand, dass
das Kriterium mit der Gewichtungspunktzahl 80 gewichtet werden soll. Sowohl die
Höchstpunktvergabe als auch die Gewichtung des Kriteriums tragen dem Umstand
Rechnung, dass die Beschaffenheit des Gehäuses aus Metall zu einer längeren
Gebrauchsdauer beiträgt. Erfahrungsgemäß müssen Diktiergeräte Schläge und Stöße
aushalten. Sie fallen auch schon mal zu Boden. Das Kriterium der Stossfestigkeit oder
Haltbarkeit des Gerätes ist nicht sachwidrig und seine Auswahl lässt einen
Ermessenfehler nicht erkennen.
64
bb) Der Umstand, dass beim Kriterium A.6.3. für softwareseits belegbare Schalter und
gute mechanische Eigenschaften vier bis sieben Punkte oder aber acht bis zehn
Wertungspunkte bei sehr guten mechanischen Eigenschaften und für softwareseits
belegbare Schalter vergeben werden, jedoch bei unzureichender Belegbarkeit von Null
bis zu drei Wertungspunkten, lässt ebenfalls keinen Ermessenfehler erkennen. Dass der
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Bedienkomfort, der für den Nutzer mit einer individuellen Belegbarkeit der Tasten steigt,
durch eine höhere Punktzahl und mit einer Gewichtungspunktzahl von 120 bedacht
wird, ist sachgerecht. Da in der Justiz Diktiergeräte erfahrungsgemäß an einem
Richterarbeitsplatz ständig im Einsatz sind, kommt der individuellen Belegbarkeit der
Bedienelemente ein hoher Stellenwert zu.
cc) Schließlich ist es nicht als ermessensfehlerhaft zu beurteilen, dass eine Dauer von
unter fünf Sekunden zur Herstellung der Diktierbereitschaft mit der Vergabe von acht bis
zehn Punkten bewertet werden kann. Das Kriterium ist nicht willkürlich festgelegt, da
Diktiergeräte auch in mündlichen Verhandlungen vor den Gerichten eingesetzt werden.
Durch eine kurze Dauer der Herstellung der Startbereitschaft auch aus dem Off-Modus
werden gerade bei Anhörungen von Zeugen und Parteien von diesen oftmals als lang
empfundene Pausen vermieden.
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Dem Umstand, das diesem Kriterium die höchste Gewichtungspunktzahl von 200
zugemessen wurde, beruht ebenfalls auf einer sachgerechten und willkürfreien
Ermessensentscheidung des Auftraggebers.
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e) Die Antragstellerin hat ferner in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend
gemacht, es sei ihr nicht zuzumuten gewesen, ein Angebot einzureichen, weil die
Gewichtung der drei Kriterien A 6.1, A.6.3 und A.6.4. in der Bewertungsmatrix es ihrem
Diktiergerät nicht ermögliche, die für den Wertungsbereich "AfG 6 Hardware"
vorgesehene Mindestpunktzahl zu erreichen. Der Umstand, dass selbst bei einer
Vergabe der höchsten Punktzahlen auf die verbleibenden fünf Kriterien ein Erreichen
der Mindestpunktzahl rechnerisch nicht möglich ist, ist nicht als ermessensfehlerhaft zu
beanstanden. Es ist allein Sache des Auftraggebers zu entscheiden, ob in einer
Kriteriengruppe durch eine hohe Bewertung anderer technischer Kriterien ein Ausgleich
von niedrigen Einzelbewertungen möglich ist oder nicht. Denn allein der Auftraggeber
bestimmt, welche technischen Anforderungen von wesentlicher Bedeutung sind.
Ermessensfehler, wie etwa eine fehlerhafte Feststellung des Sachverhaltes, hat die
Antragstellerin auch nicht aufgezeigt.
68
3. Der neue tatsächliche Vortrag der Verfahrensbeteiligten in den nicht nachgelassenen
Schriftsätzen vom 28. Januar und 3. Februar 2009 gibt keinen Anlass zur
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO analog)
69
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO analog. Die Entscheidung über
den Gegenstandswert beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.
70
Dicks
Dieck-Bogatzke
Frister
71