Urteil des OLG Düsseldorf vom 01.10.2009

OLG Düsseldorf (stand der technik, verbindung, bundesrepublik deutschland, fahrer, erfindung, stand, technik, zpo, zug, funktion)

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-2 U 119/08
Datum:
01.10.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-2 U 119/08
Tenor:
I.
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
II.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen ihrer
Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
I.
1
Die Klägerin nimmt als ausschließliche Lizenznehmerin an dem in deutscher
Verfahrenssprache veröffentlichten Europäischen Patent EP 1 516xxx B1 (nachfolgend
"Klagepatent" genannt) die Beklagten auf Unterlassung, Feststellung der
Schadensersatz- und Entschädigungspflicht, Rechnungslegung und Auskunft in
Anspruch. Eingetragener Inhaber des in Kraft stehenden Klagepatents ist der
geschäftsführende Gesellschafter der Klägerin. Die Erteilung des Patents, zu dessen
Vertragsstaaten u.a. die Bundesrepublik Deutschland zählt, wurde am 25.10.2006
veröffentlicht. Sein Hauptanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
2
Steuerungssystem für einen Zugdrachen, insbesondere für einen Kite, mit einer
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Lenkstange, die über mindestens zwei Leinen mit einem Zugdrachen verbindbar ist,
und einer Trapezaufnahme, die über mehrere, miteinander verbundene
Verbindungsglieder mittig mit der Lenkstange verbunden ist, und mit einer
Verbindungsleine, die an der Lenkstange mit einer Leine des Zugdrachens
verbindbar ist,
dadurch gekennzeichnet,
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dass eines dieser Verbindungsglieder an die Verbindungsleine gekoppelt ist, und
dass zwischen dem mit der Verbindungsleine gekoppelten Verbindungsglied und
der Lenkstange ein Notlösemechanismus vorgesehen ist, und der
Notlösemechanismus ein Griffteil und einen in dem Griffteil aufgenommenen Haken
umfasst, wobei durch Verschieben des Griffteils der Haken freigebbar ist und die
Verbindung zwischen der Lenkstange und dem mit der Verbindungsleine
gekoppelten Verbindungsglied lösbar ist.
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Die nachfolgenden Abbildungen (Figuren 1 und 2 der Klagepatentschrift) verdeutlichen
den Gegenstand der Erfindung anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels,
einmal als Ansicht eines Zugdrachens im Einsatz (Figur 1) und einmal als Detailansicht
des Steuersystems der Figur 1 (Figur 2):
6
Die Beklagten bieten an und vertreiben in der Bundesrepublik Deutschland
Steuerungssysteme für Flugdrachen. Die konstruktiven Einzelheiten ihres 4-Zug-
Leinen-Systems "Iron Heart" mit "Rotationsleash" (nachfolgend "angegriffene
Ausführungsform" genannt) ergeben sich aus der nachstehend eingeblendeten
Abbildung:
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Durch die angegriffene Ausführungsform sieht die Klägerin das Klagepatent
wortsinngemäß verletzt. Ihre Klage hat das Landgericht durch das angefochtene Urteil
abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, das Klagepatent sei nicht
(wortsinngemäß) verwirklicht, da bei der angegriffenen Ausführungsform kein
patentgemäßes Verbindungsglied mit der Verbindungsleine gekoppelt sei. Die
Koppelung bei der angegriffenen Ausführungsform erfolge über eine Öse. Diese stelle
kein Verbindungsglied im Sinne des Klagepatents dar. Mit ihrer Berufung verfolgt die
Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter und macht geltend, das Landgericht habe
verkannt, dass die Koppelung der Verbindungsleine nicht durch ein Verbindungsglied,
sondern – nur – an ein solches erfolgen müsse. Letzteres sei vorliegend der Fall, wobei
die Öse das zusätzliche Kopplungsmittel sei.
8
Die Klägerin beantragt,
9
I.
10
das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 21.10.2008, 4b O 232/07, abzuändern
und die Beklagten zu verurteilen,
11
1.
12
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- € - ersatzweise Ordnungshaft –
oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter
13
Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen, Steuersysteme
für Zugdrachen, insbesondere für Kites, mit einer Lenkstange, die über mindestens
zwei Leinen mit einem Zugdrachen verbindbar ist, und einer Trapezaufnahme, die
über mehrere, miteinander verbundene Verbindungsglieder mittig mit der
Lenkstange verbunden ist, und mit einer Verbindungsleine, die an der Lenkstange
mit einer Leine des Zugdrachens verbindbar ist,
anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten
Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
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bei denen eines dieser Verbindungsglieder an die Verbindungsleine gekoppelt ist,
und dass zwischen dem mit der Verbindungsleine gekoppelten Verbindungsglied
und der Lenkstange ein Notlösemechanismus vorgesehen ist und der
Notlösemechanismus ein Griffteil und einen in dem Griffteil aufgenommenen Haken
umfasst, wobei durch Verschieben des Griffteiles der Haken freigebbar ist und die
Verbindung zwischen der Lenkstange und dem mit der Verbindungsleine
gekoppelten Verbindungsglied lösbar ist (EP 1 516 xxx B1, Anspruch 1, § 9 S.2 Nr.1
PatG);
15
2.
16
darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu I 1
bezeichneten Handlungen seit dem 25.11.2006 begangen haben, und zwar unter
Angabe
17
a)
18
der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –
preisen und ggf. Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der
Abnehmer unter Vorlage entsprechender Lieferscheine, hilfsweise Rechnungen in
Kopie,
19
b)
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der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –
preisen und ggf. Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der
Angebotsempfänger,
21
c)
22
der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren
Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
23
d)
24
der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und
des erzielten Gewinns,
25
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht
gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von
der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten
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vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen
und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen,
ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten
ist;
II.
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festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu
ersetzen, der ihr durch die vorstehend zu I 1 bezeichneten, seit dem 25.11.2006
begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
28
Die Beklagten beantragen,
29
die Berufung zurückzuweisen.
30
Sie bestreiten – wie bereits in 1. Instanz – eine Benutzung des Klagepatents:
31
Es fehle nicht nur, wie vom Landgericht zutreffend festgestellt, eine patentgemäße
Koppelung der Verbindungsleine an eines der Verbindungsglieder, sondern die nach
dem Klagepatent notwendige Anzahl der Verbindungsglieder. Nach dem Wortlaut
"mehrere" seien mindestens drei erforderlich, die angegriffene Ausführungsform weise
aber nur – was unstreitig ist – zwei Verbindungsglieder auf. Schließlich sei die
Verbindungsleine auch nicht "an der Lenkstange", sondern weit oberhalb derselben mit
einer Zugleine verbunden.
32
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der
Parteien nebst Anlagen sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
33
II.
34
Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.
35
Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die angegriffene
Ausführungsform verletzt das Klagepatent nicht.
36
1.
37
Nach der einleitenden Erläuterung der Klagepatentschrift betrifft die Erfindung ein
Steuersystem für einen Zugdrachen, insbesondere für einen Kite, mit einer Lenkstange,
die über mindestens zwei Leinen mit dem Zugdrachen verbindbar ist, und einer
Trapezaufnahme, die über mehrere miteinander verbundene Verbindungsglieder mittig
mit der Lenkstange verbunden ist, und mit einer Verbindungsleine, die an der
Lenkstange mit einer Leine des Zugdrachens verbindbar ist.
38
Als Stand der Technik greift das Klagepatent die WO 01/68212 auf, bei der an der
Lenkstange ein Gurt angebracht ist, den der Fahrer über ein Trapez anlegen kann. Der
Nachteil an diesem Steuersystem wird darin gesehen, dass bei einem notwendigen
Lösen des Trapezes von dem Zugdrachen aufgrund von kräftigem Wind der Zugdrachen
von dem Fahrer getrennt wird und wegfliegt, so dass der Fahrer Schwierigkeiten haben
kann, die beiden Elemente wieder zusammen zu führen.
39
An den weiter bekannten Zugdrachen, bei denen die Lenkstange zur Behebung des
gerade genannten Nachteils zusätzlich mit einem Sicherheitsseil an den Fahrer
gekoppelt ist, erachtet die Klagepatentschrift als nachteilig, dass sich das Trapez bei
einem Looping des Zugdrachens oder des Fahrers mit dem Sicherheitsseil verwickeln
kann.
40
Die ebenfalls zitierte US 6273369 sieht zwar eine seitliche Verbindungsleine vor, so
dass bei einem Loslassen der Lenkstange der Zugdrachen seitlich auswehen kann,
jedoch in Verbindung mit dem Sportler bleibt. Als nachteilig an diesem System erachtet
die Klagepatentschrift, dass eine Notlösevorrichtung für die Trapezaufnahme nicht
vorgesehen ist.
41
Als Aufgabe der Erfindung stellt die Klagepatentschrift daher heraus, dass ein
Steuersystem für einen Flugdrachen geschaffen werden soll, bei dem die Sicherheit des
Fahrers durch eine 2-stufige Notlösevorrichtung zwischen dem Fahrer und dem
Zugdrachen gewährleistet ist und zusätzlich der Nachteil vermieden wird, dass
unbeabsichtigt das Sportgerät ohne Not vom Fahrer getrennt wird.
42
Dieses Ziel wird mit der Erfindung dadurch erreicht, dass
43
die mittige Verbindung zwischen Lenkstange und Trapezaufnahme einen
Notlösemechanismus umfasst, der einfach durch Verschieben gelöst werden kann
und so ohne viel Kraftaufwand den Zug des Drachens schlagartig vermindert, was
gerade bei hohen Windbelastungen notwendig ist,
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45
eine weitere, seitliche Verbindung geschaffen wird, die noch wirksam ist, wenn der
Lösemechanismus der mittigen Verbindung getrennt ist, so dass der Fahrer über
die Verbindungsleine nach wie vor mit dem Zugdrachen in Verbindung ist, ohne
dass die Zugbelastung zu hoch ist,
46
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für letzteres die Lenkstange nach dem Lösen an den Leinen nach oben zu dem
Zugdrachen hin gleiten kann und nicht weiter am Fahrer gehalten ist.
48
49
In seinem Hauptanspruch sieht das Klagepatent demgemäß die Kombination folgende
Merkmale vor:
50
1. Steuersystem für einen Zugdrachen (1).
51
52
2. Das Steuersystem hat
53
54
a. eine Lenkstange (4),
55
56
b. eine Trapezaufnahme (16) und
57
58
c. eine Verbindungsleine (8).
59
60
3. Die Lenkstange (4) ist über mindestens 2 Leinen (2, 3) mit einem Zugdrachen (1)
verbindbar.
61
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4. Die Trapezaufnahme (16) ist mit der Lenkstange (4) verbunden, und zwar
63
64
a. mittig
65
66
b. über mehrere Verbindungsglieder (13, 12, 24),
67
68
c. die (ihrerseits) miteinander verbunden sind.
69
70
5. Die Verbindungsleine (8) ist an der Lenkstange (4) mit einer Leine (2, 3) des
Zugdrachens (1) verbindbar.
71
72
6. An die Verbindungsleine (8) ist eines der Verbindungsglieder (13, 12, 24)
zwischen der Lenkstange (4) und der Trapezaufnahme (16) gekoppelt.
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7. Zwischen demjenigen Verbindungsglied (13), das mit der Verbindungsleine (8)
gekoppelt ist, und der Lenkstange (4) ist ein Notlösemechanismus (12)
vorgesehen.
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8. Der Notlösemechanismus (12) umfasst
77
78
a. einen Griff (25) und
79
80
b. einen in dem Griffteil (25) aufgenommenen Haken.
81
82
9. Durch Verschieben des Griffteils (25) ist
83
84
a. der Haken freigebbar und
85
86
b. die Verbindung zwischen der Lenkstange (4) und dem mit der
Verbindungsleine (8) gekoppelten Verbindungsglied (13) lösbar.
87
88
2.
89
Diese Merkmale weist die angegriffene Ausführungsform nicht in vollem Umfang auf.
90
a)
91
Zwar fehlt es nicht – wie vom Landgericht angenommen – an der Verwirklichung des
Merkmals 6, welches besagt, dass die Verbindungsleine zwischen der Lenkstange und
der Trapezaufnahme an eines der Verbindungsglieder gekoppelt ist. Denn mittels der
vom Landgericht in Bezug genommenen Öse wird bei der angegriffenen
Ausführungsform die Verbindungsleine mit einem Verbindungsglied im Sinne des
Merkmals 4b, nämlich der Verbindung zwischen der Trapezhalterung (16) und dem
Notlösemechanismus (12) gekoppelt. Die Öse umschließt, wie der Fachmann aus der
Abbildung Anlage K 10a ersieht, die Verbindung zwischen Trapezhalterung und
Notlösemechanismus, welche zur Kraftübertragung zwischen Trapezaufnahme und
Lenkstange zwingend erforderlich ist. Diese mittelbare Befestigung genügt auch mit
Rücksicht auf die Funktion der Verbindungsleine. Sie soll gem. der obigen Merkmale 6
und 9b an eines der Verbindungsglieder gekoppelt sein, die die Hauptverbindung
zwischen Lenkstange und Trapezaufnahme repräsentieren und zwar an ein solches
Verbindungsglied, das sich jenseits der Lösestelle befindet, damit die Trapezaufnahme
im Falle einer Notlösung der Hauptverbindung über das zugeordnete Verbindungsglied
und die damit gekoppelte Verbindungsleine mit dem Zugdrachen verbunden bleibt.
92
Eine Verbindung der Verbindungsleine mit der eigentlichen Trapezaufnahme, wie von
93
den Beklagten angenommen, liegt nicht vor, wie sich der Senat in der Sitzung am
20.08.2009 durch Inaugenscheinnahme der angegriffenen Ausführungsform
überzeugen konnte. Dass der Übergang der Trapezaufnahme zum
Notlösemechanismus in einem Stück gearbeitet ist, ändert daran nichts. Bei dieser
Sachlage wäre eine unmittelbare Verbindung zwischen Trapezaufnahme und
Verbindungsleine nur zu bejahen, wenn die Verbindungsleine direkt mit der Schlaufe
der Trapezaufnahme verbunden wäre.
b)
94
Auch ist das Merkmal 4b, wonach die Verbindung der Trapezaufnahme mit der
Lenkstange über mehrere Verbindungsglieder erfolgt, erfüllt. Nach dem Wortlaut
"mehrere" bedarf es - lediglich - mindestens zweier Verbindungsglieder. "Mehrere"
bezeichnet das Gegenteil von "eins", wobei die über "eins" hinausgehende Anzahl offen
bleibt. Auch nach Sinn und Zweck der Erfindung sind nicht mehr als zwei
Verbindungsglieder erforderlich. Wie vorstehend erläutert bedarf es eines
Notlösemechanismus, der ein der Trapezaufnahme zugeordnetes Verbindungsglied
aufweist, das nach dem Betätigen der Notauslösung der Trapezaufnahme zugeordnet
bleibt und an dem die Verbindungsleine gekoppelt ist, sowie ein anderes Teil, das der
Lenkstange zugeordnet ist und sich beim Betätigen der Notauslösung dauerhaft aus der
Hauptverbindung löst. Solche zwei Verbindungsglieder, von denen eines auf jeweils
einer Seite der Lösestelle angeordnet ist, besitzt die angegriffene Ausführungsform
unstreitig.
95
c)
96
Nicht verwirklicht wird von den Beklagten in der angegriffenen Ausführungsform jedoch
das Merkmal 5. Es verlangt die Verbindbarkeit der Verbindungsleine an der Lenkstange
mit einer Leine des Zugdrachens. Die Verbindungsleine ist bei der angegriffenen
Ausführungsform jedoch nicht an der Lenkstange mit einer Leine des Zugdrachens
verbunden bzw. verbindbar. Wie die Klägerin selber im Termin am 20.08.2009
vorgetragen hat und auch anhand des vorgeführten Exemplars der angefochtenen
Ausführungsform zu ersehen ist, greift die Verbindungsleine bei dieser Konstruktion 50
cm oberhalb der Lenkstange an die Zugleine an. Das ist weder nach dem Wortlaut des
Klagepatents noch nach der Funktion der geschützten Erfindung "an der Lenkstange".
97
Der Argumentation der Klägerin, "an der Lenkstange" bezeichne nur exakt diejenigen
Zugleinen, an die die Verbindungsleine gekoppelt werden soll, kann nicht gefolgt
werden. Zu diesem Zweck war die Angabe "an der Lenkstange" ersichtlich nicht
notwendig, weil die entsprechenden Zugleinen als die einzigen neben der
Verbindungsleine im Patentanspruch überhaupt vorkommenden Leinen eindeutig
identifiziert waren. Erst recht gilt dies mit Rücksicht auf die im Patentanspruch
verwandten Bezugszeichen. Der Zusatz "an der Lenkstange" kann von daher vom
Fachmann nur als "geografische" Festlegung desjenigen Ortes verstanden werden, an
dem die Verbindung zwischen Zugleine und Verbindungsleine erfolgen soll.
98
So verstanden ist – jedenfalls bei rein sprachlicher Auslegung - ein Abstand von 50 cm,
wie er bei der angegriffenen Ausführungsform gegeben ist, nicht mehr "an der
Lenkstange".
99
Eine Verbindung im Bereich der Lenkstange gebietet – worauf es entscheidend
100
ankommt – aber auch die technische Funktion der klagepatentgeschützten Erfindung.
Letztere ist der Patentbeschreibung (Absatz [0011]) zu entnehmen. Nach der dortigen
Erläuterung soll es - nach Betätigung des Notlösemechanismus (12) - zu einem
"Auswehen" des Zugdrachens kommen können, ohne dass das nach oben Rutschen
der Lenkstange durch die Verbindungsleine behindert wird. Diesen positiven Effekt
gewährt ein Anbringen der Verbindungsleine 50 cm oberhalb der Lenkstange nicht. In
diesem Fall bleibt die Lenkstange, wenn weitere Mittel nicht verwandt werden, nach
Betätigung des Notlösemechanismus (12) vielmehr unter der Verbindungsleine hängen.
Mit dem in der besagten Beschreibungsstelle (Absatz [0011]) angegebenen nach oben
Rutschen der Lenkstange greift das Klagepatent den Stand der Technik zum
Prioritätszeitpunkt auf, wie er sich aus der US-Patentschrift 6,273,369 B1 (Anlage K4)
ergibt. Das dort beschriebene System wird vom Klagepatent ausdrücklich als
"gattungsgemäßes" Steuersystem für einen Zugdrachen bezeichnet, weswegen es alle
– vorbekannten – Merkmale des im Hauptanspruch 1 ausgewiesenen Oberbegriffs und
mithin auch die Anbindung der Verbindungsleine an die Zugleine "an der Lenkstange"
zeigt. Bereits die US-Patentschrift 6,273,369 B1 bezweckt mit dieser Maßnahme die für
die Lenkstange geschaffene Möglichkeit, nach dem Lösen des Notmechanismus nach
oben zum Flugdrachen zu gleiten.
Die genannte US-Patentschrift beanstandet am damaligen Stand der Technik, wie er
sich aus den beiden nachfolgenden Skizzen Fig. 2 und 3 ergibt, nämlich, dass die
Verbindungsleine des Fahrers zum Drachen bzw. zu einer seiner Zugleinen relativ lang
sein musste, sich mit dem Fahrer, dem Brett oder der Lenkstange verwickeln konnte und
zusätzlichen aerodynamischen Zug verursachte (Sp. 4 Z.18-24). Wählte man bei dem
damals bekannten Stand der Technik eine zu kurze Verbindungsleine, war ein nicht
komplettes oder uneffektives Zusammenfallen des Drachens die Folge. Der Drachen
schleifte die Lenkstange und den Fahrer ggf. ein erhebliches Stück mit sich und die
Zugleinen konnten sich verwickeln (Sp. 4 Z.24-28).
101
Dem begegnet der Gegenstand der US 6,273,369 B1 – wie durch die nachfolgenden
Abbildungen Fig. 4 und 5 verdeutlicht wird – dergestalt, dass die Lenkstange an ihren
Enden mit durchbohrten Abschlusstücken versehen, an einem Ende der Lenkstange
diese mit einer der Zugleinen fest verbunden und am anderen Ende eine andere
Zugleine durch die Öffnung des Anschlussstücks gezogen und dahinter mit der
Verbindungsleine verbunden wurde.
102
Gibt der Fahrer bei dieser Konstruktion die Lenkstange frei, schlägt das Ende der
Lenkstange mit der festen Verbindung zum Zugleinensystem nach oben um und die
Lenkstange rutscht in paralleler Haltung zur am anderen Ende durch die Öffnung
gezogenen Leine an dieser Richtung Drachen hoch (Sp. 2 Z.31-34).
103
Diese vorteilhafte Konstruktion sollte mit der Erfindung des Klagepatents beibehalten
werden, weswegen auch Patentanspruch 1 verlangt, dass die Verbindung zwischen
Verbindungs- und Zugleine nicht irgendwo, sondern – wie aus der gattungsbildenden
US-Patentschrift 6,273,369 B1 geläufig - an der Lenkstange vorzunehmen ist.
104
Ein Gebrauchmachen von der Erfindung mit äquivalenten Mitteln wird von der Klägerin
nicht – auch nicht hilfsweise – geltend gemacht. Eine Prüfung von Amts wegen durch
das Gericht findet nicht statt (vgl. Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten in
der Praxis, 3.Aufl., Rdnr.50), da dem Beklagten in diesem Fall der sog. Formstein-
Einwand abgeschnitten würde, den vorzubringen er so lange keine Veranlassung hat,
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wie eine Äquivalenz vom Kläger nicht geltend gemacht wird.
III.
106
Die Kostenentscheidung für die 2.Instanz folgt aus § 97 Abs.1 ZPO.
107
Für die 1. Instanz beruht die vom Landgericht im Ergebnis zu Recht getroffene
Kostenquote auf §§ 91 Abs.1 und 269 Abs.3 ZPO. Zutreffend ist das Landgericht von
einer teilweisen Klagerücknahme ausgegangen, da die Klägerin zunächst auch eine
Verletzung des Klagepatents durch das 5-Leinen-System der Beklagten geltend
gemacht hatte. Dies war auch – wie nachfolgend geschehen – bei der
Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen.
108
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr.10, 711
ZPO.
109
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht. Vorliegend stellen sich keine
entscheidungserheblichen Rechtsfragen, deren Beantwortung durch den
Bundesgerichtshof zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich wäre.
110
Streitwert:
111
für die 2.Instanz: 35.000,- €
112
für die 1.Instanz: bis zum 09.07.2008 bis 50.000,- €, ab dem
10.07.2008 35.000,- €
113