Urteil des OLG Düsseldorf vom 21.08.2009

OLG Düsseldorf (aufrechnung, gkg, höhe, streitwert, forderung, abweisung der klage, gegenforderung, wirtschaftliche identität, zpo, 1995)

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-5 W 58/08
Datum:
21.08.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
5. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-5 W 58/08
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Kläge-rin
wird die Streitwertfestsetzung des Landgerichts im Urteil vom
17.11.2008 (15 O 101/07) teilweise abgeändert und der Streitwert auf
23.187,28 € festgesetzt.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten wer-
den nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Die Klägerin wurde von der Beklagten mit Auftragsschreiben vom 19.01. (Nr. 1287) und
29.03.2006 (Nr. 1287-1) mit Planungs- und Ausführungsleistungen im Zusammenhang
mit der Verlagerung einer Lackieranlage einer Fa. E… inklusive Fördertechnik von N…
nach B… in der T… beauftragt. Mit der mit Klageschrift vom 25.02.2007 eingereichten
Klage hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der mit Rechnung
vom 03.07.2006 über 11.078,23 € geltend gemachten Vergütung restlicher
Montagearbeiten entsprechend dem Angebot vom 29.3.2006 beantragt.
1
Die Beklagte ist der Klage in vollem Umfang entgegengetreten. Sie hat die Auffassung
vertreten, der Klägerin stehe unter Außerachtlassung von Gewährleistungsansprüchen
unter Berücksichtigung bereits von ihr erbrachter Zahlungen nur noch ein Betrag von
10.562,82 € zu. Desweiteren hat sich die Beklagte Schadensersatzansprüche berühmt,
die ihr wegen Fehlleistungen der Klägerin bei Leistungserbringung zustünden. Zum
einen seien die Planungsleistungen der Klägerin mangelhaft gewesen, als sich nach
Einrichtung und Montage der Anlage in der T… herausgestellt habe, dass der von ihr
(Beklagten) gegenüber ihrem Auftraggeber geschuldete Zyklus der Lackieranlage von
20 Sekunden für die Lackierung eines Heizkörpers nicht eingehalten worden sei. Um
diesen Mangel zu beheben, habe der EDV-Dienstleister T… im Auftrag der Beklagten
umfangreiche Zusatzarbeiten erbringen müssen, die für sie – die Beklagte – zu einem
Kostenaufwand von 25.600,-- € geführt hätten. Weiterhin hätten zahlreiche Stahlträger
gefehlt bzw. seien fehlangeordnet worden, wodurch eine umfangreiche Ergänzung der
Stahlkonstruktion erforderlich geworden sei. Die Fa. A…, die die Stahlkonstruktion auf
Grundlage der von der Klägerin erstellten Planung errichtet habe, habe in ihrem – der
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Beklagten – Auftrag zahlreiche Umbauten und Ergänzungsarbeiten erbringen müssen,
die für die Beklagte zu einem kostenmäßigen Mehraufwand von 45.000,-- € netto geführt
hätten.
Das Landgericht – Einzelrichterin - hat mit Urteil vom 17.11.2008 die Beklagte
antragsgemäß zur Zahlung von 11.078,23 € verurteilt. Den Einwand der Beklagten, der
Klägerin stehe allenfalls ein Anspruch in Höhe von noch 10.562,82 € zu, hat das
Landgericht für unsubstantiiert gehalten. Der Klageanspruch sei nicht gem. § 398 BGB
infolge Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen aus Schlechtleistung in Höhe von
insgesamt 70.600,00 € erloschen, da der Beklagten solche Ansprüche aus §§ 633, 634
Nr. 4, 280 Abs. 1 und Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB nicht zustünden. Hinsichtlich der gerügten
unzureichenden Zykluszeit der Lackieranlage fehle es jedenfalls an den weiteren
Voraussetzungen der §§ 634 Nr. 4, 281 BGB, da die Beklagte der Klägerin nicht eine
angemessen Frist zur Nacherfüllung gegeben habe. Soweit die Beklagte behauptet
habe, es seien mehrere Stahlträger falsch eingebaut worden, sei eine Frist zur
Nacherfüllung ebenfalls nicht gesetzt worden. Den Streitwert hat das Landgericht im
Urteil auf 11.078,23 € festgesetzt.
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Gegen diese Streitwertfestsetzung richtet sich die von den Prozessbevollmächtigten der
Klägerin im eigenen Namen eingelegte Streitwertbeschwerde, mit der diese beantragen,
unter Abänderung der landgerichtlichen Streitwertfestsetzung den Streitwert auf
56.078,23 € festzusetzen. Zur Begründung haben sie im Wesentlichen ausgeführt: die
Erklärungen der Beklagten in der Klageerwiderung hinsichtlich der Gegenforderungen
seien als Primäraufrechnung mit der angeblichen Forderung in Höhe von 25.600 € und
als Hilfsaufrechnung bezüglich der angeblichen Forderung in Höhe von 45.000,-- €
auszulegen. Die zur Hilfsaufrechnung gestellte angebliche Forderung in Höhe von
45.000,-- € sei aufgrund § 45 Abs. 3 GKG Streitwert erhöhend zu berücksichtigen. Eine
der Rechtskraft fähige Entscheidung über die insoweit zur Hilfsaufrechnung gestellte
Forderung liege mit dem Urteil vom 17.11.2008 vor. Der Streitwert setze sich aus der
Summe der Klageforderung (11.078,23 €) und der zur Hilfsaufrechnung gestellten
Forderung von 45.000,-- € zusammen, so dass der Streitwert insgesamt 56.078,23 €
betrage.
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Die Beklagte hält die Streitwertbeschwerde für unbegründet. Gegenstand der
Aufrechnung sei ein einheitlicher Schadensersatzanspruch als
Gewährleistungsanspruch aus dem mit Klägerin geschlossenen Werkvertrag gewesen.
Insoweit habe es sich lediglich um unselbstständige Schadenspositionen des
einheitlichen Gewährleistungsanspruchs der Beklagten gehandelt.
5
Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat
vorgelegt. Es hat ausgeführt: Die zur Aufrechnung gestellte Forderung in Höhe von
45.000,-- € sei nicht Streitwert erhöhend zu berücksichtigen. Zwar komme § 45 Abs. 3
GKG zur Anwendung, wenn sich der Beklagte mit einer Primäraufrechnung in der Form
verteidige, dass er mehrere Gegenansprüche untereinander hilfsweise gestaffelt zur
Aufrechnung stelle, und wenn über alle Gegenforderungen eine rechtskräftige
Entscheidung ergehe. Dies gelte jedoch nicht, wenn die geltend gemachten
Forderungen einen einheitlichen Schadensersatzanspruch betreffen würden und
lediglich in der Weise von einander abzugrenzen seien, dass unterschiedliche
Schadenspositionen geltend gemacht würden.
6
II)
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1.
8
Die Streitwertbeschwerde ist als sofortige Beschwerde nach §§ 68 Abs. 1 GKG, 32 Abs.
2 RVG statthaft und auch ansonsten zulässig, insbesondere gemäß § 68 Abs. 1 Satz 3
GKG fristgerecht eingelegt. Über sie hat der Senat in der nach dem
Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung zu befinden, nachdem der
zunächst nach § 568 Satz 1 ZPO zuständige Einzelrichter gemäß § 568 Satz 2 ZPO mit
Beschluss vom heutigen Tage das Verfahren auf den Senat übertragen hat.
9
2.
10
In der Sache ist die Beschwerde teilweise begründet. Der Streitwert für das
landgerichtliche Verfahren beläuft sich unter Berücksichtigung der von der Beklagten in
der Klageerwiderung erstmalig erklärten Aufrechnung(en) in Anwendung des § 45 Abs.
3 GKG auf 23.187,28 €.
11
a)
12
Die Beklagte hat gegen die Restwerklohnklage der Klägerin zum einen eingewandt,
dass die geltend gemachte Vergütungsforderung in Höhe von 11.078,23 € wegen
teilweiser Erfüllung aufgrund von ihr erbrachter Zahlungen nur in Höhe von 10.562,82 €
bestehe und damit die Klage in Höhe von 515,41 € unbegründet sei. Abseits dieser
materiellen Einwendung hat die Beklagte der Klage entgegen gehalten, ihr – der
Beklagten – stünden wegen mangelhafter Planungsleistungen und der von ihr
dieserhalb durch Beauftragung von Drittunternehmern zur Mängelbeseitigung
aufgewandten Kosten in Höhe von einmal 25.600,-- € und einmal 45.000,-- €
Schadensersatzansprüche zu, mit denen sie in dieser Reihenfolge die Aufrechnung
erkläre, so dass die Klageforderung in jedem Fall erloschen sei.
13
Dieses Verteidigungsvorbringen der Beklagten ist im Hinblick auf die Einordnung der
Aufrechnungserklärungen dahingehend auszulegen, dass es sich bei der ersten
Aufrechnung in Höhe von 10.562,82 € um eine Primäraufrechnung handelt, in Höhe von
515,41 € um eine Hilfsaufrechnung, da in dieser Höhe das
Hauptverteidigungsvorbringen auf den Erlöschenseinwand gerichtet ist, damit nach dem
anzunehmenden Willen der Beklagten insoweit auf den Aufrechnungseinwand
eventualiter nur für den Fall zurückgegriffen werden soll, dass der Primäreinwand nicht
durchdringt. Die weitere Aufrechnung in Höhe von 45.000,-- € steht wiederum im
Eventualverhältnis zum Aufrechnungseinwand bezüglich der Gegenforderung über
25.600,-- €.
14
b)
15
Bei der streitwertmäßigen Behandlung dieser solcherart gestaffelten Verteidigung
gegen die Klage mit mehrfacher Aufrechnung ist von folgenden Maßstäben
auszugehen:
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Soweit der Beklagte bei einer unbestrittenen Klageforderung diese mit dem
Aufrechnungseinwand zu Fall bringen will und die Aufrechnung nur mit einer
Gegenforderung erklärt, handelt es sich um eine (Haupt-)Primäraufrechnung, bei der
eine Werterhöhung gemäß § 45 Abs. 3 GKG ausscheidet. Macht der Beklagte hilfsweise
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die Aufrechnung mit einer bestrittenen Gegenforderung geltend, handelt es sich um eine
Hilfs- oder Eventualaufrechnung, und erhöht sich damit in Anwendung des § 45 Abs.3
GKG der (im übrigen durch die Klageforderung bestimmte) Streitwert des Verfahrens um
den Wert der Gegenforderung, soweit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie
ergeht. Hält der Beklagte der nicht bestrittenen Klageforderung mehrere (rechtlich
selbständige) Gegenforderungen mit der Aufrechnung entgegen, handelt es sich nur bei
der ersten um eine Hauptaufrechnung. Dies folgt aus der Erwägung, dass die weiteren
Gegenforderungen nur für den Fall zur Aufrechnung gestellt werden, dass die
Klageforderung nicht bereits durch die erste Aufrechnung, also die Hauptaufrechnung,
erloschen (§ 389 BGB) ist. Bei dieser Betrachtungsweise wird deutlich, dass die
Klageforderung zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Gegenforderung nicht mehr
unbestritten ist, da sie dem auf der Hauptaufrechnung beruhenden Tilgungseinwand
ausgesetzt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 01.02.1995, XII ZR 218/94, NJW-55 1995, 508f
= WM 1995, 906ff = zitiert nach Juris Rz. 20; Schneider/Herget, Streitwertkommentar für
den Zivilprozess, 12. Aufl. 2007, Rz. 585f). Die Anwendung des § 45 Abs. 3 GKG führt
damit bei hilfsweiser Aufrechnung mit mehreren Gegenansprüchen gegen eine
bestrittene Klageforderung in dem Fall, dass das Gericht die Klage für begründet, die
Aufrechnungsforderungen jedoch für unbegründet erachtet, dazu, dass der Streitwert
nach der Summe des Klageanspruchs und der Gegenansprüche festzusetzen ist. Dies
kann dazu führen, dass sich der Streitwert auf ein Vielfaches des Klagestreitwertes
erhöht. Indessen begrenzt der Umfang der begründeten Klageforderung auch bei einer
solchen Mehrfachaufrechnung den Betrag der jeweiligen bei der Streitwertbemessung
werterhöhend wirkenden Gegenforderung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom
04.06.1993, 10 W 67/93, NJW-RR 1994, 1279).
c)
18
Ausgehend von diesen Maßstäben ergibt sich für den vorliegenden Fall Folgendes:
19
Die Klageforderung war wegen des von der Beklagten erhobenen Tilgungseinwand nur
in Höhe 515,41 € bestritten, ansonsten unbestritten. Bei der Aufrechnung mit der
angeblichen mängelbedingten Schadensersatzforderung in Höhe von 25.600,-- €
handelt es sich mithin lediglich in dieser Höhe um eine nach § 45 Abs. 3 GKG
streitwerterhöhende Hilfsaufrechnung und ansonsten um eine Primäraufrechnung, die
sich nicht auf den Streitwert auswirkt. Die zweite Aufrechnung wiederum stellt sich als
Hilfsaufrechnung im Sinne des § 45 Abs. 3 GKG dar, die zur Streitwerterhöhung geführt
hat. Der Streitwert setzt sich also aus der Summe der Klageforderung, des als
Hilfsaufrechnung zu behandelnden Teils der ersten Aufrechnung und aus dem Wert der
zweiten Gegenforderung, die in vollem Umfang als Hilfsaufrechnung zu behandeln ist,
jedoch begrenzt auf den Umfang der vom Landgericht für begründet erachteten
Klageforderung (11.078,23 € + 515,41 € + 11.078,23 € = 23.187,28 €).
20
3.
21
Eine andere Bewertung ist auch nicht unter Berücksichtigung der vom Landgericht in
der Nichtabhilfeentscheidung und von der Beklagten in ihrer Beschwerdeerwiderung
vertretenen Rechtsauffassung gerechtfertigt, wonach es sich bei den
Aufrechnungserklärungen nicht um die Aufrechnung mit zwei selbständigen
Gegenforderungen, sondern um die Aufrechnung mit einer Schadensersatzforderung,
die von der Beklagten in zwei nicht verselbständigte Teilbeträge aufgeteilt worden sei,
gehandelt habe.
22
a)
23
Richtig ist, dass die obigen Grundsätze zur streitwertmäßigen Behandlung im Falle der
gestaffelten (hilfsweisen) Aufrechnung mit mehreren Gegenforderungen in einer
insgesamt die Klageforderungen übersteigenden Höhe nur dann greifen, wenn es sich
bei dem Verteidigungsmittel des Beklagten um mehrere rechtlich selbständige
Gegenforderungen handelt. Insoweit hat der BGH in dem Beschluss vom 01.02.1995,
XII ZR 218/94, NJW-RR 1995, 508, 509 zit. nach juris Rz. 25, klargestellt, dass mehrere
nicht verselbständigte Teilbeträge derselben Forderung nicht in einem
Eventualverhältnis zueinander zum Gegenstand von Hilfsaufrechnungen gemacht
werden können. Anderenfalls hätte es der Aufrechnende nämlich in der Hand seine
mögliche Beschwer durch Aufteilung seiner Forderung beliebig zu vervielfachen.
24
b)
25
Entgegen der Meinung des Landgerichts handelt es sich im vorliegenden Fall bei den
von der Beklagten aufrechnungsweise geltend gemachten Gegenforderungen nicht um
unselbständige Teilbeträge derselben Forderung bzw. unselbständige
Berechnungsposten eines einheitlichen Anspruchs. Für diese Bewertung ist es letztlich
nicht von ausschlaggebender Bedeutung, dass die Beklagte ihre hier in Rede
stehenden Forderungen auf dieselbe Rechtsgrundlage und auf einen gleichgearteten
Sachvortrag stützt, nämlich darauf, dass der Klägerin Planungsfehlern unterlaufen
seien, deren Folgen sie – die Beklagte – nur durch Inanspruchnahme von
Drittunternehmen mit entsprechendem Kostenaufwand ausgleichen konnte. Es kann in
diesem Zusammenhang offen bleiben, ob die Beklagte hier den
Aufwendungserstattungsanspruch bei mangelbedingter Selbstvornahme im Sinne des §
637, 634 Nr. 2 BGB oder einen mangelbedingten Schadensersatzanspruch nach den §§
634 Nr. 4, 636, 280, 281 BGB hat geltend machen wollen.
26
Um unselbständige Berechnungsposten ein und desselben
Mängelgewährleistungsanspruches würde es sich nur dann handeln, wenn die geltend
gemachten Schäden bzw. die zu deren Beseitigung aufgewandten Kosten bei
lebensnaher Betrachtungsweise auf eine (dieselbe) Leistungspflichtverletzung, mithin
auf einen Mangel zurückzuführen sind. Behauptet der Besteller, das von dem
Auftragnehmer erstellte Werk habe an verschiedenen Stellen unterschiedliche Mängel
aufgewiesen, und macht er die ihm für die Beseitigung der jeweiligen Mängel
entstandenen Kosten zum Gegenstand seiner Aufrechnung, handelt es sich bei den
einzelnen Positionen um jeweils selbständige Forderungen, die auch eigenständig
aufrechenbar sind und in einem Eventualverhältnis zueinander gestellt werden können.
Dies folgt bereits daraus, dass der Besteller hinsichtlich jeden Mangels zwischen den
verschiedenen in § 634 BGB angeführten Gewährleistungsrechten unter den jeweiligen
Voraussetzungen wählen kann. Der Umstand, dass es sich um die Verletzung von
Leistungspflichten aus einem Vertrag handelt, ist in diesem Zusammenhang
unbeachtlich.
27
Auf der Grundlage dieser Erwägungen erweisen sich die Forderungen der Beklagten
als selbständige Ansprüche und nicht als unselbständige Berechnungsposten nur eines
Anspruchs. Denn die Beklagte hat sich auf unterschiedliche Planungsfehler der
Klägerin gestützt, die sich auch an vollkommen unterschiedlichen Teilen des
Gesamtwerkes (Demontage und Neumontage der Lackieranlage) ausgewirkt haben
28
sollen. Zum einen haben vermeintliche Planungsfehler der Klägerin in Rede gestanden,
die die Nichteinhaltung des vertraglich geschuldeten Zyklus der Lackieranlage zur
Folge gehabt haben sollen; zum anderen ist es um vermeintliche Pflichtverletzungen der
Klägerin bei der Planung gegangen, die zum Fehlen notwendiger Stahlstützen geführt
haben sollen.
4.
29
Der Streitwerterhöhung aufgrund der hilfsweisen Aufrechnung mit Gegenansprüchen
durch die Beklagte gemäß § 45 Abs. 3 GKG steht im Übrigen auch nicht entgegen, dass
es sich bei den Gegenansprüchen um mängelbedingte Zahlungsansprüche handelt, die
ihren Ursprung in demselben Vertragsverhältnis haben, das die Grundlage für den die
Klageforderung darstellenden Vergütungsanspruch ist.
30
a)
31
In der älteren obergerichtlichen Rechtsprechung wurde auf der Basis der so genannten
Differenztheorie die (hilfsweise) Geltendmachung von werkvertraglichen
Gegenansprüchen durch den Besteller gegen die Werklohnforderung des
Unternehmers, die aus derselben werkvertraglichen Leistungsbeziehung stammen,
nicht als Aufrechnung sondern als unselbständige Verrechnungsposition innerhalb
einer Saldierung von Aktiv- und Passivposten behandelt. Diese Qualifizierung führte
dann wiederum dazu, dass eine streitwertmäßige Erhöhung gemäß § 19 Abs. 2 a.F. = §
45 Abs. 3 GKG n.F. nicht erfolgte, wenn solche Ansprüche hilfsweise dem
Werklohnanspruch des Unternehmers entgegen gesetzt werden. Ob in allen
Fallkonstellationen der Geltendmachung von monetären Gewährleistungsansprüchen
durch den verklagten Besteller wegen Mängeln des Werkes, dessen Vergütung der
Auftragnehmer mit der Werklohnklage verlangt, lediglich als Verrechnung anzusehen
war, wurde in der obergerichtlichen Rechtsprechung uneinheitlich gesehen (zu all dem
ausführlich Senat, Beschluss vom 24.05.2005, I-5 W 37/04, BauR 2005, 1962ff = MDR
2006, 88f zit nach juris Rz. 11). Der Senat hat mit der Entscheidung vom 24.05.2005
(a.a.O. juris Rz. 14) – unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung die Auffassung
vertreten, dass es für die Behandlung des Anspruchs des Bestellers auf Erstattung von
Mängelbeseitigungskosten, der hilfsweise dem Vergütungsanspruch entgegengehalten
wird, als bloßen Verrechnungsposten im Sinne der Differenztheorie keine
überzeugende dogmatische Rechtfertigung gibt.
32
b)
33
Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 23.06.2005 (VII ZR 197/03, BGHZ 163, 274ff =
NJW 2005, 2771ff = BauR 2005, 1477ff zit nach juris Tz. 17ff) judiziert, dass zwar ein
Abrechnungsverhältnis begründet wird, wenn der Auftragnehmer einen
Vergütungsanspruch hat und dem Auftraggeber allein auf Geldzahlung gerichtete
Ansprüche wegen der unvollständigen oder mangelhaften Fertigstellung des Werkes
zustehen. Dieser Übergang des Vertragsverhältnisses aus dem Erfüllungsstadium in ein
Abrechnungsstadium führt jedoch nach Auffassung des BGH nicht dazu, dass die
Forderung und Gegenforderung nicht den Regeln der Aufrechnung unterliegen (BGH,
a.a.O. TZ 19). Mit diesem Urteil hat der BGH seine frühere Rechtsprechung, aus der
teilweise entnommen werden konnte, dass dem sogenannten kleinen
Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung aus § 635 BGB (a.F.) im Rahmen einer
Verrechnung von Werklohn und Gegenforderung keine eigenständige Bedeutung zu
34
Verrechnung von Werklohn und Gegenforderung keine eigenständige Bedeutung zu
komme, so dass Aufrechnungsverbote keine Anwendung finden, aufgegeben (a.a.O. Tz.
21).
c)
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Mit dieser Entscheidung wurde der Auffassung, dass bei einer Hilfsaufrechung mit
einem Mängelanspruch eine Streitwerterhöhung nach § 45 Abs. 3 GKG (= 19 Abs. 3
GKG a.F.) nicht stattfinde, weil es sich tatsächlich nicht um eine Aufrechnung sondern
um eine Verrechnung eines unselbständigen Saldierungsposten handelt, die
dogmatische Rechtfertigung entzogen (so Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts,
3. Aufl. 2008, 5. Teil, Rz. 180). Die Anerkennung des Gegenanspruchs des verklagten
Auftraggebers als selbständige Forderung führt jedoch nicht zwangsläufig zu einer
Streitwerterhöhung, wenn diese Gegenforderung als Hilfsverteidigungsmittel eingesetzt
wird. So wird vertreten, dass sich unter besonderer Berücksichtigung der im
Gebührenstreitwertrecht angezeigten wirtschaftlichen Betrachtungsweise (vgl. hierzu
BGH, Beschluss vom 06.10.2004, IV ZR 287/02, NJW-RR 2005, 506; Beschluss vom
17.03.2004, XII ZR 162/00, NZM 2004, 423 unter 2. b)) in den Fällen, in denen sich der
Auftraggeber in erster Linie mit der fehlenden Fälligkeit verteidigt, z.B. weil er die
Abnahme wegen bestimmter Mängel verweigert, und nur hilfsweise mit einem
monetären Mängelanspruch (der sich auf die selben Mängel bezieht) die
Klageforderung bekämpft, eine Streitwert erhöhende Wirkung der Hilfsaufrechnung
verbietet (vgl. Kniffka/Koeble a.a.O.; Kessen, BauR 2005, 1691, 1697; so wohl auch
OLG Hamm, Beschluss vom 30.11.2005, 17 W 42/05, NJW-RR 2006, 456f = OLGR
Hamm 2006, 455f = IBR 2006, 426 mit Anm. Schwenker zitiert nach juris Rz. 7). Denn
das prozessuale Ziel des beklagten Bestellers ist unverändert auf die Abweisung der
Klage wegen der Mängel gerichtet, unabhängig davon, ob die Mängel durch das
Bestreiten der Fälligkeit der Werklohn(klage)forderung eingebracht oder als eigenes
Angriffsmittel im Rahmen einer Aufrechnung angeführt werden. Dieselben Erwägungen
greifen auch, wenn der Auftraggeber in erster Linie Minderung und nur hilfsweise
Schadensersatz oder Vorschuss zur Kostenerstattung geltend macht (vgl.
Kniffka/Koebel, a.a.O.; Keesen, a.a.O.).
36
Dieser Rechtsmeinung schließt sich der Senat ausdrücklich an. Aus dem
verfassungsrechtlichen Rechtsgewährungsanspruch folgt eine restriktive – also den
Streitwert möglichst niedrig haltende - Auslegung der gebührenrechtlichen Vorschriften
(so ausdrücklich im Hinblick auf die Streitwertbehandlung der Widerklage gemäß § 19
Abs. 1 GKG a.F. = § 45 Abs. 1 GKG BGH, Beschluss vom 06.10.2004, IV ZR 287/03,
NJW-RR 2005, 506). Zu berücksichtigen ist ebenfalls, dass dem Streitwertrecht
regelmäßig bei generalisierender Betrachtungsweise eine gewisse Übereinstimmung
mit dem durch die Gerichte zu betreibenden Aufwand innewohnt. Hat sich bei den hier
in Rede stehenden Fallgestaltungen das Gericht mit den vom Beklagten eingewandten
Mängeln bereits bei Prüfung der Klageforderung als solche zu befassen, so ist eine
zumindest wirtschaftliche Identität dieses "Mängeleinwandes" mit der dann hilfsweise
zur Aufrechnung gestellten mangelbedingten Gegenforderung gegeben.
37
Diese Betrachtungsweise hinsichtlich der (Hilfs-) Aufrechnung mit Mangelrechten ist
jedoch dann nicht gerechtfertigt, wenn das primäre Verteidigungsvorbringen des
beklagten Bestellers keine Beziehung zu den Mängeln hat, die die Grundlage für die zur
Aufrechnung gestellten monetären Mängelansprüche darstellen. In diesen Fällen
befasst sich das Gericht erstmalig im Zusammenhang mit der Hilfsaufrechnung des
Beklagten mit den in diesem Rahmen bedeutsamen Mängelbehauptungen des
38
Bestellers.
d)
39
Vorliegend ist nach Maßgabe dieser Kriterien für die Hilfsaufrechnung der Beklagten an
dem werterhöhenden Charakter gemäß § 45 Abs. 2 GKG festzuhalten. Denn das
primäre Verteidigungsvorbringen der Beklagten zielte nicht auf die Feststellung, dass
der Klägerin der geltende gemachte Vergütungsanspruch mangels Abnahme der
Werkleistung, die zu verweigern sie wegen Mängel berechtigt wäre, oder wegen einer
mängelbedingten Minderung nicht zusteht. Vielmehr hat sich die Beklagte – im
Wesentlichen – bereits bei ihrer Hauptverteidigung aufrechnungsweise eines
Erstattungs- oder Schadensersatzanspruches wegen aufgewandter
Mängelbeseitigungskosten bedient und mit der Hilfsaufrechnung in Bezug auf eine
hiervon völlig unabhängige Mängelbehauptung einen weiteren Mängelanspruch in den
Prozess eingeführt. Eine gebührenrechtliche Identität des Haupt- und des
Hilfsverteidigungsvorbringen ist unter besonderer Berücksichtigung der jeweilig vom
Gericht in seine Prüfung einzubeziehenden Mängel hier nicht gegeben. Nach alledem
verbleibt es vorliegend bei der Anwendung des § 45 Abs. 3 GKG und der daraus
folgenden Streitwerterhöhung.
40
III.
41
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da das Streitwertbeschwerdeverfahren
gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet (§ 68 Abs. 3 GKG).
42
IV.
43
Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 ZPO n.F.
zu. Die Frage der streitwertmäßigen Behandlung der Hilfsaufrechnung mit
Mängelansprüchen durch den Besteller gegen die Werklohnforderung ist von
grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da es sich um eine
klärungsbedürftige Frage handelt, die in Vergütungsprozessen wegen des regelmäßig
auftretenden und in Hilfsaufrechnungen eingekleideten Mängeleinwandes in einer
unbestimmten Vielzahl von Fällen auftaucht. Höchstrichterlich ist diese Frage noch nicht
endgültig geklärt. Eine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung ist nicht festzustellen
(insbesondere nach Wegfall der Verrechnungsrechtsprechung durch das Urteil des
BGH vom 23.06.2005 nicht). Die o.a. Entscheidung des OLG Hamm vom 30.11.2005,
a.a.O., befasst sich nicht mit der hier gegebenen Konstellation. Vor diesem Hintergrund
erscheint dem Senat eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts auch zur
Fortbildung des Rechts im Sinne des § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erforderlich.
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J…
B…
P…
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