Urteil des OLG Düsseldorf vom 03.08.2007

OLG Düsseldorf: abschiebungshaft, unverzüglich, ausstellung, konsulat, anhörung, hauptsache, beschleunigungsgebot, inhaftierung, staatsangehörigkeit, freiheitsentziehung

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-3 Wx 135/07
Datum:
03.08.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-3 Wx 135/07
Vorinstanz:
Landgericht Duisburg, 14 T 7/07
Tenor:
Unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wird
festgestellt, dass die Inhaftierung des Betroffenen in der Nacht vom 19.
auf den 20. Juni 2007 und am 20. Juni 2007 rechtswidrig war.
I.
1
Der Betroffene reiste 1986 als angeblich libanesischer Staatsangehöriger in die
Bundesrepublik ein, stellte ohne Erfolg einen Antrag auf Anerkennung als Asylbewerber
und verließ das Bundesgebiet 1989 oder 1991 wieder. 1995 reiste er erneut ein und
stellte wiederum, nunmehr unter Angabe türkischer Personalien, einen Asylantrag. Nach
bestandskräftigem Abschluss dieses Verfahrens tauchte er unter, wurde im November
2002 festgenommen und im Januar 2003 mit Hilfe von durch das türkische
Generalkonsulat ausgestellten Passersatzpapieren in die Türkei abgeschoben. 2005
wurde bekannt, dass sich der Betroffene erneut im Bundesgebiet aufhalte, und zwar bei
seiner - in Mettmann mit sieben gemeinsamen Kindern lebenden - Ehefrau, deren
Aufenthalt hier aus gesundheitlichen Gründen geduldet wird. Nach seiner Festnahme in
der Wohnung der Ehefrau und anschließenden Inhaftierung gelang ihm anlässlich der
Vorführung beim türkischen Generalkonsulat in Düsseldorf am 5. April 2005 die Flucht;
sein weiterer Verbleib blieb unbekannt. Am 28. Februar 2007 erhielt die
Ausländerbehörde des Kreises Mettmann die Information, dass sich der Betroffene bei
seiner Schwester in Oberhausen aufhalte; dort wurde er am 30. März 2007
festgenommen.
2
Mit Beschluss vom selben Tage hat das Amtsgericht die Abschiebungshaft für
höchstens drei Monate angeordnet. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des
Betroffenen ist zunächst vor dem Landgericht ohne Erfolg geblieben, doch hat der Senat
dessen Entscheidung vom 26. April 2007 wegen unterlassener Anhörung der Ehefrau
des Betroffenen aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Dieses hat nach persönlicher Anhörung des Betroffenen und seiner Ehefrau die
sofortige Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Haftanordnung erneut
zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner jetzigen sofortigen
weiteren Beschwerde, der der Antragsteller entgegentritt.
3
Bei einer Vorsprache am 19. Juni 2007 hat die Zentrale Ausländerbehörde von dem
4
türkischen Generalkonsulat keine Zusage der Ausstellung von Passersatzpapieren
erhalten, vielmehr ist der Vorbehalt gemacht worden, der Vizekonsul wolle sich
nochmals mit dem Fall befassen. Dies ist dem Antragsteller am 20. Juni 2007 bekannt
geworden. Daraufhin hat er am selben Tage die Freilassung des Betroffenen veranlasst.
Nunmehr beantragt der Betroffene sinngemäß, die Entscheidungen der Vorinstanzen
aufzuheben und festzustellen, dass die Anordnung der Abschiebungshaft und deren
Vollzug gegen ihn rechtswidrig gewesen seien, dies zumindest ab dem 8. Juni 2007.
5
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
6
II.
7
Das gemäß § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, §§ 7 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 FEVG, §§ 27 Abs.
1, 29 FGG zulässige Rechtsmittel des Betroffenen, dessen Antrag nach seiner
Haftentlassung zulässigerweise in einen Fortsetzungsfeststellungsantrag geändert
worden ist, hat in der Sache nur in ganz geringem Umfang Erfolg. Die angefochtene
Entscheidung vom 8. Juni 2007 hat nicht auf einer Rechtsverletzung beruht (§§ 27 Abs.
1 FGG; 546 ZPO). Zu einer Aufhebung der Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts
besteht schon deshalb kein Anlass, weil sich die Hauptsache erledigt hat: Infolge der
Entlassung des Betroffenen könnte seine Freiheit nur in einem neuen Verfahren
beschränkt werden (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler-Kahl, FGG, 15. Aufl. 2003, § 19 Rdnr.
87/ Stichwort: "Freiheitsentziehung" m.w.Nachw.). Jedoch ist die Haft nach dem
späteren Eintritt ihrer Unverhältnismäßigkeit nicht unverzüglich beendet worden.
8
1.
9
Nach Anhörung des Betroffenen und seiner Ehefrau im Beschwerdeverfahren hat das
Landgericht ausgeführt:
10
Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig, abzuschieben und habe die Haftgründe
des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 – i.V.m. Satz 3 –, 4 und 5 AufenthG verwirklicht. Die
persönlichen Anhörungen des Betroffenen und seiner Ehefrau hätten nicht ergeben,
dass glaubhaft gemacht sei, der Betroffene wolle sich der Abschiebung nicht entziehen,
vielmehr eher das Gegenteil dieser Glaubhaftmachung; sein Verhalten in der
Vergangenheit weise in dieselbe Richtung.
11
§ 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG stehe der Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft nicht
entgegen, weil derzeit nicht feststehe, dass die Abschiebung nicht bis zum 30.
Juni 2007 erfolgen könne. Es lägen, wie die Kammer bereits im vorangegangenen
Beschluss in dieser Sache vom 26. April 2007 ausgeführt habe, ausreichende
Anhaltspunkte für eine türkische Staatsangehörigkeit des Betroffenen und deshalb dafür
vor, dass die Abschiebung fristgerecht erfolgen könne: Der Antragsteller verfüge über
einen türkischen Personalausweis des Betroffenen sowie zwei vom türkischen
Generalkonsulat ausgestellte Passersatzpapiere aus den Jahren 1991 und 2003; bei
der Stellung des zweiten Asylantrages 1995 habe sich der Betroffene selbst als
türkischer Staatsangehöriger bezeichnet; im vorliegenden Verfahren habe er
angegeben, als in der Türkei als türkischer Staatsangehöriger anerkannt zu sein und
dort sogar Militärdienst geleistet zu haben. Wenn der Betroffene sich darauf berufe, im
Libanon geboren zu sein, und hieraus wechselweise eine libanesische
Staatsangehörigkeit oder eine Staatenlosigkeit herleite, lägen für die Richtigkeit dieser
12
Behauptung keine Anhaltspunkte vor, denn die von ihm eingereichten Kopien
libanesischer Ausweisdokumente – insbesondere einer Aufenthaltserlaubnis und eines
Führerscheins – stellten keinen diesbezüglichen Beleg dar. Angesichts dessen könne
voraussichtlich die Abschiebung des Betroffenen nach Beschaffung von
Passersatzpapieren zeitnah vollzogen werden.
Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Der Standpunkt des Antragstellers, die
familiäre Lebensgemeinschaft des Betroffenen mit seiner Frau und den gemeinsamen
Kindern könne auch in der Türkei verwirklicht werden, sei von der Kammer als
Haftgericht nicht zu überprüfen. Andere Gründe, die zur Unverhältnismäßigkeit der Haft
führen könnten, seien nicht ersichtlich.
13
2.
14
Diese Ausführungen halten der dem Senat obliegenden rechtlichen Überprüfung für die
Zeit des Erlasses der landgerichtlichen Entscheidung und darüber hinaus bis zum
19. Juni 2007 stand. Von dem nachfolgend gesondert behandelten Punkt abgesehen,
waren die Feststellungen verfahrensfehlerfrei gewonnen worden und sind die aus ihnen
gezogenen Folgerungen und sonstigen Bewertungen überzeugend gewesen.
15
Der Betroffene hat mit seinem Rechtsmittel vor Erledigung der Hauptsache auch allein
geltend gemacht, § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG stehe der Haftfortdauer entgegen, weil
das Landgericht keine Ermittlungen dazu durchgeführt habe, ob seine Abschiebung bis
zum 30. Juni 2007 möglich sei, insbesondere nicht beim Antragsteller nachgefragt habe.
Der bisherige Geschehensablauf spreche gegen die Richtigkeit der ursprünglichen
Prognose des Antragstellers. Gründe dafür, dass die Nichtabschiebung von ihm (dem
Betroffenen) zu vertreten sei, gebe es nicht, jedenfalls seien solche vom Landgericht
nicht ermittelt worden. Vielmehr sei unklar, ob der Antragsteller das
Beschleunigungsgebot beachtet habe. Nach Erledigung der Hauptsache hat der
Betroffene sein Vorbringen nicht erweitert.
16
Mit seiner Rüge dringt der Betroffene nicht durch. Zwar hat das Landgericht nach
Zurückverweisung der Sache und zwischenzeitlich eingetretenem Zeitablauf keine
(erneuten) Ermittlungen zu den Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG
angestellt und könnte hierin ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 12
FGG) gelegen haben. Auf diesem Unterlassen hat die Entscheidung aber jedenfalls
nicht beruhen können. Denn weder bei Anordnung der Haft noch bei Erlass der
landgerichtlichen Entscheidung noch bis zum 19. Juni 2007 hat im Sinne der genannten
Vorschrift festgestanden, dass die Abschiebung nicht bis zum 30. Juni 2007 erfolgen
könne.
17
Bis zur letzten Vorsprache beim türkischen Generalkonsulat ist kein Grund erkennbar
gewesen, weshalb durch die türkischen Behörden kein neues Passersatzpapier hätte
ausgestellt werden sollen. Der Betroffene wurde am 24. April 2007 dem türkischen
Generalkonsulat vorgeführt, das die Identitätsüberprüfung einleitete. Nachfragen des
Konsulats wurden beantwortet, insbesondere wurde, wie verlangt, eine Bescheinigung
der Flugreisetauglichkeit vorgelegt. All dies hat der Antragsteller im ersten
Rechtsbeschwer-deverfahren unwidersprochen vorgebracht (Schriftsatz vom 31. Mai
2007). Auch lässt die dort aufgezeigte zeitliche Abfolge von erstmaliger Vorführung des
Betroffenen und weiteren Gesprächen der Zentralen Ausländerbehörde mit dem
Generalkonsulat am 29. sowie 31. Mai 2007 einen Verstoß gegen das
18
Beschleunigungsgebot nicht erkennen. Die danach seinerzeit allein verbleibende bloße
Unsicherheit über den Zeitpunkt der tatsächlichen Ausstellung der Passersatzpapiere
und in der Folge des Abschiebetermins hat nicht die Prognose gehindert, es könne mit
einem "fristgerechten" Abschluss des Abschiebeverfahrens gerechnet werden (vgl.
Schl.-Holst.OLG, OLGR Schleswig 2006, S. 722 f.). Erst am 19. Juni 2007 ist klar
geworden, dass das Konsulat faktisch eine zeitnahe Ausstellung von
Passersatzpapieren verweigere, so dass eine Abschiebung bis Ende Juni 2007 nicht
mehr zu bewerkstelligen sein würde.
3.
19
Der Vollzug der Abschiebungshaft ist aber, nachdem diese Klarheit eingetreten war,
nicht unverzüglich beendet worden.
20
Aus Art. 2 Abs. 2 GG folgt, dass eine Freiheitsentziehung und damit auch eine
Abschiebungshaft auf den Zeitraum zu begrenzen ist, der unbedingt erforderlich ist, um
die Abschiebung vorzubereiten und durchzuführen; dementsprechend sind
Abschiebungshaftsachen vorrangig und beschleunigt zu bearbeiten (Senat, Beschluss
vom 16. Juli 2007 in Sachen I-3 Wx 156/07 mit weiteren Nachw.). Aus diesem
Beschleunigungsgebot in Abschiebungshaftsachen ergibt sich andererseits, dass nach
Wegfall der Haftvoraussetzungen seitens eines Antragstellers unverzüglich das für eine
Entlassung Erforderliche veranlasst werden muss, und zwar auch dann, wenn er sich
anderer Behörden im Wege der Rechtshilfe bedient (OLG Köln FGPrax 2005, S.
274/275).
21
Aus diesen Grundsätzen wird zum Teil gefolgert, organisatorische Probleme bei einem
Antragsteller könnten eine weitere Inhaftierung nach Wegfall der Haftvoraussetzungen
generell nicht rechtfertigen, namentlich habe eine Ausländerbehörde in jedem Falle
sicherzustellen, dass sie unverzüglich Mitteilung erhalte, wenn die Voraussetzungen der
weiteren Haft zweifelhaft würden (OLG München, Beschluss vom 17. Mai 2006 in
Sachen 34 Wx 25/06).
22
Der vorliegende Fall nötigt nicht zu einer Entscheidung darüber, ob dem letztgenannten
Standpunkt ausnahmslos zu folgen ist. Jedenfalls dann, wenn ein Antragsteller Kenntnis
davon haben muss, dass anlässlich eines bestimmten, im Vorhinein feststehenden
Ereignisses die Voraussetzungen weiterer Haft fraglich werden können, hat er – auch
bei der Inanspruchnahme von Amtshilfe – sicherzustellen, dass ein zu der Entscheidung
über die Entlassung befugter Mitarbeiter (eine Mitarbeiterin) verfügbar ist –
gegebenenfalls als Ansprechpartner der helfenden Behörde –; in dieser Hinsicht kann
zwischen gewöhnlicher Dienstzeit und Eildienst kein Unterschied gemacht werden. Ein
derartiges Ereignis stellt regelmäßig ein anberaumter Vorführtermin bei einer Botschaft
oder einem Konsulat dar.
23
Im gegebenen Fall musste der Antragsteller von dem Konsulatstermin am 19. Juni 2007
Kenntnis gehabt haben. Das Ergebnis dieses Termins war aus Sicht des Antragstellers
vor dem Termin bestenfalls offen, wenn sich nicht gar den vorangegangenen Kontakten
mit dem Konsulat entnehmen ließ, dass die türkische Behörde die Ausstellung von
Passersatzpapieren vorliegend dilatorisch behandele. Angesichts dessen war der
Antragsteller gehalten, dafür Vorsorge zu treffen, dass nach erfolgtem Termin eine in der
Frage der Haftfortdauer entscheidungsbefugte Person dienstbereit war und über die Haft
entschied. Wäre dies geschehen, hätte die Entscheidung bereits am Abend des 19. Juni
24
2007 auf Entlassung des Betroffenen lauten können und müssen, denn durch die
während des Konsulatstermins gewonnenen Erkenntnisse waren – wie auch der
Antragsteller nicht verkennt – die Voraussetzungen der Haftfortdauer entfallen.
Unerheblich bei alledem ist, dass die Mitarbeiterin der Zentralen Ausländerbehörde erst
um 16.40 Uhr wieder vom Konsulat in ihr Büro zurückkehrte, deshalb den Antragsteller
möglicherweise erst nach Ablauf der allgemeinen Dienststunden kontaktieren konnte,
ferner dass der Antragsteller erst noch eine Abstimmung mit der zuständigen
Ausländerbehörde des Kreises Mettmann herbeizuführen hatte; diese Umstände
können, wie behandelt, nicht zu Lasten des Betroffenen gehen. Im übrigen zeigt der
tatsächliche Verlauf des Geschehens am Morgen des 20. Juni 2007, dass die
erforderlichen Kontaktaufnahmen grundsätzlich sehr zügig erfolgen konnten.
Den oben geschilderten Anforderungen ist hier nicht genügt worden, da der Mitarbeiterin
der Zentralen Ausländerbehörde am 19. Juni 2007 kein im genannten Sinne
kompetenter Ansprechpartner beim Antragsteller – mehr – zur Verfügung stand.
25
III.
26
Eine Kosten- und Auslagenentscheidung ist nicht veranlasst. Weder ist es zu
beanstanden, dass der Betroffene kraft Gesetzes mit (den vollen) Gerichtskosten
belastet wird, noch entspricht es der Billigkeit, die ihm entstandenen außergerichtlichen
Kosten auf die Gebietskörperschaft, der der Antragsteller angehört, zu überbürden (sei
es gemäß § 16 Satz 1 FreihEntzG, sei es nach § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG). Dies folgt aus
dem Rechtsgedanken des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die vom Betroffenen angegriffene
Entscheidung erweist sich als rechtsfehlerfrei; soweit er mit seinem Rechtsmittel
aufgrund eines nach Erlass der landgerichtlichen Entscheidung liegenden Umstandes
obsiegt hat, ist dieser Erfolg dem Umfang nach marginal.
27