Urteil des OLG Düsseldorf vom 26.03.2009

OLG Düsseldorf: beschwerdekammer, wiederaufnahme des verfahrens, rechtliches gehör, aufschiebende wirkung, rechtskräftiges urteil, rechtskraft, festschrift, eingriff, patentanspruch, halter

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-2 U 41/08
Datum:
26.03.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-2 U 41/08
Tenor:
I. Die Restitutionsklagen werden abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerinnen.
III. Das Urteil ist für die Beklagte wegen der Kosten vorläufig
vollstreckbar. Die Klägerinnen dürfen die Zwangsvollstreckung gegen
Sicherheitsleistung von 110 % des zu vollstreckenden Betrages
abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 879 XXX, zu
dessen Benennungsstaaten u.a. die Bundesrepublik Deutschland gehört und das einen
Flüssigkeitsbehälter für Tintenstrahldrucker betrifft. Patentanspruch 1 des in englischer
Verfahrenssprache abgefassten Klagepatents lautet in seiner erteilten Fassung (in
deutscher Übersetzung) wie folgt:
3
"Flüssigkeitsbehälter für ein Tintenstrahlaufzeichnungsgerät, der dazu in der Lage
ist, von einem Tintenstrahlkopf zu verwendendende Flüssigkeit zu enthalten, wobei
der Flüssigkeitsbehälter an einem Halter abnehmbar montagefähig ist, der den
Tintenstrahlkopf hat, wobei der Flüssigkeitsbehälter folgendes aufweist:
4
einen Hauptkörper zum Aufbewahren einer Flüssigkeit;
5
eine Zuführungsöffnung zum Zuführen der Flüssigkeit zu dem Tintenstrahlkopf,
wobei die Zuführungsöffnung in einem Abschnitt angeordnet ist, der den Boden des
Behälters im Betrieb bildet;
6
einen ersten Eingriffsabschnitt, der an einer ersten Seite des Hauptkörpers
vorgesehen ist und daran angepasst ist, dass er mit seinem ersten Arretierabschnitt
des Halters in Eingriff gelangt, um den Flüssigkeitsbehälter während der Montage
drehbar zu halten;
7
und ein Stützelement, das durch den Flüssigkeitsbehälter elastisch gestützt ist und
sich von einer zweiten Seite, die zu der ersten Seite entgegengesetzt ist, erstreckt
und einen zweiten Eingriffsabschnitt an einer Außenseite von ihm hat, die von der
zweiten Seite des Hauptkörpers weggewandt ist, und zu einer Bewegung von der
zweiten Seite weg und zu der zweiten Seite hin in der Lage ist, wobei der zweite
Eingriffsabschnitt daran angepasst ist, dass er mit einem zweiten Arretierabschnitt
des Halters in Eingriff gelangt, wobei die Zuführungsöffnung zwischen dem ersten
Eingriffsabschnitt und dem zweiten Eingriffsabschnitt angeordnet ist."
8
Mit Urteil vom 20.01.2003 hat das Landgericht Düsseldorf (4b O 16/03) die zum A-
Konzern gehörenden Klägerinnen im Hinblick auf die aus der nachfolgenden Tabelle
ersichtlichen 16 Tintenpatronen wegen wortsinngemäßer Verletzung des Klagepatents
zur Unterlassung, zur Rechnungslegung, zur Vernichtung, zur Entschädigung und zum
Schadenersatz verurteilt.
9
Durch – rechtskräftiges – Urteil vom 17.11.2005 (I-2 U 2/04) hat der Senat die Berufung
der Klägerinnen gegen das landgerichtliche Erkenntnis mit der Maßgabe
zurückgewiesen, dass es im Urteilsausspruch statt "Stützelement" "Schnapp- und
Halteelement" heißt. Grund hierfür war, dass Patentanspruch 1 in einem von der
Klägerin zu 1) betriebenen Einspruchsverfahren durch Entscheidung des Europäischen
Patentamtes vom 22.04.2005 entsprechend geändert worden war.
10
Gegen die Einspruchsentscheidung haben sowohl die Klägerin zu 1) als auch die
Beklagte Beschwerde eingelegt. An der mündlichen Verhandlung vor der Technischen
Beschwerdekammer, die am 29.02.2008 stattgefunden hat, haben neben den jetzigen
anwaltlichen Vertretern der Klägerinnen (Rechtsanwalt Dr. B, Patentanwalt Dr. C),
welche die Klägerinnen im Übrigen auch in den vorausgegangenen
Patentverletzungsverfahren vertreten haben, Herr Dr. Christian D teilgenommen, der
nach der eigenen Einlassung der Klägerinnen (Schriftsatz vom 23.10.2008) der
zuständige Mitarbeiter der A Hardcopy (International) AG in der Schweiz ist. Am Ende
der Beschwerdeverhandlung hat die Technische Beschwerdekammer folgende
Entscheidung verkündet:
11
1. Die Einspruchsentscheidung wird aufgehoben.
12
13
2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung mit der Anweisung zurückverwiesen,
das Patent mit folgenden Unterlagen aufrecht zu erhalten:
14
15
Patentansprüche 1 bis 25 gemäß dem während der Beschwerdeverhandlung
überreichten 4. Hilfsantrag,
16
17
Beschreibung S. 3 in der mit Schriftsatz vom 29.01.2008 überreichten Fassung
sowie den S. 2 sowie 4 bis 23 gemäß der erteilten Fassung,
18
19
Zeichnungen gemäß der erteilten Fassung.
20
21
Das Sitzungsprotokoll vom 19.03.2008, dem der 4. Hilfsantrag beigeheftet war, wurde
dem Patentanwalt der Klägerinnen am 20.03.2008 zugestellt, die schriftlichen
Entscheidungsgründe folgten am 30.04.2008.
22
Durch die Einspruchsbeschwerdeentscheidung hat Patentanspruch 1 des Klagepatents
folgende – in Form einer Merkmalsgliederung wiedergegebene – eingeschränkte
Fassung erhalten (wobei die zusätzlich aufgenommenen Merkmale durch
Unterstreichen hervorgehoben sind):
23
1. Flüssigkeitsbehälter für ein Tintenstrahlaufzeichnungsgerät.
24
25
2. Der Flüssigkeitsbehälter
26
27
a. ist dazu in der Lage, von einem Tintenstrahlkopf zu verwendende Flüssigkeit zu
enthalten,
28
29
b. ist an einem Halter abnehmbar montagefähig, wobei der Halter den
Tintenstrahlkopf hat,
30
31
c. weist einen Hauptkörper zum Aufbewahren einer Flüssigkeit auf,
32
33
d. weist eine Zuführöffnung zum Zuführen der Flüssigkeit zu dem Tintenstrahlkopf
auf, wobei die Zuführöffnung in einem Abschnitt angeordnet ist, der den Boden
des Behälters im Betrieb bildet,
34
35
e. weist einen Belüftungsabschnitt für eine Fluidverbindung mit der Umgebung auf,
36
37
f. weist einen ersten Eingriffsabschnitt in Form eines hakenförmigen Vorsprungs auf,
38
39
g. weist ein Schnapp- und Halteelement auf.
40
41
3. Der erste Eingriffsabschnitt
42
43
a. ist an einer ersten Seite des Hauptkörpers vorgesehen,
44
45
b. ist daran angepasst, dass er mit einem ersten Arretierabschnitt des Halters in
Eingriff gelangt, um den Flüssigkeitsbehälter während der Montage drehbar zu
halten.
46
47
4. Das Schnapp- und Halteelement in der Form eines Verriegelungshebels
48
49
a. ist durch den Flüssigkeitsbehälter elastisch gestützt,
50
51
b. erstreckt sich von einer zweiten Seite (des Hauptkörpers), die zu der ersten Seite
(des Hauptkörpers) entgegengesetzt ist,
52
53
c. hat einen zweiten Eingriffsabschnitt in der Form eines Verriegelungshakens an
einer Außenseite von sich, die von der zweiten Seite des Hauptkörpers
weggewandt ist,
54
55
d. ist zu einer Bewegung von der zweiten Seite (des Hauptkörpers) weg und zu der
zweiten Seite (des Hauptkörpers) hin in der Lage.
56
57
5. Der zweite Eingriffsabschnitt ist daran angepasst, dass er mit einem zweiten
Arretierabschnitt des Halters in Eingriff gelangt zur Stützung des
Flüssigkeitsbehälters, in dem die Elastizität des Schnapp- und Halteelements den
Flüssigkeitsbehälter stützt und anhebt, während der zweite Eingriffsabschnitt
gelöst wird.
58
59
6. Die Zuführöffnung ist zwischen dem ersten Eingriffsabschnitt und dem zweiten
Eingriffsabschnitt angeordnet.
60
61
Mit Schriftsatz vom 23.06.2008 hat die Klägerin zu 1) gemäß Art. 112a EPÜ einen
Überprüfungsantrag an die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes
gerichtet, mit dem sie eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die
Technische Beschwerdekammer geltend macht. Eine Entscheidung hierzu steht derzeit
noch aus.
62
Mit ihren bei Gericht am 29.05.2008 eingegangenen Restitutionsklagen machen die
Klägerinnen geltend, dass die in dem Verfahren 4b O 16/03 LG Düsseldorf (I-2 U 2/04
OLG Düsseldorf) streitgegenständlichen Tintenpatronen der eingeschränkten Fassung
von Patentanspruch 1 des Klagepatentes nicht mehr unterfallen und dass deswegen die
eingangs genannten Verletzungsurteile aufzuheben sind. Im Einzelnen führen die
Klägerinnen aus, dass es an einem ersten Eingriffsabschnitt fehle, der die "Form eines
hakenförmigen Vorsprungs" aufweist. Ebenso wenig gebe es einen zweiten
Eingriffsabschnitt "in Form eines Verriegelungshakens". Schließlich sei der zweite
Eingriffsabschnitt auch nicht daran angepasst, mit einem zweiten Arretierabschnitt des
Halters in Eingriff zu gelangen, "um den Flüssigkeitsbehälter zu stützen, indem die
Elastizität des Schnapp- und Halteelements den Flüssigkeitsbehälter stützt und anhebt,
während der Zeit der Eingriffsabschnitt gelöst wird".
63
Die Klägerinnen beantragen,
64
1.
65
das Senatsurteil vom 17.11.2005 (I-2 U 2/04) sowie das Urteil des Landgerichts
Düsseldorf vom 20.11.2003 (4b O 16/03) aufzuheben und die Verletzungsklagen
abzuweisen;
66
2.
67
hilfsweise,
68
a)
69
das Verfahren bis zur Entscheidung der Großen Beschwerdekammer über den
Antrag gemäß Art. 112a EPÜ auszusetzen,
70
b)
71
ihnen Vollstreckungsschutz zu gewähren.
72
Die Beklagte beantragt,
73
die Klage abzuweisen.
74
Sie hält die Restitutionsklagen mangels Einhaltung der in § 586 ZPO vorgesehenen
Monatsfrist für unzulässig. Darüber hinaus ist sie der Auffassung, dass die in den
vorausgegangenen Verletzungsprozessen behandelten Tintenpatronen der Klägerinnen
auch von der eingeschränkten Fassung des Klagepatents Gebrauch machen.
75
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der
Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
76
II.
77
Die Restitutionsklagen sind unzulässig.
78
1.
79
In Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum (Benkard, PatG
GebrMG, 10. Aufl., § 139 PatG Rdnr. 149; Busse, PatG, 6. Aufl., § 143 PatG Rdnr. 389;
Schulte, PatG, 8. Aufl., § 21 Rdnr. 124; Mes, PatG, 2. Aufl., § 21 PatG Rdnr. 56; Kraßer,
Patentrecht, 5. Aufl., S. 916 f.) entspricht es gefestigter Rechtsprechung des Senats (vgl.
nur Urteil vom 11.05.2006 – I-2 U 86/05), dass die nachträgliche Vernichtung des
Klagepatents in entsprechender Anwendung des § 580 Nr. 6 ZPO eine
Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verletzungsverfahrens rechtfertigt,
wobei in dem wieder aufgenommenen Verfahren das verurteilende Erkenntnis
aufzuheben und die Verletzungsklage – mangels anspruchsbegründenden
Klagepatents – abzuweisen ist. Dies gilt nicht nur im Falle einer Komplettvernichtung
des der Verletzungsklage zugrunde liegenden Patents, sondern gleichermaßen dann,
wenn das Klagepatent bestandskräftig derart eingeschränkt wird, dass die verurteilten
Ausführungsformen vom Schutzbereich des Klagepatents nicht mehr erfasst sind.
80
2.
81
Für die Einleitung des Wiederaufnahmeverfahrens steht dem Verletzungsbeklagten
allerdings nur ein begrenzter Zeitraum zur Verfügung. Gemäß § 586 Abs. 1, 2 ZPO ist
die Restitutionsklage vor Ablauf einer Notfrist von 1 Monat zu erheben, wobei die Frist
mit dem Tag beginnt, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten
hat, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft des abzuändernden Urteils. Bedingung
für den Fristbeginn ist mithin zweierlei, nämlich zum Ersten die bestandskräftige
(Komplett- oder Teil-)Vernichtung des Klagepatents und zum Zweiten die Kenntnis des
Verletzungsbeklagten hiervon.
82
Vorliegend ist die Monatsfrist nicht gewahrt, weil sie für beide Klägerinnen am
83
29.02.2008 zu laufen begonnen hat und somit bei Erhebung der Restitutionsklagen am
29.05.2008 längst abgelaufen war.
a)
84
Ergeht die das Klagepatent betreffende Vernichtungsentscheidung letztinstanzlich und
ist sie deshalb nicht mehr angreifbar, tritt Rechtskraft bereits mit dem Wirksamwerden
des betreffenden Erkenntnisses ein. Soweit die Entscheidung verkündet wird, bestimmt
sich die Rechtskraft dabei nach dem Verkündungsdatum, und nicht nach dem Tag der
späteren Zustellung der schriftlich abgesetzten Gründe (Kühnen, Festschrift für
Reimann, 2009, S. 287). Von einer letztinstanzlichen Sachentscheidung ist auch dann
auszugehen, wenn die Technische Beschwerdekammer – wie dies vorliegend
geschehen ist – die Sache zwar an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen hat, dies
allerdings mit der Anordnung geschieht, das Patent in geändertem Umfang mit genau
bestimmten Ansprüchen, einer ganz bestimmten Beschreibung und bestimmten
Zeichnungen aufrecht zu erhalten (Benkard, EPÜ, Art. 111 Rdnr. 52; Singer/Stauder,
EPÜ, 4. Aufl., Art. 111 Rdnrn. 6, 9, 27). Denn die mit der Bindungswirkung des Art. 111
Abs. 2 Satz 1 EPÜ versehene endgültige Entscheidung darüber, mit welchem – genau
festgelegten – Inhalt sich das Schutzrecht als bestandskräftig erweist und seine
gesetzlichen Ausschließlichkeitswirkungen entfaltet, ist unter solchen Umständen
bereits von der Beschwerdekammer getroffen, welche der Einspruchsabteilung mit der
Zurückverweisung keinerlei eigenen Prüfungs- und Entscheidungsspielraum mehr
überlassen, sondern sie ausschließlich für rein administrative Maßnahmen
herangezogen hat, die bei der Aufrechterhaltung eines Patents mit geändertem Inhalt zu
beachten sind (Kühnen, Festschrift für Reimann, 2009, S. 287).
85
An dem Eintritt der Rechtskraft mit Verkündigung der Beschwerdekammerentscheidung
ändert der von der Klägerin zu 1) gemäß Art. 112a EPÜ bei der Großen
Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes angebrachte Überprüfungsantrag
nichts. Bei ihm handelt es sich nicht um ein reguläres Rechtsmittel, sondern um einen
außerordentlichen Rechtsbehelf, der die Rechtskraft der angegriffenen
Beschwerdekammerentscheidung nicht hinausschiebt, sondern durchbricht
(Singer/Stauder, a.a.O., Art. 112a Rdnr. 5; Schulte, a.a.O., Anhang zu § 73, Art. 112a
Rdnr. 4). Dies folgt mit aller Deutlichkeit schon daraus, dass der Überprüfungsantrag
gemäß Art. 112a Abs. 3 EPÜ keine aufschiebende Wirkung hat und Abs. 5 Satz 2
anordnet, dass die Große Beschwerdekammer, sofern der Überprüfungsantrag
begründet ist, die Wiederaufnahme des Verfahrens vor der Technischen
Beschwerdekammer beschließt. Demgemäß hält auch die Denkschrift zur
Revisionsakte (BlPMZ 2007, 406, 415) fest:
86
"Abs. 3 stellt klar, dass der Überprüfungsantrag ein außerordentlicher Rechtsbehelf
ist, dessen bloße Einlegung die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung nicht
berührt. Eine stattgebende Entscheidung der Großen Beschwerdekammer führt
dagegen zur Aufhebung der Entscheidung der Beschwerdekammer und durchbricht
deren Rechtskraft mit der Folge, dass das Beschwerdeverfahren nach Maßgabe von
Abs. 6 wieder aufgenommen werden muss."
87
Bezogen auf den vorliegenden Streitfall ist damit festzustellen, dass die den
Restitutionsgrund hervorbringende Teilvernichtungsentscheidung bereits mit ihrer
Verkündung am 29.02.2008 rechtskräftig geworden ist.
88
b)
89
Zu diesem im Wesentlichen objektiven Kriterium muss für den Fristbeginn hinzu
kommen, dass der Restitutionsberechtigte auch in subjektiver Hinsicht Kenntnis von den
die Wiederaufnahme rechtfertigenden Umständen, vorliegend also von der
bestandskräftigen Teilvernichtung des Klagepatents, hat. Diese Kenntnis muss bei der
von dem Verletzungsurteil betroffenen Partei selbst bzw. ihrem gesetzlichen Vertreter
vorhanden sein (BGH, MDR 1978, 1015), wobei dem positiven Wissen jeweils das
bewusste Verschließen vor der Kenntnisnahme gleich steht (BGH, NJW 1993, 1596;
BAG, NZA 2003, 453).
90
aa)
91
Ein hinreichendes Wissen von dem Umfang der Teilvernichtung setzt – anders als die
Klägerinnen meinen – nicht die Kenntnis der (schriftlich abgefassten) Gründe voraus,
welche die Technische Beschwerdekammer bewogen haben, das Klagepatent wie
geschehen einzuschränken. Die Begründungserwägungen sind nämlich deshalb nicht
relevant, weil durch die Beschwerdeentscheidung nicht nur die Ansprüche geändert
worden sind, sondern gleichzeitig auch der zugehörige Beschreibungstext nebst
Zeichnungen angepasst wurde. In einer solchen Konstellation bildet ausschließlich die
neue Beschreibung das für die Schutzbereichsbestimmung relevante
Auslegungsmaterial (Benkard, PatG GebrMG, a.a.O., § 14 PatG Rdnr. 27). Eine
hinreichende Kenntnis vom Schutzbereich der nach der
Einspruchsbeschwerdeentscheidung geltenden Fassung des Klagepatents ergibt sich
demgemäß bereits aufgrund des Wissens um die am 29.02.2008 verkündete
Entscheidungsformel nebst den darin in Bezug genommenen Unterlagen, d.h. dem
während der Beschwerdeverhandlung überreichten 4. Hilfsantrag der Beklagten sowie
dem von der erteilten Fassung abweichenden Beschreibungstext (S. 3 gemäß
Schriftsatz vom 29.01.2008).
92
bb)
93
Es mag dahin stehen, wann die Klägerinnen bzw. deren gesetzliche Vertreter selbst das
erforderliche Wissen gehabt haben. Es war aufgrund ihrer Mitwirkung im
Einspruchsbeschwerdeverfahren auf jeden Fall bei den anwaltlichen Vertretern der
Klägerinnen (Rechtsanwalt Dr. B, Patentanwalt Dr. C) am 29.02.2008 vorhanden, was
nach den im Streitfall gegebenen Umständen ausreicht.
94
Zwar lässt der BGH für eine Wissenszurechnung keinen Rückgriff auf die materiell-
rechtliche Vorschrift des § 166 BGB zu (MDR 1978, 1015). Ebenso wenig genügt für
eine Zurechnung, dass sich die dem Anwalt erteilte Prozessvollmacht für den
Verletzungsprozess gemäß § 81 Halbsatz 1 ZPO im Außenverhältnis auch auf ein
anschließendes Wiederaufnahmeverfahren und die dafür erforderlichen
Prozesshandlungen erstreckt (BGHZ 31, 351, 354; BGH, MDR 1978, 1015). Erforderlich
ist vielmehr, dass der Rechtsanwalt zu der Zeit, zu der er Kenntnis von dem Bestehen
des Restitutionsgrundes erhält, von der Partei beauftragt war, sie in dieser Beziehung zu
vertreten. Mit Blick auf das Wiederaufnahmeverfahren muss eine Vollmacht mithin auch
für das Innenverhältnis festgestellt werden.
95
Nach diesen Grundsätzen ist eine Wissenszurechnung vom BGH (MDR 1978, 1015)
bereits für den Fall zugelassen worden, dass die Partei einen zur Erhebung der
96
Restitutionsklage postulationsfähigen Rechtsanwalt beauftragt hat, Strafanzeige zu
erstatten, und dieser Auftrag der Vorbereitung des angestrebten Restitutionsverfahrens
nach § 580 Nr. 3 ZPO diente. Zur Begründung ist ausgeführt, dass dem besagten
Restitutionsgrund gemäß § 581 ZPO ein "Vorschaltverfahren" vorgelagert ist, weil eine
Wiederaufnahme nur dann möglich ist, wenn wegen der Straftat eine rechtskräftige
Verurteilung des Zeugen oder Sachverständigen ergangen ist oder wenn die Einleitung
und Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an
Beweis nicht erfolgen kann. Wegen der engen Verknüpfung zwischen dem
"Vorschaltverfahren" und der Klagefrist des § 586 ZPO sei es geradezu eine der
wichtigsten Pflichten des mit der Erstattung der Strafanzeige beauftragten
Rechtsanwaltes, sich mit der Klagefrist zu befassen, seinen Mandanten rechtzeitig vom
Ergebnis des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens zu unterrichten und notfalls die in
dessen Interesse erforderlichen Schritte zu unternehmen. Denn der Rechtsanwalt wisse,
dass sein Mandant das Strafurteil bzw. den das Ermittlungsverfahren einstellenden
Bescheid benötige, um seine Restitutionsklage erheben zu können (BGH, MDR 1978,
1015).
Eine unmittelbar vergleichbare Sachlage ist gegeben, wenn nach rechtskräftiger
Verurteilung des Verletzungsbeklagten das Rechtsbestandsverfahren noch andauert
und der dort tätige Anwalt um die Verurteilung im Verletzungsprozess weiß. Angesichts
der bestehenden Bindung des Verletzungsgerichts an den Erteilungsakt hängt die
Möglichkeit, das Verletzungsurteil im Restitutionsverfahren zu beseitigen, genauso von
der bestandskräftigen Vernichtung des Klagepatents im parallelen
Rechtsbestandsverfahren ab, wie die auf § 580 Nr. 3 ZPO gestützte Restitutionsklage
davon abhängt, dass die Verantwortlichkeit des Zeugen oder Sachverständigen in
einem strafrechtlichen Verfahren rechtskräftig festgestellt wird (Kühnen, Festschrift für
Reimann, 2009, S. 287). Genauso wie dort ist es deshalb auch hier die
selbstverständliche Pflicht des im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren mitwirkenden
Anwaltes, den Verletzungsbeklagten unverzüglich über den Ausgang des
Rechtsbestandsverfahrens zu unterrichten, der die Restitutionsklage eröffnet. Denn
kostspielige Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren werden von einem
Verletzungsbeklagten üblicherweise nicht uneigennützig im allgemeinen Interesse
geführt mit dem Ziel, die Rolle von schutzunfähigen Patenten zu bereinigen, sondern im
eigenen geschäftlichen Interesse mit dem Ziel betrieben, den Vorwurf der
Patentverletzung auszuräumen und die darauf beruhenden Ansprüche zu Fall zu
bringen. Da dies nach rechtskräftigem Abschluss des Verletzungsverfahrens nur im
Wege einer Restitutionsklage möglich ist, hat der Verletzungsbeklagte ein auf der Hand
liegendes Interesse daran, über den Ausgang des Einspruchs- oder
Nichtigkeitsverfahrens unterrichtet zu werden. Diese Informationspflicht wiederum liefert
die rechtliche Grundlage dafür, dem Verletzungsbeklagten die Kenntnis seines Anwalts
von der Vernichtungsentscheidung zuzurechnen (Kühnen, Festschrift für Reimann,
2009, S. 287).
97
(1)
98
Die vorstehenden Überlegungen führen im Hinblick auf die Klägerin zu 1), die selbst
das Rechtsbestandsverfahren gegen das Klagepatent (trotz Rechtskraft der
Verletzungsurteile) weiter betrieben hat, zu der Feststellung, dass – vermittelt über die
für sie tätigen Anwälte – eine Kenntnis vom Restitutionsgrund bereits im Zeitpunkt der
Verkündung der Einspruchsbeschwerdeentscheidung am 29.02.2008 anzunehmen ist.
99
(2)
100
Im Ergebnis keine andere Beurteilung gilt hinsichtlich der Klägerin zu 2, auch wenn
diese selbst nicht am Einspruchsverfahren beteiligt war. Gegen sie hatte die Beklagte
nämlich wegen unzureichender Rechnungslegung auf der Grundlage der erstrittenen
Verletzungsurteile Zwangsmittelverfahren eingeleitet, die auch derzeit noch andauern.
Ferner hatte die Klägerin zu 2) beim Landgericht Düsseldorf Vollstreckungsgegenklage
erhoben (4b O 32/07), wobei sie, gestützt auf die vorliegende Restitutionsklage, einen
Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung angebracht hatte. In
diesem Verfahren wurde die Klägerin zu 2) wiederum von Rechtsanwalt Dr. B vertreten,
der die zu demselben Konzern gehörende Klägerin zu 1) im Rechtsbestandsverfahren
anwaltlich beraten hat. Wegen der laufenden Vollstreckungsmaßnahmen lag es im
evidenten Interesse der Klägerin zu 2), über den Ausgang des
Einspruchsbeschwerdeverfahrens informiert zu werden, um gegebenenfalls Einwände
gegen die Zwangsmittelanträge der Beklagten in die Hand zu bekommen. Umgekehrt
ergab sich daraus für ihren Verfahrensbevollmächtigten (Rechtsanwalt Dr. B) die
selbstverständliche Pflicht, die Klägerin zu 2) zu gegebener Zeit entsprechend zu
unterrichten. Dieser Sachverhalt rechtfertigt es, dessen Wissen um die Teilvernichtung
des Klagepatents auch der Klägerin zu 2) zuzurechnen.
101
Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht einmal entscheidend an. Selbst wenn eine
Wissenszurechnung außer Betracht bleibt, ist die Restitutionsklage der Klägerin zu 2) in
jedem Fall deshalb abzuweisen, weil sich eine Einhaltung der Monatsfrist nicht
feststellen lässt. Der Senat hat der Klägerin zu 2) mit Beschluss vom 23.10.2008
aufgegeben, im Detail vorzutragen, wann, auf welche Weise und durch wen sie über
den Ausgang des Einspruchsbeschwerdeverfahrens informiert worden ist, und den
betreffenden Sachverhalt in geeigneter Weise glaubhaft zu machen. Hieraufhin hat die
Klägerin zu 2) lediglich eine vom 06.11.2008 datierende Vollmacht vorgelegt, die schon
in zeitlicher Hinsicht mit Rücksicht auf die am 29.05.2008 erfolgte Erhebung der
Restitutionsklage in ihrem Namen erklärungsbedürftig ist. Darüber hinaus hat sie
lediglich pauschal vorgetragen, nach ihrer besten Erinnerung frühestens am 06.05.2008
durch Übersendung der Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer an Dr. D
Kenntnis erlangt zu haben. Dieser Vortrag ist bereits in der Sache unsubstantiiert; er ist
vor allem aber in keiner Weise glaubhaft gemacht.
102
III.
103
Anlass für eine Aussetzung des Rechtsstreits besteht nicht. Selbst wenn der
Überprüfungsantrag an die Große Beschwerdekammer Erfolg haben sollte, bewirkt dies
lediglich, dass das rechtskräftig abgeschlossen gewesene
Einspruchsbeschwerdeverfahren wieder aufgenommen wird und eine abermalige
Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer ergeht, die gegebenenfalls einen
neuen Restitutionssachverhalt mit der ihm eigenen Restitutionsfrist in Gang setzt
(Kühnen, Festschrift für Reimann, 2009, S. 287). Das laufende Überprüfungsverfahren
nach Art. 112a EPÜ rechtfertigt deswegen keine Aussetzung des in Bezug auf die
ursprüngliche Einspruchsbeschwerdeentscheidung angestrengten
Restitutionsverfahrens, dessen Frist versäumt ist (Kühnen, Festschrift für Reimann,
2009, S. 320).
104
IV.
105
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
106
Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711, 108
ZPO. Dem Vollstreckungsschutzantrag der Klägerinnen ist nicht zu entsprechen (§ 712
ZPO). Es ist nicht dargetan, dass eine Vollstreckung des Urteils den Klägerinnen einen
nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
107
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht. Die im Streitfall zu entscheidenden
Rechtsfragen können auf der Grundlage bereits vorhandener höchstrichterlicher
Judikatur entschieden werden.
108