Urteil des OLG Düsseldorf vom 10.05.2010

OLG Düsseldorf (schutz der gläubiger, gesetzlicher vertreter, gesellschaft, zpo, servicevertrag, eugh, kündigung, berlin, vorleistungspflicht, kenntnis)

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-24 U 160/09
Datum:
10.05.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-24 U 160/09
Vorinstanz:
Landgericht Wuppertal, 3 O 45/09
Tenor:
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO im
Beschlussver¬fahren zurückzuweisen. Die Parteien erhalten
Gelegenheit, zu den Gründen binnen zwei Wochen schriftsätzlich
Stellung zu nehmen.
2. Der für den 1. Juni 2010 geplante Senatstermin findet nicht statt.
Gründe
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I. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
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1. Die Berufung der Klägerin ist voraussichtlich nicht bereits als unzulässig zu
verwerfen.
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a. Die Klägerin dürfte zumindest als Restgesellschaft für dieses Verfahren parteifähig
sein, obwohl sie nach englischem Recht nicht mehr existent ist. Die Klägerin hat
ihre von dem Beklagten bestrittene Rechts- und Parteifähigkeit darzulegen und zu
beweisen (KG Berlin ZIP 2010, 204). Ausweislich der von dem Klägervertreter
vorgelegten Unterlagen ist die Klägerin am 11. August 2009 aufgelöst worden und
damit nicht mehr rechtlich existent. Denn nach dem Auszug aus dem Register des
Companies House ist ihr Status seit diesem Zeitpunkt als "dissolved" zu
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betrachten.
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Englisches Recht ist maßgeblich für die Frage, ob und in welchem Umfang die
Gesellschaft rechts- und parteifähig ist (EuGH NJW 1999, 2027 – Centros; NJW
2002, 3614, 3617 – Überseering; Palandt/Thorn, 69. Aufl. 2010, Anh. zu Art. 12
EGBGB, Rn. 6, 11, 17). Ist eine Gesellschaft nach dem für sie maßgeblichen Recht
des Gründungsstaates erloschen, so ist dieser Status überall in der Europäischen
Union verbindlich (LG Duisburg, ZIP 2007, 925). Dies gilt auch dann, wenn es sich
lediglich um eine Scheinauslandsgesellschaft handelt, die zwar ihren
Gründungssitz in einem Mitgliedsstaat hat, allerdings tatsächlich nur in einem
anderen Mitgliedsstaat wirtschaftlich tätig ist (EuGH NJW 2003, 3331 Rn. 139–
Inspire Art; BGH NJW 2005, 1648).
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Das britische Gesellschaftsrecht sieht vor, dass die Registerbehörde eine Private
Limited Company im Register löschen kann, wenn diese nicht mehr am
wirtschaftlichen Leben teilnimmt. Anlass zur Einleitung eines Löschungsverfahrens
besteht beispielsweise dann, wenn wie hier die annual returns nicht mehr vorgelegt
werden. Ausweislich des Registerauszuges hat die Klägerin ihren letzten Bericht
am 6. Juli 2007 vorgelegt ( "last return made 06/07/2007"). Weist die Gesellschaft
nach entsprechender Aufforderung über einen Zeitraum von sechs Monaten keine
Geschäftstätigkeit nach, wird ihr Name im Register gelöscht und die Löschung im
Amtsblatt bekannt gemacht. Mit der Bekanntmachung ist die Gesellschaft gemäß
sec. 652 V Companies Act 1985 erloschen (LG Duisburg aaO). Ihr englisches
Restvermögen fällt insoweit der britischen Krone an ( KG Berlin aaO). Der
entsprechende Auflösungsvermerk "dissolved" ist in den Internet-
Veröffentlichungen des Companies House enthalten. Er befindet sich auf den von
dem Klägervertreter vorgelegten Unterlagen. Nach allem ist die Klägerin
grundsätzlich nicht mehr aktiv und passiv parteifähig.
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Jedoch dürften im vorliegenden Fall die vom Bundesgerichtshof entwickelten
Grundsätze zur "Rest- und Spaltgesellschaft" auf die ansonsten nach englischem
Recht zu behandelnde Limited Anwendung finden (vgl. BGHZ 25, 134; 56, 66; KG
Berlin aaO; Borges IPRax 2005, 134; Happ/Holler DSTR 2004, 730; Schulz NZG
2005, 415; Süß DNotZ 2005, 180; einschränkend LG Duisburg aaO; AG Duisburg
NZG 2003, 1167). Nach den Grundsätzen der Restgesellschaft ist vom Fortbestand
einer ausländischen Gesellschaft, die nach ihrem Personalstatut die
Rechtsfähigkeit bereits verloren hat, als "Restgesellschaft" so lange auszugehen,
wie die Liquidation inländischen Vermögens noch nicht beendet ist (KG Berlin
aaO; OLG Nürnberg NZG 2008, 76; Palandt/Thorn aaO, Rn. 17). Diese Grundsätze
des Bundesgerichtshofes sind im deutschen internationalen Gesellschaftrecht
bereits seit langem verallgemeinert worden ( OLG Stuttgart NJW 1974, 1627, 1628;
Borges IPRax 2005, 135, 137 m.w.N.). Sie entstammen zwar einer Zeit, als die
Sitztheorie noch als maßgeblich betrachtet wurde. Mit den Vorgaben des EuGH
setzten sie sich jedoch nicht in Widerspruch, da die vom EuGH in den Vordergrund
gestellte Niederlassungsfreiheit nach Löschung einer Gesellschaft im
Gründungsstaat keinen Verweis mehr auf das Gründungsrecht erfordert (vgl.
Borges IPRax 2005, 134, 138). Durch diese Konstruktion wird auch der Schutz der
Gläubiger der gelöschten limited bewirkt, da ihnen insoweit der Zugriff auf das
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inländische Restvermögen einer gelöschten limited ermöglicht wird (OLG Nürnberg
NZG 2008, 76). Dieses Argument wird auch vom Bundesgerichtshof bei der
Rechtsfigur der "Restgesellschaft" in den Vordergrund gestellt (BGH NJW 1961,
22/23).
Voraussetzung für die Annahme einer Restgesellschaft ist danach, dass die
Klägerin noch Restvermögen in Deutschland besitzt, welches ansonsten keinem
Rechtsträger zugeordnet werden kann und "herrenlos" bliebe. Derzeit können dafür
nur die rechtskräftig zuerkannten und die behaupteten Forderungen aus dem
Service-Vertrag herangezogen werden. Weitere Anhaltspunkte für inländisches
Vermögen hat die Klägerin nicht vorgetragen.
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b) Die zunächst fehlende Vollmacht des ursprünglichen Prozessbevollmächtigten
der Berufungsklägerin hat auf die Zulässigkeit der Berufung keinen Einfluss, wenn
das Vorliegen einer Restgesellschaft unterstellt wird. Denn die Vollmacht ist
rechtzeitig nachgereicht worden. Die Genehmigung hat den anfänglichen
Verfahrensmangel mit rückwirkender Kraft geheilt (vgl. OLG Celle OLGR 2005, 64).
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2. Bejaht man hiernach das Fortbestehen der Klägerin als Restgesellschaft und
damit ihre Parteifähigkeit, ist die Berufung gleichwohl gemäß § 522 Abs. 2 ZPO
als unbegründet zurückzuweisen. Denn die gegen die Entscheidung des
Landgerichts vorgebrachten Berufungsgründe rechtfertigen keine der Klägerin
günstigere Entscheidung.
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a. Der Klägerin stehen die mit der Berufung geltend gemachten Ansprüche aus dem
Servicevertrag nicht zu. Ihre Ansprüche sind bereits nicht fällig. Der Beklagte war
nicht einmal – wie vom Landgericht angenommen - auf die Einrede aus § 320
BGB zu verweisen. Denn vorleistungspflichtig war gerade die Klägerin. Die von ihr
geltend gemachten Ansprüche sind nicht fällig, da sie ihrer Vorleistungspflicht
nicht nachgekommen ist (BGHZ 61, 44; Palandt/Grüneberg aaO, § 322 Rn. 5). Die
Vorleistungspflicht der Klägerin ergibt sich mangels entsprechender vertraglicher
Regelung aus § 614 BGB. Danach ist die Vergütung grundsätzlich erst nach
Leistung der Dienste zu erbringen. Dies gilt auch dann, wenn wie hier die
Vergütung nach Zeitabschnitten bemessen ist. Dem steht auch nicht die
Vereinbarung entgegen, der Gesamtbetrag dürfe monatlich bis auf Widerruf von
dem Konto des Beklagten abgebucht werden. Denn durch diese Formulierung
ändert sich an der grundsätzlichen Vorleistungspflicht der Klägerin nichts. Letztlich
kann dies aber dahinstehen, da eine Vorleistungspflicht des Beklagten in keinem
Fall anzunehmen wäre, so dass ihm – wie vom Landgericht angenommen -
jedenfalls die Einrede aus § 320 BGB verbliebe.
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Die Klägerin trägt weder vor dem Landgericht noch in der Berufungsinstanz
substantiiert vor, dass sie die nach dem Servicevertrag geschuldeten Leistungen
überhaupt, und insbesondere im Zeitraum März 2008 bis Februar 2009 erbracht
habe. Dazu wäre sie jedoch verpflichtet gewesen. Ihr Vortrag, sie sei zur
Erbringung der Dienste bereit und in der Lage gewesen, der Beklagte habe die
Dienste aber nicht abgerufen, reicht dafür nicht aus. Denn sie trägt nicht einmal vor,
dass sie dem Beklagten ihre Dienste wörtlich oder tatsächlich angeboten habe
(vgl. Palandt/Grüneberg aaO). Da die Klägerin im Übrigen nach den obigen
Ausführungen nicht mehr existent ist, kann ihr Anspruch nicht mehr fällig werden.
Die Berufung ist bereits aus diesem Grunde zurückzuweisen.
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b. Darüber hinaus ist der Vertrag vom 1. Juli 2006 durch die Kündigung vom 29.
Februar 2008 beendet worden. Es ist unerheblich, dass die Kündigung nicht an
die Klägerin adressiert war, da ihr gesetzlicher Vertreter, Herr B., unstreitig von der
Kündigung Kenntnis genommen hat. Seine Kenntnis ist der Klägerin zuzurechnen,
§§ 166 Abs. 1, 164 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 BGB. Denn es macht keinen Unterschied,
ob die Erklärung ausdrücklich gegenüber dem Vertretenen erfolgt oder ob wie hier
die Umstände ergeben, dass sie dem Vertretenen gegenüber abgegeben werden
soll. Dementsprechend ist gemäß § 166 Abs. 1 BGB auf die Kenntnis des
Vertreters abzustellen. Auf den Rechtsgedanken der "falsa demonstratio non
nocet" kommt es nicht an.
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c. Die Kündigung entfaltete auch wie vom Landgericht angenommen bereits zum 04.
März 2008 Wirkung. Dies ergibt sich aus der Anlage zum Servicevertrag vom 03.
Juli 2006, deren Wirksamkeit sich die Klägerin hilfsweise zu eigen macht. Diese
Urkunde hat darüber hinaus die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für
sich (vgl. BGH NJW 2002, 3164). Die Klägerin hat nämlich entgegen der
Auffassung des Landgerichts nicht substantiiert behauptet, dass die Urkunde nicht
echt sei. Insbesondere behauptet sie nicht ausdrücklich. dass die Unterschrift ihres
Vertreters gefälscht worden sei. Vielmehr führt sie lediglich pauschal aus, sowohl
der von dem Beklagten vorgelegte Servicevertrag, der mit ihrer Version
hinsichtlich des Regelungsgehaltes zumindest inhaltsgleich ist, als auch die
Anlage zum Servicevertrag stammten nicht von der Klägerin. Diese Urkunden
seien nachträglich erstellt worden und befänden sich nicht in den Unterlagen der
Klägerin. Dies ergäbe sich aus dem Druckbild und einem fehlenden Punkt hinter
der Abkürzung "ltd". Dieser Vortrag reicht jedoch für ein substantiiertes Bestreiten
der Echtheit des von dem Beklagten vorgelegten Servicevertrages nebst Anlage
nicht aus.
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II. Auch die sonstigen Voraussetzungen für eine Entscheidung im
Beschlussverfahren sind erfüllt. Die Rechtssache hat nämlich weder
grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) noch erfordert die Fortbildung
des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine
Entscheidung des Senats im Urteilsverfahren (§ 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).
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III. Der Senat weist darauf hin, dass die Berufungsrücknahme vor Erlass einer
Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO gem. GKG-KV 1222 Satz 1 und 2
kostenrechtlich privilegiert ist; statt 4 fallen nur 2 Gerichtsgebühren an (vgl. OLG
Brandenburg MDR 2009, 1363). Er regt insoweit zur Kostenersparnis an, die
Berufung zurückzunehmen.
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