Urteil des OLG Düsseldorf vom 20.02.2006

OLG Düsseldorf: unfall, grundsatz der firmenwahrheit, geschwindigkeit, kollision, abschlag, grundstück, vergleich, behandlung, beschädigung, abbiegen

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-1 U 137/05
Datum:
20.02.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-1 U 137/05
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 08. Juni 2005 ver-kündete
Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf
unter Zurückweisung des weiterge-henden Rechtsmittels teilweise
abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:1.)Die Beklagten
werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4.433,24 Euro
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent-punkten über dem Basiszinssatz
seit dem 01.06.2003 zu zah-len.2.)Die Beklagten werden als
Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger einen Schmerzensgeldbetrag
in Höhe von 3.500 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem Basis-zinssatz seit dem 01.06.2003 zu zahlen.3.)Es wird
festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind,
dem Kläger 60 % des zukünftigen materiellen und immateriellen
Schadens aus dem Unfall vom 16.04.2003 zu ersetzen, soweit
Schadensersatzansprüche des Klägers nicht auf
Sozialversicherungsträger übergegangen sind.Im übrigen wird die Klage
abgewiesen.Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 17 %
und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 83 %. Das Urteil ist vorläufig
vollstreckbar.
E n ts c h e i d u n g s g r ü n d e :
1
Die Berufung des Klägers ist zulässig und überwiegend begründet. Der
Schadensersatzanspruch des Klägers ergibt sich aus §§ 7, 17 Abs. 1, 2, 18 StVG, 823
BGB, 3 Nr. 1, 2 PflVG.
2
I.
3
Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist zunächst davon auszugehen, dass sich der
Unfall vom 16.04.2003 bei dem Betrieb des Fahrzeugs des Beklagten zu 1.) im Sinne
des § 7 Abs. 1 StVG ereignet hat.
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Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass der
Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten
5
Betriebsvorgang des KFZ steht. Danach rechtfertigt die Anwesenheit eines im Betrieb
befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle allein noch nicht die Annahme, der Unfall
sei bei dem Betrieb dieses Fahrzeugs entstanden. Erforderlich ist vielmehr, dass die
Fahrweise oder der Betrieb dieses Fahrzeugs zu dem Entstehen des Unfalls
beigetragen hat. Andererseits hängt die Haftung gemäß § 7 StVG nicht davon ab, ob
sich der Führer des im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat,
und auch nicht davon, dass es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist. Selbst
ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder
Ausweichreaktion ist gegebenenfalls dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zuzurechnen, das
diese Reaktion ausgelöst hat (BGH NJW 2005, 2081 m.w.N.; Senat, Urteil vom
21.11.2005, Az. 1 U 74/05).
Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang erörtert, ob der Kläger sich zu der
von ihm eingeleiteten Bremsung, die zu dem Sturz führte, durch das Fahrmanöver des
Beklagten zu 1.) veranlasst sehen durfte und ob die Bremsung objektiv erforderlich war,
um eine Kollision zu vermeiden, kommt es hierauf nicht an.
6
Für die Frage, ob es zu dem Unfall bei dem Betrieb des Fahrzeugs des Beklagten zu 1.)
im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG gekommen ist, kommt es vielmehr allein darauf an, dass
die – möglicherweise als Schreckreaktion überzogene - Bremsung des Klägers durch
das Fahrmanöver des Beklagten zu 1.) veranlasst worden ist. So steht die Bremsung
durch den Kläger in nahem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zu dem
Abbiegemanöver des Beklagten zu 1.) in die Feuerwehreinfahrt. Es bestehen auch
keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger aus einem anderen Grund als
dem Fahrmanöver des Beklagten zu 1.), das angesichts des Kreuzens der Fahrspur des
Klägers grundsätzlich geeignet war, für diesen als Motorradfahrer eine erhebliche
Gefährdung darzustellen und von diesem daher "subjektiv vertretbar" auch als solche
empfunden werden konnte, abgebremst hat und infolgedessen gestürzt ist. Ein solcher
Anhaltspunkt ergibt sich insbesondere auch nicht aus dem Verlauf der Bremsspur auf
dem Zebrastreifen. Zwar verläuft diese in Richtung der Fahrbahnbegrenzung. Hieraus
kann aber nicht geschlossen werden, dass der Kläger schon vor der Bremsung auf die
Fahrbahnbegrenzung zugesteuert hat und deshalb mit der Folge des Sturzes
gezwungen war, abzubremsen. Denn bei dieser Bremsspur kann es sich auch um die
Spur des seitlich wegrutschenden Vorder- oder Hinterrades des Motorrades handeln.
Der Kläger hat auch unmittelbar am Unfallort gegenüber der Polizei angegeben, er habe
sich wegen des Autos des Beklagten zu 1.) erschreckt und gebremst. Auch nach der
Aussage des Zeugen D., der das Motorrad wegen seines Geräusches auch schon vor
dem Sturz beobachtet hat, haben sich im Fahrverhalten des Klägers in der Annäherung
bis zu der Bremsung keine Auffälligkeiten ergeben, die dafür sprechen könnten, dass
die Bremsung eine andere Ursache hatte als den Umstand, dass der Beklagte zu 1.)
seine Fahrbahn kreuzte.
7
II.
8
Da es sich bei dem Unfall für keinen der Unfallbeteiligten um ein unabwendbares
Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG handelt, hängt in ihrem Verhältnis zueinander
die Verpflichtung zum Schadensersatz gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG von den
Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen
oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
9
1.)
10
Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1.) beim Abbiegen in die
Feuerwehr-/Grundstückseinfahrt gegen seine gesteigerten Sorgfaltspflichten aus § 9
Abs. 3 und 5 StVO verstoßen hat.
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Wer, wie der Beklagte zu 1.), zum Wenden unter vollständigem Verlassen der Fahrbahn
eine Grundstückseinfahrt nutzt, unterliegt den Regeln für das Abbiegen in ein
Grundstück und anschließend für das Einfahren aus diesem in die Fahrbahn (BGH NZV
2002, 376; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 9 Rn. 50).Danach war der
Beklagte zu 1.) gemäß § 9 Abs. 5 StVO verpflichtet, sich so zu verhalten, dass eine
Gefährdung anderer – insbesondere auch der aus der entgegengesetzten Fahrtrichtung
kommenden - Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Bei einer Kollision des in ein
Grundstück Abbiegenden mit dem durchgehenden Verkehr spricht der Anschein
schuldhafter Unfallverursachung gegen den Abbiegenden (Senat, Urteil vom
16.02.2004, Az. 1 U 151/03). Zwar ist es im vorliegenden Fall nicht zu einer Berührung
der unfallbeteiligten Fahrzeuge gekommen. Wie bereits ausgeführt, hat sich der Sturz
des Klägers aber in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem
Abbiegemanöver des Beklagten zu 1.) ereignet, während Anhaltspunkte für die
Annahme eines atypischen Geschehensablaufs dahingehend, dass es unabhängig von
dem Abbiegemanöver des Beklagten zu 1.) zu dem Sturz des Klägers gekommen ist,
nach den obigen Ausführungen nicht bestehen. Danach spricht aber auch ohne
Kollision der unfallbeteiligten Fahrzeuge angesichts des Umstandes, dass das
Abbiegemanöver des Beklagten zu 1.) Ursache für den Sturz des Klägers war, der
Beweis des ersten Anscheins für einen schuldhaften Verstoß des Beklagten zu 1.)
gegen seine Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 StVO (Senat, a.a.O.).
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Diesen Anscheinsbeweis haben die Beklagten auch nicht erschüttert oder gar widerlegt.
Insbesondere haben sie nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 1.) seiner Sorgfaltspflicht
aus § 9 Abs. 5 StVO insoweit nachgekommen ist, als er ohne den geringsten
verbleibenden Zweifel davon ausgehen konnte, dass sein Abbiegemanöver den auf der
Gegenfahrbahn herannahenden Kläger nicht beeinträchtigen würde (BGH VRS 18, 265;
Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 9 Rn. 39). Dies gilt auch dann, wenn man
mit den Parteien im Berufungsverfahren davon ausgeht, dass der Beklagte zu 1.) sein
Abbiegemanöver zu einem Zeitpunkt begann, als der Kläger sich mit seinem Motorrad
noch etwa 40 bis 50 m entfernt befand. Denn der Sachverständige B. hat die
Geschwindigkeit des Klägers nur im Rahmen einer Spannbreite von 30 – 60 km/h
eingrenzen können und hat auch die Geschwindigkeit des Beklagten zu 1.) beim
Abbiegevorgang lediglich mit 10 km/h als "möglich und plausibel" angenommen. Der
Beklagte zu 1.) benötigte aber bereits dann, wenn er nicht mit einer durchschnittlichen
Geschwindigkeit von 10 km/h, sondern beispielsweise von 5 km/h in die
Grundstückseinfahrt abgebogen war, für die Strecke von etwa 8 Metern bis zum
Stillstand in der Grundstückseinfahrt knapp 6 Sekunden (5 km/h : 3,6 = 1,38; 8 Meter :
1,38 = 5,79 Sekunden) und damit etwa 1 Sekunde länger, als der Kläger selbst bei einer
Geschwindigkeit von nur 30 km/h, von der mangels entsprechenden Nachweises durch
die Beklagten zu ihren Gunsten nicht ausgegangen werden kann, benötigte, um eine
Entfernung von 40 m zu dem abbiegenden Fahrzeug des Beklagten zu 1.) zu
überwinden.
13
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Aussagen der durch
das Landgericht vernommenen Zeugen. So lassen sich der Aussage der Zeugin S., das
Fahrzeug des Beklagten zu 1.) habe in dem Moment, als sie sich zum Unfallgeschehen
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umgedreht habe, bereits mit leuchtendem Rückwärtslicht in der Grundstückseinfahrt
gestanden, während der Kläger und sein Motorrad bereits in ihren Endpositionen nach
dem Sturz gelegen hätten, keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Frage
entnehmen, ob der Beklagte zu 1.) bei Einleitung des Abbiegemanövers davon
ausgehen konnte, den auf der Gegenfahrbahn herannahenden Kläger nicht zu
gefährden. Gleiches gilt auch hinsichtlich der Aussage des Zeugen M, der angegeben
hat, das Fahrzeug des Beklagten zu 1.) zu dem Zeitpunkt, als er das Bremsgeräusch
des Motorrades wahrnahm, noch auf der Straße gesehen zu haben, sowie hinsichtlich
der Aussage des Zeugen D., der lediglich den Kläger, nicht aber den Beklagten zu 1.) in
der Annäherung an die Unfallstelle beobachtet hat.
2.)
15
Die Beklagten haben einen Fahrfehler des Klägers nicht bewiesen. Zwar hat auch der
Kläger im Rahmen seiner Anhörung durch das Landgericht angegeben, er habe sein
Motorrad schreckbedingt abgebremst, als er erkannt habe, dass der Beklagte zu 1.) in
die Grundstückseinfahrt habe abbiegen wollen. Allein hieraus ergibt sich aber noch
nicht der Vorwurf eines Fahrfehlers. Denn selbst wenn es sich bei der spontanen
Bremsung des Klägers in dem Versuch, den offenbar befürchteten frontalen
Zusammenprall mit dem PKW des Beklagten zu 1.) zu vermeiden, um eine
Schreckreaktion in plötzlicher und unverschuldeter Gefahr gehandelt haben sollte, so
wäre eine solche Reaktion auch dann nicht vorwerfbar, wenn aus nachträglicher Sicht
ein anderes Verhalten zweckmäßiger gewesen wäre. Etwas anderes kann nur dann
gelten, wenn der Kläger eine den gesamten Umständen nach völlig verfehlte Reaktion
gezeigt hätte (Hentschel, a.a.O., Einl. Rn. 144; Senat, Urteil vom 22.01.2001, Az. 1 U
185/98; Urteil vom 01.10. 2001, Az. 1 U 206/00). Dass dies der Fall war, haben die
Beklagten aber nicht bewiesen.
16
3.)
17
Die Abwägung aller unfallursächlichen Umstände gemäß §§ 17, 18 StVG, bei der
zulasten einer Partei nur solche Tatsachen berücksichtigt werden dürfen, auf die sie
sich entweder selbst beruft oder die unstreitig oder erwiesen sind, führt zu dem Ergebnis
einer Alleinhaftung der Beklagten für die unfallbedingten Schäden des Klägers. Gegen
den Beklagten zu 1.) spricht der nicht erschütterte Anschein einer schuldhaften
Verletzung der strengen Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO als Linksabbieger
in ein Grundstück. Zudem war die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1.)
insoweit erhöht, als die Feuerwehreinfahrt nur durch das Kreuzen der Bewegungslinie
des bevorrechtigten Gegenverkehrs möglich war. Hinzukommt, dass die bewegte Masse
des Pkw Saab des Beklagten zu 1.) im Vergleich zu den Motorrad des Klägers deutlich
größer war. Demgegenüber ist ein schuldhaftes Fehlverhalten des Klägers bei der
Annäherung an die Unfallstelle nicht ersichtlich. Die von seinem Motorrad ausgehende
Betriebsgefahr fällt im Vergleich zu den den Beklagten anzulastenden Verursachungs-
und Verschuldensanteilen nicht mehr haftungsbegründend ins Gewicht.
18
III.
19
Dem Kläger steht danach ein Anspruch auf Ersatz des ihm aus dem Unfall
entstandenen materiellen Schadens in Höhe von 4.433,24 Euro zu.
20
1.)
21
Der Kläger kann angesichts des an seinem Motorrad eingetretenen wirtschaftlichen
Totalschadens zunächst die Kosten der Wiederbeschaffung eines Ersatzfahrzeuges
geltend machen. Obwohl der Kläger vorgetragen hat, ein Ersatzmotorrad angeschafft zu
haben, rechnet er seinen Schaden nicht konkret auf Basis dieser Ersatzbeschaffung ab,
was es ihm ermöglichen würde, die tatsächlich angefallenen Kosten der
Ersatzbeschaffung bis zur Höhe des (Brutto-) Wiederbeschaffungswertes des
unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges - unter Abzug des Restwertes - ersetzt zu verlangen
(dazu BGH NJW 2005, 2220-2222 und BGH, Urteil vom 15. November 2005, Az: VI ZR
26/05, NJW 2006, 285). Vielmehr rechnet er den Schaden fiktiv auf der Grundlage des
Schadensgutachtens des Sachverständigen S. vom 06.06.2003 ab, wonach der
Bruttowiederbeschaffungswert für das Motorrad 6.500 Euro betrug, wobei er sich zur
Ermittlung des Nettowiederbeschaffungswertes mit Blick auf eine Differenzbesteuerung
einen Abschlag von 2 % auf den Bruttowiederbeschaffungswert anrechnen lässt. Soweit
der Sachverständige S demgegenüber von dem Bruttowiederbeschaffungswert einen
Abschlag von 16 % vornimmt, ist dies, worauf der Kläger zu Recht hinweist, nicht
angemessen. Denn das Motorrad des Klägers war zur Zeit des Unfall bereits fünf Jahre
alt und hatte eine für ein Motorrad bereits erhebliche Laufleistung von 35.000 km.
Dementsprechend ist davon auszugehen, dass ein vergleichbares Motorrad wenn
überhaupt von einem gewerblichen Händler, dann nur von einem
Gebrauchtfahrzeughändler gemäß § 25 a UstG differenzbesteuert erworben werden
konnte. Dementsprechend kann im Rahmen der Schadensschätzung entsprechend der
Annahme des Klägers von einer Differenzbesteuerung in Höhe von 2 % des
Bruttowiederbeschaffungswertes ausgegangen werden, so dass sich ein
Nettowiederbeschaffungswert von 6.372,55 Euro (6.500 Euro x 100 : 102) ergibt. Soweit
die Beklagten demgegenüber behaupten, im Vergleich zu PKW-Händlern kalkulierten
Händler bei Motorrädern weit großzügiger, fehlt es an einem den Beklagten
obliegenden ausreichend substantiierten Vortrag zu der Frage, mit welcher
Händlerspanne, Motorradhändler angeblich Motorräder vergleichbaren Typs verkaufen
(zur Möglichkeit des Nachweises eines höheren Abzugs : Elsner, "42.
Verkehrsgerichtstag 2004 in Goslar", DAR 2004, 133, 134).
22
2.)
23
Von dem Nettowiederbeschaffungswert von 6.372,55 Euro ist der Restwert des
Fahrzeugs mit 350 Euro in Abzug zu bringen. Zwar hat der Sachverständige S. den
Restwert mit nur 150 Euro angesetzt und bewegt sich der Geschädigte im allgemeinen
in den für die Schadensbehebung durch § 249 Satz 2 BGB gezogenen Grenzen, wenn
er das Unfallfahrzeug auf der Grundlage eines von ihm eingeholten
Sachverständigengutachtens und des darin ausgewiesenen Restwertes verkauft oder in
Zahlung gibt. Liegt dem Geschädigten aber vor der Veräußerung des Wracks ein
verbindliches, gegenüber der Schätzung des Sachverständigen günstigeres Angebot
zur Übernahme vor, dessen Ablehnung von keinen vernünftigen Gründen getragen ist,
so widerspräche es Sinn und Zweck des Gebotes zu einer wirtschaftlich vernünftigen
Schadensbeseitigung, es nicht in Anschlag zu bringen (BGH NZV 2000, 162, 163;
ständige Spruchpraxis des Senats). Dem Kläger lag aber unstreitig das verbindliche
Restwertangebot der Fa. A-T-S. vom 16.05.2003 über 350 Euro vor der Veräußerung
des unfallbeschädigten Motorrades vor. Er war daher ohne weiteres in der Lage, das
Unfallfahrzeug auf dieser Basis zu verwerten. Nachvollziehbare Gründe, die gegen die
Annahme dieses Angebotes, insbesondere gegen seine Seriösität sprechen, hat der
Kläger nicht vorgetragen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwieweit sich aus einem
24
angeblichen Verstoß der Firma "A-T-S" gegen den Grundsatz der Firmenwahrheit die
Schlussfolgerung ergeben soll, das Angebot vom 16.05.2003 sei unseriös gewesen.
Danach ergibt sich ein Schaden des Klägers hinsichtlich des Motorrades in Höhe von
6.022,55 Euro.
3.)
25
Die weiteren Schadenspositionen Feuerwehrgebühren (91,10 Euro) und
Sachverständigenkosten (398,69 Euro) sind unstreitig.
26
4.)
27
Die Kosten für die Ab- und Anmeldung des alten und neuen Motorrades können gemäß
§ 287 ZPO auf 75 Euro geschätzt werden. Zwar wird hier teilweise die Ansicht vertreten,
die Gebühren für An- und Abmeldung seien dem Geschädigten nur zu ersetzen, wenn
sie konkret dargelegt worden seien, da eine solche Darlegung ohne weiteres möglich
sei und damit eine Pauschalierung nicht gerechtfertigt sei (OLG Köln, NZV 1991, 429;
Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 3. Aufl., Anh. I Rn. 26; a.A. OLG Hamm,
NJW-RR 1995, 224; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO, § 287 Rn. 16).
Da die Beklagten nicht bestritten haben, dass der Kläger tatsächlich ein Ersatzmotorrad
angemeldet hat, erscheint dem Senat aber angesichts der geringen Höhe des in Rede
stehenden Anspruchs eine Schätzung der dabei angefallenen Kosten auf 75 Euro als
angemessen.
28
5.)
29
Weiterhin kann der Kläger auch Ersatz der Kosten für das Unterstellen des
Motorradwracks für 11 Tage durch den ADAC-Abschleppdienst verlangen (Greger,
a.a.O., Anh. I Rn. 26). Dass diese Kosten entstanden sind, ergibt sich zum einen daraus,
dass der Kläger sich nach seinem von den Beklagten unbestrittenen Vortrag in der Zeit
nach dem Unfall vom 16.04.2003 bis zum 26.04.2003 in stationärer Behandlung im M-H
in D. befunden hat und sich daher naturgemäß um den Verbleib seines Motorrades nicht
kümmern konnte, zum anderen aus der vorgelegten Rechnung der Fa. W, F. GmbH vom
30.04.2003 über den geltend gemachten Betrag von 127,60 Euro.
30
6.)
31
a.)
32
Dass der Motorradhelm des Klägers infolge des Unfalls aus Sicherheitsgründen nicht
mehr genutzt werden kann, ergibt sich unabhängig davon, ob eine äußerliche
Beschädigung des Helms feststellbar ist, aus dem Umstand, dass der Kläger gestürzt ist
und dabei nach seinen nicht angegriffenen Angaben im Rahmen seiner Anhörung durch
das Landgericht unter anderem mit dem Helm gegen einen Bogenpoller vor der
Feuerwehreinfahrt gestoßen ist. Da als Folge dieser mechanischen Belastung des
Helms verborgene Mängel nicht auszuschließen sind, muss der Helm ausgetauscht
werden (Senat, Urteil vom 25.04.2005, Az. 1 U 195/04; Urteil vom 16.02.2004, Az. 1 U
151/03). Zudem ist auch glaubhaft, dass durch den Sturz des Klägers das Visier des
Helms beschädigt worden ist. Der Kläger hat aber nicht dargelegt, dass er tatsächlich
einen neuen Helm sowie ein neues Visier erworben hat. Danach kann er nur den
Nettopreis für die Neuanschaffung eines vergleichbaren Motorradhelms mit
33
vergleichbarem Visier beanspruchen. Dass ein vergleichbarer Helm zu dem Preis des
alten Helms von brutto 549 DM = 280,70 Euro erhältlich ist, ist zwischen den Parteien
ebenso wenig in Streit wie der Preis von 45,97 Euro für die Neuanschaffung des
beschädigten Visiers. Danach ergibt sich ein zu ersetzender Nettobetrag von 241,98
Euro für den Helm und 39,63 Euro für das Visier. Nach der Rechtsprechung des Senats
findet ein Abzug "neu für alt" bei einem aus Sicherheitsgründen auszutauschenden
Sturzhelm bzw. Visier nicht statt (Senat, Urteil vom 01.10.2001, Az. 1 U 15/01).
b.)
34
Hinsichtlich der Armbanduhr bestreiten die Beklagten nicht die Angabe des Klägers,
dass diese Uhr einen Neupreis von 180 DM = 92,03 Euro hat. Soweit sie die
Beschädigung der Uhr infolge des Unfalls bestreiten, ergibt sich die behauptete
Beschädigung (insbesondere Kratzer im Mineralglas durch Schlag auf die Straße)
ebenfalls gemäß § 287 ZPO aus dem Sturz des Klägers unter Berücksichtigung der
vorgelegten Kopie eines Lichtbildes von der beschädigten Uhr. Auch hier ist allerdings
ein Abschlag von 16 % zu machen, da der Kläger nicht behauptet, eine vergleichbare
Uhr neu erworben zu haben. Es ergibt sich ein Betrag von 79,34 Euro. Da die Uhr erst
knapp zwei Jahre alt war, ist ein Abschlag neu für alt nicht angemessen.
35
Insgesamt ergibt sich danach hinsichtlich Helm, Visier und Uhr ein Schadensbetrag von
360,95 Euro.
36
7.)
37
Hinsichtlich der Kleidung des Klägers ist ebenfalls davon auszugehen, dass diese
infolge seines Sturzes, bei dem er über die Straße gerutscht ist, beschädigt worden ist.
Dabei sind T-Shirt, Hose und Schuhe zum Kaufpreis von insgesamt 289,84 Euro
ausweislich der vorgelegten Quittungen erst am 19.03.2003 und damit knapp einen
Monat vor dem Unfall gekauft worden. Den Wert des ein Jahr alten zweiten von dem
Kläger getragenen T-Shirts sowie der Socken schätzt der Senat entsprechend der
Angaben des Klägers auf insgesamt 23 Euro. Ein Abzug neu für alt ist angesichts des
Alters dieser Kleidungsgegenstände nicht angemessen. Da es sich um Gegenstände
des täglichen Bedarfs handelt, ist auch davon auszugehen, dass der Kläger sich Ersatz
für diese beschädigte Kleidung gekauft hat, so dass die Mehrwertsteuer nicht
abzusetzen ist. Insgesamt ergibt sich ein Schadensbetrag von 312,84 Euro.
38
Der dem Kläger unfallbedingt entstandene materielle Schaden beläuft sich danach auf
7.388,73 Euro. Der Kläger begehrt allerdings unter Berücksichtigung eines von ihm
angenommenen unfallursächlichen Mitverschulden seinerseits von 40% im Rahmen
einer Teilklage lediglich Ersatz des ihm unfallbedingt entstandenen materiellen
Schadens in Höhe von 60%. Ihm ist daher ein Schadensersatzanspruch lediglich in
Höhe von 60 % des ihm entstandenen materiellen Schadens, d.h. in Höhe von 4.433,24
Euro zuzusprechen.
39
IV.
40
Bei der Bemessung der Höhe des von dem Kläger uneingeschränkt geltend gemachten
Schmerzensgeldes ist grundsätzlich die Doppelfunktion des Anspruchs zu
berücksichtigen. Er soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für die
erlittenen immateriellen Schäden sowie die Genugtuung für das erlittene Unrecht
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verschaffen. Dabei steht bei Straßenverkehrsunfällen die Ausgleichsfunktion des
Schmerzensgeldes im Vordergrund. Der für einen Ausgleich erforderliche Geldbetrag
hängt in erster Linie von der Schwere der Verletzungen, dem Ausmaß, der Heftigkeit
und Dauer der Schmerzen, Leiden, Entstellungen und sonstigen Beschwernisse, dem
Alter des Verletzten, der Dauer der stationären Behandlung und der Arbeitsunfähigkeit,
der Unübersehbarkeit des weiteren Krankheitsverlaufs und der Fraglichkeit der
endgültigen Heilung sowie dem Grad der Verschuldensbeiträge ab (BGH, NJW 1998,
2741ff.; Senatsurteile vom 14.11.2005, Az.: 1 U 78/05; vom 13.12.2004, Az.: 1 U 62/04).
Der Kläger hat sich ausweislich des Durchgangsarztberichtes vom Unfalltag teilweise
tiefe Schürfwunden an der linken Schulter, am linken und rechten Ellenbogens, über der
Handaußenkante links, der Finger, eine Impressionsfraktur des 6 Brustwirbels, ein
stumpfes Thoraxtrauma, eine HWS-Distorsion sowie eine offene Knieverletzung links
zugezogen. Er befand sich vom 16.04. bis 26.04.2003 in stationärer Behandlung und
war bis zum 02.05.2003 arbeitsunfähig.
42
Die von den Beklagten bestrittene Ursächlichkeit des Unfalls für die Schürf- und
Knieverletzungen ergibt sich aus dem unstreitigen Unfallhergang, wonach der Kläger
ohne Schutzkleidung vom Motorrad gestürzt und über die Straße gerutscht ist. Danach
steht eine Primärverletzung des Klägers fest, die Frage der weiteren Verletzungen des
Klägers, insbesondere im Bereich seiner Wirbelsäule betrifft die haftungsausfüllenden
Kausalität. Diesbezüglich unterliegt der Tatrichter nicht den strengen Anforderungen des
§ 286 ZPO, sondern ist nach Maßgabe des § 287 ZPO freier gestellt. An das zur
Überzeugsbildung erforderliche Beweismaß werden geringere Anforderungen gestellt.
Es genügt je nach Lage des Einzelfalls eine höhere oder deutlich höhere
Wahrscheinlichkeit (BGH NJW 2004, 2828 mit Hinweis auf BGH VersR 1987, 310;
VersR 2003, 474 sowie VersR 2004, 118, 119). Ausweislich des
Durchgangsarztberichtes ist bei dem Kläger am Unfalltag eine "frische"
Deckplattenimpressionsfraktur BWK 6 festgestellt worden. Dass der Kläger sich diese
Fraktur etwa kurze Zeit vor dem verfahrensgegenständlichen Unfall zugezogen hätte,
haben die Beklagten nicht behauptet und erscheint auch nicht plausibel. Aus diesem
von den Beklagten unwidersprochen gebliebenen Befund wenige Minuten nach dem
Unfall ergibt sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass diese Fraktur durch den
Unfall verursacht worden ist.
43
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes war allerdings anspruchsmindernd zu
berücksichtigen, dass den Kläger angesichts des Umstandes, dass er abgesehen von
dem Sturzhelm keine zum Fahren eines Motorrades geeignete Schutzkleidung getragen
hat und es hierdurch zumindest zu den erheblichen Schürfverletzungen sowie der
Knieverletzung gekommen ist, ein erhebliches Verschulden gegen sich selbst trifft (zum
Fehlen angemessener Schutzkleidung beim Motorradfahren: Senat, Urteil vom
29.10.2001, Az. 1 U 212/00).
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Bei Abwägung dieser Umstände hält der Senat ein Schmerzensgeld von 3.500 Euro für
angemessen.
45
V.
46
Der Feststellungsantrag des Klägers ist zulässig, da der Kläger durch den Unfall eine
Deckplattenimpressionsfraktur des BWK 6/7 erlitten hat und Dr. D. vom M-H. D. in
seinem Schreiben vom 28.07.2003 ausgeführt hat, dass aufgrund der Wirbelfraktur
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spätere degenerative Veränderungen auftreten können. Dieser Einschätzung des Dr. D.
sind die Beklagten auch nicht entgegen getreten, so dass insoweit von der Möglichkeit
des Eintritts eines Zukunftsschadens auszugehen ist. Die Begründetheit des
Feststellungsantrags ergibt sich aus den obigen Ausführungen.
VI.
48
Der Verzugszinsanspruch des Klägers ergibt sich aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.
49
VII.
50
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
51
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711,
713 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.103,15 Euro (4.603,15 Euro +
5.000 Euro + 500 Euro) festgesetzt.
53
Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543
Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
54
Dr. E E H
55