Urteil des OLG Düsseldorf vom 18.03.2003

OLG Düsseldorf: polizei, obliegenheit, unverzüglich, versicherungsschutz, fahndung, einbruchdiebstahl, neuwert, berg, anzeige, lebenserfahrung

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-4 U 189/02
Datum:
18.03.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-4 U 189/02
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 6. August 2002 verkündete
Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kleve - Einzelrichter - wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird gestattet, die Zwangsvollstreckung des Klägers
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des Verurteilungsbetrages
abzuwenden, sofern nicht der Kläger seinerseits Sicherheit in Höhe von
120 % des jeweils beizutreibenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
1
I. Der Kläger beansprucht Versicherungsleistungen aus der Hausratversicherung (VHB
84) wegen Einbruchdiebstahls.
2
In der Nacht vom 10. auf den 11. Februar 2001 drangen unbekannt gebliebene Täter in
das Einfamilienhaus des Klägers in K... ein und entwendeten nach Behauptung des
Klägers vornehmlich Schmuck und Bargeld (Schadenliste BA 16 Js 548/01 StA Kleve
Bl. 52). Mit Schreiben vom 26. Juli 2001 (GA 14) verweigerte die Beklagte
Versicherungsschutz mit der Begründung, da die Stehlgutliste (§ 21 (1) b) VHB 84) trotz
mehrfacher Anforderung der Polizei erst am 15. März 2001 vorgelegt worden sei, sei sie
unter dem Blickwinkel der Obliegenheitsverletzung leistungsfrei.
3
Das Landgericht hat der Klage (nach Beweisaufnahme, GA 83 ff.) im wesentlichen,
nämlich in Höhe von 27.082,93 EUR, stattgegeben und u.a. ausgeführt, in Betracht
komme hier allenfalls eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung; diese führe indes
nicht zur Leistungsfreiheit, weil davon auszugehen sei, dass sich die verspätete
Einreichung der Stehlgutliste nicht ausgewirkt habe. Die Beklagte habe nicht dargelegt,
was die Polizei bei früherer Vorlage der Liste veranlasst haben würde.
4
Mit ihrer Berufung rügt die Beklagte, das Landgericht habe die für eine vorsätzliche
Obliegenheitsverletzung sprechende Vermutung ohne hinreichende Grundlage für
widerlegt gehalten. Entgegen dem angefochtenen Urteil sei auch der
Kausalitätsgegenbeweis in bezug auf die verspätete Vorlage der Stehlgutliste nicht
erbracht. Die Feststellung des Landgerichts zur Höhe seien rechtsfehlerhaft.
5
Der Senat hat Beweis erhoben.
6
Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
7
II. Die Berufung bleibt ohne Erfolg.
8
1. Der Versicherungsfall - Einbruchdiebstahl (§§ 3 Nr. 2, 5 Nr. 1a) VHB 84) - ist
erwiesen. Das Landgericht hat für den Senat bindend (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO)
festgestellt, dass der Kläger Opfer eines Einbruchdiebstahls geworden ist. Ihre dagegen
ursprünglich geäußerten Bedenken, die an der Wintergartentür vorgefundenen Spuren
ließen den Schluss auf ein gewaltsames Eindringen nicht zu, hat die Beklagte im
Senatstermin fallengelassen (vgl. Protokoll v. 25.2.2003 GA 149).
9
2. Entgegen der Auffassung der Berufung ist die Beklagte nicht wegen verspäteter
Vorlage eines Verzeichnisses der abhandengekommenen Sachen (Stehlgutliste) bei
der Polizei (§ 21 Nr. 1 b) i. V. m. § 21 Nr. 3 VHB 84, § 6 Abs. 3 VVG) leistungsfrei
geworden.
10
Die Vorlage der Liste bei der Polizei am 15. März 2001 (BA 16 Js 548/01 StA Kleve, Bl.
78) war zwar verspätet. Seit dem Versicherungsfall vom 10./11. Februar 2001 war mehr
als ein Monat verstrichen. Die Vorlage war damit nicht mehr unverzüglich.
11
Zu Recht hat das Landgericht jedoch die Vermutung (§ 6 Abs. 3 VVG) für widerlegt
gehalten, dass der Kläger gegen die Obliegenheit, die Liste unverzüglich vorzulegen,
vorsätzlich verstoßen hat. Die als Zeugin vernommene Ehefrau des Klägers hat vor dem
Senat glaubhaft ausgesagt, sie und ihr Mann seien zwar darüber informiert gewesen,
dass sie eine solche Liste der Polizei übergeben sollten, von irgendwelchen Fristen
oder der Notwendigkeit, die Liste unverzüglich einzureichen, sei jedoch keine Rede
gewesen. Auf eine besondere Dringlichkeit hingewiesen zu haben, hat auch der Zeuge
M... nicht bestätigt, der sich nicht einmal ganz sicher war, ob er die Stehlgutliste
überhaupt angemahnt hatte (vgl. GA 151). Auf eine Vernehmung des gegenbeweislich
aufgebotenen Zeugen H..., der mangels ladungsfähiger Anschrift von der Beklagten zum
Termin gestellt werden sollte, aber nicht erschienen ist, hat die Beklagte nicht
bestanden (vgl. Sitzungsprotokoll v. 25.2.2003, GA 152).
12
Auch der Formularhinweis in der "Schadenanzeige Einbruchsdiebstahl ..." (GA 44)
macht auf die Notwendigkeit einer unverzüglichen Vorlage der Stehlgutliste nicht mit der
gebotenen Klarheit aufmerksam. Abgesehen davon fehlt auch jede Belehrung - die in
ein Formular unschwer hätte aufgenommen werden können -, dass der
Versicherungsschutz im Falle verspäteter Vorlage der Liste auf dem Spiel steht. Nach
den Erfahrungen des Senats sind die Auswirkungen auf den Versicherungsschutz bei
Verzögerungen, eine für die Polizei bestimmte Schadenaufstellung vorzulegen,
verbreitet nicht geläufig. Ein vorsätzlicher versicherungsrechtlicher Verstoß kann nur
gegeben sein, wenn dem Versicherungsnehmer auch die Existenz der diesbezüglichen
Obliegenheit bekannt ist. Dass sich jemand absichtlich in die Gefahr des Verlustes
13
seiner Ansprüche durch wissentliches Hinauszögern gebotener Anzeigen und
Meldungen bringen will, steht nach der Lebenserfahrung nicht zu erwarten (vgl.
Prölss/Voit, 26. Aufl., § 153 VVG Rn. 3 m.w.N. zur Parallelfrage rechtzeitiger Anzeige im
Haftpflichtfall). Überdies hatte der Kläger hier eine Schadenliste bereits am 26. Februar
2001 dem Agenten der Beklagten ausgehändigt (GA 9). Das rechtfertigt den Schluss,
dass der Kläger mit einer Konkretisierung der entwendeten Teile nicht bewusst hinter
dem Berg halten wollte.
Wenn man davon ausgeht, dass der Kläger entsprechend der gesetzlichen Vermutung
die Obliegenheit zur unverzüglichen Einreichung der Stehlgutliste grob fahrlässig
verletzt hat, führt dies ebenfalls nicht zur Leistungsfreiheit der Beklagten. Denn der
Kläger hat nachgewiesen, dass die Verletzung ohne Einfluss auf den Umfang der vom
Versicherer zu erbringenden Leistung geblieben ist (§ 21 Nr. 3 VHB 84 i.V.m. § 6 Abs. 3
VVG). Der Kriminalbeamte M... hat als Zeuge vor dem Senat erläutert, eine Fahndung
unter Verwertung der Stehlgutliste würde nur insoweit in Betracht gekommen sein, als
bei Diebesbeute, die aufgrund von eingestempelten Herstellerkennzeichnungen (etwa
Gerätenummern) oder sonstigen dauerhaften Merkmalen individualisierbar sei, eine
Meldung in einen internationalen EDV-Suchverbund eingestellt werde. Die
Fahndungserfolge seien indes eher mäßig (GA 151/ 152). Im vorliegenden Fall geht es
im wesentlichen um Schmuck und sonstige Teile, die nicht aufgrund einer
Herstellerkennzeichnung oder aus sonstigen Gründen individualisierbar waren. Nach
solchen Kennzeichnungen war in bezug auf die Uhren und den Schmuck in dem von
der Polizei ausgehändigten Vordruck nicht einmal gefragt (erwähnte Beiakten Bl. 79 R).
Dazu hat der Kläger folgerichtig auch in der von ihm letztlich doch am 15. März 2001
(BA Bl. 78) der Polizei eingereichten Liste keine Angaben gemacht.
14
Die Frage, ob die beiden Mobiltelefone und das Lap-Top individualisierbar waren, und
ob der Kläger die Gerätenummern hätte angeben können, ist unerörtert geblieben. Die
Beklagte hat die letztlich eingereichte Liste ohne solche Gerätenummern (BA Bl. 80/81)
jedenfalls inhaltlich nicht beanstandet. Wäre diese Liste früher eingereicht worden,
würde eine Fahndung über den EDV-Verbund ebenfalls nicht möglich gewesen sein.
Selbst wenn eine Suchmeldung hätte eingegeben werden können, wäre dem ein Erfolg
mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht beschieden gewesen.
15
Gegebenenfalls käme auch ein Schadenersatzanspruch des Klägers gegen die
Beklagte aus positiver Forderungsverletzung in Betracht. Die Beklagte muss sich
Versäumnisse ihres Agenten gem. § 278 BGB zurechnen lassen, der den Kläger, als
dieser ihm, dem Agenten, die Schadenliste am 26. Februar 2001 persönlich
aushändigte (GA 9), hätte danach fragen müssen, ob denn diese Liste auch bereits der
Polizei vorlag. Denn der Obliegenheit der Einreichung der Schadenliste bei der Polizei
wird - wie bereits erwähnt - vielfach nicht die gebotene Bedeutung beigemessen, was
ein Agent wissen muss.
16
3. An die Feststellung des Landgerichts zur Höhe ist der Senat gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1
ZPO gebunden. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und
Vollständigkeit der Feststellungen begründen würden, sind nicht ersichtlich. Das
Landgericht hat der von ihm als Zeugin vernommenen Ehefrau des Klägers (vgl. GA 83
f.) geglaubt, dass die aufgelisteten Gegenstände entwendet worden sind und dass diese
den angegebenen Wert hatten (vgl. dazu ferner BA Bl. 80 f.). Die Werte sind zu einem
nicht unerheblichen Teil durch Anschaffungsrechnungen oder Bestätigungen belegt. Im
übrigen hat sich die Zeugin für das Landgericht glaubhaft an den Anschaffungspreisen
17
orientiert. Exakteres und mehr kann man von Seiten eines durch Einbruchdiebstahl
Geschädigten nicht erwarten. Die Zeugin hat darüber hinaus auch auf den Senat, der
sie in anderem Zusammenhang gehört hat, einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen.
Entgegen der Berufung war das Landgericht nicht gehalten, dem Beweisantritt der
Beklagten nachzugehen, gegenbeweislich zur Schadenhöhe ein
Sachverständigengutachten (GA 36/37) einzuholen. Die pauschale formelhafte
Wendung, die "behaupteten Wiederbeschaffungspreise und Preise" würden bestritten,
konnte nicht als ein auf den konkreten Fall zugeschnittenes substantiiertes Vorbringen
gewertet werden, welches die für die Einholung eines Sachverständigengutachtens
unverzichtbaren tatsächlichen Anknüpfungspunkte aufgezeigt hätte. Gewisse
Bewertungsunterschiede wirken sich hier überdies nicht aus, weil für Schmuck aufgrund
der Entschädigungsgrenze nur 40.000 DM beansprucht werden, obwohl der
tatsächliche Anschaffungs- und Neuwert, wie ihn der Kläger präzisiert hat (BA Bl. 80/81)
und seine Ehefrau als Zeugin bestätigt haben, bei fast 70.000 DM gelegen hat.
18
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
19
Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.
20
Berufungsstreitwert: 27.082,93 EUR.
21
Dr. S... Dr. W... B...
22