Urteil des OLG Düsseldorf vom 02.10.2008

OLG Düsseldorf: letter of intent, software, treu und glauben, angemessene frist, dienstleistungsvertrag, projekt, zusammenarbeit, anfang, mangelhaftigkeit, differenzmethode

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-7 U 82/07
Datum:
02.10.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
7. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-7 U 82/07
Vorinstanz:
Landgericht Düsseldorf, 33 O 76/06
Nachinstanz:
Bundesgerichtshof, VII ZR 224/08
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. März 2007 verkündete
Grundur-teil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Düsseldorf abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren
Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der
Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
G r ü n d e :
1
1.
umfangreicher software-Implementierung durch die Beklagte (vgl. den letter of intent
vom 10. Februar 2004, Anl. K 1); die Arbeiten hätten nach den ersten Absichten der
Parteien schon im Frühsommer 2004 erfolgreich beendet sein sollen. Nachdem die -
noch nicht geschlossenen - Verträge also schon "gelebt" worden waren, wurden am 28.
Juli 2004 die beiden Verträge formell geschlossen ("Dienstleistungsvertrag für ein P-S-
S", Anl. K 4, und "Vertrag für ein P-S-S", Anl. K 5), wegen deren behaupteter Nicht- oder
Schlechterfüllung die Klägerin hier gegen die Beklagte vorgeht. Die Parteien
interpretierten die Verträge unterschiedlich.
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Die Klägerin, die mit Schreiben vom 5. Oktober 2004 (Anlage K14) ein
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Nachbesserungsverlangen an die Beklagte gerichtet und die am 15. November 2004
die Zusammenarbeit der Parteien definitiv beendet hat, hat Aufwendungsersatz
und/oder Schadensersatz statt Erfüllung in Höhe von insgesamt 877.637,20 € gemäß §§
284, 281 BGB geltend gemacht. Sie fordert die Erstattung der vier Honorare in Höhe von
zusammen 222.654,14 €, die sie vor dem Vertragsabschluß von Juli 2004 bereits an die
Beklagte gezahlt hatte, sowie weiterer Aufwendungen in Höhe von zusammen
654.983,06 €, diese in erster Linie für die eigenen Mitarbeiter der Klägerin. Wegen des
erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die tatsächlichen Feststellungen
des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Nach Beweisaufnahme zu den von der Klägerin erstmals in der Replik konkret – dies
nach dem Vortrag der Klägerin im Senatstermin ausgelöst durch einen nicht
protokollierten Telefonanruf des Kammervorsitzenden bei dem Prozessbevollmächtigten
der Klägerin - behaupteten Mängeln der gelieferten Software bzw. von der Beklagten
erbrachten Leistungen hat das Landgericht mit der angefochtenen Entscheidung
festgestellt, dass die Klageforderung dem Grunde nach gerechtfertigt sei. Der Anspruch
auf Erstattung der vier Honorare sei infolge von Mängeln der von der Beklagten
erbrachten Leistungen aus §§ 346, 323 Abs. 1 BGB begründet, denn die Klägerin sei
wirksam von dem "Dienstleistungsvertrag" (Anl. K 4) zurückgetreten, und hinsichtlich der
übrigen Ansprüche könne sich ein Anspruch aus §§ 280 bzw. 281 BGB ergeben.
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Gegen dieses Grundurteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die ihren
Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Die Klage sei schon mangels Bestimmtheit
unzulässig und das Vorbringen der Klägerin zu den free lancer-Kosten sei eine
unzulässige alternative Klagebegründung, damit werde unzulässig ein alternativer
Klagegegenstand begründet, und - entgegen der Auffassung des Landgerichts - kein
Hilfsvorbringen zur Geltendmachung der Kosten für die eigenen Angestellten der
Klägerin. Ein Rücktritt von einem oder beiden Verträgen sei von der Klägerin nie – auch
nicht konkludent – erklärt worden, also seien Ansprüche aus §§ 346, 323 Abs. 1 BGB
nicht gegeben. Ebensowenig seien aber Ansprüche aus § 281 Abs. 1 BGB gegeben,
weil die von der Beklagten zu erbringenden Leistungen noch gar nicht fällig gewesen
seien und Verzug deshalb noch nicht habe eingetreten sein können. Die von ihr
(Beklagter) erbrachten Leistungen seien nicht – schon gar nicht, wie näher ausgeführt
wird, in erheblichem Umfang – fehlerhaft gewesen, und ein ersatzfähiger Schaden sei
bei der Klägerin nicht eingetreten.
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Die Beklagte beantragt,
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das Grundurteil vom 23. März 2007 abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
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Sie (Klägerin) verlange Schadensersatz statt der Leistung, weil die Beklagte die
geschuldete Leistung nicht bzw. nicht mangelfrei erbracht habe (§§ 631, 634 Nr. 4, §
280 Abs. 1, 3, § 281 Abs. 1 BGB). Ihr – der Klägerin - Vortrag sei immer so zu verstehen
gewesen, dass hier mehrere Schadenspositionen eines Anspruchs geltend gemacht
würden. Wegen der Besonderheiten der hier geschuldeten Leistung, für die es einen
Marktpreis nicht gebe, könne sie (Klägerin) ihren Schaden nur nach der Differenztheorie
berechnen und berufe sich dazu auf die anerkannte (Rentabilitäts-) Vermutung, dass die
von der Beklagten nicht bzw. nicht mangelfrei erbrachte Leistung der Gegenleistung
gleichwertig gewesen sei; nach § 281 Abs. 1 BGB könne sie (Klägerin) zwar nicht die
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erbrachte Gegenleistung zurückfordern, wohl aber einen Geldbetrag gleicher Höhe als
Mindestschaden. Außerdem könne der Ersatz der von der Klägerin für den Vertrag
gemachten und dann nutzlos gewordenen Aufwendungen geltend gemacht werden, da
vermutet werde, dass die Klägerin diese Aufwendungen bei ordnungsgemäßer
Erfüllung des Vertrages durch die Beklagte wieder "eingebracht" hätte. Wenn das
Landgericht einen Teilbetrag des geltend gemachten Schadensersatzes auf der
Grundlage der - von der Klägerin selbst nicht herangezogenen - §§ 346, 323 Abs. 1
BGB zugesprochen habe, so sei das unbedenklich, denn für die Berechnung des
Schadensersatzes aus § 281 BGB nach der Differenzmethode sei anerkannt, dass in
dem Verlangen von Schadensersatz konkludent auch ein Rücktritt enthalten sein könne.
Auf § 284 BGB beruft sich die Klägerin nunmehr hilfsweise für den Fall, dass die geltend
gemachten Schadenspositionen nicht unter dem Gesichtspunkt der
Rentabilitätsvermutung aus § 281 Abs. 1 BGB ersatzfähig seien. Der erstmals in der
Berufungsbegründung geltend gemachte Umstand, dass die vier Honorare, die an die
Beklagte gezahlt wurden, vor Abschluss des Vertrages am 28.07.2004 gezahlt worden
seien und ihre Erstattung deshalb nicht als Rücktrittsfolge geltend gemacht werden
könne, sei neu und verspätet und stehe der Rückzahlungsverpflichtung der Beklagten
auch deshalb nicht entgegen, weil ja lediglich der bereits gelebte Vertrag nachträglich
schriftlich fixiert worden sei. Schließlich sei die Beweiswürdigung des Landgerichts
dahin, dass von Mangelhaftigkeit und fehlender Abnahmefähigkeit der Leistungen der
Beklagten auszugehen sei, nicht zu beanstanden. Die drei Mängel, auf die das
Landgericht sich bei der Beweisaufnahme "konzentriert" habe, seien ausreichend
gewesen, und da die Berufungsbegründung nur einen Teil der diesbezüglichen
Feststellungen angreife, seien alle Forderungen der Klägerin gerechtfertigt. Soweit die
Beklagte behaupte, wegen des Fehlens der Betriebsratszustimmung könne die
Rentabilitätsvermutung hier keine Anwendung finden, könne sich die Beklagte darauf
nicht berufen, da sie gar keine Software geliefert gehabt habe, zu der der Betriebsrat
seine Zustimmung hätte erteilen können; die Beklagte habe somit die Zustimmung
treuwidrig verhindert, die deshalb gemäß § 162 BGB analog als existent unterstellt
werden müsse, zumindest sei es der Beklagten nach Treu und Glauben untersagt, sich
auf dieses Fehlen zu berufen. Schließlich könnten die von der Beklagten geäußerten
Bedenken zu der Kausalität zwischen "dem streitgegenständlichen Software-Projekt"
und der Beauftragung von free lancern durch die Klägerin nicht überzeugen: sie
(Klägerin) habe im Hinblick auf die Bindung personeller Ressourcen in dem
streitgegenständlichen Projekt für andere Projekte externe Mitarbeiter beauftragt und
bezahlt; soweit jene Mitarbeiter bereits vor dem letter of intent angeheuert worden seien,
beruhe das eben darauf, dass dieses Projekt schon zuvor "gelebt" worden sei.
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Der Senat hat die Parteien darauf hingewiesen, dass dem Vortrag der Klägerin nicht
präzise zu entnehmen sei, was der Vertragsgegenstand sei, dessen mangelhafte
Leistung die Klägerin behauptet habe. Von der Klägerin sei im Prozess weder
ausreichend vorgetragen worden, welche Pflichten im Einzelnen und genau von der
Beklagten geschuldet waren, noch, wann und wie der Beklagten eine Nachfrist zur
Nacherfüllung bzw. zur mangelfreien Leistung wegen solcher geschuldeter Leistungen
gesetzt worden sei. Die Konkretisierung einiger weniger Mängel reiche nicht aus, zumal
sich der Zusammenhang zwischen diesen Mängeln und der vorprozessualen
Nachfristsetzung vom 5. Oktober 2004 (Anlage K 14) nicht nachvollziehen lasse. Dieses
Schreiben selbst lasse die notwendige Genauigkeit vermissen, denn dort würden
lediglich pauschale Forderungen an die Beklagte gestellt, ihre Arbeiten ordnungsgemäß
abzuschließen ("Komplettinstallation"), aber es werde dort nicht konkret festgehalten,
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welche Arbeiten noch ausstehen bzw. wegen präzise welcher Mängel der erbrachten
Arbeiten Nacherfüllung verlangt wird. Die Klägerin hatte Gelegenheit, zu diesen
Hinweisen Stellung zu nehmen. Mit Schriftsatz vom 30. Mai 2008 hat die Klägerin
umfangreich vorgetragen; wegen der Einzelheiten wird auf die nachstehenden
Darlegungen unter 2.3.2. und 2.3.3. verwiesen.
Wegen des weiteren Vorbringens beider Parteien wird auf den Inhalt der in der
mündlichen Verhandlung vorgetragenen und nachgelassenen Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen.
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2.
Klägerin geltend gemachten Ersatzansprüche nicht gegeben sind, war das Grundurteil
des Landgerichts abzuändern und war die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Im
Einzelnen:
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2.1.
alternativer Klagehäufung (teilweise) unzulässig. Die einheitliche Zahlungsforderung
der Klägerin setzt sich zusammen aus rund 223.000 € an die Beklagte gezahlter
Honorare einerseits und rund 650.000 € – diese zusammengesetzt aus sieben
Einzelpositionen - von der Klägerin gemachter Aufwendungen andererseits. Die
Klägerin hat hierzu in zulässiger Weise offen gelassen (und nicht etwa von der Klage
zur Replik das Vorbringen ausgewechselt), ob sie die Klage auf § 281 Abs. 1 BGB oder
auf § 284 BGB oder auf eine Kombination stützte. Was die rund 650.000 € für die
eigenen Mitarbeiter ("Sowiesokosten") angeht, hatte die Klägerin im Lauf des
Verfahrens auch noch sog. free lancer-Kosten in Höhe von rd. 247.000 € geltend
gemacht. Entgegen der Ansicht der Beklagten sind das aber keine unterschiedlichen
Streitgegenstände und liegt damit keine alternative Klagehäufung vor, die den
Klageantrag unbestimmt und damit unzulässig gemacht hätte (vgl. Zöller Einl. Rzf. 74
und § 260 ZPO Rzf. 5); erst nachdem nämlich das Landgericht zu erkennen gegeben
hatte, daß es die ("Sowieso-") Kosten für die eigenen Mitarbeiter der Klägerin für nicht
erstattungsfähig hielt, hat die Klägerin vorgetragen, die Bindung dieser eigenen
personellen Kapazitäten habe "letztlich dazu geführt", dass free lancer hätten angestellt
werden müssen, für die Kosten iHv 247.000 € entstanden seien, und "zumindest diese"
Kosten seien zu erstatten. Dieser Vortrag (dass und warum free lancer-Kosten
entstanden sind) ist eindeutig als Hilfsvorbringen (gegenüber dem Hauptvorbringen
"Sowiesokosten" für das eigene Personal) zu verstehen.
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2.2.
rund 223.000 € ist entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht aus § 346 Abs. 1 BGB
begründet, denn aus einer – unterstellten oder, wie die Berufungserwiderung hilfsweise
geltend macht, konkludenten - Rücktrittserklärung am 15. November 2004 (Anl. K 15)
von einem am 28. Juli 2004 geschlossenen Vertrag kann sich ein Anspruch auf
Rückgewähr von Zahlungen auf Rechnungen vom 27. Febr. 2004, 31. März 2004, 30.
April 2004 und 31. Mai 2004 (Anl. K 17) schon aus Gründen der Logik nicht ergeben.
Überdies hätte die von der Klägerin hilfsweise angenommene konkludente
Rücktrittserklärung durch das Verlangen von Schadensersatz statt der an sich
geschuldeten Leistung - von der Systemwidrigkeit einer solchen Annahme einmal
abgesehen - das gesamte Vertragsverhältnis der Parteien in ein
Rückabwicklungsverhältnis umgestaltet, was die Klägerin aber, wie ihr
Gesamtvorbringen zeigt, eben nicht wollte und nicht will.
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2.3.
281 Abs. 1 BGB (Schadensersatz statt Leistung) bzw. wegen des Ersatzes vergeblicher
Aufwendungen aus § 284 BGB begründet.
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2.3.1.
unabhängig von den nicht konstitutiven Vertragsbezeichnungen
("Dienstleistungsvertrag") – mit Blick auf die von der Beklagten geschuldeten
Leistungen tatsächlich um Werkverträge i.S. des § 631 BGB: die Beklagte hatte sich
vertraglich verpflichtet, von Dritten zu erwerbende Software für die und bei der Klägerin
zu konzeptionieren, zu implementieren und dabei insbesondere die notwendigen
Schnittstellen angepasst zu programmieren. Die Beklagte schuldete also die
Herbeiführung eines bestimmten Arbeitsergebnisses. Eine Abnahme dieser
Leistung(en) und Software der Beklagten durch die Klägerin ist unstreitig nicht erfolgt,
weshalb die Anwendung spezieller werkvertraglicher Vorschriften hier nicht in Betracht
kommt, sondern die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche lediglich auf §§ 280
ff BGB gestützt werden könnten. Voraussetzung eines solchen Anspruchs auf
Schadensersatz statt Leistung ist indes, dass der Gläubiger, hier also die Klägerin, dem
Schuldner, hier also der Beklagten, erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder
Nacherfüllung gesetzt hätte (§ 281 Abs. 1 S. 1 BGB). Davon kann - auch nach dem
ergänzenden Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 30. Mai 2008 - nicht
ausgegangen werden.
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2.3.2.
Hilfe von Zeugen bzw. Sachverständigen feststellbar sind, es genügt dabei, dass die
Symptome hinreichend genau – für diese - bezeichnet werden. Auch muss die
Unzulänglichkeit der Leistung(en) so konkret beschrieben werden, dass sie
individualisiert werden kann. An die Erfüllung dieser Voraussetzungen sind strenge
Anforderungen zu stellen (vgl. MüKo/Busche, 5. Aufl., § 281 BGB Rn. 33, 37 m.w.N.).
Das Nachbesserungsverlagen der Klägerin ist unstreitig in dem Schreiben der Klägerin
vom 5. Oktober 2004 (Anl. K 14) zu sehen. Ein anderes Nachbesserungsverlangen i.S.
des § 281 Abs. 1 S. 1 BGB hat die Klägerin auch in ihrem nachgelassenen Schriftsatz
vom 30. Mai 2008 nicht behauptet. Das Schreiben vom 5. Oktober 2004 genügt den
vorstehend dargelegten Anforderungen an ein wirksames Nachbesserungsverlangen
indes nicht.
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Das Schreiben – mit dem Betreff "Produktionsstarttermin 01.09. 2004" – lautet unter
Weglassung der Höflichkeitsfloskeln:
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"Mit Schreiben vom 3.8. 2004 und 17.8. 2004 hatten wir Sie aufgefordert, eine
Komplettinstallation vorzunehmen, uns das Testkonzept, das Einführungskonzept
und die Installationsanweisung zur Verfügung zu stellen sowie die BO-Berichte an
uns auszuliefern. Mit Ausnahme der BO-Berichte ist bislang keine der
vorgenannten Aktivitäten erfolgt. Die BO-Berichte werden momentan in unserem
Hause geprüft. Das offizielle Produktionsdatum 01.09. 2004 wurde ebenfalls nicht
gehalten. Nach unserer Telefonkonferenz am 23.09. 2004 ist ein
Produktionsbeginn noch in diesem Jahr mehr als zweifelhaft.
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Wir sehen uns daher gezwungen, Ihnen hiermit eine letzte Frist zur Lieferung des
Testkonzeptes, des Einführungskonzeptes und der Installationsanweisung sowie
zur Komplettinstallation zu setzen.
21
Sollten diese Leistungen nicht bis zum 20. Oktober 2004 erbracht werden, so dass
die nachfolgende Produktionsfreigabe erfolgen kann, werden wir die Abnahme
ablehnen und uns unsere gesetzlichen und vertraglichen Rechte vorbehalten."
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Dass diese Forderungen nach der Lieferung des Testkonzepts und des
Einführungskonzepts und der Installationsanweisung sowie nach der
"Komplettinstallation" den vorstehend wiedergebenen inhaltlichen Anforderungen an
ein konkretes Nachbesserungsverlagen nicht genügten, ist offensichtlich, was im Termin
zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat mit den Parteien auch erörtert worden ist.
Die Klägerin argumentiert denn auch nunmehr, wenn man ihr umfangreiches Vorbringen
auf seinen Kern reduziert, damit, dass
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einmal vorliegend schon der Inhalt der vertraglichen Pflichten der Beklagten,
nämlich die einzelnen von der Beklagten geschuldeten Eigenschaften
("Funktionen") der Software (und damit die Vertragsgegenstände, deren
mangelhafte Leistung behauptet wird,), im Vertrag noch gar nicht festzulegen
gewesen sei, weil sich dieser Inhalt erst im Laufe der gemeinsamen
Entwicklungsarbeiten hätten herausstellen können, dass
es zum anderen eine von den Parteien auf Technikerebene "gemeinsam
gepflegte" Fehlerliste gegeben habe, derentwegen die Beklagte (trotzdem) immer
genau gewusst habe, was von ihr erwartet werde (und, wie wohl zu ergänzen ist,
dass es deshalb eines konkreten Nachbesserungsverlagens gar nicht bedurft
habe) und dass schließlich
aufgrund der "Projektkenntnis" der Beklagten in Verbindung mit der gemeinsam
gepflegten Mängelliste die Forderung der Klägerin nach einer
"Komplettinstallation" zu einem bestimmten Zeitpunkt sich jedenfalls für die
Beklagte als ein eindeutiges – und hinreichend konkretes –
Nachbesserungsverlangen dargestellt habe.
24
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Dem ist nicht zu folgen. Dabei verkennt der Senat weder, dass die Entwicklung von
komplexer software ein – wie schon der Name sagt – langwieriger und oft
hochkomplexer Prozeß sein kann, noch, dass es völlig fehlerfreie Software ohnehin so
gut wie nicht gibt. Das kann die Besteller von Software und damit die Klägerin aber nicht
grundsätzlich von den gesetzlichen Anforderungen an das Nachbesserungsverlangen,
das notwendige Voraussetzung von Schadensersatzansprüchen ist, entbinden;
anderenfalls entstünde ein nicht zu rechtfertigendes Zwei-Klassen-
Gewährleistungsrecht. Mögliche Schwierigkeiten für den Besteller, die aus der
Komplexität von Software und ihrem Herstellungsprozess herrühren, sind ggf. bei der
Beurteilung der Details des konkreten Nachbesserungsverlangens zu berücksichtigen,
solche Schwierigkeiten rechtfertigen aber nicht den Verzicht auf das Erfordernis eines
im dargelegten Sinne konkreten Nachbesserungsverlangens an sich.
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Dazu tritt im vorliegenden Fall, dass, wie auch die Klägerin selbst immer wieder betont,
die beiden späteren Verträge von den Technikern der Parteien monatelang, nämlich von
Anfang Januar bis Ende Juli, also gut ein halbes Jahr lang, "gelebt" worden und in
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dieser Zeit bereits zahlreiche technische Schwierigkeiten aufgetreten waren. Als dann
die Verträge erst am 28. Juli 2004 auch formal geschlossen wurden (vgl. Anl. K 4 und K
5), wäre es sehr wohl möglich gewesen, in diesen spät geschlossenen Verträgen
konkrete Anforderungen an die bzw. "Funktionen" der geschuldeten software, die sich
aus der bereits erfolgten monatelangen Zusammenarbeit ergeben hatten, einzubringen.
Die Klägerin war von der Notwendigkeit eines konkreteren Nachbesserungsverlangens
an die Beklagte als desjenigen vom 5. Oktober 2004 auch nicht dadurch befreit, dass es,
wie die Klägerin darlegt, eine von den Parteien auf Technikerebene "gemeinsam
gepflegte" Fehlerliste der gesamten Software gab, derentwegen die Beklagte immer
gewusst habe, was von ihr noch erwartet werde. Auch wenn es eine solche
fortgeschriebene gemeinsame Liste gab und wenn die Klägerin ihr
Nachbesserungsverlangen grundsätzlich darauf hätte stützen können, hätte sie in der
Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung ausdrücklich auf diese Liste in einer der
zum Zeitpunkt des Verlangens konkret bestehenden Fassung Bezug nehmen müssen,
um die gesetzlichen Anforderungen an das Verlangen zu erfüllen; gerade weil hier die
Liste fortgeschrieben wurde und sich daher ständig veränderte, wäre eine solche
eindeutige Bezugnahme auf eine konkrete Liste unerlässlich gewesen.
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Hinzu tritt hier, dass die von den Parteien gemeinsam geführte Liste eher die Funktion
einer gemeinsamen "to do list" und damit eine überwiegend organisatorische Funktion
gehabt zu haben scheint. Dies zeigt u.a. die Begleitmail zu und in der mit Schriftsatz
vom 30. Mai 2008 erstmals vorgelegten Fehlerliste Anlage K 39, denn dort wurde von
der Klägerin ganz besonderen Wert darauf gelegt, dass die Beklagte ihre
Incidentnummern der Fehler mitteilen (bzw. zurückmelden) solle. Soweit die Klägerin in
demselben Schriftsatz betont, dass es eben schon am 07.10. 2004 eine beiden Parteien
bekannte Mängelliste (Anlage K 39) gegeben habe, die mit der vom 29.10. 2004
(Anlage K 28) inhaltlich identisch sei, vermag auch die Existenz jener Liste vom 07.10.
2004 (Anlage K 39) das allein existierende Nachbesserungsverlangen vom 5. Oktober
2004 nicht zu einem den gesetzlichen Anforderungen genügenden zu machen. Einmal
abgesehen davon, dass die Liste vom 07.10. 2004 ausweislich der bereits zitierten
Begleitmail nicht vollständig ist, wird auf die Fehlerliste – welchen Datums immer – in
dem Schreiben vom 5. Oktober 2004 eben nicht wie erforderlich konkret Bezug
genommen, kann nicht Bezug genommen werden, weil auch eine Liste vom 07.10.2004
nach dem 05.10. 2004 datiert.
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Schließlich ist auch der erhebliche Umfang des Vorbringens der Klägerin dazu, dass
aufgrund der "Projektkenntnis" der Beklagten und der gemeinsam gepflegten Liste die
Forderung der Klägerin im Schreiben vom 05. Oktober 2004 nach einer
"Komplettinstallation" durch die Beklagte zu einem bestimmten Zeitpunkt für die
Beklagte ein eindeutiges - ein hinreichend konkretes – Nachbesserungsverlangen
gewesen sei, nicht geeignet, das Schreiben vom 05. Oktober 2004 zu einem
ausreichenden Nachbesserungsverlangen zu machen. Wie am Anfang dieses
Abschnitts dargelegt, müssen die Unzulänglichkeiten der Leistung(en) in dem
Nachbesserungsverlangen individualisiert werden. Die Forderung nach einer
"Komplettinstallation" von Software dagegen ist an Allgemeinheit kaum zu überbieten
und auch "Projektkenntnis" – was immer genau man darunter zu verstehen hat – führt
nicht von selbst zu einer Individualisierung des Verlangens in diesem Sinne.
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2.3.3.
Nacherfüllungsverlangen gestützt war, ist der Klägerin im Übrigen auch weiterhin im
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Prozeß nicht gelungen. Es ist im Schriftsatz vom 30. Mai 2008 wiederholt von
"Zielsetzungen" die Rede und von nicht gegebenen "Funktionalitäten", aber eben nicht
konkret von Abweichungen der Ist-Beschaffenheit der Software von ihrer Soll-
Beschaffenheit. Von der Klägerin selbst als lediglich "beispielhaft" bezeichnetes
Vorbringen zum "Konzept" einer Schnittstelle (Bl. 303 GA) kann ebensowenig wie
Vorbringen zur Zielfestlegung von deren Funktionalität (aaO a.E.) als schlüssiger und
vollständiger Vortrag von Mängeln gewertet werden. Deshalb wäre sogar dann, wenn
man vorliegend – wie aber nicht - aufgrund der "Projektkenntnis" der Beklagten die
Anforderungen an das Nachbesserungsverlangen im Verhältnis zur Beklagten hätte
reduzieren können, immer noch kein im Sinne des Zivilprozessrechts schlüssiger
Vortrag der Klägerin zu den behaupteten Mängeln der software gegeben;
Übersetzungen von der Qualität, dass ‚final migration’ auf Deutsch "finale Migration"
bedeute, sollen wohl Substantiierung suggerieren, bedeuten sie aber nicht. Ein im
Sinne des Zivilprozessrechts schlüssiger Vortrag der Klägerin zu den behaupteten
Mängeln der Software wäre indes unverzichtbar, um den Senat in die Lage zu
versetzen, einen Sachverständigen mit der Prüfung der von der Klägerin - pauschal -
behaupteten und von der Beklagten bestrittenen Mängel zu betrauen. Unabhängig von
der Frage des Nachbesserungsverlangens sind daher die Forderungen der Klägerin auf
Schadensersatz statt Leistung mangels Substantiierung der behaupteten Mängel der
erbrachten Leistungen unbegründet. Aus diesem Grunde, also wegen fehlender
Substantiierung der Mangelhaftigkeit der Software, scheitert letztlich auch die hilfsweise
Geltendmachung von Ansprüchen aus § 284 BGB (Ersatz vergeblicher Aufwendungen).
Nach alledem war das angefochtene Grundurteil abzuändern und war die Klage in
vollem Umfang abzuweisen, ohne dass es auf die Beweiswürdigung des Landgerichts,
auf den Streit der Parteien zu den Konsequenzen der Anwendbarkeit der
Differenzmethode und/oder der Rentabilitätsvermutung oder auf die sogen.
"Betriebsratsproblematik" noch ankäme.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1, § 708 Zf. 10, § 711 ZPO.
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Der Wert der Beschwer der Klägerin beträgt 877 637,20 €.
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