Urteil des OLG Düsseldorf vom 12.09.2006

OLG Düsseldorf: sonderprüfung, vertragliche haftung, schmerzensgeld, betreiber, hebebühne, produkt, bgf, arbeitsgerät, agb, mietsache

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-24 U 63/05
Datum:
12.09.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-24 U 63/05
Vorinstanz:
Landgericht Kleve, 1 O 178/04
Tenor:
I. Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels das am 01. April 2005 verkündete Urteil
der 1. Zivilkammer des Land-gerichts Kleve -Einzelrichter- teilweise
abgeändert und insgesamt wie folgt neu ge-fasst:
Es wird unter Abweisung der weitergehenden Klage festgestellt, dass
die Be-klagten zu 1) bis 3) verpflichtet sind, als Gesamtschuldner dem
Kläger alle materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm durch den Absturz
mit der Hubar-beitsbühne Fischler FH 1200 am 30. März 2001 gegen
13.45 Uhr auf dem Firmengelände der E.-GmbH, B-Str. 27 in G.
entstanden sind, soweit Ansprü-che nicht auf Sozialversicherungsträger
übergegangen sind.
II. Die Kosten beider Rechtszüge werden wie folgt aufgeteilt: Der Kläger
trägt die au-ßergerichtlichen Auslagen der Beklagten zu 4) und 5) und
von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Auslagen der
Beklagten zu 1) bis 3) 95%, denen von den Gerichtskosten und den dem
Kläger erwachsenen außergerichtlichen Auslagen 5% auferlegt werden;
im Übrigen findet eine Kostenausgleichung nicht statt.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen,
die Vollstre-ckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
jeweils beizutreibenden Be-trages abzuwenden, es sei denn, die jeweils
vollstreckende Gegenseite leistet vorher Sicherheit in gleicher Höhe.
G r ü n d e
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A.
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Der Kläger nimmt die Beklagten gesamtschuldnerisch auf angemessenes
Schmerzensgeld, nicht unter 100.000 EUR, und auf Feststellung der Ersatzpflicht des
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ihm entstandenen materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Anlass ist ein
Arbeitsunfall, der sich am 30. März 2001 ereignet hat. Der Arbeitgeber des Klägers
(künftig Arbeitgeber oder Mieter genannt), der ein Einzelunternehmen der Kälte- und
Klimatechnik betreibt, hatte von der Beklagten zu 1), einer Gesellschaft bürgerlichen
Rechts (GbR), deren Gesellschafter und Geschäftsführer die Beklagten zu 2) und 3)
sind, eine mobile, als PKW-Anhänger ausgebildete Hubarbeitsbühne gemietet, und
zwar unter Einbeziehung der von der Beklagten zu 1) gestellten "Allgemeinen
Bedingungen für die Vermietung von Hubarbeitsbühnen" (künftig AGB). Der Arbeitgeber
setzte das erstmals im Oktober 1994 zugelassene Arbeitsgerät des Fabrikats Fischler
FH 1200 am Unfalltag auf dem Betriebsgelände eines Kunden ein, um ein auf dem
Dach des dortigen Betriebsgebäudes befindliches Klimagerät auszutauschen. Der
Kläger war mit der Führung der Hubarbeitsbühne beauftragt. Gegen 13.45 Uhr
transportierte er das demontierte und außen am Lastaufnahmemittel (Arbeitskorb)
befestigte Klimagerät vom Dach. Während der Absenkung brach der untere Hubarm der
Arbeitsbühne. Der mit dem Kläger und dem Arbeitgeber besetzte Arbeitskorb stürzte aus
einer Höhe von ca.10 m ab. Beide Personen erlitten schwere Verletzungen, an deren
Folgen der Kläger noch heute leidet und voraussichtlich lebenslang leiden wird.
Die Arbeitsbühne hatte im Bereich der Anlenkung des unteren Hubarms konstruktive
und fertigungstechnische Fehler des Stahlbaus (künftig Konstruktionsfehler genannt),
nämlich
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ein Ausbrennen des Hubarmhalters ohne saubere Kantenverarbeitung,
eine Profilschwächung im hoch beanspruchten Bereich,
eine plötzliche Querschnittsänderung mit Schweißnahtauslauf und
einen Steifigkeitssprung vom relativ biege- und torsionsweichen offenen
Hubarmhalterprofil zum wesentlich verstärkten Anlenkungsbereich,
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deren Zusammenwirken im Einsatz der Hebebühne zu extremer Kerbwirkung bei lokaler
Spannungserhöhung und schließlich zum Bruch des Hubarms führte. Der
Konstruktionsfehler war weder bei der Baumusterprüfung und der Erstabnahme durch
den TÜV noch bei den jährlich wiederkehrenden Prüfungen durch Sachkundige (künftig
Jahresprüfungen genannt) aufgefallen. Der Hubarmhalter hatte schon bei
Mietvertragsabschluss Anrisse, die jedoch augenscheinlich nicht zu erkennen waren.
Der mittlere Hubarm ist nachträglich mit einem Schutzblech versehen worden. Mit der
Durchführung der beiden letzten Jahresprüfungen vor dem Unfall hatte die Beklagte zu
1) im September 1999 und im August 2000 die Beklagte zu 4) beauftragt, die dafür den
in ihrem Betrieb beschäftigten Beklagten zu 5) als Sachkundigen einsetzte.
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Zwei vergleichbare Unfälle mit Personenschäden beim Einsatz von Hubarbeitsbühnen
desselben Fabrikats und Typs, deren Herstellerin 1997 insolvent geworden war und die
keinen Rückruf des Produkts veranlasst hatte, nahm der Hauptverband der
gewerblichen Berufsgenossenschaften zum Anlass, in Rundschreiben vom 20.
Dezember 1997 und 23. Dezember 1999, die an alle Hauptverwaltungen der
gewerblichen Berufsgenossenschaften gerichtet waren, auf die mit dem Betrieb dieses
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Produkts verbundenen Unfallgefahren sowie auf die Empfehlung des zuständigen
Fachausschusses hinzuweisen, wonach alle noch im Einsatz befindlichen nicht
nachgerüsteten Hubarbeitsbühnen dieses Fabrikats und Typs sofort außer Betrieb zu
nehmen seien (künftig Warnhinweise genannt). Daraufhin und vor dem hier streitigen
Unfall erschienen dann auch wiederholt Warnhinweise in Publikationsorganen
verschiedener gewerblicher Berufsgenossenschaften sowie in einem an die Institute der
Technischen Fakultät und des Technischen Dienstes der Universität Erlangen-
Nürnberg gerichteten Rundschreiben. Derartige Informationen fanden sich aber nicht in
Publikationsorganen der hier beteiligten Berufsgenossenschaften, nämlich der
Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen (BGF), deren Mitglied die Beklagte zu 1)
ist und der Berufsgenossenschaft Metall Süd (BGMS), deren Mitglied die Beklagte zu 4)
ist. Beide Berufsgenossenschaften haben nur ihre Aufsichtspersonen über den Inhalt
der Rundschreiben unterrichtet.
Der Kläger hat geltend gemacht: Alle Beklagten seien ihm haftpflichtig für den
materiellen und immateriellen Schaden. Wegen der erkennbar sicherheitsrelevanten
Veränderung (nachträgliche Schutzblechmontage) wäre eine außerordentliche Prüfung
der Hubarbeitsbühne (künftig Sonderprüfung genannt) notwendig geworden, bei deren
Durchführung dann auch der Konstruktionsfehler des Hubarms aufgedeckt worden
wäre. Im Übrigen sei es eine allgemeine Verkehrspflicht aller Beklagten als
Betreiber/Prüfer der Hubarbeitsbühne gewesen dafür zu sorgen, dass verfügbare
Warnhinweise auch sie erreichten. Schließlich habe es der Beklagte zu 5) bei den
Jahresprüfungen pflichtwidrig unterlassen, die Hubeinrichtung über die zugelassene
Höchstgrenze hinaus zu belasten; hätte er das getan, wäre der Konstruktionsfehler
ebenfalls in Erscheinung getreten.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes
Schmerzensgeld zu zahlen, welches nicht unter 100.000 EUR liegen sollte, und
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festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm
sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche er bei dem
näher bezeichneten Unfall erlitten hat.
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Die Beklagten haben um
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Klageabweisung
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gebeten. Sie sind dem Vorbringen des Klägers zu Grund und Höhe aller gegen sie
geltend gemachten Ansprüche entgegen getreten und haben insbesondere geltend
gemacht: Sie treffende Verkehrspflichten seien nicht verletzt worden, insbesondere
hätten sie die Warnhinweise weder gekannt noch kennen müssen. Die Jahresprüfungen
seien korrekt durchgeführt worden, eine Sonderprüfung sei nicht notwendig gewesen.
Sie halten dem Kläger wegen Überbelastung des Arbeitskorbs ein unfallursächliches
Mitverschulden vor. Die Beklagten zu 4) und 5) haben ferner geltend gemacht, das
Schutzblech sei erst nach der Jahresprüfung von August 2000 montiert worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils
Bezug genommen.
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Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme zur Frage der Schutzblechmontage die
Klage abgewiesen. Mangels feststellbaren Verschuldens hafteten die Beklagten dem
Kläger nicht nach deliktischen Grundsätzen, die Beklagten zu 1) bis 3) auch nicht aus
Vertrag, sofern der Kläger in den Schutzbereich des Mietvertrags einbezogen sei.
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Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit welcher er unter Wiederholung und
Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags die geltend gemachten Ansprüche im
Wesentlichen unverändert weiter verfolgt. Die Beklagten hätten unter schuldhafter
Verletzung der sie treffenden Verkehrspflichten keine Kenntnis von den Warnhinweisen
genommen. Im Übrigen hafteten die Beklagten zu 1) als Vermieter und die Beklagten zu
2) und 3) als deren Gesellschafter wegen der anfänglich fehlerhaften Mietsache kraft
Gesetzes für den materiellen Schaden verschuldensunabhängig.
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Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils
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1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes
Schmerzensgeld zu zahlen, welches nicht unter 100.000 EUR liegen sollte, und
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2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm
sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, letztere nur, soweit sie kraft
Gesetzes nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind, zu ersetzen, die
ihm dadurch entstanden sind, dass er am 30. März 2001 gegen 13.45 Uhr auf dem
Firmengelände der E.-GmbH, B.-Str. 27, in G. mit einer Hubarbeitsbühne des Typs
Fischler FH 1200 aus cirka 10m Höhe abgestürzt ist und dabei schwer verletzt
wurde.
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Die Beklagten bitten um
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Zurückweisung der Berufung.
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Sie verteidigen das angefochtene Urteil, das sie für richtig halten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags wird auf den Akteninhalt Bezug
genommen. Der Senat hat Auskünfte bei dem Fachausschuss Förder- und Lagertechnik
der Berufsgenossenschaftlichen Zentrale für Sicherheit und Gesundheit (BGZ) sowie
bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften BGF und BGMS eingeholt. Wegen des
Ergebnisses wird auf Auskünfte vom 27. Dezember 2005, 09. Februar 2006 und 10.
Februar 2006 Bezug genommen. Die Ermittlungsakte (4 Js 477/01 Staatsanwaltschaft
Kleve) hat vorgelegen und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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B.
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Die zulässige Berufung hat nur einen geringen Erfolg, nämlich nur insoweit als das
Landgericht das auf die materielle Schadensersatzpflicht gegen die Beklagten zu 1) bis
3) gerichtete Feststellungsbegehren zurückgewiesen hat. In diesem Umfang führt das
Rechtsmittel zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur antragsgemäßen
Verurteilung der Beklagten zu 1) bis 3). Im Übrigen bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg,
so dass die weitergehende Berufung zurückzuweisen ist. Im Einzelnen gilt das
Folgende:
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I. Haftung der Beklagten zu 1) bis 3)
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1. Feststellungsbegehren auf materiellen Schadensersatz
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Zu Unrecht hat das Landgericht das auf materiellen Schadensersatz gerichtete
Feststellungsbegehren abgewiesen. Die Beklagten zu 1) bis 3) haften dem Kläger auf
Ersatz des unfallursächlich erlittenen materiellen Schadens verschuldensunabhängig.
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a) Die Feststellungsklage ist gemäß § 256 ZPO mit Blick auf das Bestreiten der
Eintrittspflicht der Beklagten zu 1) bis 3) und zur Verhinderung des Verjährungseintritts
zulässig. Allein daraus ergibt sich das für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage
erforderliche Feststellungsinteresse. Es ist deshalb unschädlich, dass der Kläger derzeit
nicht in der Lage ist, den (künftigen) Eintritt eines konkreten materiellen Schadens auch
nur mit einiger Wahrscheinlichkeit darzulegen. Mit Blick auf die Schwere der
Verletzungen und die Einschätzung der behandelnden Ärzte, dass der jetzt
eingeschränkt erwerbsfähige Kläger künftig ganz erwerbsunfähig werden könnte, kann
für die Zukunft jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass ein materieller, nicht auf
Dritte übergegangner Schaden (etwa in Gestalt eines Erwerbsschadens) noch eintreten
wird (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 256 Rn. 8a m.w.N.).
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b) Der Feststellungsanspruch ist auch begründet. Die Beklagten zu 1) bis 3) haften dem
Kläger vertraglich auf Ersatz allen materiellen Schadens, den dieser bei dem Unfall
erlitten hat.
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aa) Eine vertragliche Haftung kann allerdings grundsätzlich nur der Vertragspartner in
Anspruch nehmen. Vertragspartner (Mieter) der Beklagten zu 1) war aber nicht der
Kläger, sondern sein Arbeitgeber. Der Kläger ist aber als Arbeitnehmer des Mieters in
den Schutzbereich des Mietvertrags (§ 328 BGB analog) einbezogen. Von einer solchen
Einbeziehung ist im Wege ergänzender Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) dann
auszugehen, wenn der Schuldner bei Vertragsschluss die Leistungsnähe des Dritten
und das Einbeziehungsinteresse des Gläubigers erkennen kann und der Dritte in
gleicher Weise wie der Gläubiger schutzbedürftig ist (Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl.,
§ 328 Rn. 14ff m.w.N.).
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(1) Die beiden erstgenannten Voraussetzungen liegen ohne jeden Zweifel vor. Der
Kläger ist als Arbeitnehmer bestimmungsgemäß und für die Organwalter der Beklagten
zu 1) voraussehbar mit der Mietsache in Berührung gekommen. Der Mieter/Arbeitgeber
ist dem Kläger aus dem Arbeitsverhältnis auch fürsorgepflichtig, § 618 BGB (vgl. BGHZ
61, 227, 234f = NJW 1973, 2059; OLG Rostock VersR 2000, 888, 889f).
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(2) Die Haftung ist auch nicht mangels Schutzbedürftigkeit des Klägers tatbestandlich
ausgeschlossen. Der Schuldner haftet dem Dritten allerdings dann nicht, wenn der
Geschädigte Ansprüche aus eigenen Vertragsbeziehungen hat, die denselben oder
jedenfalls einen gleichwertigen Inhalt haben wie die aus der Einbeziehung in den
Schutzbereich abgeleiteten Ansprüche (vgl. BGHZ 70, 327, 330 für den geschädigten
Untermieter, der gegen den Hauptvermieter wegen inhaltsgleicher Ansprüche gegen
seinen Untervermieter keinen Schadensersatzanspruch hat). Besteht diese
Gleichwertigkeit dagegen nicht, bleibt es bei der Schutzbedürftigkeit des
Drittgeschädigten (vgl. BGH NJW 1993, 666 sub II.B.1a = MDR 1993, 321). Im Streitfall
besteht keine Gleichwertigkeit. Der Kläger kann zwar Ansprüche gegen seinen
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Arbeitgeber (Mieter) aus dem Gesichtspunkt der positiven Verletzung des
Arbeitsvertrags haben (§ 618 Abs. 1 BGB). Diese Ansprüche sind aber deshalb nicht
gleichwertig, weil sie zum einen verschuldensabhängig sind, während die
Schutzbereichshaftung der Beklagten zu 1) bis 3) gegenüber dem Kläger, wie noch
auszuführen sein wird (sub lit. bb) verschuldensunabhängig ist. Zum andern sind
Ansprüche des Klägers wegen eines erlittenen Personenschadens, zu dem auch der
Erwerbsschaden gehört (KassKomm/Ricke, SGB VII, § 104 Rn 5 m.w.N.), gemäß § 104
Abs. 1 SGB VII gegen den Arbeitgeber ausgeschlossen, es sei denn, dieser hat den
Schaden (was regelmäßig und auch hier nicht in Betracht kommt) vorsätzlich
(mit)verursacht.
bb) Die Erstbeklagte haftet dem Kläger gemäß § 538 Abs. 1 Satz 1, 1. Altn. BGB a.F.
(jetzt § 536a Abs. 1 Satz 1, 1. Altn. BGB) wegen der bei Vertragsschluss bestehenden
und schadensursächlich gewordenen Fehlerhaftigkeit der Mietsache. Es ist unstreitig
zwischen den Parteien, dass die an den Arbeitgeber vermietete Hubarbeitsbühne bei
Mietvertragsschluss mit einem Konstruktionsfehler behaftet gewesen ist, der jedenfalls
mitursächlich für den Absturz des Arbeitskorbs geworden ist. Das reicht für das
Auslösen der mietvertraglichen (verschuldensunabhängigen) Garantiehaftung § 538
Abs. 1 Satz 1, 1. Altn. BGB a.F. (§ 536a Abs. 1 Satz 1, 1. Altn. BGB n. F.) aus.
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cc) Diese verschärfte Haftung beruht nicht, wie die Beklagten zu 1) bis 3) meinen, auf
einer höchstrichterlichen Rechtsfortbildung, sondern, wie aufgezeigt, auf dem Gesetz.
Unbillig ist die gesetzliche Garantiehaftung schon deshalb nicht, weil sie (formular-
)vertraglich abbedungen werden kann (BGH NJW 2002, 3232; NJW-RR 1993, 519 und
1991, 74; BGHZ 68, 281 = NJW 1977, 1236).
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dd) Im Streitfall ist die Haftung für anfängliche Mängel nicht abbedungen worden. Die
Klauseln der einbezogenen AGB der Erstbeklagten sehen einen Ausschluss nicht vor.
Insbesondere enthält einen solchen nicht Nr. 2 AGB, wonach die Fehlergefahr bei
Verlassen des Betriebshofs vom Vermieter auf den Mieter übergeht (Satz 1) und der
Mieter bestätigt, dass sich das Arbeitsgerät bei Übernahme in ordnungsgemäßem
Zustand befunden habe. Mit dieser Klausel werden nicht Gewährleistungsrechte
abbedungen, sondern es wird zu Lasten des Mieters (nur) eine Beweislastregel im
Sinne des § 11 Nr. 15 AGBG (jetzt § 309 Nr. 12 BGB) aufgestellt. Die Frage nach der
Beweislast stellt sich im Streitfall nicht, weil unstreitig ist, dass der unfall(mit)ursächliche
Fehler nicht in den Verantwortungsbereich des Mieters/Arbeitgebers oder des Klägers
fällt.
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ee) Den Kläger trifft in feststellbarer Weise auch kein Mitverschulden bei der
Schadensentstehung gemäß § 254 Abs. 1 BGB, der auch auf die
verschuldensunabhängige Garantiehaftung anzuwenden ist (BGHZ 68, 281 = NJW
1977, 1236). Die Behauptung, der Kläger habe die Tragfähigkeit des Arbeitskorbs (215
kg) um 10 kg überschritten, haben die darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten
nicht unter Beweis gestellt. Sie stützen ihre Behauptung auf unzuverlässige
Gewichtsschätzungen, dIe kurz nach dem Unfall gegenüber den ermittelnden
Polizeibeamten gemacht worden sind und die später nicht zu verifizieren waren. Im
Übrigen hat der Sachverständige Ober-Ing. Dipl.-Ing. P. in seinem im Auftrag der
Kreispolizeibehörde Kleve erstatteten Gutachten vom 04. Mai 2001 festgestellt (künftig
nur Sachverständigengutachten genannt), dass eine Überlastung des Arbeitskorbs in
der behaupteten Dimension nicht unfallursächlich wäre.
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2. Immaterieller Schadensersatz (Schmerzensgeld)
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Die Beklagten zu 1) bis 3) haften dem Kläger dagegen mangels einer kausal
schuldhaften Verkehrspflichtverletzung weder vertraglich noch deliktisch auf ein
Schmerzensgeld.
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a) Da das schädigende Ereignis vor dem Inkrafttreten der Schadensrechtsnovelle am
01. August 2002 eingetreten ist, bestimmt sich die Ersatzpflicht der Beklagten gemäß
Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB nach den Vorschriften der §§ 249 ff, §§ 823ff BGB in der
Fassung, die bis zum 31. Juli 2002 gegolten hat (künftig BGB a.F. genannt). Danach
haftet auf Schmerzensgeld nur derjenige, der allgemeine, gegenüber jedermann
geltende Verkehrspflichten verletzt hat, während die Verletzung vertraglicher
Verkehrspflichten keine Haftung für ein Schmerzensgeld nach sich zieht.
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b) Gemäß §§ 823, 847 Abs. 1 BGB a.F., § 31 BGB, § 128 HGB analog kann der Kläger
ein angemessenes Schmerzensgeld nur dann verlangen, wenn die Beklagten zu 2) und
3) als handelnde Organe der Erstbeklagten jene gegenüber dem Kläger treffende
Verkehrspflichten schuldhaft verletzt haben, die ursächlich geworden sind für die von
diesem erlittenen Verletzungen. Solche kausal gewordenen Verletzungshandlungen
können zu Lasten der Beklagten zu 1) bis 3) indes nicht festgestellt werden.
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aa) Allerdings hatte das am Hubarm angeschlagene Schutzblech (BA 62 unten)
Veranlassung gegeben, nicht nur eine Regelprüfung gemäß § 39 VBG 14 (vgl. dazu
noch die nachstehenden Erwägungen sub lit. dd (1)), sondern wegen der
Sicherheitsrelevanz dieses Eingriffs eine außerordentliche Prüfung (Sonderprüfung)
gemäß § 40 VBG 14 durchführen zu lassen (vgl. die sachverständige Auskunft des
Fachausschusses Förder- und Lagertechnik der BGZ vom 27. Dezember 2005 und
Sachverständigengutachten sub Nr. 5.1.1). In diesem Zusammenhang kann zugunsten
des Klägers unterstellt werden, dass das Schutzblech während der Besitzzeit der
Erstbeklagten montiert worden ist, so dass von ihrer Verantwortlichkeit für die
unzulässige Montage ausgegangen werden kann. Es ist deshalb pflichtwidrig gewesen,
die vom Betreiber zu veranlassende Sonderprüfung unterlassen zu haben. Auch kann
zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass bei Gelegenheit einer in Auftrag
gegebenen Sonderprüfung der auf den Konstruktionsfehler zurückzuführende Anriss
des Hubarms zutage getreten wäre (vgl. dazu noch die nachstehenden Erwägungen zu
Nr. 2b). Nach den Regeln der Äquivalenztheorie war das pflichtwidrige Unterlassen der
Beklagten deshalb eine nicht hinweg zu denkende Bedingung für den Schadenseintritt.
Denn die Hubarbeitsbühne wäre bei Gelegenheit der Sonderprüfung spätestens im
August 2000 aus dem Verkehr gezogen und der Unfall vom 30. März 2001 vermieden
worden.
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bb) Indes reicht die äquivalente Schadensverursachung allein nicht aus, um rechtlich
die Kausalität eines Ereignisses für einen Schadenseintritt zu bejahen. Die Äquivalenz
ist zwar ein notwendiges, aber für sich allein noch kein hinreichendes Kriterium der
Schadenszurechnung. Vielmehr ist zur Vermeidung einer unbegrenzten Haftung stets
zu fragen, ob die Verletzungshandlung und der eingetretene Schaden in einem
hinreichend inneren und nicht bloß äußerlich zufälligen Zusammenhang stehen. Ob das
der Fall ist, beantwortet die Frage nach dem Schutzzweck der verletzten Norm (vgl.
Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., Vorb vor § 249 Rn. 57, 62f m.w.N.). Ein solch
hinreichend innerer Zusammenhang zwischen der verletzten Norm (Verstoß gegen § 40
VBG 14) und dem Absturz des Arbeitskorbs besteht nicht. Sinn und Zweck der in Rede
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stehenden Unfallverhütungsvorschrift ist es, Unfallprävention zu betreiben. Der
Schutzzweck der Norm erfordert deshalb einen inneren Zusammenhang zwischen dem
sicherheitsrelevanten, die Sonderprüfung auslösenden Eingriff (hier:
Schutzblechmontage) und dem unfallursächlichen Ereignis (Hubarmbruch). Dieser
Zusammenhang besteht deshalb nicht, weil (unstreitig) nicht das montierte Schutzblech,
sondern der konstruktive Fehler des Hubarms unfallursächlich geworden ist (vgl.
Sachverständigengutachten sub Nr. 9). Das zufällige zeitliche Zusammentreffen der hier
in Rede stehenden Pflichtverletzung mit dem Unfallereignis ist bloß äußerlicher Natur
und deshalb rechtlich im Sinne der Kausalität unerheblich.
cc) Aus dem gleichen Grunde kann der unter den Parteien geführte Streit offen bleiben,
ob der Hubbühnenanhänger (Geräteunterwagen) im Unfallzeitpunkt noch im öffentlichen
Straßenverkehr geführt werden durfte, obwohl die gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 StVZO im
Februar 2001 fällige Hauptuntersuchung noch nicht abgeschlossen gewesen ist. Selbst
wenn der Unterwagen nicht mehr im öffentlichen Straßenverkehr hätte geführt werden
dürfen, wäre eine solche Pflichtverletzung im rechtlichen Sinne nicht unfallursächlich
geworden. Gegen- stand der Hauptuntersuchung gemäß § 29 Abs. 1 StVZO in
Verbindung mit den Anlagen VIII und VIIIa ist die Sicherheit des Anhängers im
öffentlichen Straßenverkehr. Zu den bei der Hauptuntersuchung zu prüfenden
technischen Einrichtungen gehört deshalb zwar die sichere Verbindung des
Geräteoberwagens mit dem Unterwagen, nicht aber die konstruktive Sicherheit des
Oberwagens im Arbeitseinsatz. Dessen Sicherheit hat keine vom Schutzzweck der
Norm gedeckte verkehrs- oder umweltrechtliche, sondern eine davon nicht erfasste
arbeitssicherheitsrechtliche Relevanz. Die Arbeitssicherheit ist aber nicht Gegenstand
straßenverkehrsrechtlicher Aufsicht, sondern Gegenstand der
berufsgenossenschaftlichen Aufsicht zur Verhütung von Betriebsunfällen (vgl. jetzt § 6
Arbeitssicherheitsgesetz [ASiG] und § 10 Betriebssicherheitsverordnung [BetrSiVO]).
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dd) Die Erstbeklagte als Betreiberin der Hubarbeitsbühne und die Beklagten zu 2) und
3) als ihre handelnden Organe haben schließlich auch nicht schuldhaft gegen die
Verkehrspflicht verstoßen, nur ein unfallsicheres Arbeitsgerät, insbesondere ein solches
ohne konstruktive Fehler in den Verkehr zu bringen. Es steht zwar fest, dass die
fehlerhafte Hubarbeitsbühne wegen ihrer Unfallträchtigkeit nicht zur Vermietung
angeboten werden durfte, weil bei ihrem Einsatz Leib, Leben und Gesundheit ihrer
Benutzer und auch das Eigentum Dritter akut gefährdet wurden. Es steht aber auch fest,
dass das baumustergenehmigte Produkt vor der ersten Inbetriebnahme durch den TÜV
geprüft worden ist, wobei der konstruktive Fehler (aus hier nicht bekannten Gründen)
verborgen geblieben ist, und dass die Erstbeklagte die von der Arbeitsbühne
ausgehende objektive Gefahr mangels deren Erkennbarkeit im gewöhnlichen Betrieb
nicht abwenden konnte und zwar auch nicht nach der Ausbildung des bei
Mietvertragsschluss vorhandenen Anrisses. Dazu hat der DEKRA-Sachverständige
Ober-Ing. Dipl.-Ing. P. in seinem Gutachten vom 04. Mai 2001 zusammenfassend und
plausibel festgestellt, dass der Anriss zum Unfallzeitpunkt mangels schon äußerlich
ausgebildeter Korrosion augenscheinlich nicht aufgedeckt werden konnte.
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(1) Allerdings hat die Erstbeklagte als gewerbliche Vermieterin nicht nur die allgemeine
Verkehrspflicht, im Zuge des gewöhnlichen Betriebs der Hubarbeitsbühne allen
Anzeichen einer eintretenden Produktgefahr die größte Aufmerksamkeit zu schenken
und unverzüglich erkennbare Gefahrenherde zu beseitigen. Sie hat darüber hinaus die
allgemeine Verkehrspflicht, zur Gefahrenabwehr einschlägige
Unfallverhütungsvorschriften zu beachten. Diese richten sich zwar in erster Linie an die
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Adresse des Unternehmers in seiner Rolle als Arbeitgeber, der den bei ihm
beschäftigen Menschen zur Fürsorge verpflichtet ist (§ 618 Abs. 1 BGB) und zu deren
Schutz die Unfallverhütungsvorschriften in erster Linie erlassen worden sind (BGH
VersR 1975, 812 f. m.w.N.). Sie können aber regelmäßig zur Feststellung von Inhalt und
Umfang bestehender allgemeiner Verkehrssicherungspflichten herangezogen werden
(BGH VersR 1985, 1147 f und VersR 2001, 1040, jeweils m.w.N.). Insbesondere die
Unfallverhütungsvorschriften (UVV) der Berufsgenossenschaft stellen den von der
zuständigen Stelle kraft öffentlicher Gewalt festgelegten Niederschlag der in einem
Gewerbe gemachten Berufserfahrungen dar und sind von dem Unternehmer nicht nur
gegenüber den Arbeitnehmern, sondern allgemein gegenüber jedermann zu beachten,
der mit dem Gefahrenherd bestimmungsgemäß oder voraussehbar in Berührung kommt
(vgl. BGH VersR 1953, 196; VersR 1985, 1147 f, jeweils m.w.N.).
Gegen einschlägige Unfallverhütungsvorschriften haben die Erstbeklagte und ihre
Organwalter in feststellbarer Weise aber nicht verstoßen (vgl. dazu schon die
vorstehenden Ewägungen sub lit. aa). Der vorsorgenden Gefahrenabwehr dient vor
allem § 39 der Unfallverhütungsvorschrift Hebebühnen vom 01. April 1977 in der zum
Unfallzeitpunkt geltenden Fassung vom 01. Januar 1995 (VBG 14, jetzt § 10 BetrSiVO
und § 6 ASiG). Danach hat der Betreiber dafür zu sorgen, dass die Hebebühne in
Abständen von längstens einem Jahr einem Sachkundigen zur Prüfung vorgeführt wird.
Sinn dieser Regelung ist es, einerseits Nachlässigkeiten des Betreibers bei der
Überwachung des Arbeitsgeräts auszugleichen und andererseits zu dessen
Unterstützung Expertenwissen nutzbar zu machen, um insbesondere dem Laien leicht
verborgen bleibende Mängel aufzudecken. Es ist unstreitig, dass der von der
Viertbeklagten gewerbsmäßig eingesetzte Fünftbeklagte Sachkundiger im Sinne des §
39 VBG 14 ist und dass die Erstbeklagte die Überwachungsintervalle eingehalten hatte
(BA 83ff), ohne dass bei diesen Anlässen der konstruktive Fehler oder als dessen Folge
der Anriss des Hubarms aufgefallen sind.
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(2) Ohne Erfolg macht der Kläger weiter geltend, der Erstbeklagten habe es oblegen,
ihren Betrieb so zu organisieren, dass sie die verfügbaren Warnhinweise auch
erreichten.
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(a) Der Senat muss nicht entscheiden, ob den Unternehmer die allgemeine
Verkehrspflicht trifft, Publikationsorgane der Berufsgenossenschaft, deren Pflichtmitglied
er ist, sorgfältig zu auszuwerten und dort veröffentlichte Warnhinweise aufzunehmen
und betrieblich umzusetzen. Sollte diese Pflicht bestehen und sollte die Beklagte zu 1)
ihren Betrieb nicht so organisiert haben, wäre ein solcher Verstoß nicht unfallursächlich
geworden. Denn die Berufsgenossenschaft Fahrzeughaltungen (BGF), deren
Pflichtmitglied die Beklagte zu 1) ist, hat die (ihr von der BGZ zur Kenntnis gebrachten)
Warnhinweise an ihre Mitgliedsunternehmen nicht weitergegeben (vgl. Auskunft der
BGF vom 09. Februar 2006, und den Vermerk vom 14. Februar 2006). Zwar sind die
Warnhinweise an die berufsgenossenschaftlichen Aufsichtspersonen (§ 18 SGB VII,
früher Technische Aufsichtsbeamte, § 712 Abs. 2 RVO) weitergegeben worden. Zur
Information des Hubbühnenbetreibers führt das aber nur dann, wenn die zuständige und
von der Berufsgenossenschaft gesteuerte Aufsichtsperson eine Betriebsbesichtigung
vornimmt und die Warnhinweise bekannt gibt. Es ist nicht behauptet und auch sonst
nicht ersichtlich, dass die Beklagte zu 1) auf diese Weise unterrichtet worden ist.
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(b) Der Senat verneint die weitergehende Frage, ob den gewerblichen Betreiber einer
Hubarbeitsbühne die allgemeine Verkehrspflicht trifft, seinen Betrieb so zu organisieren,
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dass ihn auch solche Warnhinweise erreichen, die von der zuständigen
Berufsgenossenschaft nicht an ihre Mitgliedsunternehmen weitergeleitet worden sind.
Das würde die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht des
Hebebühnenbetreibers überspannen. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung
umfasst nämlich nur diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in
vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend halten darf,
um andere vor Schäden zu bewahren. Voraussetzung ist daher, dass sich für ein
sachkundiges Urteil die nahe liegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt
werden können, (BGH NJW-RR 2003, 1459f und 2006, 674; VersR 2006, 665; NJW
2004, 1449, 1450). Es ist für den Betreiber einer Hebebühne aber nicht naheliegend,
dass vom Hauptverband der Berufsgenossenschaften herausgegebene und an die
gewerblichen Berufsgenossenschaften weitergeleitete Warnhinweise ihn nicht
erreichen, so dass er darüber hinausgehende Informationskanäle schaffen müsste. Aus
dem gleichen Grunde hatte es der Beklagten zu 1) nicht oblegen, ohne besonderen
Anlass eine auf das Produkt gerichtete gezielte Internetrecherche nach Warnhinweisen
durchzuführen. Das gilt umso mehr, als der Gesetzgeber des
Produktsicherheitsgesetzes (PSG) vom 30. April. 1997, in Kraft seit dem 01. August
1997 (BGBl I 1997, 934) die zuständigen Behörden gemäß § 8 Satz 2 PSG ermächtigt
hat, in den Fällen, in denen der Hersteller dazu nicht in der Lage ist, durch geeignete
öffentliche Hinweise vor Gefahren, die nach dem Inverkehrbringen von einem Produkt
ausgehen können, zu warnen.
II. Haftung der Beklagten zu 4) und 5)
54
Auch die Beklagten zu 4) und 5) haben keine sie gegenüber dem Kläger treffenden
allgemeinen Verkehrspflichten verletzt, so dass sie nicht für die Folgen des Unfalls
einzustehen haben. Eine Verletzung von Verkehrspflichten kommt nur in Betracht unter
dem Gesichtspunkt von Sorgfaltspflichtverletzungen anlässlich der Jahresprüfung der
Hebebühne im August 2000. Solche Rechtsverletzungen zu Lasten des Klägers sind
nicht feststellbar.
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1. Mangels unmittelbarer oder drittschützender Vertragsbeziehungen zum Kläger haftet
der Beklagte zu 5) ihm allenfalls nach deliktischen Grundsätzen, so dass von vornherein
eine verschuldensunabhängige Haftung ausscheidet. Als derjenige, der die
Sicherheitsprüfung als Sachkundiger übernommen hat, haftet der Beklagte zu 5)
grundsätzlich wie der unmittelbar Verkehrssicherungspflichtige nach deliktischen
Regeln (§§ 823ff BGB) allen durch das geprüfte Produkt an absoluten Rechtsgütern
kausal geschädigten Dritten (vgl. BGH NJW-RR 1989, 394, 295). Den Beklagten zu 5)
trifft aber in feststellbarer Weise keine Verletzung seiner Prüfpflichten. Diese richten sich
wiederum nach den einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften der
Berufsgenossenschaften, weil in ihnen die Erfahrungen des Verkehrs niedergelegt sind,
was erforderlich ist, um von einer Arbeitsmaschine ausgehende Gefahren zu erkennen.
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a) Einschlägig ist hier § 41 Abs. 2 VGB 14. Danach ist die regelmäßige Prüfung im
Wesentlichen Sicht- und Funktionsprüfung und erstreckt sich u. a. auf den Zustand der
Bauteile und Einrichtungen, auf Vollständigkeit und Wirksamkeit der
Sicherheitseinrichtungen sowie Vollständigkeit des Prüfbuches. Sinn der Jahresprüfung
ist es nicht, bei der Erstprüfung übersehene Konstruktionsfehler, sondern solche Mängel
aufzudecken, die durch den Gebrauch der Arbeitsmaschine entstehen können, also
insbesondere alters- und verschleißbedingte Fehler. Das bestätigen die für die
Prüfungstiefe und den Prüfungsumfang maßgeblichen berufsgenossenschaftlichen
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"Grundsätze für die Prüfung von Hebebühnen durch den Sachverständigen bzw.
Sachkundigen nach der Unfallverhütungsvorschrift ‚Hebebühnen‘ VBG 14" (ZH 1/490,
Stand: Januar 1978, künftig Prüfungsgrundsätze genannt). Ausweislich des Anhangs ist
u. a. die Tragkonstruktion auf Risse, Verformungen und Korrosion zu untersuchen. Zur
Prüfungstiefe gehören entgegen der Ansicht des Klägers aber nicht Belastungsversuche
bis zur Grenze der Belastungsfähigkeit der Tragkonstruktion. Solche Versuche sind nur
im Rahmen der Erstabnahme (§ 38 VBG 14 in Verbindung mit Nr. 5.2.4.2
Prüfungsgrundsätze) und einer Sonderprüfung (§ 40 VBG 14 in Verbindung mit Nr. 5.5
Prüfungsgrundsätze) vorgesehen, und zwar mit dem 1,25-fachen der zulässigen
Belastung, was einem Gewicht von rund 270 kg entspricht (vgl. dazu noch die
nachstehenden Erwägungen sub lit. b). Dass der Beklagte zu 5) im Rahmen der
Jahresprüfung den bei Mietbeginn (30. März 2001) vorhandenen zentimetertiefen Anriss
des unteren Hubarms nicht entdeckt hatte, beruht nicht feststellbar auf keiner
nachlässigen Prüfung. Voraussetzung für einen solchen Vorwurf wäre nämlich, dass der
Anriss bei der letzten Jahresprüfung vor dem Unfall im August 2000 vorhanden
gewesen ist. Das aber kann zu Lasten des Beklagten zu 5) nicht festgestellt werden.
b) Dem Beklagten zu 5) kann auch nicht vorgeworfen werden, wegen des zum
Unfallzeitpunkt montierten Schutzblechs am mittleren Hubarm keine Sonderprüfung (§
40 VBG 14) durchgeführt zu haben. Dabei kann offen bleiben, ob in diesem
Zusammenhang die Kausalitätsfrage (Schutzzweck der Norm) in gleicher Weise zu
Lasten des Klägers zu beantworten wäre, wie das im Rahmen der Haftungsfrage
hinsichtlich der Beklagten zu 1) bis 3) geschehen ist. Der Beklagte zu 5) hatte schon
deshalb keine Sonderprüfung durchzuführen, weil zu seinen Lasten nicht festgestellt
werden kann, dass die Hubarbeitsbühne bei ihrer letzten Vorstellung im August 2000
bereits mit dem umstrittenen Schutzblech ausgerüstet gewesen ist. Diesbezüglich folgt
der Senat der Beweiswürdigung des Landgerichts, das entsprechende Feststellungen
nicht hat treffen können.
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c) Als bei der Viertbeklagten angestellter Sachkundiger haftet der Beklagte zu 5) schon
mangels Pflichtverletzung nicht für schadensursächliche Organisationsmängel des
Beschäftigungsbetriebs (vgl. BGH NJW 1988, 48 = MDR 1987, 1015, der die Haftung
erst am fehlenden Verschulden scheitern lässt). Insbesondere stellt sich also die Frage
danach, ob die verfügbaren Warnhinweise durch geeignete betriebsorganisatorische
Maßnahmen den angestellten Prüfern hätten zugänglich gemacht werden müssen, erst
im Zusammenhang mit der Beantwortung der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit der
Viertbeklagten (vgl. die nachstehenden Erwägungen sub Nr. 2b).
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2. Auch die Beklagte zu 4) haftet dem Kläger nicht, wobei auch zu ihren Lasten allenfalls
eine Verantwortlichkeit nach deliktischen Normen in Betracht kommt.
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a) Der Kläger ist insbesondere nicht in den Schutzbereich des Werkvertrags (§ 631
BGB) zwischen der Erst- und Viertbeklagten einbezogen. Ein solcher Drittschutz kommt
schon deshalb nicht in Betracht, weil bereits der Arbeitgeber des Klägers als Mieter der
Hebebühne aus dem Kreis der Drittgeschützten ausscheidet; die nur abgeleiteten
Rechte des Klägers können nicht weiter gehen als die originären Rechte des Mieters.
Dieser ist deshalb nicht in den Schutzbereich des Werkvertrags einbezogen, weil er
nicht schutzbedürftig ist. Er ist bereits hinreichend geschützt durch seine eigenen
vertraglichen Rechte als Mieter (§ 538 BGB a.F) gegenüber der Erstbeklagten (vgl. BGH
NJW-RR 1990, 726; NJW 1994, 2231). Denn das mietrechtliche Haftungsregime ist dem
des werkvertraglichen nicht nur gleichwertig, sondern insbesondere mit Blick auf die
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verschuldensunabhängige Garantiehaftung des Vermieters sogar überlegen.
b) Da ebenso wie die Berufsgenossenschaft Fahrzeughaltungen auch die
Berufsgenossenschaft Metall Süd, deren Pflichtmitglied die Viertbeklagte ist, die
Warnhinweise nicht an ihre Mitglieder weitergegeben hat, kommt eine
Verkehrspflichtverletzung nur in Betracht, wenn es der Beklagten zu 4) oblegen hatte,
ihren Betrieb so zu organisieren, dass sie auch solche Warnhinweise erreichen
konnten, die von der zuständigen Berufsgenossenschaft nicht an ihre
Mitgliedsunternehmen weitergeleitet worden sind. Der Senat verneint eine solche
Obliegenheit.
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Das würde auch die Anforderungen an die Sorgfalt des mit
Arbeitsgeräteprüfungsaufgaben befassten Unternehmers überspannen. Dabei verkennt
der Senat nicht, dass die Anforderungen an den Sachkundigen bei der Prüfung der
Hebebühne durchaus diejenigen übersteigen, die den Betreiber des Geräts treffen.
Denn hier ist Expertenwissen gefragt und anzuwenden. Allerdings richten sich aus den
schon genannten Gründen die Prüfungsanforderungen (Dichte, Tiefe, Umfang) nach
den einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften, die, wie im Rahmen der Haftung des
Beklagten zu 4) geprüft worden ist, nicht verletzt worden sind. Den Sachkundigen treffen
deshalb insbesondere keine allgemeinen Marktbeobachtungspflichten, wie sie den
Produkthersteller treffen (vgl. Graf von Westphalen/Foerster, Produkthaftungshandbuch,
2. Aufl., § 24 Rn. 293ff). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst nämlich nur
diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen
vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend halten darf, um andere vor Schäden
zu bewahren. Voraussetzung ist daher auch hier, dass sich für ein sachkundiges Urteil
der beteiligten Verkehrskreise die nahe liegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter
anderer verletzt werden können, (BGH NJW-RR 2003, 1459f und 2006, 674; VersR
2006, 665; NJW 2004, 1449, 1450). Mit Blick auf Sinn und Zweck der Jahresprüfung und
des daran orientierten Prüfprogramms nach Umfang und Tiefe ist es ebenso wenig wie
für den Betreiber auch für den Prüfer einer Hebebühne nicht naheliegend, dass vom
Hauptverband der Berufsgenossenschaften herausgegebene und an die gewerblichen
Berufsgenossenschaften weitergeleitete Warnhinweise ihn nicht erreichen, so dass er
darüber hinausgehende Informationskanäle schaffen müsste. Aus dem gleichen Grunde
hatte es auch der Viertbeklagten nicht oblegen, ohne besonderen Anlass eine auf das
Produkt gerichtete gezielte Internetrecherche nach Warnhinweisen durchzuführen. Das
gilt umso mehr, als der Gesetzgeber des Produktsicherheitsgesetzes (PSG) vom 30.
April. 1997, in Kraft seit dem 01. August 1997 (BGBl I 1997, 934) die zuständigen
Behörden gemäß § 8 Satz 2 PSG ermächtigt hat, in den Fällen, in denen der Hersteller
dazu nicht in der Lage ist, durch geeignete öffentliche Hinweise vor Gefahren, zu
warnen, die nach dem Inverkehrbringen von einem Produkt ausgehen können. Auch
das sachkundige Prüfungsunternehmen darf sich deshalb mangels besonders
angeordneter allgemeiner Beobachtungs- und/oder Erkundigungspflichten darauf
verlassen, dass verfügbare Warnhinweise sie entweder in Gestalt öffentlicher oder
durch die zuständige Berufsgenossenschaft organisierter Bekanntmachungen
erreichen.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Es besteht kein Anlass,
die Revision zuzulassen; die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch
erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Abs. 2 ZPO.
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Berufungsstreitwert: 105.000 EUR, davon entfallen auf den Feststellungsantrag 5.000
EUR.
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Z. T. H.
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Vors. Richter am OLG Richter am OLG Richterin am OLG
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