Urteil des OLG Düsseldorf vom 27.06.2008

OLG Düsseldorf: wiedereinsetzung in den vorigen stand, faires verfahren, gericht erster instanz, berufungsfrist, berufungsschrift, belastung, verschulden, zustellung, fürsorgepflicht, rechtshängigkeit

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-24 U 72/08
Datum:
27.06.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-24 U 72/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Wuppertal, 97 C 186/07
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal
vom 22.01.2008 (97 C 186/07) wird auf seine Kosten als unzulässig
verworfen.
Der Antrag des Klägers vom 04.04.2008, ihm nach Versäumung der Frist
zur Einlegung der Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren, wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
1
I.
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Mit Urteil vom 22.01.2008 das Amtsgericht Wuppertal über eine Mietzinsklage des
Klägers gegen die Beklagten entschieden. Dieses Urteil ist der
Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich ihres Empfangsbekenntnisses am
04.02.2008 zugestellt worden. Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom
26.02.2008, bei Gericht eingegangen am 27.02.2008, hat der Kläger bei dem
Landgericht Wuppertal Berufung gegen jenes Urteil eingelegt. Nach Hinweis der
Prozessbevollmächtigten der Beklagten auf die Zuständigkeitsregelung des § 119 Abs.
1 Nr. 1 lit. b GVG und die hieraus folgende Unzuständigkeit des Landgerichts Wuppertal
zur Entscheidung über die Berufung hat der Kläger mit Schrift seiner Bevollmächtigten
vom 04.04.2008 seine bei dem Landgericht eingelegte Berufung zurückgenommen.
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Ebenfalls mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 04.04.2008, eingegangen
bei Gericht am selben Tage, hat der Kläger bei dem Oberlandesgericht Berufung gegen
das Urteil des Amtsgerichts eingelegt, diese begründet und zugleich um
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Berufungsfrist
nachgesucht. Er macht geltend, seine Prozessbevollmächtigte habe wegen der
ausschließlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts Wuppertal gemäß § 29 a ZPO in
Verbindung mit § 23 GVG und Art. 5 EuGVÜ die Zuständigkeit des Landgerichts für die
Berufung nicht in Frage gestellt. Es sei Aufgabe des Landgerichts gewesen, auf die aus
§ 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG folgende Zuständigkeit des Oberlandesgerichts
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hinzuweisen. Das Landgericht sei seiner Prüfungs- und Hinweispflicht nicht
nachgekommen.
Im übrigen wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
5
II.
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Die Berufung des Klägers ist unzulässig. Er hat es versäumt, innerhalb der in § 517 ZPO
vorgeschriebenen Monatsfrist Berufung einzulegen. Sein Antrag auf Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist ist nicht begründet.
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1.
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Der Kläger war nicht gemäß § 233 ZPO schuldlos verhindert, rechtzeitig bei dem
Oberlandesgericht Düsseldorf als dem aufgrund der Vorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b
GVG zuständigen Rechtsmittelgericht die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts
Wuppertal einzulegen; denn die Versäumung der Berufungsfrist beruht auf einem
Verschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers, das gemäß § 85 Abs. 2 ZPO
einem Verschulden der Partei gleichsteht.
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Die Berufungsfrist endete am 04.03.2008, weil das angefochtene Urteil der
Prozessbevollmächtigten des Klägers am 04.02.2008 zugestellt worden war. Eine
Berufungsschrift hat diese bei dem zuständigen Oberlandesgericht erst am 04.04.2008
und damit um einen Monat verspätet eingereicht.
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Damit hat sie schuldhaft gehandelt, weil dieses Versäumnis für einen pflichtgemäß
handelnden Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre; denn bei einem Rechtsanwalt ist
die Kenntnis jedenfalls der Bundesgesetze vorauszusetzen, die er gewöhnlich
anzuwenden hat (Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl., § 233 Rdnr. 23 unter dem Stichwort
"Rechtsirrtum"; Senat n.v. Beschluss vom 25.11.2004, I – 24 U 192/04).
11
2.
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Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist auch ursächlich für die
Versäumung der Berufungsfrist geworden; denn es war dem von ihm zunächst
angerufenen Landgericht bei Einhaltung des üblichen Verfahrensablaufs nicht zumutbar
und auch nicht möglich, die bei ihm eingegangene Berufungsschrift so rechtzeitig an
das Oberlandesgericht weiterzuleiten, dass sie bis zum 04.03.2008 dort eingegangen
wäre.
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a)
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Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze zum fairen Verfahren als
allgemeinem Prozessgrundrecht, abgeleitet aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem
Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfG NJW 2001, 1343; NJW 2006, 1579), stehen dieser
Wertung nicht entgegen.
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Der Anspruch auf ein faires Verfahren besagt, dass der Richter das Verfahren so
gestalten muss, wie die Parteien des Zivilprozesses es von ihm erwarten dürfen (BVerfG
a.a.O.). Was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von
Verfassungs wegen geboten ist, hängt von einer Abwägung zwischen dem Interesse der
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Rechtssuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung und dem
Anliegen der Justiz ab, im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung
geschützt zu werden. Danach müssen der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten
die Verantwortung für die Ermittlung des richtiges Adressaten fristgebundener
Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte
verlagert werden (BVerfG a.a.O.).
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Abwägung zwischen den
betroffenen Belangen jedenfalls dann zugunsten des Rechtsuchenden ausfällt, wenn
das angegangene Gericht zwar für das Rechtsmittelverfahren nicht zuständig ist, jedoch
vorher mit dem Verfahren befasst war. Dieses Gericht treffe eine nachwirkende
Fürsorgepflicht, fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren im Zuge des
ordentlichen Geschäftsganges an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Eine ins
Gewicht fallende Belastung trete dadurch nicht ein, weil dem Gericht die Zuständigkeit
für das Rechtsmittel gegen seine eigene Entscheidung bekannt sei und deshalb die
Ermittlung des richtigen Adressaten, selbst wenn er im Schriftsatz nicht deutlich
bezeichnet sein sollte, keinen besonderen Aufwand verursache.
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Diese Überlegungen kommen dem Kläger indessen nicht zugute. Denn hier war das
Landgericht nicht bereits vorher mit dem Verfahren des Klägers befasst.
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b)
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Auch wenn die o.g. Verpflichtungen eines Gerichts gemäß den vom
Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen auf ein vorher noch nicht mit der
Sache befasstes Gericht ausgedehnt würden, führt das hier nicht zu einer Verletzung
dieser Pflichten durch das Landgericht. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden
(NJW 2006, 1579, unter II 2; vgl. auch BGH NJW 2005, 3776; GuT 2008, 144), dass sich
aus dem Grundrecht auf ein faires Verfahren und aus der sich daraus ergebenden
verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte keine generelle
Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit bei Eingang einer
Rechtsmittelschrift ableiten lässt. Dies enthöbe die Verfahrensbeteiligten und deren
Prozessbevollmächtigte ihrer eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Formalien
und überspannte die Anforderungen an die Grundsätze des fairen Verfahrens. Es wäre
mit dem Grundsatz nicht vereinbar, dass sich die Abgrenzung dessen, was im Rahmen
einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen
geboten ist, nicht nur am Interesse des Rechtsuchenden an einer möglichst weit
gehenden Verfahrenserleichterung orientieren kann, sondern auch berücksichtigen
muss, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung
geschützt werden muss.
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Der Vorsitzende der Berufungszivilkammer beim Landgericht Wuppertal war danach
nicht verpflichtet, bei der noch innerhalb der Berufungsfrist - nämlich am 29.02.2008 - an
ihn erfolgten Vorlage der Berufungsschrift, aus der sich hier gewichtige Anhaltspunkte
für einen Auslandsbezug im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG ergaben, die
abschließende Prüfung der Zuständigkeit so zu beschleunigen, dass gegebenenfalls
die Berufungsschrift noch vor Fristablauf an das Oberlandesgericht Düsseldorf
weitergeleitet werden konnte. Da es nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG auf den
allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit in erster
Instanz, also regelmäßig im Zeitpunkt der Zustellung der Klageschrift nach § 253 Abs. 1,
§ 261 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO ankommt, der von der aktuellen Anschrift einer Partei im
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Zeitpunkt des Urteilserlasses und der Berufungseinlegung durchaus abweichen kann,
reichte die Kenntnis der Berufungsschrift sowie des angefochtenen Urteils zur
endgültigen Beurteilung der Zuständigkeit nicht aus, sondern es bedurfte einer Kenntnis
der Akten, insbesondere der Angabe des Wohnsitzes in der Klageschrift (BVerfG,
a.a.O.). Die Prozessakten sind aber erst am 12.03.2004 bei dem Landgericht Wuppertal
eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt war die Berufungsfrist bereits abgelaufen.
Einer Verpflichtung des Vorsitzenden, sich diese Akten im Hinblick auf einen möglichen
Bezug zum Ausland schneller, als dies im ordentlichen Geschäftsgang zu erwarten
wäre, vorlegen zu lassen oder sich bei dem Berufungsführer oder dem Gericht erster
Instanz nach dem Wohnsitz bei Zustellung der Klage zu erkundigen, besteht nicht. Denn
eine solche Verpflichtung würde die Verfahrensbeteiligten der primär ihnen selbst
obliegenden Verantwortung für die Bestimmung des zuständigen Rechtsmittelgerichts
entheben (BGH GuT 2008, 144).
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Streitwert für die Berufungsinstanz: 2.437,74 €.
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