Urteil des OLG Düsseldorf vom 02.05.2007

OLG Düsseldorf: zustellung, sinn und zweck der norm, angemessener zeitraum, ablauf der frist, leistungsfähigkeit, bekanntmachung, vergabeverfahren, eignungsprüfung, ausschluss, verfügung

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 1/07
Datum:
02.05.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 1/07
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der
Vergabekammer bei der Bezirksregierung Arnsberg vom 29. Dezember
2007, VK 31/06, wird zurückgewiesen
Der Antragstellerin werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens und
des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB sowie die au-
ßergerichtlichen Kosten und Auslagen des Antragsgegners und der
Beigeladenen auferlegt.
Der Gegenstandswert beträgt bis 10.050.000,00 €.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
1
I.
2
Der Antragsgegner schrieb im Juli 2006 im Wege des offenen Verfahrens europaweit
die Durchführung bundesweiter förmlicher Zustellungen für das Land Nordrhein-
Westfalen, soweit sie durch das Gemeinsame Gebietsrechenzentrum H... (GGRZ)
eingeliefert werden, aus. Der ausgeschriebene Leistungsumfang umfasste die
Beförderung, die förmliche Zustellung der Sendungen nach den Vorschriften der
Zivilprozeßordnung (ZPO) und des Landesverwaltungszustellungsgesetzes (LVwZG
NRW), die Rückführung, die elektronische Erfassung und Auswertung der
Postzustellungsurkunden (PZU) sowie die Übermittlung der dabei gewonnenen Daten
an den Auftraggeber. Ferner umfasst war die Ersatzzustellung durch Niederlegung
gemäß § 181 ZPO. Es sollte ein Rahmenvertrag mit einem Auftragnehmer über eine
Laufzeit von vier Jahren beginnend ab dem 1. Februar 2007 abgeschlossen werden.
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Ausweislich der Vergabebekanntmachung unter Ziffern IV.2.1) war als einziges
Zuschlagskriterium der Preis vorgesehen.
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Die Antragstellerin, die Beigeladene und vier weitere Bieter reichten Angebote ein. Das
Angebot eines Bieters wurde wegen Nichtvorlage einer Lizenz von der Wertung
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ausgeschlossen. Die anderen Angebote gelangten in die weitere Wertung. Nach der
vierten Stufe der Angebotswertung lag die Antragstellerin mit ihrem Angebot an zweiter
Stelle, die Beigeladene an erster Stelle der Angebotswertung. Die Antragstellerin bot
einen Nettopreis ohne Umsatzsteuer an, der ihr von der Bundesnetzagentur befristet bis
zum 31. Dezember 2009 genehmigt worden war. Auch der von der Beigeladenen
angebotene Preis wurde von der Bundesnetzagentur am 31. Oktober 2006 genehmigt.
Mit Schreiben vom 31. Oktober 2006, eingegangen am 3. November 2006, teilte der
Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass der Zuschlag aus wirtschaftlichen Gründen
auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden solle. Mit Schreiben ihrer
Verfahrensbevollmächtigten vom 9. November 2006 rügte die Antragstellerin, das
Angebot der Beigeladenen ändere die Verdingungsunterlagen ab. Es sei formal
unvollständig. Die Beigeladene sei nicht leistungsfähig und vermöge auch keine
Referenzen über vergleichbare Tätigkeiten vorzulegen, soweit es die elektronische
Auslesung von Postzustellungsurkunden betreffe. Sie vermute ferner, es fehle dem
Angebot an Bereitstellungserklärungen der Tochterunternehmen der Beigeladenen. Der
angebotene Preis sei unauskömmlich. Der Antragsgegner half der Rüge mit Schreiben
vom 13. November 2006 nicht ab.
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Gegen die beabsichtigte Zuschlagsentscheidung reichte die Antragstellerin einen
Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer ein. Die Vergabekammer wies den
Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 29. Dezember 2006 als in der Sache
unbegründet zurück. Sie begründete dies damit, das Angebot der Beigeladenen sei -
unabhängig von einem etwaigen Ausschluss des Angebots der Antragstellerin –
wertungs- und ermessensfehlerfrei zu bezuschlagen.
7
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der diese in
erster Line die Aufhebung des Beschlusses der Vergabekammer, Untersagung des
Zuschlags auf das Angebot der Beigeladenen und die Wiederholung der
Angebotswertung sowie hilfsweise die Aufhebung des Vergabeverfahrens begehrt.
8
Die Antragstellerin vertritt unter anderem die Auffassung, das Angebot der
Beigeladenen sei wegen einer Änderung an den Verdingungsunterlagen
auszuschließen, zumindest sei die Beigeladene aber nicht leistungsfähig. Sie unterhalte
– auch unter Einschluss der Zustellungsnetze ihrer Tochterunternehmen – weder ein
flächendeckendes bundesweites Zustellungsnetz, noch habe sie die bundesweite
Verfügbarkeit von Niederlegungsstellen nachgewiesen. Die Beigeladene beabsichtige
auch nicht, ein bundesweites Zustellungsnetz zu unterhalten, wie sich aus einem ihr,
der Antragstellerin, erst kürzlich bekannt gewordenen Vertragsangebot in anderer
Sache entnehmen lasse. Ihr (der Antragstellerin) eigenes Angebot sei nicht wegen
Unvollständigkeit der Preisangabe von der Wertung auszuschließen. Sie habe einen
Bruttopreis angeboten. Der Nettopreis entspreche dem Bruttopreis.
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Die Antragstellerin beantragt,
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den angefochtenen Beschluss aufzuheben,
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dem Antragsgegner zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der
Beigeladenen zu erteilen,
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den Antragsgegner anzuweisen, die Angebotswertung unter Berücksichtigung
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der Rechtsauffassung des Beschwerdesenats zu wiederholen,
hilfsweise, den Antragsgegner anzuweisen, das Vergabeverfahren
aufzuheben.
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Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,
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die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.
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Sie verteidigen den Beschluss der Vergabekammer und tragen unter anderem vor:
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Es sei von den Bietern zur Überprüfung der Eignung nur gefordert gewesen, eine
Planung für ein bundesweites Zustellungssystem und ein Konzept für die bundesweite
Einrichtung von Niederlegungsstellen vorzulegen.
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Die Beigeladene vertritt zudem die Ansicht, das Angebot der Antragstellerin müsse vom
Auftraggeber nach § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A zwingend von der Wertung ausgenommen
werden.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen. Die Akten der Vergabekammer und die Vergabeakten
lagen zu Informationszwecken vor.
20
II.
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Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
22
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Die Antragstellerin ist antragsbefugt und hat der
Rügeobliegenheit genügt.
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a) Die Antragsbefugnis ergibt sich aus dem im Angebot dokumentierten Interesse am
Auftrag. Außerdem behauptet die Antragstellerin schlüssig eine Verletzung in eigenen
Rechten durch Nichtbeachtung der Vergabevorschriften, nämlich durch den
unterlassenen Ausschluss des Angebots der Beigeladenen. Die Antragstellerin hat
ebenfalls dargelegt, dass ihrem Unternehmen infolgedessen ein Schaden zu entstehen
droht. An die Darlegung des Schadens sind keine allzu hohen Anforderungen zu
stellen. Es genügt jede Verschlechterung der Aussichten durch den einzelnen
Vergaberechtsverstoß den Zuschlag auf das Angebot zu erhalten. Das Angebot der
Antragstellerin liegt als eines von sechs eingegangenen Angeboten, von denen eines
bereits wegen Nichtvorlage der Lizenz auszuschließen war (B... GmbH - Bieter Nr. 4),
mit seinem Nettopreis an zweiter Stelle der Bieterreihenfolge. Vor der Antragstellerin
liegt nur die Beigeladene, die den Zuschlag erhalten soll.
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b) Die Antragstellerin hat ihre Obliegenheit zur unverzüglichen Rüge gemäß § 107 Abs.
3 Satz 1 GWB hinsichtlich der im Rügeschreiben vom 9. November 2006 erhobenen
einzelnen Rügen nicht verletzt. Die Rügen sind – entgegen der Auffassung der
Beigeladenen - nicht verspätet erfolgt. Der Zeitraum von 6 Tagen zwischen Zugang der
Bieterinformation nach § 13 VgV am 3. November 2006 und Abfassung sowie Zugang
des Rügeschreibens am 9. November 2006 bei der Antragsgegnerin ist als unverzüglich
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im Sinne des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB anzusehen. Die danach zur Verfügung stehende
Zeitspanne zwischen Kenntniserlangung und Rüge darf maximal zwei Wochen
betragen (vgl. BayObLG NZBau 2000, 481, 483; OLG Düsseldorf NZBau 2000, 45,47=
NJW 2000, 145).
Die Kenntnisnahme erfordert aber nicht nur die Kenntnis der einen Rechtsverstoß
begründenden Tatsachen, sondern gleichermaßen die wenigstens laienhaft und durch
vernünftige Beurteilung hervorgebrachte rechtliche Wertung und Vorstellung des
Antragstellers, dass der betreffende Vergabevorgang zu beanstanden sei. Es kann offen
bleiben, ob die erforderliche positive Tatsachenkenntnis bei der Antragstellerin in
Anbetracht des eingeschränkten Informationsgehalts des Bieterinformationsschreibens
vom 31. Oktobers 2006 zum Zeitpunkt des Zugangs des Schreibens vorhanden war.
Angenommen, die Antragstellerin hat zum Zeitpunkt des Zugangs der Bieterinformation
auch über die erforderlichen Tatsachenkenntnisse verfügt, so ist ihr aber zur
Konsultation eines anwaltlichen Bevollmächtigten, der das Rügeschreiben abgefasst,
zusätzlich ein angemessener Zeitraum zuzubilligen. Ihrem Rechtsanwalt ist ebenfalls
ein angemessener Zeitraum zur Prüfung der Sach- und Rechtslage einzuräumen. Die
anwaltliche Prüfung war, wie die Antragstellerin vorgetragen und der Antragsgegner, der
darlegungs- und beweispflichtig ist, nicht widerlegt hat, erst am 8. November 2006
abgeschlossen. Die Antragstellerin musste im Streitfall das Rügeschreiben nicht selbst
verfassen, sondern durfte sich schon aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der
Waffengleichheit eines eigenen anwaltlichen Beistands versichern. Die
Antragsgegnerin war schon im Vergabeverfahren durch ihre späteren
Verfahrensbevollmächtigten anwaltlich beraten.
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Die Antragstellerin ist mit der Rüge der Unklarheit der unter Ziffern III.2.2) der
Bekanntmachung angegebenen Mindestanforderungen an die Eignung nicht gemäß
§ 107 Abs. 3 Satz 2 GWB präkludiert. Nach dieser Vorschrift kann der Antragsteller die
aufgrund der Bekanntmachung erkennbaren Verstöße gegen Vergabevorschriften nur
spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung
gegenüber dem Auftraggeber geltend machen. Für die Erkennbarkeit der Verstöße gilt
jedoch ein subjektiver Maßstab (vgl. Senat, Beschl. v. 18.10.2006, VII-Verg 35/06,
VergbeR 2007, 200, 203 f.). Den Maßstab für die Erkennbarkeit eines
Vergaberechtsverstoßes bilden die individuellen Verhältnisse des Antragstellers. Die
Möglichkeit zur Beanstandung der Vergabebekanntmachung endete im Streitfall nicht
spätestens mit der Einreichung des Angebots. Der bloße Umstand, dass es sich bei der
Antragstellerin um ein bei Ausschreibungen langjährig erfahrenes Unternehmen
handele, belegt nicht, dass die Fehlerhaftigkeit der Vergabebekanntmachung von ihr
erkannt werden konnte. Die Rechtsverstöße waren nur unter Aufwendung juristischen
Sachverstandes erkennbar, ohne dass die Antragstellerin vergaberechtlich gehalten
war, solchen Sachverstand durch Zuziehung eines Rechtsanwalts zur Aufklärung über
die Erkenntnismöglichkeiten heranzuziehen. Es ist der Antragstellerin nicht zu
widerlegen, dass sie über die erforderlichen rechtlichen Sachverstand nicht verfügte und
der Verstoß für sie infolgedessen nicht zu erkennen war, zumal die Frage der Klarheit
der Angabe in der Vergabebekanntmachung eine nicht einfach zu beurteilende
Rechtsfrage darstellt.
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Ebenso wenig ist die Antragstellerin mit der Rüge präkludiert (§ 107 Abs. 3 Satz 2
GWB), der Antragsgegner habe die Eignungsprüfung auf einen unzutreffenden
Prüfungsgegenstand bezogen, nämlich diese Prüfung auf ein von den Bietern
ausgearbeitetes Konzept für die Niederlegung und eine Planung der Organisation der
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Zustellung erstreckt. Die Vergabebekanntmachung verhielt sich hierüber nicht.
2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Es kann dahinstehen, ob das Angebot der
Antragstellerin von der Wertung auszuschließen ist. Selbst bei einem Verbleiben des
Angebots der Antragstellerin in der Wertung hat der Nachprüfungsantrag keinen Erfolg.
Das Angebot der Beigeladenen ist nicht von der Wertung auszunehmen. Die
Angebotswertung ist nicht zu wiederholen. Das Vergabeverfahren ist auch nicht
aufzuheben.
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a) Das Vergabeverfahren ist nicht - unter Offenlassung von Ausschlussgründen, die das
Angebot der Beigeladenen betreffen - teilweise aufzuheben. Die Rüge der
Antragstellerin, die Angaben in der Bekanntmachung unter Ziffern III.2.2.) seien unklar,
ist unbegründet.
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Fachkunde- und Eignungsnachweise sind eindeutig gefordert worden. Nach § 7 a Nr. 2
Abs. 3 VOL/A hat der Auftraggeber bereits in der Vergabebekanntmachung anzugeben,
welche Nachweise vom Bieter vorzulegen sind. Nach § 17 Nr. 1 Abs. 2 m VOL/A, der
auf § 7 Nr. 4 und § 2 VOL/A verweist, sollen die Bekanntmachungen zu öffentlichen
Ausschreibungen Angaben über die verlangten Nachweise für die Beurteilung der
Eignung des Bieters enthalten. Diese müssen im Einzelnen aufgeführt werden, damit
sich die Bieter darauf einstellen und sich rechtzeitig die entsprechenden Nachweise
beschaffen können. Die Angaben der Bekanntmachung zu den mit dem Angebot
vorzulegenden Eignungsnachweisen müssen klar und widerspruchsfrei sein.
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Diesen Erfordernissen genügt die im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
abgedruckte Bekanntmachung. Sie enthält unter Ziffern III.2.2) eine eindeutige
Aufzählung der Eignungsnachweise. Die Vergabebekanntmachung lautete wie folgt:
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III.2.2.) Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit:
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Angaben und Formalitäten, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Auflagen
zu überprüfen: Das Land Nordrhein-Westfalen verlangt zum Nachweis der Eignung
(Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit) von den Bietern/den
Bietergemeinschaften die nachfolgend aufgelisteten
Unterlagen/Erklärungen/Angaben:
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1.) Beantwortung firmenbezogener Fragen zur Zustellung und Niederlegung
(Firmen-Fragenkatalog)
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37
Die Antragstellerin vertritt die Ansicht, die Vergabebekanntmachung wäre nur eindeutig
zu verstehen gewesen, wenn die Anforderung unter 1.) den gesamten Inhalt des in den
Verdingungsunterlagen enthaltenen Firmen-Fragenkatalogs wiedergegeben hätte. Da
dies (aus Platzgründen) nicht der Fall gewesen sei, sei die Vergabebekanntmachung
unklar. Dem ist nicht zuzustimmen.
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Die Anforderung unter Ziffer 1.) ist nicht unklar oder mehrdeutig. Der Auftraggeber hat
klar und eindeutig bestimmt, welche Erklärungen er für die Eignungsbeurteilung
forderte, nämlich die Beantwortung eines Firmen-Fragenkatalogs zur Zustellung und
Niederlegung. Die Vergabebekanntmachung hatte nicht den vollständigen Inhalt des
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Firmen-Fragenkatalogs wiederzugeben. Zwar sollen nach § 17 Nr. 1 Abs. 2 m VOL/A
öffentliche Bekanntmachungen mindestens die mit dem Angebot vorzulegenden
Unterlagen (§ 7 Nr. 4 VOL/A), die gegebenenfalls vom Auftraggeber für die Beurteilung
der materiellen Eignung verlangt werden, enthalten. Unterlagen in diesem Sinne sind
auch Angaben, wie sich aus der Verweisung auf § 7 Nr. 4 VOL/A erschließt. In der
Regel muss der öffentliche Auftraggeber Angaben und Unterlagen, die er nach seiner
Einschätzung für die materielle Beurteilung der Eignung der Bieter benötigt, schon in
der Bekanntmachung bezeichnen. Sinn und Zweck der Bezeichnung der
Eignungsnachweise in der Bekanntmachung ist es, dem an der Auftragsvergabe
potentiell interessierten Unternehmen eine sachgerechte Entscheidung darüber zu
ermöglichen, ob sie sich am Vergabeverfahren beteiligen, also die
Verdingungsunterlagen anfordern wollen. § 7 a Nr. 2 Abs. 3 VOL/A verlangt vom
Auftraggeber aber lediglich anzugeben, welche der – ihrer Art nach - in § 7a Nr. 2 Abs. 1
und Abs. 2 VOL/A aufgeführten Nachweise vom Bieter gefordert werden. Einzelheiten
können in der Aufforderung zur Angebotsabgabe oder in den Verdingungsunterlagen
näher konkretisiert werden (vgl. Senat, Beschl. v. 26.7.2003, Verg 26/03, Umdruck S.13).
Im Streitfall war demnach ein vom Auftraggeber aufgestellter und vom Bieter zu
beantwortender Firmen-Fragenkatalog mit dem Angebot vorzulegen. Für den
verständigen Bieter war erkennbar, dass mit dem Firmen-Fragenkatalog, wie die
Bezeichnung ihrem Wortlaut nach nahe legt, nach Art und Zielrichtung unternehmens-
und auftragsspezifische Fragen zu beantworten waren. Die Fragen mussten in der
Bekanntmachung im Einzelnen nicht aufgeführt werden. Es reichte aus, dass die
Fragethemen durch die Angabe "Fragen zur Niederlegung und Zustellung"
schlagwortartig bezeichnet waren. Damit waren der Gegenstand, sowie Art und Inhalt
der im Firmen-Fragenkatalog enthaltenen und vom Bieter zu beantwortenden Fragen für
Zwecke der Vergabebekanntmachung hinreichend klar eingegrenzt. Einer
weitergehenden Konkretisierung des Inhalts des Eignungsnachweises bedurfte es nicht.
Die einzelnen Fragen durften im Sinne einer zulässigen Konkretisierung in den
Verdingungsunterlagen angegeben werden (vgl. Senat, Beschl. v. 26.7.2003, Verg
26/03, Umdruck S. 13).
b) Das Angebot der Beigeladenen ist nicht wegen einer Änderung an den
Verdingungsunterlagen gemäß § 21 Nr. 1 Abs. 3 i.V.m. § 25 Nr. 1 Abs. 1 d VOL/A
auszuschließen. Eine Änderung der Verdingungsunterlagen liegt insbesondere vor,
wenn das Angebot den Umfang der ausgeschriebenen Leistungen einschränkt. Ob die
Verdingungsunterlagen im Angebot geändert worden sind, ist im Wege eines
Vergleiches des Inhalts des Angebots mit den in den Verdingungsunterlagen
geforderten Leistungen festzustellen.
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Die Antragstellerin meint zwar, die Beigeladene biete nicht an, die Zustellungen und
Niederlegungen bundesweit und nach den Vorschriften der einschlägigen
Verfahrensordnungen vorzunehmen. Deshalb habe ihr Angebot die
Verdingungsunterlagen abgeändert. Dies ist jedoch nicht der Fall.
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Die Verdingungsunterlagen verlangen eine Zustellung nach den einschlägigen
Vorschriften der Verfahrensordnungen, insbesondere der Zivilprozessordnung. Die
zivilprozessuale Vorschrift über die Ersatzzustellung durch Niederlegung lautet wie
folgt:
42
§ 181
43
Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 oder § 180 nicht ausführbar, kann das
zuzustellende Schriftstück auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in dessen
Bezirk der Ort der Zustellung liegt, niedergelegt werden. Wird die Post mit der
Ausführung der Zustellung beauftragt, ist das zuzustellende Schriftstück am Ort der
Zustellung oder am Ort des Amtsgerichts bei einer von der Post dafür bestimmten
Stelle niederzulegen…..
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Die Vorschrift regelt die Voraussetzungen für eine (Ersatz-)Zustellung durch
Niederlegung von zuzustellenden Schriftstücken, nicht aber für eine bundesweite
Zustellung oder die Einrichtung privater Niederlegungsstellen. Die Niederlegung nach §
181 ZPO bei den Amtsgerichten steht nicht nur Gerichtsvollziehern und Geschäftsstellen
zur Verfügung, wie die Antragstellerin meint. Die Vorschrift zwingt private Anbieter von
Zustellungsleistungen auch nicht, eigene Niederlegungsstellen zu unterhalten. Die am
Ort der Zustellung oder am Ort des Amtsgerichts bei einer von der Post dafür bestimmte
Stelle kann das Amtsgericht, muss es aber nicht sein. Es kann sich auch um eine private
Niederlegungsstelle handeln. Nach der Entstehungsgeschichte und dem Willen des
Gesetzgebers sollte die Vorschrift eine Entlastung der Geschäftsstellen der
Amtsgerichte herbeiführen. Sie sollte nach ihrem Sinn und Zweck den
Justizverwaltungen ermöglichen, die Niederlegung für private
Postdienstleistungsunternehmen aus Kostengründen abzulehnen. § 181 ZPO zwingt
private Postdienstleister jedoch nicht dazu, eigene Niederlegungsstellen oder solche
bei privaten Dritten zu unterhalten. Ein solches Verständnis findet weder im Wortlaut
noch im Sinn und Zweck der Norm eine Stütze. Die Vorschrift schließt nicht aus, dass
die Amtsgerichte nach den ihnen hierfür zur Verfügung stehenden räumlichen und
personellen Möglichkeiten Niederlegungen für private Postdienstleister übernehmen.
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Die zivilprozessuale Norm soll mithin nicht in die Entscheidungsfreiheit eines
Unternehmens eingreifen, sein Zustellungssystem nach seinen wirtschaftlichen
Bedürfnissen zu organisieren. Die Unternehmen können anstatt der Amtsgerichte
ebenso selbständige Dritte zur Unterhaltung einer Niederlegungsstelle einschalten
und/oder konzerneigene Niederlegungsstellen unterhalten.
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Ausweislich ihres mit dem Angebot vorgelegten Konzepts beabsichtigt die Beigeladene,
Niederlegungen in einem abgestuften System wie folgt vorzunehmen:
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1. Niederlegung in der Wachtmeisterei des zuständigen Amtsgerichts, wo dies
zugelassen wird.
2. Niederlegung in der J..-Niederlassung, soweit eine solche im betreffenden
Amtsgerichtsbezirk vorhanden ist.
3. Niederlegung in einer dazu geeigneten Niederlassung externer Dritte
(unternehmensexterne Niederlassungsstellen).
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49
Bei dieser Ausgestaltung widerspricht das abgestufte Zustellungssystem der
Beigeladenen nicht der zivilprozessualen Vorschrift (§ 181 ZPO) über die Niederlegung
und ändert infolgedessen nicht die Verdingungsunterlagen ab. Es trägt dem Umstand
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Rechnung, dass die Amtsgerichte Ersatzzustellungen durch Niederlegungen kraft
Gesetzes nicht länger vornehmen müssen.
c) Die Eignungswertung ist nicht zu beanstanden. Sie weist keine die Antragstellerin in
ihren Rechten verletzende Fehler auf.
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(1.) Das Angebot der Beigeladenen ist nicht wegen Fehlens einer Unterschrift eines
Vertretungsberechtigten unter der Erklärung über erzielte Umsätze gemäß § 25 Nr. 2
Abs. 1 VOL/A von der Wertung auszuschließen. Die Umsatzerklärung der Beigeladenen
(Fach 17), die eine Unterschrift nicht aufweist, ist nicht unvollständig.
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Gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A sind in der zweiten Wertungsphase bei der Auswahl
der Angebote nur die Bieter zu berücksichtigen, die für die Erfüllung der vertraglichen
Verpflichtungen die erforderliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit
besitzen. Fordert der Auftraggeber zum Nachweis der Eignung mit dem Angebot die
Vorlage geeigneter Unterlagen oder Angaben, sind diese mit dem Angebot
einzureichen. Unterbleibt dies, unterliegt das Angebot in der zweiten Wertungsphase
einem Ausschluss von der weiteren Wertung. Die Antragstellerin hat die zum Nachweis
der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mit der
Vergabebekanntmachung geforderten Unterlagen in vollständiger Form vorgelegt. Das
Erfordernis, verlangte Eignungsnachweise mit dem Angebot vorzulegen, steht außer
Streit.
53
Nach § 7a Nr. 2 Abs. 3 Satz 1 VOL/A hat der Auftraggeber bereits in der
Vergabebekanntmachung anzugeben, welche Eignungsnachweise mit dem Angebot
vorzulegen sind. Nach § 17 Nr. 1 Abs. 2 m, Nr. 3 Abs. 1 m, Nr. 3 Abs. 2 l VOL/A hat er
danach nur noch die Wahl festzulegen, ob die Nachweise mit dem Angebot oder erst auf
Anforderung einzureichen sind. Er darf bei den Eignungsanforderungen in den
Verdingungsunterlagen oder zu einem späteren Zeitpunkt keine Nachforderungen
stellen, sondern die aufgrund der Vergabebekanntmachung verlangten
Eignungsnachweise in den Verdingungsunterlagen nur konkretisieren. Darüber geht die
Forderung einer Unterzeichnung der Umsatzerklärung jedoch hinaus.
54
In der Bekanntmachung war unter Ziffern III.2.2) als mit dem Angebot vorzulegender
Eignungsnachweis für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der Bieter
u.a. verlangt:
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7. Erklärung über den Gesamtumsatz des Unternehmens sowie zum Umsatz der
Leistungsart, die Gegenstand dieser Vergabe ist, jeweils bezogen auf die letzten 3
Geschäftsjahre.
56
Bei der Erklärung über den Gesamtumsatz (§ 7 a Nr. 2 Abs. 1 d VOL/A) handelt es sich
um eine Angabe zur wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit des Bieters,
mithin um einen Eignungsnachweis. In formeller Hinsicht war eine schriftliche Erklärung
über den Gesamtumsatz vom Bieter abzugeben. Die Beigeladene hat sich schriftlich zu
ihren Umsätzen erklärt. Sie hat die Umsatzerklärungen zwar nicht unterschrieben. Dies
führt jedoch nicht zu einem Ausschluss ihres Angebots nach § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A
wegen eines formell unvollständigen Eignungsnachweises. Eine Unterzeichnung der
Eigenerklärung war von den Bietern weder in der Vergabebekanntmachung noch in der
Aufforderung zur Abgabe des Angebots verlangt worden.
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Eine Eigenerklärung des Bieters zu seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bedarf
nicht per se der Unterzeichnung. Daran ändert der Umstand nichts, dass eine
"Erklärung" zu den Gesamtumsätzen gefordert wurde. Der Begriff der Erklärung verlangt
aus sich selbst heraus keine Unterzeichnung durch den Bieter, um als
Eignungsnachweis dienen zu können. Auch nicht unterzeichnete Erklärungen haben
Erklärungswert, wenn sie – wie hier – dem Angebot bestimmungsgemäß als Anlage
beigefügt sind und sie – was regelmäßig der Fall sein wird – von der Unterschrift auf
dem Angebotsblankett gedeckt sind. Will der Auftraggeber, dass Eigenerklärungen
gesondert unterzeichnet werden, muss er dies in der Vergabebekanntmachung oder -
konkretisierend - mit der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots oder in den
Verdingungsunterlagen verlangen. Dies ist im Streitfall unterblieben.
58
Nachträglich durfte eine Unterzeichnung von der Vergabestelle – wie hier mit der
Antwort vom 16. August 2006 auf eine Bieterfrage geschehen - nicht mehr gefordert
werden. Der Auftraggeber darf von den für die Eignungsnachweise bekannt gemachten
Vorgaben im weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens weder abweichen, noch darf er
diese ändern (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.7.2003, Verg 26/03, Umdruck S. 13;
Beschl. v. 25.11.2002, Verg 56/02; Beschl. v. 1.2.2006, VII-Verg 83/05, Umdruck S. 10;
Beschl. v. 18.10.2006, VII-Verg 35/06, Umdruck S. 14). Die Antwort der Vergabestelle
vom 16. August 2006, welche besagte, die dem Angebot beizufügende
Umsatzerklärung sei vom Bieter zu unterschreiben, lag den Bietern erst nach
Übersendung der Angebotsaufforderung und der Verdingungsunterlagen vor. Zu diesem
Zeitpunkt durfte von den bekannt gemachten Anforderungen an die mit dem Angebot
vorzulegenden Eignungsnachweise nicht mehr abgewichen und durften diese nicht
mehr geändert werden.
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(2.) Die Beigeladene ist auch nach § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A nicht von der Wertung
auszuschließen. Sie musste mit dem Angebot nicht nachweisen, dass sie zum Zeitpunkt
der Angebotsabgabe über ein bundesweites Zustellungsnetz oder bundesweite
Niederlegungsstelle verfügte.
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Die Antragstellerin beanstandet als vergaberechtsfehlerhaft, dass sich die Vergabestelle
bei der Prüfung der Eignung mit der Darstellung der bundesweit einzurichtenden
Zustellbezirke und der Vorlage eines Niederlegungskonzeptes begnügt und nicht den
Nachweis eines bundesweit bestehenden Zustellungsnetzes und bundesweiter
Niederlegungsstellen gefordert habe.
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Entgegen der Auffassung der Antragstellerin musste die Beigeladene die Verfügbarkeit
eines bundesweiten Zustellnetzes und unternehmensexterner Niederlegungsstellen mit
dem Angebot nicht nachweisen. Das Erfordernis eines Nachweises eines bundesweit
bestehenden Zustellungsnetzes und eines bestehenden Niederlegungskonzeptes war
von der Vergabestelle nicht aufgestellt worden. Es bedurfte ebenso wenig einer
Darstellung, welche Stellen zum Zweck einer Niederlegung von Postsendungen konkret
eingesetzt werden sollten.
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Nach der Vergabebekanntmachung und den Verdingungsunterlagen war von den
Bietern ein Firmen-Fragenkatalog, der Fragen zur Zustellung und Niederlegung enthielt,
zu beantworten. Gemäß der Anlage zu Teil A. Firmen-Fragenkatalog unter 2. Fragen zu
Logistik und Betriebsorganisation, b. Zustellbezirke sollte von den Bietern nur ein
Konzept für die Errichtung eines bundesweiten Zustellungsnetzes und bundesweiter
Zustellbezirke erarbeitet und mit dem Angebot eingereicht werden. Dort heißt es:
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2.b.) Stellen Sie die geplante Organisation der Zustellbezirke dar.
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Mehr als eine Organisationsplanung war von den Bietern mithin bei Angebotsabgabe
nicht verlangt.
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In Anlage zu Teil A Ausführung der PZA für das Land Nordrhein-Westfalen unter Ziffer 2.
Fragen zu Logistik und Betriebsorganisation, c. Sonderfallbehandlung und
Datenerfassung war für die "Niederlegung der Sendungen" vorgesehen:
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Stellen Sie Ihr Firmenkonzept zur Realisierung von notwendigen Niederlegungen
von Zustellungsaufträgen dar (z.B. Einrichtung und Organisation von
Niederlegungsstellen, Fristenüberwachung, Sicherstellung der
Abholmöglichkeiten, etc.).
67
In den Verdingungsunterlagen B. Rahmenbedingungen für die Zustellung, Ausführung
der PZA für das Land Nordrhein-Westfalen, unter Ziffer 2. Niederlegungsstellen war
ferner bestimmt:
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Der Auftragnehmer hat die gesetzmäßige Zustellung der PZA bundesweit zu
gewährleisten. Das betrifft auch die förmliche Zustellung kraft Niederlegung gemäß
der ZPO und dem Verwaltungszustellungsgesetz NRW. Das
Niederlegungskonzept des Auftragnehmers muss sich nachvollziehbar aus der
Beantwortung der Fragen im Firmen–Fragenkatalog (Anlage zu Teil A.) ergeben.
69
70
Es genügte mithin die nachvollziehbare und schlüssige Darlegung eines Konzeptes zur
Niederlegung durch den Bieter im Rahmen seines Angebots.
71
Die in den Verdingungsunterlagen umschriebenen Eignungsvoraussetzungen sind aus
vergaberechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Allerdings hat grundsätzlich der Bieter
seine Leistungsfähigkeit in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht darzulegen und
nachzuweisen, also insbesondere seine eigenen personellen und sachlichen Mitteln
und die eines Tochterunternehmens oder Subunternehmers, die er zur Durchführung
des Auftrags benötigt (vgl. EuGH, Urt. v. 18.3.2004, C-314/01, Rdnr. 44 - Siemens
ARGE Telekom und Urt. v. 2.12.1999, C-176/98, Rdnr. 29 - Holst/Italia; EuGH, Urt. v.
14.4.1994, Rs. C-389/92, Slg. 1994, I-1289 - Ballast Nedam I; Urt. v.18.12. 1997, Rs.C-
5/97, Slg. 1997, I-7549 - Ballast Nedam II). Übertragen auf den vorliegenden Fall zählt
hierzu zwar grundsätzlich auch, dass der Bieter mit dem Angebot von sich aus darlegt
und nachweist, bundesweit über ein Zustellungssystem und eigene und/oder fremde
Niederlegungsstellen zu verfügen. Im Streitfall hat die Vergabestelle von diesen
Erfordernissen jedoch ausdrücklich abgesehen. Sie hat diese aus sachlich vertretbaren
und daher von den Vergabenachprüfungsinstanzen hinzunehmenden Gründen
modifiziert.
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Die Entscheidung der Vergabestelle, nicht die Forderung nach einem Nachweis über
ein bundesweit etabliertes Zustellungsnetz und Niederlegungssystem von den Bietern
zu erheben, ist nicht zu beanstanden. Das Anliegen der Vergabestelle bestand darin,
den Wettbewerb auf den sich erst seit den Jahren 2001/2002 verstärkt wettbewerblich
entwickelnden Postmärkten zu fördern. Dies belegen die Ausführungen, die die
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Vergabestelle eingangs des Vergabevermerks vom 4. Oktober 2006 auf Seite 3 zur
formellen Eignungsprüfung niedergelegt hat, die gleichermaßen für den im materiellen
Teil der Eignungsprüfung anzuwendenden Prüfungsgegenstand und -maßstab zu
gelten haben. Die Vergabestelle wollte einen breiten Wettbewerb eröffnen und
insbesondere Newcomern, die nicht, wie die Antragstellerin, über eine geschlossene
Infrastruktur bei Zustellungen und Niederlegungen verfügen, auf dem sachlichen Markt
der bundesweit zu erbringenden Postzustellungsleistungen die Möglichkeit eröffnen,
sich um den Auftrag mit Erfolg zu bewerben. Aus diesem Grund hat sie die
Eignungsanforderungen an die Bieter herabgesetzt. Darum hat sie von den Bietern nur
die Vorlage einer nachvollziehbaren und schlüssigen Planung für ein flächendeckendes
Zustellungssystem und ein Niederlegungskonzept verlangt und nicht den Nachweis,
dass die Bieter über flächendeckende Systeme tatsächlich bereits verfügen. Diese
Maßgabe ist nicht als sachlich ungerechtfertigt oder willkürlich zu beanstanden.
Anderenfalls wäre eine solchermaßen gestaltete Eignungsprüfung auf die
Antragstellerin zugeschnitten gewesen, die als langjähriges Monopolunternehmen ein
bundesweites Zustell- und Niederlegungssystem unterhält. Dann wäre die
Antragstellerin bevorzugt worden, was nicht gewollt war. Der Markt für bundesweit
vorzunehmende Zustellungen sollte vielmehr für "Newcomer" geöffnet werden.
Die Errichtung und Vorhaltung eines bundesweiten Zustell- und Niederlegungssystems
vor Zuschlagserteilung ist den Bietern allein zum Zweck einer Beteiligung am
Vergabeverfahren zudem nicht zumutbar. Dies hätte von ihnen erhebliche finanzielle
Aufwendungen und sachliche Vorhaltungen (Fahrzeugpark, Personal) verlangt.
Insbesondere wären bundesweit Verträge mit privaten Betreibern von
Niederlegungsstellen (sog. Post-Agenturen) zu schließen gewesen, ohne dass eine
berechtigte Hoffnung bestanden hätte, die Aufwendungen durch eine
Zuschlagserteilung amortisieren zu können.
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Mangels ausdrücklicher Vorgaben im Firmen-Fragenkatalog reichte zudem die
Benennung der Niederlegungsstellen mittels des jeweiligen Sammelbegriffs aus. Es
mussten nicht alle künftigen Amtsgerichte oder privaten Niederlassungsstellen eines
Oberlandesgerichtsbezirkes für das gesamte Bundesgebiet namentlich benannt werden.
Dies war nach den Verdingungsunterlagen nicht verlangt. Im Übrigen hat die
Beigeladene die J..-Niederlassungen ausdrücklich als Nachunternehmer genannt und
die Verfügbarkeit ihrer Tochtergesellschaften mit ihrem Angebot nachgewiesen.
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Der der Eignungsprüfung von der Vergabestelle zu Grunde gelegte Prüfungsgegen-
stand ist nicht als unzulässig zu beanstanden. Die Eignung der Bieter sollte anhand der
dargestellten Planung/Konzepte überprüft und bewertet werden.
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Die mit dem Angebot vorgelegten Planungen und Konzepte bilden – entgegen der
Auffassung der Antragstellerin - eine ausreichende Tatsachengrundlage, auf die sich
die Eignungsprognose der Vergabestelle hat stützen dürfen. Die Vergabestelle hat die
konzeptionelle Darstellung des Zustellungsnetzes und des Niederlegungssystems zum
Gegenstand der Eignungsprüfung gemacht. Entgegen der Auffassung der
Antragstellerin hat sie hierbei nicht bloß subjektive Einschätzungen, theoretische
Verhältnisse oder Beteuerungen zugrunde gelegt, sondern objektive Tatsachen. Das
Angebot der Beigeladenen ist auf Nachvollziehbarkeit und Schlüssigkeit des
vorgelegten Konzeptes gemessen an den Vorgaben der Leistungsbeschreibung geprüft
worden. Die Konzepte der Beigeladenen sind auch nicht "reine Theorie", wie die
Antragstellerin unter Berufung auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt
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a.M. vom 11. April 2004 (11 Verg 4/04) nahe zulegen sucht, sondern beruhen auf bereits
verwirklichten Konzepten zur Zustellung und Niederlegung, einer existierenden
Organisationsstruktur der Beigeladenen und ihrer Niederlassungen. Das Angebot
entwickelt diese über die bestehenden räumlichen Grenzen schon bestehender
Zustellgebiete fort. Die konzeptionelle Darstellung der Beigeladenen beruht auf einer
ausreichend prüfbaren und geprüften Tatsachengrundlage, auf die sich die Prognose
der Vergabestelle, die Beigeladene sei voraussichtlich leistungsfähig,
beurteilungsfehlerfrei stützen durfte.
Die Vergabestelle hat einen objektiven Maßstab an die Prüfung der Konzepte und
Darstellungen der Bieter, die die Grundlage der Eignungsprüfung bilden, angelegt, der
von den Vergabenachprüfungsinstanzen auf Beurteilungsfehler überprüft werden kann.
Der Maßstab der Plausibilitäts- und Schlüssigkeitsprüfung, der bei der Eignungsprüfung
angewandt wurde, war aus den Verdingungsunterlagen, insbesondere anhand der
einleitenden Bemerkungen zum Firmen-Fragenkatalog ersichtlich. Dort war im zweiten
Absatz ausdrücklich ausgeführt, dass die Beantwortung der nachfolgenden Fragen mit
Blick auf die Eignung eines Bieters so detailliert und stichhaltig erfolgen sollte, dass sich
die Erfüllung der Anforderungen für den Auftraggeber zweifelsfrei und lückenlos ergab.
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Die Planung der Beigeladenen zur bundesweiten Zustellung und das Konzept zur
Ersatzzustellung durch Niederlegung sind vollständig und nachvollziehbar. Der an die
Eignungsprüfung angelegte Schlüssigkeitsmaßstab ist von der Vergabestelle richtig
angewandt worden. Die Vergabenachprüfungsinstanzen haben die vom öffentlichen
Auftraggeber vorgenommene Plausibilitäts- bzw. Schlüssigkeitsprüfung der Konzepte
und Planungen auf Wertungsfehler zu kontrollieren.
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Die Planung eines bundesweiten Zustellungssystems ist schlüssig. Die Beigeladene
hat in Beantwortung des Firmen-Fragenkatalogs erklärt, eine Niederlassung in
unmittelbarer Nähe zum Gemeinsamen Gebietsrechenzentrum H... eröffnen zu wollen,
um dort unter anderem die elektronische Erfassung der Zustellungsurkunden
vornehmen zu lassen, sowie Organigramme des J.. Konzerns und Linienfahrpläne
vorgelegt. Darüber hinaus hat sie im Firmenfragenbogen angegeben, zu ihren
vorhandenen 32 Niederlassungen insgesamt weitere 19 Niederlassungen an
verschiedenen Standorten bundesweit eröffnen zu wollen. Jede dieser Niederlassungen
verfügt nach der Darstellung der Beigeladenen über einen Zuständigkeitsradius
zwischen 50 und 100 Kilometer. Aus der Logistik, den Linienfahrplänen, den
Liniendiensten sowie aus vorhandenen und noch einzurichtenden Niederlassungen und
den Angaben zum Fuhrpark durfte gefolgert werden, dass bei Zustellungen das Gebiet
der Bundesrepublik Deutschland von der Beigeladenen vollständig abgedeckt werden
kann. Diese Schlussfolgerung ist überdies durch beispielhafte Angaben der
Beigeladenen zum Laufweg einer förmlich zuzustellenden Sendung von H... nach D...
belegt worden.
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Die Vergabestelle hat die Beigeladene auf der Grundlage der vorgelegten Planungen
zur bundesweiten Zustellung fehlerfrei als leistungsfähig eingestuft. Ein
Beurteilungsfehler der Vergabestelle bezüglich der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen
ist nicht zu erkennen. Aufgrund der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit des
Zustellungskonzepts und der Planung zur Niederlegung sowie der Angaben der
Beigeladenen zu ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit lagen
hinreichend objektiv nachprüfbare Tatsachen für die Prognoseentscheidung der
Vergabestelle vor, dass die Beigeladene ihr ausgearbeitetes Konzept zur Zustellung im
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Falle der Auftragserteilung hinreichend wahrscheinlich wird umsetzen können.
Die Antragstellerin hat keine Umstände aufgezeigt, die Zweifel daran könnten, die
Beigeladene werde nicht willens oder objektiv in der Lage sein, ein bundesweites
Zustellungsnetz zu schaffen und zu unterhalten. Der der Antragstellerin bekannt
gewordene Entwurf eines Vertrages der Beigeladenen mit niedersächsischen
Finanzbehörden - wobei offen blieben kann, ob die Antragstellerin diesen
Vertragsentwurf, ohne gegen § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A zu verstoßen, in das
Vergabenachprüfungsverfahren einführen durfte - ist ohne Aussagekraft für das
vorliegende Vergabeverfahren und die Prognoseentscheidung der Vergabestelle. Er
betrifft – wie die Beigeladene unwiderlegt vorgetragen hat - die Änderung eines
Entgeltes bei einem im Jahre 2005 geschlossenen Vertrag über bundesweit
auszuführende Zustellungen. Diesem Vertrag lag die Vorstellung der Vertragsparteien
zu Grunde, die Beigeladene habe kein eigenes bundesweites Zustellungsnetz zu
unterhalten, sondern könne sich außerhalb der eigenen Zustellbezirke des
Zustellungsnetzes der Antragstellerin bedienen. Dies rechtfertigt indes nicht die
Schlussfolgerung, die Beigeladene sei im vorliegenden, mithin in einem anderen
Vergabeverfahren nicht willens oder in der Lage, im Rahmen der hier ausgeschriebenen
Zustellungs- und Niederlegungsleistungen ein solches eigenes Netz zu errichten und
aufrechtzuerhalten.
82
Zum Nachweis ihrer Leistungsfähigkeit kann die Beigeladene sich auf die ausdrücklich
erklärte Bereitschaft des Präsidenten des Oberlandesgerichts Hamm im Schreiben vom
4. Mai 2006, für private Postzusteller Niederlegungen auf den Geschäftsstellen der
Amtsgerichte vorzunehmen, stützen. Der Präsident des Oberlandesgerichts Hamm hat
die Direktoren der Amtsgerichte seines Geschäftsbereichs entsprechend angewiesen.
Es spricht nichts dagegen, dass die Präsidenten der Oberlandesgerichte Düsseldorf und
Köln diesem Beispiel folgen werden. Die Anweisung gewährt zwar keinen
Rechtsanspruch und ist widerrufbar. Gleichwohl ist dadurch nachgewiesen, dass die
tatsächliche Möglichkeit zur Nutzung der Amtsgerichte als Niederlegungsstellen
besteht. Der Auftragnehmer muss mit den Direktoren der Amtsgerichte nur vor
Vertragsbeginn entsprechende Vereinbarungen schließen. So hat zwar der Präsident
des Oberlandesgerichts München mit Schreiben vom 20. Oktober 2004 (Anlage AST 20)
die Amtsgerichte seines Bezirks angewiesen, für private
Postdienstleistungsunternehmen Niederlegungen nicht zustellungsfähiger Aufträge
nicht mehr vorzusehen. Die Beigeladene hat mit ihrem Niederlegungskonzept jedoch
schlüssig dargelegt, überall dort Niederlegungsstellen einzurichten, wo in einem
Amtsgerichtsbezirk noch keine eigene Niederlassung besteht oder wo ein Amtsgericht
nicht zur Übernahme der Niederlegungsbriefe zur Verfügung steht. Die Beigeladene hat
nachvollziehbar erläutert, nach ihrem abgestuften Niederlegungskonzept mit
"Postagenturen" mit der Verwaltung von niedergelegten förmlichen Zustellungen zu
beauftragen (hierbei handelt es sich nicht um die Postagenturen der Antragstellerin).
Nach den Verdingungsunterlagen mussten private Niederlegungsstellen in notwendiger
Zahl im Zeitpunkt der Angebotseinreichung indes noch nicht zur Verfügung stehen.
83
Soweit es die in Nordrhein-Westfalen vorzunehmenden Niederlegungen betrifft, durfte
die Beigeladene sich zudem auf die Erklärung der Vergabestelle in den
Verdingungsunterlagen unter B. Rahmenbedingungen für die Zustellungen Ausführung
der Postzustellungsaufträge für das Land NRW, Seite 3 verlassen. Dort heißt es:
84
Der Auftragnehmer wird in diesem Zusammenhang – ohne dass ihm hieraus ein
85
Rechtsanspruch entsteht - auf Folgendes hingewiesen:
Innerhalb des Landes NRW stehen ihm über den Vertragszeitraum für die
Niederlegung voraussichtlich die Geschäftsstellen der Amtsgerichte (§ 181 Abs. 1
Satz 1 ZPO) zur Verfügung.
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Trotz dieser Information hat der Auftragnehmer die Pflicht, diese Möglichkeit selbst
zu überprüfen und sein Konzept ggf. mit den Gerichten entsprechend abzustimmen.
87
Das Konzept der Beigeladenen zur Niederlegung, welches auf Seite 13 ff.
wiedergegeben wurde, berücksichtigt auch den Umstand, dass die Amtsgerichte zu
einer Niederlegung unzustellbarer Sendungen privater Postdienstleister gesetzlich nicht
verpflichtet sind. Demgemäß hat die Beigeladene mit ihrem Niederlegungskonzept
dargelegt, überall dort, namentlich im Bezirk des OLG München, Niederlegungsstellen
einzurichten, wo in einem Amtsgerichtsbezirk noch keine eigene Niederlassung besteht
oder wo das Amtsgericht sich nicht zur Übernahme der Niederlegungen zur Verfügung
steht.
88
Dass § 181 ZPO einer Niederlegung im Wege des von der Beigeladenen
angekündigten, abgestuften Niederlegungssystems nicht entgegensteht, ist bereits
dargelegt worden.
89
(3.) a) Das Angebot der Beigeladenen ist nicht wegen unvollständiger Referenzangaben
zur elektronischen Auslesung nach § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A von der Wertung
auszunehmen. Die Referenzangaben im Angebot der Beigeladenen waren nicht
unvollständig.
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Die Beigeladene hat mit dem Angebot nur Referenzangaben zur Ausführung von
Aufträgen für Dritte vorgelegt, die sich auf die Durchführung von
Postzustellungsaufträgen, deren Niederlegung und Rückführung erstrecken, jedoch
keine Referenzen zur elektronischen Auswertung von Postzustellungsaufträgen. Die
erforderliche Vergleichbarkeit der vorgelegten Referenzangaben mit Teilen der zu
vergebenden Leistung war gleichwohl gewährleistet. Die Nichtvorlage von
Referenzangaben zur elek-tronischen Auslesung von Postzustellungsurkunden führt
jedoch nicht zum Ausschluss des Angebots der Beigeladenen. Zur elektronischen
Auslesung von Zustellungsurkunden mussten nach der Vergabebekanntmachung von
den Bietern keine Referenzangaben erfolgen. In der Bekanntmachung unter Ziffern
III.2.2) im letzten Absatz war ausgeführt:
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Die Nichtvorlage von Eignungsnachweisen oder die nur unvollständige
Beantwortung des Firmenfragenkatalogs führen nicht zwingend zum Ausschluss.
Das Land Nordrhein-Westfalen entscheidet bei fehlenden
Unterlagen/Nachweisen/Antworten nach Aktenlage und freiem Ermessen, ohne
dass eine Nachforderung von Eignungsnachweisen stattfindet. Das gilt nicht bei
einer fehlenden Lizenz. Eine fehlende Lizenz führt zum Ausschluss.
92
Diese Angaben im letzten Absatz der Ziffern III.2.2) sind auszulegen. Sinn und Zweck
des hierin liegenden Verzichts des Auftragsgebers, von den Bietern die Vorlage
sämtlicher Eignungsnachweise zu verlangen, besteht darin, auch den sogenannten
Newcomern am Markt die bislang nicht auf dem Gebiet der elektronischen Auslesung
von Postzustellungsurkunden und der elektronischen Datenübermittlung tätig geworden
93
waren, einen Zugang zum Vergabeverfahren zu ermöglichen. Bestätigt wird dieses
durch den Vergabevermerk vom 4. Oktober 2006 (auf Seite 3). Darin hat die
Vergabestelle ausgeführt, an die Nichtvorlage eines Eignungsnachweise solle nicht
unmittelbar die Rechtsfolge des Ausschlusses geknüpft werden, um dem sensiblen
Wettbewerb auf dem sich entwickelnden Postmarkt Rechnung zu tragen und
"Newcomern" einen Zutritt zu dem Markt für Postzustellungen zu eröffnen. Damit wollte
die Vergabestelle sich ersichtlich jedoch nicht in einen Gegensatz zu der
Rechtsprechung des Senats setzen, wonach fehlende Eignungsnachweise zum
Ausschluss des Angebots führen. Bestätigt wird dies auch durch die Anforderungen zu
den Referenzangaben in der Vergabebekanntmachung selbst. Unter III.2.2) (dort bei
Ziffer 3.) war nämlich ausdrücklich vorgesehen, dass Referenzaufträge nur mit
"
der zu vergebenden Leistung vergleichbar zu sein haben. Danach sollte der Bieter mit
dem Angebot folgende Eignungsnachweise vorlegen:
3.) Benennung von Referenzen, d.h., Nachweis über die Ausführung von
Leistungen in den letzten 3 abgeschlossenen Geschäftsjahren, die mit der zu
vergebenden Leistung oder Teilen davon vergleichbar sind, einschließlich der
Angabe der Adresse, des Ansprechpartners und der Telefonnummer des
Auftraggebers; ...
94
Auch dies bedeutet, dass die Referenzangaben sich nicht auf alle Bestandteile der
ausgeschriebenen Leistungen zu beziehen hatten.
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b) Die Vergabestelle hatte in der Bekanntmachung und den Verdingungsunterlagen
auch nicht die Anforderung gestellt, dass die Bieter ein Datenerfassungssystem und die
notwendige Software bei Angebotsabgabe vorzuhalten hatten Den Bietern sollten – aus
den bereits in anderem Zusammenhang dargestellten Gründen - keine unzumutbaren
finanziellen Aufwendungen auferlegt werden.
96
Dies fügt sich in die Regelungen des sogenannten Vertragswerks ein (Teil C der
Verdingungsunterlagen). Dort ist unter Ziffer 1 "Einführung" (Seite 1) ausgeführt, dass
die Verwendung des von der Landesjustizverwaltung NRW entwickelten
Datenerfassungssystems vom Auftraggeber begrüßt werde und dieses zur Verfügung
gestellt werden könne. Allerdings sei die Verwendung jeder anderen Scanning-
Erfassungslösung zulässig, soweit diese gegenüber dem bisher verwendeten System
gleichwertig sei und zu einem Erfassungsergebnis der nachfolgend beschriebenen Art
führe. Daraus folgt, dass eine Bindung der Bieter an das vom Auftraggeber
mitentwickelte Datenerfassungssystem nicht erfolgen soll, um allen Bietern, und zwar
den Unternehmen, die bereits über ein technisches Erfassungssystem verfügen, als
auch den sogenannten Newcomern, die ein solches noch nicht besitzen, die Teilnahme
am Vergabeverfahren zu ermöglichen.
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Die Beigeladene hatte zu ihrer Bereitschaft zum Erwerb eines Datenerfassungssystems
einschließlich einer softwarebezogenen Ausstattung in ihrem Begleitschreiben zum
Angebot vom 25. August 2006 auf Seite 2 Folgendes erklärt:
98
Der J.. Konzern beabsichtigt die Anwendung des von der Landesjustizverwaltung
NRW entwickelten Datenerfassungssystems und plant den Erwerb der
Basissoftware (...) inklusive zukünftiger Updates der Firma OCÉ Document
Technologies GmbH.
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Dem Angebot der Beigeladenen war auch insoweit ein schlüssiges Konzept zur
elektronischen Erfassung nebst technischem Organigramm zur Ablauforganisation
beigefügt.
100
Die auf dieser Grundlage getroffene Bewertung der Vergabestelle, wonach die künftige
Leistungsfähigkeit der Beigeladenen in Bezug auf die elektronische Auslesung von
Postzustellungsurkunden zu bejahen sei, ist mithin nicht als fehlerhaft zu beanstanden.
101
(4.) Die Beigeladene musste mit dem Angebot keinen Nachweis über das
Vorhandensein von mit der elektronischen Auswertung von Zustellungsurkunden
geschultem Personal führen. Eine solche Anforderung an die mit dem Angebot
vorzulegenden Eignungsnachweise war in der Vergabebekanntmachung nicht gestellt.
Davon ist aus den bereits erwähnten Gründen abgesehen worden. Auch der Firmen-
Fragenkatalog Anlage zu Teil A. Ausführung der PZA für das Land NRW sah unter Ziffer
3. (Fragen zum Qualitätsmanagement) nur vor, dass Bieter eine Darstellung über die
Qualifizierung oder Nachqualifizierung der Mitarbeiter mit dem Angebot vorzulegen
haben. Dem ist die Beigeladene ausweislich ihres Angebots nachgekommen.
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Die Darstellung zur Mitarbeiterqualifizierung ist – entgegen der Auffassung der
Antragstellerin - schlüssig. Die Beigeladene hat den mehrwöchigen
Qualifizierungsverlauf für einen neu eingestellten Zusteller eingehend und umfassend
dargestellt. Ferner hat sie dargelegt, welche Qualitätsüberwachungs- und
Schulungsmaßnahmen ergriffen werden, um zu gewährleisten, dass von den Zustellern
die Zustellungsurkunden korrekt und vollständig ausgefüllt werden, bevor diese an die
Erfassungsstelle weitergeleitet werden. Danach soll bei erfahrenen Zustellern
regelmäßig und bei neuen Zustellern täglich eine Urkundenkontrolle durch den
Niederlassungsleiter erfolgen sowie - im Beanstandungsfall - bei heilbaren Mängeln die
Urkunde zur Fehlerbeseitigung an den Zusteller zurückgegeben werden, bevor diese an
die Mitarbeiter der Erfassungsstelle weitergeleitet werden. Es ist damit hinreichend
dargetan, dass nicht korrekt ausgefüllte Zustellungsurkunden ausgesondert und
zurückgegeben werden, bevor diese an die Mitarbeiter der Erfassungsstelle
weitergeleitet werden. Bei dieser Sachlage besteht nach dem Schulungskonzept der
Beigeladenen kein erhöhter Bedarf, die Mitarbeiter der Erfassungsstelle im Umgang mit
nicht korrekt ausgefüllten Zustellungsurkunden in erheblichem Umfang zu schulen, wie
die Antragstellerin meint.
103
Beurteilungsfehlerfrei hat die Vergabestelle die Beigeladene - gestützt auf die
schlüssige und nachvollziehbare Darstellung zur Mitarbeiterschulung und zum
Qualitätsmanagement - auch in personeller Hinsicht als leistungsfähig im Sinne des §
25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A beurteilt. Die auf der Schlüssigkeitsprüfung basierende Prognose
der Vergabestelle, die Beigeladene sei - unter Einstellung von neuen Mitarbeitern für die
elektronische Datenerfassung der Zustellungsurkunden und deren Weiterleitung -
deshalb in personeller Hinsicht leistungsfähig, ist vertretbar und weist Beurteilungsfehler
nicht auf.
104
c)
Auskömmlichkeit des Preises der Beigeladenen prüft. § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A kommt
gegenüber dem Mitbewerber eines betroffenen Bieters keine bieterschützende Wirkung
zu. Nur der vom Ausschluss seines Angebots wegen Unauskömmlichkeit bedrohte
Bieter kann verlangen, dass die Vergabestelle eine Prüfung der Auskömmlichkeit der
Einzelpreise des Angebots vornimmt. Die Vergabestelle hat die Auskömmlichkeit des
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Angebotspreises (z.B. für die elektronische Auswertung und die Zustellung) der
Beigeladenen gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A im Übrigen tatsächlich überprüft. Sie ist
ausweislich der Niederschrift über das Aufklärungsgespräch vom 9. Oktober 2006 und
des Vergabevermerks vom 31. Oktober 2006 anhand der Überprüfung der Kalkulation
zu dem Ergebnis gelangt, dass der von der Bundesnetzagentur genehmigte
Gesamtpreis bei Auslastung des bestehenden Systems und der sich anbietenden
Nutzung von Effizienzen kostendeckend sowie marktgerecht und damit auskömmlich ist.
Dabei hat sich die Vergabestelle nicht auf die Überprüfung der Preise durch die
Bundesnetzagentur verlassen, sondern sie hat das Ergebnis, wonach sich das Entgelt
an den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung orientierte, nur im Sinne einer
Absicherung ihrer eigenen Ermittlungen herangezogen.
d) Die Vergabestelle hat auch die Wirtschaftlichkeitsprüfung korrekt vorgenommen.
Einziges Zuschlagskriterium war nach der Vergabebekanntmachung der Preis. Die
Vergabestelle hat den Leistungsinhalt in den Verdingungsunterlagen sehr detailliert
geregelt. Die ausgeschriebenen Leistungen waren infolgedessen homogen. Bei dieser
Sachlage ist die Auswahl des Preises als einziges Zuschlagskriterium ausnahmsweise
hinnehmbar.
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Die Vergabestelle hat der Wertung – ausgehend vom nationalen Recht zur
Umsatzsteuerbefreiung der Antragstellerin - deren Nettopreis und den Bruttopreis der
übrigen Angebote zu Grunde gelegt. Danach war das Angebot der Beigeladenen das
preisgünstigste. Gleichgültig, ob der Wirtschaftlichkeitsbewertung bei sämtlichen
Angeboten nur der Nettopreis oder aber nur der Bruttopreis oder, wie hier geschehen,
der Nettopreis der Antragstellerin und die Bruttopreise der übrigen Bieter zu Grunde
gelegt werden, hat sich die Vergabestelle fehlerfrei dahin entschieden, dem Angebot der
Beigeladenen den Vorzug zu geben. Das Angebot der Beigeladenen ist mit oder ohne
Berücksichtigung der Umsatzsteuer im Verhältnis zum Nettopreis des Angebots der
Antragstellerin preisgünstigster.
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3. Zusammenfassend hat damit der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin weder nach
dem Haupt- noch nach dem Hilfsantrag Erfolg. Das Angebot der Beigeladenen ist nicht
auszuschließen. Die Wertung ist nicht zu beanstanden. Für eine (teilweise) Aufhebung
des Vergabeverfahrens besteht keine Veranlassung, denn mit dem Angebot der
Beigeladenen lag zumindest ein wertungs- und zuschlagsfähiges Angebot vor.
Überdies ist auch die Vergabebekanntmachung fehlerfrei.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 97 Abs. 1
ZPO. Der Gegenstandswert ist auf der Grundlage von § 50 Abs. 2 GKG festgesetzt
worden.
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D. S. D.-B.
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