Urteil des OLG Düsseldorf vom 09.04.2003

OLG Düsseldorf: dem Vergaberecht nicht unterfallenden (vgl. nur: Jaeger, a.a.O. Seite 7 m.w.N.), auch und vor allem, wie die Vergabekammer mit Recht angenommen hat, aufsichtsrat, öffentlicher zweck

Oberlandesgericht Düsseldorf, VII-Verg 66/02
Datum:
09.04.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Vergabesenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VII-Verg 66/02
Tenor:
I. Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
II. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der Ver-
gabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 17. Dezember
2002 (VK – 31/2002 – L) aufgehoben und der Nachprüfungsantrag der
Antragstellerin zurückgewiesen.
III. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens vor der Vergabe-
kammer und die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der
notwendigen Auslagen, die der Antragsgegnerin und der Beigeladenen
in beiden Instanzen entstanden sind.
IV. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für die
An-tragsgegnerin und die Beigeladene in beiden Rechtszügen
erforderlich.
V. Der Beschwerdewert wird auf bis 4,7 Mio. € festgesetzt.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
1
I.
2
Die Antragsgegnerin, deren Geschäftsanteile zu 80 % von der Stadt D, gehalten
werden, beabsichtigt den Verkauf von 49 % ihrer Geschäftsanteile an der "A... GmbH"
(nachfolgend: "A..."). Dazu veröffentlichte sie im August 2001 europaweit eine
Bekanntmachung, in der die "A..." und das Kooperationsvorhaben vorgestellt wurden
und ferner ausgeführt wurde, dass von den potentiellen Kaufinteressenten bis zu fünf für
die beabsichtigten Verhandlungsgespräche ausgewählt werden sollten. Außerdem
wurden als Zuschlagskriterien zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots genannt
die Höhe des Kaufpreises sowie (in der Bekanntmachung näher definierte)
Sachbeiträge des Käufers zur Sicherstellung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs
und eines Unternehmenswachstums der "A...". In den Verdingungsunterlagen wurde
3
hierzu als Bewertungssystematik mitgeteilt, dass die Höhe des Kaufpreises mit 30 %
bewertet werden solle, während die vorerwähnten Sachbeiträge mit jeweils genannten
Prozentbeträgen und in der Summe mit 70 % bewertet werden sollten. Bereits im Jahre
1999 hatte die Antragsgegnerin mit der "T... AG" - an welcher die Beigeladene zunächst
zu 50 % beteiligt war und die Ende Juli 2002 auf die Beigeladene verschmolzen wurde -
eingehende Verhandlungen zur Begründung einer geschäftlichen Kooperation bis zur
Abschlussreife geführt. Nach einem Hinweis der Antragstellerin auf europaweite
Ausschreibungen vergleichbarer Projekte anderer Städte war es zu der
streitbefangenen Ausschreibung eines Verhandlungsverfahrens gekommen. Von den
sieben Unternehmen, die sich um eine Teilnahme bewarben, gaben schließlich nur die
Antragstellerin und die "T... AG" im November 2001 ein Angebot und nach jeweiligen
Verhandlungsgesprächen am 26. November 2001 jeweils ein letztes Angebot ab. Die
Antragsgegnerin wertete dahin, daß das Angebot der "T... AG" eindeutig besser sei und
sie zum "preferred bidder" erklärt werde. Dies teilte die Antragsgegnerin der
Antragstellerin unter dem 7. Januar 2002 mit.
Im Dezember 2001 beantragte die "T... AG" beim Bundeskartellamt die Freigabe des
beabsichtigten Zusammenschlusses mit der "A...". Mit Beschluss vom 17. 6. 2002 gab
das Bundeskartellamt den Zusammenschluß unter einer Vielzahl von (auflösenden)
Bedingungen frei, die im wesentlichen auf die Abgabe von Unternehmensanteilen und
Marktkapazitäten an andere, mit der "T... AG" nicht verbundene Wettbewerber zwecks
Vermeidung einer fusionsbedingten Verstärkung der (schon bestehenden)
marktbeherrschenden Stellung der "T... AG" auf zwei (sachlich und räumlich relevanten)
Abfallentsorgungsmärkten hinausliefen. In diesem Beschluss wurde zugleich der im
Rahmen der Teilprivatisierung beabsichtigte Erwerb von 49 % der Anteile an dem
Tochterunternehmen der "T... AG", der "R... GmbH & Co. KG" (nachfolgend: "R...") durch
die Antragsgegnerin oder durch die "A..." freigegeben. Gegen den Beschluss des
Bundeskartellamts hat die Antragstellerin Beschwerde beim Oberlandesgericht
Düsseldorf eingelegt, über die noch nicht abschließend entschieden ist. Mit Beschluss
vom 4. September 2002 hat das Oberlandesgericht Düsseldorf den Antrag der
Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerde
zurückgewiesen.
4
Inzwischen hatte die Presse mehrfach über die gegen die "T... AG" und deren
damaligen Vorstandsvorsitzenden Helmut T... erhobenen Vorwürfe vielfältiger
Bestechungen im Raum K., die zur Erlangung mehrerer großer Aufträge im Bereich der
Entsorgung und Müllverbrennung geführt haben sollen, berichtet. Die Antragsgegnerin
prüfte im Juni 2002 die Frage der Zuverlässigkeit der "T... AG" und kam zu dem
Ergebnis, daß durch die beabsichtigte Verschmelzung auf die Beigeladene und das
Ausscheiden zahlreicher leitender Mitarbeiter der "T... AG" eine Selbstreinigung erfolgt
sei, die die Zuverlässigkeit der Beigeladenen nicht mehr in Frage stellen werde.
Gleichwohl rügte die Antragstellerin am 28. Juni 2002 das Fehlen der
vergaberechtlichen Zuverlässigkeit der Beigeladenen auf Grund der durch die Presse
bekannt gewordenen Vorwürfe der Bestechung und Steuerhinterziehung. Diese
Vorwürfe entfielen nicht durch die Verschmelzung der "T... AG" mit der Beigeladenen,
weil diese schon bisher 50 % der Gesellschaftsanteile an der "T... AG" innegehabt habe,
so daß sich die Zweifel an der Zuverlässigkeit auf sie als Gesellschafterin erstreckten.
Diese Zweifel könnten rechtskräftig bis zum Ablauf der Bindefrist am 31. Juli 2002 nicht
geklärt werden, so daß das Angebot der Beigeladenen nach § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A
auszuschließen sei.
5
In den Sitzungen vom 17. Dezember 2001 und 8. Juli 2002 wurde der Aufsichtsrat der
Antragsgegnerin über den Verlauf des Vergabeverfahrens, die Angebote und die
Gewichtung in der Bewertung der Angebotsbestandteile informiert. In seiner Sitzung
vom 8. Juli 2002 fasste der Aufsichtsrat zudem den Beschluss, dem Rat der Stadt D. zu
empfehlen, die städtischen Vertreter im Aufsichtsrat der Antragsgegnerin zu
ermächtigen, dem vorgestellten Konzept umfassend zuzustimmen. An beiden Sitzungen
des Aufsichtsrates nahmen auch die von der "W... AG" - einer Konzern-
Schwestergesellschaft der Beigeladenen, die 20 % der Geschäftsanteile der
Antragsgegnerin hält - in den Aufsichtsrat der Antragsgegnerin entsandten Vertreter teil.
An der nachfolgenden Aufsichtsratssitzung vom 13. September 2002, in welcher der
Aufsichtsrat der Antragsgegnerin der Vergabe des ausgeschriebenen Auftrags an die
Beigeladene zustimmte, nahmen weder die Aufsichtsratsvertreter der "W... AG" noch die
Aufsichtsratsmitglieder der Stadt D. teil.
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Die Antragstellerin hält das Vergabeverfahren in einer Vielzahl von Punkten für
fehlerhaft. Sie hat vor der Vergabekammer beantragt, der Antragsgegnerin zu
untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, hilfsweise, auf
die rechtmäßige Durchführung des Vergabeverfahrens hinzuwirken. Mit dem
angefochtenen Beschluss hat die Vergabekammer der Antragsgegnerin aufgegeben,
die Ausschreibung aufzuheben. Dagegen wenden sich sowohl die Antragstellerin als
auch die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie verfolgen jeweils ihre
erstinstanzlichen Begehren weiter.
7
II.
8
Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Der Rechtsbehelf der
Antragsgegnerin ist begründet; er führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses
und zur Zurückweisung des Nachprüfungsantrags.
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A. Mit Recht hat die Vergabekammer angenommen, dass das streitbefangene
Vergabeverfahren den Bestimmungen des Kartellvergaberechts (§§ 97 ff. GWB)
unterliegt und mithin die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Zuschlagsentscheidung
durch die Vergabenachprüfungsinstanzen überprüft werden kann.
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1. Die Antragsgegnerin ist öffentlicher Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB.
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Nach der genannten Vorschrift gehören zu den öffentlichen Auftraggebern, auf welche
die Vergabebestimmungen Anwendung finden, (u.a.) juristische Personen des privaten
Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse
liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen, und die durch eine (oder mehrere)
Gebietskörperschaft(en) überwiegend finanziert werden. Im Entscheidungsfall liegen
diese Voraussetzungen vor.
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a) Die Antragsgegnerin ist eine juristische Person des Privatrechts, die zu dem
besonderen Zweck gegründet worden ist, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben
nicht gewerblicher Art zu erfüllen.
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Die "A..." ist von der Stadt D. langfristig mit der Sammlung, dem Transport sowie der
Verwertung und Beseitigung von Hausmüll und Abfällen aus anderen
Herkunftsbereichen beauftragt. Ihr sind außerdem die Straßenreinigung und der
Winterdienst im Gebiet der Stadt D. übertragen. Die "A..." nimmt damit im
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Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art wahr (vgl. EuGH,
WuW/Verg 161, 165/166 - Gemeente Arnheim und Rheden; Jaeger, NZBau 2001, 6,8).
Als Mehrheitsgesellschafterin der "A..." - die Antragsgegnerin hält 74,9 % der
Gesellschaftsanteile und sie beabsichtigt, durch Ausübung eines zu ihren Gunsten
bestehenden Vorkaufsrechts auch die restlichen Geschäftsanteile zu übernehmen - ist
die Tätigkeit der "A..." auf dem Gebiet der Abfallentsorgung der Antragsgegnerin
zuzurechnen. Das hat zur Konsequenz, dass diese selbst über die "A..." im
Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art erfüllt. Diese tatsächliche
- dem Gesellschaftszweck der "A..." entsprechende - Aufgabenerfüllung reicht für die
Geltung des § 98 Nr. 2 GWB aus. Nach zutreffender Ansicht kann es schon mit Blick auf
die Gefahr einer Umgehung nicht darauf ankommen, dass der betreffende Zweck
zusätzlich im Gesellschaftsvertrag festgeschrieben ist (vgl. Dreher in
Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 98 Rdz. 26 m.w.N.). Ob die Abfallentsorgung
bereits bei Gründung der Antragsgegnerin zu deren Tätigkeitsbereich gehörte, spielt im
Rahmen des § 98 Nr. 2 GWB ebenfalls keine Rolle. Nach dem Sinn und Zweck der
Vorschrift, Einrichtungen wegen ihrer Zwecksetzung und ihrer zugleich vorhandenen
Staatsgebundenheit zu erfassen, findet die Vorschrift auch dann Anwendung, wenn der
Einrichtung erst nach ihrer Gründung im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht
gewerblicher Art zur Erledigung zugewiesen werden (vgl. Dreher, a.a.O. Rdz. 24 m.w.N.;
Werner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 98 Rdz. 243 f.). Unerheblich
ist schließlich ebenso, welchen Anteil die Abfallentsorgungs- und Straßendienste der
"A..." am gesamten Tätigkeitsbereich der Antragsgegnerin ausmacht. Ein Auftraggeber
ist schon dann öffentlicher Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB, wenn er
überhaupt Aufgaben der fraglichen Art erfüllt. Der Umfang dieser Betätigung spielt für
die Geltung des Vergaberechts keine Rolle (vgl. EuGH, a.a.O. 166; EuGH, WuW/Verg
23, 25 - Österreichische Staatsdruckerei; Dreher, a.a.O. Rdz. 25).
b) Die Antragsgegnerin wird auch durch eine Gebietskörperschaft überwiegend
finanziert. Die Antragsgegnerin befindet sich mehrheitlich im Anteilsbesitz der Stadt D.;
jene hält 80 % der Geschäftsanteile der Antragsgegnerin. Damit ist das Merkmal der
"überwiegenden Finanzierung" ohne weiteres erfüllt (vgl. Dreher, a.a.O. Rdz. 47
m.w.N.).
15
2. Gegenstand der streitbefangenen Ausschreibung ist ein Dienstleistungsauftrag im
Sinne des Kartellvergaberechts.
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a) Gemäß § 97 Abs. 1 GWB beschaffen öffentliche Auftraggeber Waren, Bau- und
Dienstleistungen im Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabeverfahren nach
Maßgabe der Bestimmungen des Kartellvergaberechts. § 99 Abs. 1 GWB definiert den
Begriff des öffentlichen Auftrags näher. Öffentliche Aufträge sind danach entgeltliche
Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen, die Liefer-, Bau- oder
Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Als Dienstleistungsaufträge gelten dabei alle
Verträge über Leistungen, die nicht unter die Kategorie der in Absatz 2 und 3 näher
beschriebenen Liefer- und Bauaufträge fallen (§ 99 Abs. 4 GWB). Zu jenen
Dienstleistungsaufträgen gehören auch Verträge über die Erbringung von
Entsorgungsdiensten. Das hat der Senat bereits entschieden (Beschluss vom 21.1.2002
- Verg 45/01).
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b) Dies vorausgeschickt unterfällt der in Rede stehende Ausschreibungsgegenstand
dem Begriff des öffentlichen (Dienstleistungs-)Auftrags. Mit Recht hat die
Vergabekammer bei der rechtlichen Beurteilung darauf abgestellt, dass sich das Ziel der
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Ausschreibung nicht in einer - dem Vergaberecht nicht unterfallenden (vgl. nur: Jaeger,
a.a.O. Seite 7 m.w.N.) - bloßen Kapitalbeteiligung an der "A..." erschöpft. Die
Antragsgegnerin strebt mit dem Erwerber der Gesellschaftsanteile vielmehr eine
weitgehende Kooperation auf dem Gebiet der Abfallentsorgung an. Das ergibt sich
unmissverständlich aus dem Inhalt der Bekanntmachung der Antragsgegnerin. In Ziffer
12 der Bekanntmachung werden als Mindestbedingung für eine Teilnahme an der
Ausschreibung (u.a.) genannt:
aa) Sach- und Fachkunde, insbesondere der Nachweis über die Kompetenz in
der Abfallwirtschaft unter Angabe von Umsätzen und Erträgen sowie von
wesentlichen Verwertungs- und Beseitigungskapazitäten;
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bb) ......
20
cc) spezifische Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand
im Bereich der Abfallwirtschaft"
21
Zu den Zuschlagskriterien heißt es in der Bekanntmachung:
22
"Der Zuschlag erfolgt auf das wirtschaftlich günstigste Angebot unter
Berücksichtigung folgender Kriterien:
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a. Höhe des Kaufpreises ;
24
25
b. Beiträge des Käufers zur Sicherstellung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes
und eines Unternehmenswachstums der A... und ihrer Beteiligungsgesellschaften,
insbesondere:
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27
aa)Einbringung von eigenen Entsorgungsaktivitäten oder
Zurverfügungstellung von Recycling- und Verwertungskapazitäten in den
Bereichen getrennt gesammelte Werkstoffe, Werkstoffgemische, DSD-Ver-
packungsmaterialien (insbesondere Leichtverpackungen und Papier),
Baumischabfälle sowie Sonderabfälle oder Beteiligung der A... an
Unternehmen, die in diesen Geschäftsfeldern tätig sind;
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bb) A... hält 76 % an der Zentraldeponie H. (ZDH). Die ZDH ist Eigentümerin
einer Inertstoffdeponie der Klasse II nach TASi. Das genehmigte
Verfüllvolumen beträgt z.Z. 1.700.000 m3. Die Gesellschaft hat in der
Vergangenheit durchschnittliche Verluste in Höhe von rd. 5 – 8 Mio. DEM pro
Jahr erwirtschaftet. Es wird erwartet, dass der potenzielle Käufer mit
nachhaltigen Beiträgen zur Lösung dieses wirtschaftlichen Problems beiträgt;
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cc) A... ist für die Vollauslastung der MVA D. mit einer Kapazität von 420.000 t
bei 9.500 kJ/kg langfristig vertraglich verpflichtet. Von dem potenziellen Käufer
wird erwartet, einen Beitrag dazu zu leisten, dieser Verpflichtung wirtschaftlich
nachzukommen."
30
Ziel der Ausschreibung ist nach alledem nicht nur die entgeltliche Veräußerung von 49
% der Geschäftsanteile der "A...". Der Antragsgegnerin geht es darüber hinaus - auch
und vor allem - um die Suche nach einem Geschäftspartner, der als (künftiger)
Anteilseigner der "A..." deren geschäftliche Betätigungen unterstützt und vielfältige
Leistungen auf dem Gebiet der Abfallentsorgung erbringt. Die Zuschlagskriterien
nennen als angestrebte Leistung des Erwerbers neben der Zahlung eines Kaufpreises
ausdrücklich die Einbringung von Entsorgungsaktivitäten, die Bereitstellung näher
bezeichneter Recycling- und Verwertungskapazitäten, die Zurverfügungstellung von
Abfallmengen zur Auslastung der MVA D. sowie die Mitwirkung an der wirtschaftlichen
Sanierung der Zentraldeponie H.. Auf die Erlangung (auch) sämtlicher dieser
letztgenannten Leistungen ist das Vergabeverfahren der Antragsgegnerin gerichtet. In
diesem Umfang zielt die Ausschreibung der Antragsgegnerin auf die Beschaffung von
Dienstleistungen und kann zwanglos als ein Beschaffungsvorhaben im Sinne von §§ 97
Abs. 1, 99 Abs. 4 GWB beurteilt werden (vgl. auch Jaeger, a.a.O. Seite 11). Dass der
Wert der Dienstleistungen, die der Erwerber der Geschäftsanteile im Rahmen der
vorgesehenen Kooperation zu erbringen hat, den maßgeblichen Schwellenwert von
200.000 € (vgl. § 100 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 Nr. 3 VgV) überschreitet, steht zwischen
den Beteiligten außer Streit. Es kommt hinzu, dass der für den Zuschlag vorgesehene
Bieter nicht nur 49 % der Geschäftsanteile der "A..." erlangt, sondern infolge des
Anteilserwerbs auch an den langfristigen Abfallentsorgungsverträgen der "A..."
partizipiert. Auch daraus resultiert - wie die Vergabekammer mit Recht angenommen hat
- die Geltung des Vergaberechts.
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3. Die streitbefangene Ausschreibung ist nicht gemäß § 100 Abs. 2 lit. g) GWB von der
Geltung des Kartellvergaberechts freigestellt.
32
Nach der genannten Vorschrift sind solche Beschaffungsvorgänge vom Vergaberecht
ausgenommen, die an eine Person vergeben werden, die ihrerseits öffentlicher
Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 1, 2 oder 3 GWB ist und ein auf Gesetz oder
Verordnung beruhendes ausschließliches Recht zur Erbringung der Leistung hat. Im
Streitfall sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt.
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a) Stellt man für die rechtliche Beurteilung auf die vom Erwerber der Geschäftsanteile zu
erbringenden Dienstleistungen ab, liegt der Tatbestand des § 100 Abs. 2 lit. g) GWB
ersichtlich nicht vor. Weder die für den Zuschlag vorgesehene Beigeladene noch die
Antragstellerin sind öffentliche Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 1-3 GWB.
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b) Berücksichtigt man, dass die Ausschreibung darauf gerichtet ist, einen
Kooperationspartner für den Betrieb der "A..." zu finden, und stellt man für die
Bereichsausnahme des § 100 Abs. 2 lit. g) GWB dementsprechend auf die
Geschäftstätigkeit der "A..." ab, liegen die Voraussetzungen für eine Befreiung vom
Vergaberecht gleichfalls nicht vor. Insoweit fehlt es nämlich jedenfalls an dem Merkmal
des auf Gesetz oder Verordnung beruhenden Leistungserbringungsrechts der "A...".
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Der Auftrag, durch den die Stadt D. die "A..." mit der Abfallentsorgung beauftragt hat,
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scheidet als Anknüpfungspunkt aus, weil es schon an einer Zuweisung der
Entsorgungsdienste "durch Gesetz oder Verordnung" fehlt.
Die Rechtswirkungen eines für verbindlich erklärten Abfallwirtschaftsplans - wie er im
Regierungsbezirk D. existiert - kommt als Grundlage eines Leistungserbringungsrechts
ebenfalls nicht in Betracht. Wie dem Senat aus dem beim (personenidentischen)
Kartellsenat geführten Fusionskontrollverfahren der Beigeladenen - Kart 26/02 (V) -
bekannt ist, ist im Regierungsbezirk D. den öffentlichen Entsorgungsträgern die
Inanspruchnahme bestimmter Müllverbrennungsanlagen vorgeschrieben. Grundlage
dieser Vorgabe sind entsprechende Abfallwirtschaftspläne, deren diesbezügliche
Festsetzungen gemäß § 29 Abs. 1 Satz 4, Abs. 4 KrW-/AbfG, § 18 Abs. 1 Satz 1 AbfG
NW durch ordnungsbehördliche Verordnung für verbindlich erklärt worden sind. Jene
Abfallwirtschaftspläne entfalten aufgrund ihrer Verbindlichkeitserklärung eine strikte
rechtliche Bindungswirkung (vgl. Paetow in Kunig/Paetow/Versteyl, Kreislaufwirtschafts-
und Abfallgesetz, § 29 Rdz. 18, 75; Frenz, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 2.
Aufl., § 29 Rdz. 35; Kloepfer, Umweltrecht, 2. Aufl., § 18 Rdz. 160). Die
Bindungswirkung erfasst sowohl die Erzeuger und Besitzer des Abfalls (§ 11 Abs. 1
KrW-/AbfG) als auch den an seine Stelle tretenden Entsorgungsträger (§§ 15, 17, 18
KrW-/AbfG). Mittelbar ist darüber hinaus auch der mit der Abfallentsorgung beauftragte
Dritte (§16 Abs. 1 KrW-/AbfG) gebunden; denn der Beseitigungspflichtige kann sich
seinen Verpflichtungen nicht dadurch entziehen, dass er sich zu ihrer Erfüllung eines
Dritten bedient (Paetow, a.a.O. Rdz. 75). Gleichwohl resultiert aus den für verbindlich
erklärten Vorgaben der Abfallwirtschaftspläne kein Recht der "A..." auf Erbringung der
betreffenden Abfallbeseitigungsleistungen. Die Rechtswirkungen der
Abfallwirtschaftspläne erschöpfen sich in der Verpflichtung des
Abfallbeseitigungspflichtigen, den Abfall in den im Abfallwirtschaftsplan verbindlich
vorgegebenen Anlagen zu entsorgen. Der Plan räumt daneben nicht - wie es für § 100
Abs. 2 lit. g) GWB erforderlich wäre - dem Betreiber der Abfallbeseitigungsanlage ein
Recht auf die Erbringung der Abfallentsorgungsleistung ein. Überdies erfasst § 100 Abs.
2 lit. g) GWB nur Fälle, in denen ein Leistungsrecht durch Gesetz oder
Rechtsverordnung verschafft wird (Boesen, Vergaberecht, § 100 Rdz. 81, 82; Dreher,
a.a.O. § 100 Rdz. 20; wohl auch: Bechtold, Kommentar zum GWB, 3. Aufl., § 100 Rdz.
12; a.A.: Eschenbruch in Niebuhr/Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum Vergaberecht, §
100 Rdz. 38). Eine ordnungsbehördliche Verordnung erfüllt - wie der Kartellsenat bereits
entschieden hat (Beschluss vom 4.9.2002 - Kart 26/02 (V)) - die Voraussetzungen des
§ 100 Abs. 2 lit. g) GWB nicht.
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B. Die Beschwerde der Antragstellerin bleibt erfolglos; der Rechtsbehelf der
Antragsgegnerin ist begründet. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist
zurückzuweisen, weil sowohl die von ihr erhobenen als auch die von der
Vergabekammer zusätzlich geäußerten Beanstandungen des Vergabeverfahrens nicht
durchgreifen. Sie erweisen sich teils aus verfahrensrechtlichen Gründen, teils (auch)
aus sachlichen Gründen als unberechtigt.
38
Im einzelnen:
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1. Das Angebot der Beigeladenen ist nicht gemäß § 19 Nr. 3 VOL/A 2. Abschnitt -
wonach der Bieter bis zum Ablauf der Zuschlagsfrist an sein Angebot gebunden ist - von
der Wertung auszuschließen.
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a) Die Antragstellerin ist der Ansicht, die Beigeladene habe kein rechtlich bindendes
41
Angebot abgegeben, weil das Bundeskartellamt ihr den in Rede stehenden
Anteilserwerb nur unter (zahlreichen) auflösenden Bedingungen gestattet habe und die
Beigeladene deshalb in der Lage sei, sich durch Herbeiführung des Bedingungseintritts
von ihrem im Vergabeverfahren abgegebenen Angebot zu lösen.
b) Dem ist nicht zuzustimmen. Es kann auf sich beruhen, ob § 19 Nr. 3 VOL/A 2.
Abschnitt eine Vorschrift ist, die zumindest auch dem Schutz der Mitbewerber dient, so
dass sich die Antragstellerin im Vergabenachprüfungsverfahren auf eine Verletzung der
Norm überhaupt berufen kann (vgl. Roth in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für
Leistungen (VOL), § 19 Rdz. 17). Dahin stehen kann ebenso, ob die Antragstellerin die
Beanstandung innerhalb der Rügefrist des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB der
Antragsgegnerin gegenüber erhoben hat. Antragsgegnerin und Beigeladene bezweifeln
dies. Sie machen nicht ohne Aussicht auf Erfolg geltend, dass der Zeitraum von 12
Kalendertagen, der zwischen der Kenntnis der Antragstellerin von der auflösend
bedingten Freigabe des Anteilserwerbs der Beigeladenen durch den Beschluss des
Bundeskartellamts vom 17. Juni 2002 und dem Rügeschreiben der Antragstellerin vom
28. Juni 2002 (Anlage 11) liegt, den Anforderungen einer "unverzüglichen" Rüge im
Sinne von § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB nicht mehr genügt. Letztlich braucht diese Frage
allerdings nicht abschließend geklärt und entschieden zu werden. Denn die
Beanstandung der Antragstellerin erweist sich schon in der Sache als unberechtigt.
42
Der Umstand, dass das Bundeskartellamt mit Beschluss vom 17. Juni 2002 der
Beigeladenen den Erwerb von 49 % der Geschäftsanteile der "A..." nur unter näher
bezeichneten (auflösenden) Bedingungen gestattet hat, berührt die Bindungswirkung
des von der Beigeladenen abgegebenen Angebots nicht. Die Beigeladene hat ihr
Angebot ohne irgendeine Einschränkung und ohne einen Vorbehalt - mithin rechtlich
bindend - abgegeben. Zwar ist die Beigeladene aus Rechtsgründen an einem Erwerb
der Gesellschaftsanteile gehindert, soweit das Bundeskartellamt den Anteilserwerb
lediglich unter (auflösenden) Bedingungen freigegeben hat und der Eintritt dieser
Bedingungen nicht vermieden wird. Dieser Aspekt betrifft indes nicht die
Rechtsverbindlichkeit des Angebots der Beigeladenen. Berührt wird vielmehr die
Erfüllbarkeit des Angebots und damit im Ergebnis die Eignung der Beigeladenen im
Sinne von §§ 2 Nr. 3, 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A 2. Abschnitt, die ausgeschriebene und
angebotene Leistung auch erbringen zu können. Ist die Beigeladene außerstande, den
Bedingungseintritt zu vermeiden, fehlt ihr die zur Durchführung des ausgeschriebenen
Anteilserwerbs erforderliche Leistungsfähigkeit; ist die Beigeladene nicht willens, den
Eintritt der auflösenden Bedingungen der Fusionsfreigabe zu verhindern, mangelt es ihr
an der notwendigen Zuverlässigkeit. Alleine unter diesem Gesichtspunkt kann die
auflösend bedingte Freigabeentscheidung des Bundeskartellamts einer
Zuschlagserteilung an die Beigeladene entgegenstehen. Hinreichender Anlass, an der
Eignung der Beigeladenen zu zweifeln, besteht indes nicht. Irgendwelche
Anhaltspunkte, dass die Beigeladene nicht in der Lage oder nicht willens ist, den Eintritt
der auflösenden Bedingungen der Fusionsfreigabe zu verhindern, liegen nicht vor. Sie
werden weder von der Antragstellerin dargetan noch sind sie sonst ersichtlich.
43
2. Der Einwand der Antragstellerin, der Zuschlag an die Beigeladene verstoße gegen
den vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz (§ 2 Nr. 1 Abs. 1, Nr. 2 VOL/A 2.
Abschnitt), weil die Beigeladene auf dem relevanten Markt marktbeherrschend sei,
bleibt gleichfalls erfolglos. Die Antragstellerin ist aus prozessualen Gründen gehindert,
den reklamierten Vergaberechtsfehler zur Überprüfung zu stellen. Ob die Beanstandung
in der Sache berechtigt gewesen wäre, kann deshalb dahinstehen.
44
a) Gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, wenn und
soweit die antragstellende Partei den geltend gemachten Verstoß gegen die
Vergabebestimmungen bereits im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem
Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat. Nach der Rechtsprechung des Senats steht
dem Bieter nach Kenntnisnahme von dem reklamierten Vergaberechtsverstoß - d.h. der
sie begründenden Tatsachen und einer zumindest laienhaften Wertung, dass es sich
um ein vergaberechtlich zu beanstandendes Verhalten handelt (Beschluss vom
22.8.2000 – Verg 9/00) - im allgemeinen eine Zeitspanne von maximal zwei Wochen zur
Verfügung, um seine Rüge anzubringen (ebenso: BayObLG, Beschluss vom 12.12.2001
– Verg 19/01; KG, NZBau 2001, 161 ff.). Es handelt sich um eine Höchstfrist, die nach
den jeweiligen Umständen des Falles auch kürzer bemessen sein kann.
45
b) Im Streitfall hat die Antragstellerin die nunmehr reklamierte Missachtung des
Wettbewerbsgrundsatzes nicht innerhalb der Rügefrist des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB
der Antragsgegnerin gegenüber beanstandet. Der Antragstellerin war spätestens
aufgrund der dahinlautenden Begründung der Freigabeentscheidung des
Bundeskartellamts vom 17. Juni 2002 bewusst, dass die Beigeladene in Nordrhein-
Westfalen sowohl auf dem Markt der Sammlung und des Transports von
Siedlungsabfällen als auch auf dem Markt der Verbrennung von Gewerbeabfällen über
eine marktbeherrschende Stellung verfügt und diese marktbeherrschende Position
durch den in Rede stehenden Anteilserwerb verstärkt werde. Die Antragstellerin hatte -
wie unstreitig ist - überdies bereits im kartellbehördlichen Fusionskontrollverfahren
geltend gemacht, dass die Beigeladene darüber hinaus auch auf dem Markt der
Verbrennung von Siedlungsabfällen marktbeherrschend sei und auch diese
Marktbeherrschung durch den Erwerb von Geschäftsanteilen der "A..." verstärkt werde.
Dessen ungeachtet und trotz der gleichzeitigen Vorstellung, dass die Berücksichtigung
eines marktbeherrschenden Bieters nicht mit dem vergaberechtlichen
Wettbewerbsgrundsatz vereinbar sei, hat die Antragstellerin diesen Gesichtspunkt
innerhalb der (maximal) zweiwöchigen Rügefrist nicht bei der Antragsgegnerin
beanstandet. Das schließt es für die Antragstellerin aus, sich im Nachprüfungsverfahren
auf diesen Gesichtspunkt zu berufen.
46
Die Antragstellerin hält dem zu Unrecht entgegen, dass das Wettbewerbsgebot in erster
Linie durch die abschließende Wertungsentscheidung verletzt werde und ihr die Absicht
der Antragsgegnerin, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, erst
mit Schreiben vom 13. September 2002 bekannt geworden sei. Widerspricht es - wie die
Antragstellerin meint und unterstellt werden mag - einer Auftragsvergabe im
Wettbewerb, wenn das Angebot eines marktbeherrschenden Unternehmens
berücksichtigt wird, so liegt der diesbezügliche Vergaberechtsfehler nicht erst mit der
abschließenden Zuschlagsentscheidung, sondern jedenfalls schon dann vor, wenn der
öffentliche Auftraggeber das betreffende Angebot in die engere Wahl zur Ermittlung des
wirtschaftlichsten Angebots (§ 97 Abs. 5 GWB; § 25 Nr. 3 Satz 1 VOL/A 2. Abschnitt)
einbezieht und den Bieter als bevorzugten Bieter ("preferred bidder") für den Zuschlag
favorisiert. Dies war im Streitfall spätestens Anfang Januar 2002. Zu diesem Zeitpunkt
hatte die Antragsgegnerin die von der Antragstellerin und der Beigeladenen
abgegebenen letzten Angebote bewertet, die Beigeladene zum bevorzugten Bieter
erklärt und angekündigt, mit dieser nunmehr den Abschluss unterschriftsreifer Verträge
verhandeln zu wollen, sowie die Antragstellerin mit Schreiben vom 7. Januar 2002 von
diesem Sachverhalt in Kenntnis gesetzt.
47
c) Die Vergabekammer hat gleichwohl an die Missachtung der Rügeobliegenheit keine
rechtlichen Konsequenzen geknüpft. Sie hat die Ansicht vertreten, dass eine Rüge
ausnahmsweise entbehrlich gewesen sei, und zur näheren Begründung ausgeführt:
Das Fusionskontrollverfahren vor dem Bundeskartellamt habe ausschließlich dem
Zweck gedient, die kartellrechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der
ausgeschriebene Anteilsverkauf an die Beigeladene zugeschlagen werden könne. Im
gesamten kartellbehördlichen Verfahren habe die Antragstellerin den Standpunkt
verfochten, dass der angestrebte Anteilserwerb zu untersagen sei, weil er eine
marktbeherrschende Stellung der Beigeladenen entstehen lasse oder verstärke. Diesen
Standpunkt habe die Antragstellerin auch nach dem Abschluss des kartellamtlichen
Verfahrens weiterverfolgt und Beschwerde gegen die Freigabeentscheidung vom 17.
Juni 2002 eingelegt. Aus dieser hartnäckigen Haltung sei für die Antragsgegnerin
eindeutig zu entnehmen gewesen, dass die Antragstellerin in der beabsichtigten
Zuschlagserteilung an die Beigeladene einen wettbewerbsrelevanten Fehler sehe.
Gleichwohl halte die Antragsgegnerin an ihrer Absicht, der Beigeladenen den Zuschlag
zu erteilen, unverändert fest. Das belege die Zwecklosigkeit einer Rüge der
Antragstellerin. Unter den Umständen des Falles sei deshalb ausnahmsweise eine
Rüge als bloße Förmelei entbehrlich gewesen.
48
Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Die Rügeobliegenheit dient der Beschleunigung
des Vergabeverfahrens. Durch die Rüge soll der öffentliche Auftraggeber in die Lage
versetzt werden, einen etwaigen Vergaberechtsverstoß zeitnah korrigieren zu können.
Dementsprechend müssen in der Rüge die beanstandeten Verstöße gegen die Regeln
des Vergaberechts konkret benannt werden; der bloß pauschale Hinweis, das
Vergabeverfahren sei fehlerhaft, genügt nicht (Senat, VergabeR 2001, 419; KG,
VergabeR 2001, 392; BayObLG, Beschluss vom 12.12.2001 – Verg 19/01; OLG
Dresden, Beschluss vom 17.8.2001 – WVerg 5/01; Thüringer OLG, VergabeR 2001, 52).
Für den Entscheidungsfall folgt daraus: Dass die Antragstellerin im
Fusionskontrollverfahren den Standpunkt vertreten hat, der angemeldete Anteilserwerb
sei wegen der Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung der
Beigeladenen zu untersagen, lässt sich nicht als die - stillschweigende - Rüge eines
Verstoßes gegen den vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz auffassen. Durch die
Rüge muss ein bestimmtes Verhalten des Auftraggebers als vergaberechtswidrig
getadelt werden. Daran fehlt es vorliegend. Die Argumentation der Antragstellerin war
im kartellbehördlichen Verfahren darauf beschränkt, die kartellrechtlichen
Voraussetzungen der §§ 37 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 lit. b) und Nr. 3 Satz 3, 36 Abs. 1 GWB für
einen Anteilserwerb der Beigeladenen zu verneinen. Dem Vorbringen war weder
ausdrücklich noch konkludent zu entnehmen, dass die Marktbeherrschung der
Beigeladenen auch vergaberechtlich eingewendet und geltend gemacht werde, das
Angebot der Beigeladenen müsse mit Rücksicht auf den Wettbewerbsgrundsatz (§ 97
Abs. 1 und 2 GWB, § 2 Nr. 1 Abs. 1, Nr. 2 VOL/A 2. Abschnitt) - und unabhängig vom
Ausgang des Fusionskontrollverfahrens - von der Wertung ausgeschlossen werden.
Dann kann umgekehrt aber auch nicht angenommen werden, die Antragsgegnerin habe
durch ihr Festhalten an der Zuschlagsentscheidung zugunsten der Beigeladenen
dokumentiert, einer etwaigen Rüge der Antragstellerin ohnehin nicht abhelfen zu wollen.
Das gilt um so mehr, als das Bundeskartellamt mit Beschluss vom 17. Juni 2002 den
Anteilserwerb durch die Beigeladene (auflösend bedingt) freigegeben hat. Seit diesem
Zeitpunkt kann ohnehin nicht mehr die Rede davon sein, die Antragsgegnerin bringe
durch das Festhalten an ihrer Auswahlentscheidung zum Ausdruck, die
marktbeherrschende Position der Beigeladenen vergaberechtlich nicht würdigen zu
wollen. Das Verhalten der Antragsgegnerin bringt nicht mehr als die Ansicht zum
49
Ausdruck, dass dem Anteilserwerb der Beigeladenen kartellrechtliche Vorschriften nicht
entgegenstehen.
3. Ebenfalls ohne Erfolg wendet sich die Antragstellerin gegen die von der
Antragsgegnerin mit Schreiben vom 24. April 2002 erbetene Verlängerung der
Angebotsbindefrist. Es kann auf sich beruhen, ob das diesbezügliche Rügeschreiben
der Antragstellerin vom 7. Mai 2002 nicht bereits verfristet war (§ 107 Abs. 3 Satz 1
GWB) und die Antragstellerin schon aus diesem Grund mit ihrer Beanstandung nicht
durchdringt. Jedenfalls erweist sich das gerügte Verhalten der Antragsgegnerin in der
Sache als vergaberechtlich unbedenklich. Ist ein öffentlicher Auftraggeber nicht in der
Lage, innerhalb der zunächst vorgesehenen Zuschlagsfrist den Zuschlag zu erteilen,
kann die Zuschlagsfrist im Einvernehmen mit den Bietern verlängert werden (§ 28 Nr. 2
Abs. 2 VOL/A 2. Abschnitt). Dadurch verlängert sich automatisch auch die
Angebotsbindefrist. Denn gemäß § 19 Nr. 3 VOL/A 2. Abschnitt ist der Bieter bis zum
Ablauf der Zuschlagsfrist an sein Angebot gebunden. Erforderlich für eine Verlängerung
der Zuschlagsfrist ist freilich das Vorliegen rechtfertigender Gründe; sie können etwa in
einem erhöhten Wertungsaufwand oder in der durch Einleitung eines
Vergabenachprüfungsverfahren eingetretenen zeitlichen Verzögerung des
Vergabeverfahrens liegen (vgl. Kratzenberg in Ingenstau/Korbion, Kommentar zur VOB,
14. Aufl., A § 19 Rdz. 14 b). Solche eine Verlängerung der Zuschlagsfrist tragenden
Gründe standen der Antragsgegnerin zur Seite. Die Antragsgegnerin hat um eine
angemessene Verlängerung der Zuschlagsfrist nachgesucht, um das Ergebnis des
Fusionskontrollverfahrens beim Bundeskartellamt abwarten und entscheiden zu
können, ob der für den Zuschlag vorgesehenen Beigeladenen der Anteilserwerb aus
kartellrechtlichen Gründen überhaupt möglich sein würde. Die erbetene Verlängerung
der Zuschlagsfrist diente damit gerade dem Zweck, das gesetzliche Wettbewerbsprinzip
durchzusetzen. Ziel der Antragsgegnerin war es sicherzustellen, dass der Bieter mit
dem wirtschaftlichsten Angebot - d.h. derjenige Bieter, der isoliert betrachtet das
annehmbarste Angebot unterbreitet hat, der zur Vertragsdurchführung aber auch in der
Lage ist - den Zuschlag erhält. Das rechtfertigt zwanglos die in Rede stehende
(angemessene) Verlängerung der Zuschlagsfrist.
50
4. Die Antragstellerin wendet gegen die beabsichtigte Zuschlagsentscheidung des
weiteren einen Verstoß gegen § 107 Abs. 3 GO NW ein. Nach dieser Vorschrift ist der
Gemeinde eine wirtschaftliche Betätigung außerhalb ihres Gemeindegebietes nur unter
engen Voraussetzungen, insbesondere nur dann erlaubt, wenn ein öffentlicher Zweck
die Betätigung erfordert. Mit dem von der Beigeladenen angebotenen Erwerb von 49 %
der Geschäftsanteile an der "R... GmbH & Co. KG" (nachfolgend: "R...") überschreite - so
meint die Antragstellerin - die Antragsgegnerin den gesetzlich zugelassenen Bereich
einer wirtschaftlichen Betätigung von Gemeinden. Die "R..." werde auch außerhalb des
Stadtgebiets von D. tätig, und ein öffentlicher Zweck, der ein Tätigwerden der Stadt D.
außerhalb ihres Kommunalgebiets erfordere, liege nicht vor.
51
a) Die Antragstellerin ist schon mangels rechtzeitiger Rüge gehindert, diesen
Gesichtspunkt im Vergabenachprüfungsverfahren geltend zu machen (§ 107 Abs. 3 Satz
1 GWB). Der Antragstellerin war spätestens aufgrund der Freigabeentscheidung des
Bundeskartellamts vom 17. Juni 2002 bekannt, dass das Angebot der Beigeladenen
den Erwerb von 49 % der Geschäftsanteile der "R..." durch die Antragsgegnerin (oder
die "A...") vorsieht. Das ergibt sich schon aus dem Umstand, dass - worauf Ziffer II. des
Freigabebeschlusses ausdrücklich verweist - die Beigeladene diesen Anteilserwerb
zusammen mit den Erwerb der Geschäftsanteile der "A..." beim Bundeskartellamt zur
52
Freigabe angemeldet hat und dass auch aus der Sicht der Beigeladenen das gesamte
Fusionskontrollverfahren ausschließlich dem Zweck diente, kartellrechtliche Bedenken
gegen die Realisierbarkeit des Angebots der Beigeladenen auszuräumen. Dass der
Erwerb von Gesellschaftsanteilen der "R..." ein Bestandteil des Angebots der
Beigeladenen ist, geht darüber hinaus unmissverständlich aus der
Sachverhaltsschilderung des Bundeskartellamts hervor. Unter Textziffer 1 der
Freigabeentscheidung heißt es (u.a.):
"Mit Schreiben vom 13. Dezember 2001 ...... hat die T... AG (...) den
beabsichtigten Erwerb von 49 % der Anteile an der A... mbH (A...), D.,
angemeldet. Im Rahmen der Teilprivatisierung soll entweder A... oder die
Stadtwerke D. Aktiengesellschaft (SWD), D., 49 % der Anteile an der R... GmbH
& Co. KG (R...), D., ..., erwerben."
53
Der Antragstellerin waren somit jedenfalls am 17. Juni 2002 die den reklamierten
Vergaberechtsverstoß begründenden Tatsachen bekannt. Sie hatte - wie die
Antragsgegnerin und die Beigeladene unwidersprochen geltend machen - zu diesem
Zeitpunkt außerdem die zumindest laienhafte Vorstellung, dass der Erwerb von
Geschäftsanteilen der "R..." vergaberechtlich zu beanstanden sei. Gleichwohl hat die
Antragstellerin diesen Aspekt nicht unverzüglich der Antragsgegnerin gegenüber gerügt.
Das schließt es aus, den in Rede stehenden Anteilserwerb nunmehr im
Nachprüfungsverfahren als Vergabefehler zu beanstanden.
54
b) Der Einwand der Antragstellerin bleibt darüber hinaus auch in der Sache erfolglos. Es
bedarf keiner Entscheidung, ob die - kommunal beherrschte - Antragsgegnerin in den
Anwendungsbereich des § 107 Abs. 3 GO NW fällt und ob sie bejahendenfalls durch
den Erwerb eines 49 %igen Geschäftsanteils der überregional tätigen "R..." gegen diese
Vorschrift verstößt. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, fehlt es an einem
Vergaberechtsverstoß, auf den sich die Antragstellerin im
Vergabenachprüfungsverfahren stützen kann.
55
aa) Gemäß § 97 Abs. 7 GWB haben die Unternehmen Anspruch darauf, dass der
Auftraggeber die "Bestimmungen über das Vergabeverfahren" einhält. Beansprucht
werden kann insoweit allerdings nicht die Beachtung jedweder Verfahrensnorm. Der
Rechtsanspruch auf Einhaltung der Vergabebestimmungen reicht vielmehr nur so weit,
wie die entsprechende Vorschrift gerade den Schutz des potentiellen Auftragnehmers
bezweckt. Erforderlich, aber auch ausreichend ist eine hinreichend bestimmte
Verhaltenspflicht des öffentlichen Auftraggebers gegenüber dem einzelnen Mitbewerber
um den Zuschlag. Normen, die beispielsweise die Durchführung öffentlicher Aufträge,
nicht aber das Vergabeverfahren betreffen, gehören nicht zu den
Vergabebestimmungen, deren Einhaltung gemäß § 97 Abs. 7 GWB verlangt werden
kann (vgl. zu allem: Hailbronner, a.a.O. § 97 Rdz. 197; Boesen, a.a.O. § 97 Rdz. 197;
Bechtold, a.a.O. § 97 Rdz. 36 ff.; Dreher, a.a.O. § 97 Rdz. 188 ff., 193).
56
bb) In welchen Grenzen § 107 Abs. 3 GO NW eine Vergabebestimmung in diesem
Sinne ist, braucht im Streitfall nicht abschließend entschieden zu werden.
57
Der Senat hat in seiner bisherigen Rechtsprechung einen Verstoß gegen § 107 Abs. 3
GO NW dann als einen Vergabefehler bewertet, wenn ein kommunales Unternehmen
als Bieter oder Bewerber zu einem Vergabeverfahren zugelassen wird, das die
Erbringung von Leistungen außerhalb des Gemeindegebiets der betreffenden
58
Kommune zum Gegenstand hat. Er hat zur Begründung ausgeführt: Ein öffentliches
Unternehmen, das kraft gesetzlicher Anordnung in § 107 GO NW nicht in den
Wettbewerb eingreifen dürfe, störe und verfälsche den Bieterwettbewerb, wenn es
dennoch mit den anderen zugelassenen Wettbewerbsteilnehmern in den Wettbewerb
um einen öffentlichen Auftrag eintrete. Solche Wettbewerbsverfälschungen müsse der
öffentliche Auftraggeber unterbinden. Diese Pflicht ergebe sich schon aus dem in § 97
Abs. 1 und 2 GWB, § 2 Nr. 1 VOL/A statuierten Gebot, den Auftrag im Wettbewerb zu
vergeben und wettbewerbsbeschränkende sowie unlautere Verhaltensweisen zu
bekämpfen. Die - umfassend zu verstehende - Durchsetzung des wettbewerblichen
Prinzips bei der Bedarfsdeckung der öffentlichen Hand liege nicht nur im Interesse des
jeweiligen öffentlichen Auftraggebers, sondern auch des potentiellen Auftragnehmers,
solle also auch den Bewerber oder Bieter im Vergabeverfahren schützen (vgl. NZBau
2000, 155 ff.; NZBau 2002, 626 ff.).
Aus dieser Rechtsprechung kann die Antragstellerin vorliegend allerdings nichts
herleiten. Im Streitfall geht es um eine andere - auch vom Senat bislang nicht
entschiedene - Fallgestaltung. Die Antragstellerin erblickt den Verstoß gegen § 107
Abs. 3 GO NW darin, dass die Antragsgegnerin im Zuge der ausgeschriebenen
Veräußerung von Geschäftsanteilen der "A..." ihrerseits Geschäftsanteile an einem
Tochterunternehmen der Beigeladenen übernehmen will, das außerhalb des D.er
Stadtgebiets tätig ist. Insoweit bezweckt § 107 Abs. 3 GO NW indes nicht den Schutz
der am Vergabeverfahren beteiligten Bieter und Bewerber. Ein Anteilserwerb des
kommunalen Auftraggebers, der die Schranken des § 107 Abs. 3 GO NW missachtet,
betrifft ausschließlich die wirtschaftliche Betätigung der Kommune als solche; er berührt
darüber hinaus nicht das Verfahren zur Vergabe des betreffenden öffentlichen Auftrags
und er tangiert auch nicht die Rechte der Bieter auf ein ordnungsgemäßes - d.h.
transparentes und diskriminierungsfreies - Verfahren zur Auftragsvergabe im
Wettbewerb. Durch einen in Widerspruch zu § 107 Abs. 3 GO NW stehenden
Anteilserwerb sind die Unternehmen, die sich an der Ausschreibung beteiligt haben,
nicht in ihrer Eigenschaft als Bieter oder Bewerber in dem Vergabeverfahren betroffen.
Es werden vielmehr alleine ihre Interessen als Marktteilnehmer und Konkurrenten
desjenigen Unternehmens berührt, an dem sich die Kommune beteiligt.
59
5. Die Zuschlagsentscheidung der Antragsgegnerin ist - entgegen der Ansicht der
Vergabekammer - vergaberechtlich auch nicht deshalb zu beanstanden, weil am
Vergabeverfahren Personen beteiligt waren, die gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VgV von einer
Mitwirkung ausgeschlossen waren. Nach der genannten Vorschrift dürfen bei
Entscheidungen in einem Vergabeverfahren für einen Auftraggeber natürliche Personen
nicht mitwirken, soweit sie in diesem Verfahren
60
a. bei einem Bieter oder Bewerber gegen Entgelt beschäftigt oder bei ihm als
Mitglied des Vorstandes, Aufsichtsrates oder gleichartigen Organs tätig sind
61
62
oder
63
b. für ein in das Vergabeverfahren eingeschaltetes Unternehmen tätig sind, wenn
dieses Unternehmen zugleich geschäftliche Beziehungen zum Auftraggeber und
zum Bieter oder Bewerber hat,
64
65
es sei denn, dass dadurch für die Personen kein Interessenkonflikt besteht oder sich
die Tätigkeiten nicht auf die Entscheidungen in dem Vergabeverfahren auswirken.
66
a) Die Vergabekammer hat diesen Ausschlusstatbestand als verwirklicht angesehen
und dazu ausgeführt: Es verstoße gegen § 16 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) VgV, dass
Aufsichtsratsmitglieder, die von der "W... AG" in den Aufsichtsrat der Antragsgegnerin
entsandt worden seien, an den Aufsichtsratssitzungen vom 17. Dezember 2001 und 8.
Juli 2002 teilgenommen haben. Darüber hinaus liege ein Verstoß gegen § 16 Abs. 1 Nr.
3 lit. a) VgV vor, weil auf Seiten der Antragsgegnerin die Herren Dr. K. und Dr. F. an den
Verhandlungsgesprächen vom 12., 19. und 20. November 2001 teilgenommen haben.
Dr. F. sei nicht nur Prokurist und Generalbevollmächtigter der Antragsgegnerin sowie
Geschäftsführer der "A...", sondern zugleich auch Geschäftsführer der "I... mbH"
(nachfolgend: "I..."), an welcher die Beigeladene zu 33,4 % beteiligt sei. Dr. K. sei nicht
nur Prokurist der "A...", sondern auch Geschäftsführer der "K... GmbH" (nachfolgend:
"K..."), an der die "I..." 50 % der Geschäftsanteile halte.
67
b) Dieser rechtlichen Beurteilung ist im Ergebnis nicht zuzustimmen.
68
aa) In der Sitzung vom 17. Dezember 2001 ist der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin
ausschließlich über den Stand des Vergabeverfahrens informiert worden. Das ergibt
sich sowohl aus der Einladung zur Aufsichtsratssitzung als auch aus der Niederschrift
über diese Sitzung des Aufsichtsrates (vgl. Anlage BF 10, GA 351-363). Danach hat der
Aufsichtsrat in seiner Sitzung vom 17. Dezember 2001 weder an einer Entscheidung
zum Fortgang des Vergabeverfahrens mitgewirkt noch eine diesbezügliche
Entscheidung des Vorstands der Antragsgegnerin gebilligt.
69
Dieser Sachverhalt kann der Entscheidungsfindung zugrunde gelegt werden, ohne dass
es einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bedarf. Zwar hat der
Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin die zitierten Papiere erst nach der
mündlichen Verhandlung des Senats in Kopie zur Gerichtsakte gereicht. Der
Antragstellerin sind die Unterlagen zur Aufsichtsratssitzung vom 17. Dezember 2001
allerdings schon aus dem Vergabekammerverfahren bekannt. Ausweislich der
Sitzungsniederschrift der Vergabekammer (Anlage BF 3, dort Seite 12, GA 168) sind ihr
Ablichtungen der Vorlage zur Aufsichtsratssitzung vom 17. Dezember 2001 und der
Niederschrift über jene Aufsichtsratssitzung am 19. November 2002 ausgehändigt
worden.
70
Ein Verstoß gegen § 16 Abs. 1 Nr. 3 VgV liegt bei der geschilderten Sachlage nicht vor.
Die bloße Unterrichtung des Aufsichtsrats der Antragsgegnerin erfüllt den genannten
Ausschlusstatbestand nicht. § 16 Abs. 1 Nr. 3 VgV untersagt schon nach seinem klaren
Wortlaut lediglich, dass die näher bezeichneten (voreingenommenen) Personen an
"Entscheidungen" in einem Vergabeverfahren mitwirken. Die schlichte
71
Informationserteilung wird von dem Mitwirkungsverbot nicht erfasst. Das entspricht im
übrigen auch ausdrücklich der Begründung des Regierungsentwurfs zur
Vergabeverordnung (vgl. BT-Drucks. 455/00, Seite 20 zu § 16).
bb) In seiner Sitzung vom 8. Juli 2002 ist der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin erneut
über den Stand des Vergabeverfahrens informiert worden. Außerdem hat der
Aufsichtsrat den folgenden - in der Informationsvorlage vom 3. Juli 2002 für jene Sitzung
vorgeschlagenen - Beschluss gefasst:
72
a. Der Aufsichtsrat nimmt die Ergebnisse des Ausschreibungsverfahrens zur Findung
eines strategischen Partners und das damit verbundene Konzept für die zukünftige
Strukturierung des Entsorgungsbereichs der Stadtwerke D. AG und der A... GmbH
zustimmend zur Kenntnis.
73
74
b. Der Aufsichtsrat empfiehlt dem Rat der Stadt D., die städt. Vertreter im Aufsichtsrat
der Stadtwerke D. AG zu ermächtigen, dem Konzept umfassend zuzustimmen.
75
76
Vieles spricht für die Annahme, dass die Entschließung des Aufsichtsrats, den
Vergabevorschlag zugunsten der Beigeladenen zustimmend zur Kenntnis zu nehmen
und dem Rat der Stadt D. (deshalb) zu empfehlen, dass die städtischen
Aufsichtsratsmitglieder bei der noch anstehenden Abstimmung einer Auftragsvergabe
an die Beigeladene zustimmen, eine Mitwirkungshandlung im Sinne von § 16 Abs. 1
VgV darstellt. Denn die Aufsichtsratsentschließung zielt darauf ab, das
Abstimmungsverhalten der städtischen Aufsichtsratsmitglieder bei der zukünftig
anstehenden Entscheidung des Aufsichtsrats über den Vergabevorschlag des
Vorstands der Antragsgegnerin zu beeinflussen. Gleichwohl bleibt die
Beschlussfassung vom 8. Juli 2002 vergaberechtlich ohne Konsequenzen. Aufgrund
des weiteren Fortgangs der Angelegenheit kann nämlich ausgeschlossen werden, dass
sich der Aufsichtsratsbeschluss vom 8. Juli 2002 im Vergabeverfahren ausgewirkt hat.
Zwischen den Parteien ist außer Streit - und wird im übrigen durch die als Anlage BF 7
(GA 325-331) in Ablichtung vorgelegte Niederschrift über die Aufsichtsratssitzung vom
13. September 2002 bestätigt -, dass der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin am 13.
September 2002 einer Auftragsvergabe an die Beigeladene ohne eine Beteiligung der
Aufsichtsratsmitglieder der "W... AG" und der Vertreter der Stadt D. zugestimmt hat. Das
hatte - wie sich aus dem Sitzungsprotokoll der Vergabekammer vom 19.11.2002 ergibt
(vgl. Anlage BF 3, dort Seite 9; GA 165) ergibt - die Antragsgegnerin bereits im
Vergabekammertermin unwidersprochen vorgetragen. Die Empfehlung an den Rat der
Stadt D., die städtischen Aufsichtsratsmitglieder mögen dem Vergabevorschlag
zustimmen, ist im weiteren Vergabeverfahren folglich ohne Auswirkungen geblieben.
Sie hat insbesondere keinen Einfluss auf die Beschlussfassung des Aufsichtsrats am
13. September 2002 gehabt. Denn die Vertreter der Stadt D. haben sich im Aufsichtsrat
77
der Antragsgegnerin einer Stimmabgabe enthalten und sind mithin der am 8. Juli 2002
ausgesprochenen Empfehlung gerade nicht nachgekommen. Es ist auch nichts dafür
ersichtlich, dass die Art und Weise des Zustandekommens der Empfehlung - etwa
befürwortende Redebeiträge oder das Abstimmungsverhalten der
Aufsichtsratsmitglieder der "W... AG" als solches - im weiteren Verlauf des
Vergabeverfahrens in rechtserheblicher Weise nachgewirkt und insbesondere auf das
Abstimmungsverhalten der übrigen Aufsichtsratsmitglieder bestimmend eingewirkt hat.
Zu alledem macht auch die Antragstellerin nichts geltend.
cc) Dass der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin in seiner Sitzung vom 13. September
2002 einer Auftragsvergabe an die Beigeladene zugestimmt hat, verwirklicht gleichfalls
nicht den Tatbestand des § 16 Abs. 1 Nr. 3 VgV. An dieser Beschlussfassung haben
nämlich - wie außer Streit steht - die von der "W... AG" entsandten
Aufsichtsratsmitglieder nicht mitgewirkt, so dass schon im Ansatz für die Mitwirkung
ausgeschlossener Personen kein Raum ist.
78
dd) Die Teilnahme der Herren Dr. K. und Dr. F. an mehreren Verhandlungsgesprächen
unterfällt schließlich ebenfalls nicht § 16 Abs. 1 Nr. 3 VgV. Die Voraussetzungen des -
alleine in Betracht kommenden - § 16 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) VgV liegen nicht vor. Die
Vorschrift verbietet nur die Mitwirkung solcher Personen, die "bei einem Bieter oder
Bewerber" gegen Entgelt beschäftigt oder "bei ihm" als Mitglied des Vorstands,
Aufsichtsrates oder gleichartigen Organs tätig sind. Dr. K. und Dr. F. gehören nicht zu
diesem Personenkreis. Denn sie sind weder bei der Beigeladenen beschäftigt noch
gehören sie deren Vorstand oder Aufsichtsrat an. Dr. K. und Dr. F. sind vielmehr
lediglich in der Geschäftsführung von Gesellschaften ("I..." und "K...") tätig, an denen die
Beigeladene als Minderheitsgesellschafter beteiligt ist. Das reicht für § 16 Abs. 1 Nr. 3
lit. a) VgV nicht aus. Es kann auf sich beruhen, ob § 16 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) VgV über
seinen Wortlaut hinaus erweiternd dahin ausgelegt werden kann, dass er auch auf
solche Personen anwendbar ist, die zwar nicht unmittelbar bei dem Bieter oder
Bewerber des Vergabeverfahrens beschäftigt oder in dessen Gesellschaftsorganen tätig
sind, die aber in einer solchen Funktion einem Drittunternehmen angehören, das von
dem Bieter oder Bewerber beherrscht wird. Keinesfalls kann die Vorschrift aber auch auf
solche Personen erstreckt werden, die - wie vorliegend Dr. K. und Dr. F. - lediglich
einem vom Bieter oder Bewerber nicht beherrschten Unternehmen angehören.
79
6. Die Vergabekammer hat es als vergaberechtswidrig gewertet, dass die Beigeladene
aufgrund bestehender gesellschaftsrechtlicher Verflechtungen mit der Antragsgegnerin
und wegen der im Vorfeld des Vergabeverfahrens bereits bis zur Abschlussreife
geführten Verhandlungen über einen Wissensvorsprung verfügt habe, den die
Antragsgegnerin nicht durch die Erteilung entsprechender Auskünfte an alle anderen
Bieter und Bewerber ausgeglichen habe.
80
Es kann dahinstehen, ob die Überlegungen in der Sache zutreffen. Denn die
Antragstellerin ist aus verfahrensrechtlichen Gründen gehindert, sich auf den von der
Vergabekammer angenommenen Vergaberechtsverstoß zu berufen.
81
a) Die Vergabekammer hat beanstandet, dass Teile der Informationsunterlagen über die
"A...", die den Bietern zugänglich gemacht worden sind, zum Teil durch Schwärzungen
unkenntlich gemacht worden sind. Auf diesen Gesichtspunkt kann die Antragstellerin
ihren Nachprüfungsantrag indes nicht stützen. Denn sie hat die Schwärzung nicht als
vergaberechtswidrig gerügt. Die Antragstellerin hat sich im Verlauf des
82
Vergabeverfahrens damit begnügt, die Antragsgegnerin um eine Bekanntgabe der
geschwärzten Passagen zu bitten, was diese abgelehnt hat. Die ablehnende Antwort
der Antragsgegnerin hat die Antragstellerin sodann auf sich beruhen lassen und das
Verhalten nicht unverzüglich als vergaberechtswidrig gerügt. Die Antragstellerin ist
folglich mit dem von der Vergabekammer angenommenen Vergaberechtsfehler
präkludiert (§ 107 Abs.3 Satz 1 GWB).
Die Präklusion verbietet es zugleich auch für die Nachprüfungsinstanzen, den
(etwaigen) Vergaberechtsverstoß zum Anlass für Anordnungen in der Sache zu
nehmen. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Senats, dass diejenigen
Vergabefehler, die - z.B. mangels Antragsbefugnis oder wegen der unterbliebenen
rechtzeitigen Rüge - nicht in zulässiger Weise zum Gegenstand eines
Vergabenachprüfungsverfahrens gemacht werden können, einer Sachentscheidung
durch die Nachprüfungsinstanzen entzogen sind und dementsprechend auch keinen
Anlass für Anordnungen der Vergabekammer nach § 114 Abs. 1 Satz 2 GWB bieten
können (Beschluss vom 26.7.2002 – Verg 22/02 m.w.N.).
83
b) Die Vergabekammer hat überdies angenommen, dass die Beigeladene aufgrund der
vor Beginn des Vergabeverfahrens bereits geführten Verhandlungen mit der
Antragsgegnerin über einen Informationsvorsprung verfügt habe. Auch mit dieser
Beanstandung ist die Antragstellerin ausgeschlossen.
84
Zweifelhaft ist schon die Antragsbefugnis der Antragstellerin (§ 107 Abs. 2 Satz 2 GWB).
Es ist nicht festzustellen, in bezug auf welche vergaberelevanten Umstände die
Beigeladene über einen Wissensvorsprung verfügt und inwieweit dieser
Wissensvorsprung die Zuschlagschancen der Antragstellerin beeinträchtigt haben soll.
Zu alledem ist weder dem angefochtenen Beschluss noch dem Vorbringen der
Antragstellerin Konkretes zu entnehmen; dazu ist auch sonst nichts ersichtlich.
85
Darüber hinaus fehlt es auch an einer rechtzeitigen Rüge der Antragstellerin. Obwohl
der Antragstellerin seit April 2001 aus entsprechenden Presseberichten bekannt war,
dass die Antragsgegnerin und die Beigeladene die geschäftliche Kooperation - die
sodann Gegenstand der streitbefangenen Ausschreibung geworden ist - bereits bis zur
Abschlussreife verhandelt hatten, hat sie zu keinem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens
einen daraus resultierenden Wettbewerbsvorteil der Beigeladenen gerügt. Mit einer
diesbezüglichen Beanstandung ist sie im Nachprüfungsverfahren folglich präkludiert.
86
7. Aus den gleichen Erwägungen ist es der Antragstellerin verwehrt, sich darauf zu
berufen, dass die Vergabebedingungen - insbesondere die Koppelung des Verkaufs der
Geschäftsanteile der "A..." mit den ausgeschriebenen übrigen Sach- und
Kooperationsleistungen sowie der von der Antragsgegnerin angestrebte Erwerb von
Gesellschaftsanteilen an der "R..." - auf die Beigeladene zugeschnitten gewesen sei.
Der Antragstellerin war seit April 2001 aus entsprechenden Presseberichten bekannt,
dass zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen ein dahingehendes
Kooperationskonzept bereits bis zur Abschlussreife verhandelt worden war. Sie hat
gleichwohl zu keinem Zeitpunkt gerügt, dass die Vorgaben der Verdingungsunterlagen
vergaberechtswidrig auf die Beigeladene zugeschnitten seien. Das schließt es aus, in
der Nachprüfungsinstanz das Vergabeverfahren nunmehr mit diesem Argument
anzugreifen (§ 107 Abs. 3 Satz 1 GWB).
87
8. Die Vergabekammer hat des weiteren angenommen, die Angebotswertung der
88
Antragsgegnerin verstoße gegen den Grundsatz der Transparenz und
Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 1 und 2 GWB). Auch dies verhilft dem
Nachprüfungsantrag der Antragstellerin nicht zum Erfolg.
a) Die Vergabekammer meint, die Antragsgegnerin habe die Antragstellerin und die
Beigeladene im Rahmen der Angebotswertung ungleich behandelt. Denn sie habe das
Angebot der Beigeladenen auf Übertragung von Geschäftsanteilen der "R..." akzeptiert,
hingegen das Nebenangebot 2 der Antragstellerin, das den Verkauf von
Gesellschaftsanteilen einer Drittfirma an die Antragsgegnerin vorsehe, von der Wertung
ausgeschlossen. Ob der Vorwurf der Ungleichbehandlung berechtigt ist und das
Nebenangebot 2 richtigerweise in die Angebotswertung hätte einbezogen werden
müssen, kann auf sich beruhen. Die Antragsgegnerin hält dem nicht ohne Aussicht auf
Erfolg entgegen: Formblatt 1 zu Abschnitt IV. der Verdingungsunterlagen sehe die
Möglichkeit vor, dass der Erwerber den Kaufpreis für den 49 %igen Geschäftsanteil der
"A..." durch Barzahlung oder (ganz oder teilweise) durch Einbringung von
Gegenständen leiste. Das Angebot der Beigeladenen habe diesen Vorgaben
entsprochen, das Nebenangebot 2 der Antragstellerin demgegenüber nicht, weil es die
Geschäftsanteile der Drittfirma zum Kauf - und nicht zum Zwecke der Erfüllung der
Kaufpreisschuld des Bieters - anbiete.
89
Ob bereits mit dieser Erwägung der Beanstandung der Vergabekammer die Grundlage
entzogen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn die Antragstellerin ist -
worauf der Senat im Verhandlungstermin hingewiesen hat - schon mangels
Antragsbefugnis (§ 107 Abs. 2 Satz 2 GWB) gehindert, den von der Vergabekammer
angenommenen Vergaberechtsfehler geltend zu machen. Weder dem Vorbringen der
Antragstellerin noch dem sonstigen Akteninhalt ist zu entnehmen, inwieweit durch die
Nichtberücksichtigung des Nebenangebots 2 die Chancen der Antragstellerin auf den
Erhalt des Zuschlags beeinträchtigt worden sein können. Hierzu hat auch die
Vergabekammer keine Feststellungen getroffen.
90
b) Die Vergabekammer hat überdies angenommen, die Angebotswertung der
Antragsgegnerin sei nicht nachvollziehbar. Beispielsweise sei nicht zu erkennen, mit
welchem Wert der von der Beigeladene einzubringende 49 % ige Geschäftsanteil der
"R..." in die Ermittlung der Angebotssumme eingeflossen sei.
91
Auch insoweit bedarf es keiner Entscheidung, ob der Vorwurf sachlich berechtigt ist.
Denn der Antragstellerin ist es mangels Antragsbefugnis verwehrt, sich auf diesen
(etwaigen) Vergabefehler zu berufen. Die Antragstellerin hat im gesamten Verfahren zur
Rechtfertigung ihres Nachprüfungsantrags nicht geltend gemacht, dass die
Angebotswertung der Antragsgegnerin nicht nachvollziehbar sei. Selbst im
Beschwerdeverfahren greift sie die entsprechende Beanstandung der Vergabekammer
nicht auf. Infolge dessen lässt sich auch ihre Antragsbefugnis für diesen (etwaigen)
Vergaberechtsverstoß nicht feststellen. Gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB hat das
antragstellende Unternehmen seine Antragsbefugnis darzulegen und in diesem
Zusammenhang vorzutragen, dass seine Aussichten auf den Zuschlag durch den
betreffenden Vergabefehler beeinträchtigt sein können. An einem solchen Sachvortrag
fehlt es. Wie ausgeführt, beanstandet die Antragstellerin vielmehr selbst nicht, dass die
Angebotswertung der Antragsgegnerin fehlerhaft sei.
92
9. Erfolglos bleibt schließlich auch der Einwand der Antragstellerin, die Beigeladene sei
gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A 2. Abschnitt vom Vergabeverfahren auszuschließen,
93
weil sie nicht über die für eine ordnungsgemäße Vertragserfüllung erforderliche
Zuverlässigkeit verfüge.
a) Allerdings scheitert die Beanstandung der Antragstellerin nicht schon aus
verfahrensrechtlichen Gründen. Die Antragstellerin ist - entgegen der Ansicht der
Antragsgegnerin und der Beigeladenen - mit dem Einwand der mangelnden
Zuverlässigkeit der Beigeladenen nicht nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB präkludiert.
Dabei kann dahinstehen, ob die Antragstellerin bereits am 13. oder erst am 14. Juni
2002 von der Verhaftung des Vorstandsvorsitzenden der "T... AG", Herrn T..., erfahren
hat und ob ihr Rügeschreiben vom 28. Juni 2002, in dem unter Hinweis auf die erfolgte
Verhaftung die fehlende Zuverlässigkeit der Beigeladenen reklamiert worden ist, noch
unverzüglich im Sinne von § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB erfolgt ist. Der Vorwurf der
Antragstellerin, die Beigeladene müsse als unzuverlässiger Bieter vom
Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, gründet sich nämlich nicht alleine auf die
Verhaftung des Herrn T..., sondern erstreckt sich maßgeblich auch auf den Vorwurf, die
Beigeladene habe in der Folgezeit die gebotene "Selbstreinigung" unterlassen und
keine ausreichenden personellen Maßnahmen ergriffen, um für die Zukunft
Korruptionsvorfälle auszuschließen. Die Antragstellerin leitet die Unzuverlässigkeit der
Beigeladenen darüber hinaus aus dem Vorwurf her, dass die Beigeladene noch bis zum
Abschluss des Vergabekammerverfahrens unzutreffende oder beschönigende
Erklärungen zu dem Ergebnis ihrer internen Ermittlungen, insbesondere zum Inhalt des
Sonderprüfungsberichts vom 12. April 2002, gemacht habe. Für sämtliche dieser
Beanstandungen ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin ihrer Rügeobliegenheit (§
107 Abs. 3 Satz 1 GWB) - die ohnehin nur bis zur Einleitung des
Nachprüfungsverfahrens besteht (Senat, NZBau 2001, 155; BayObLG, VergabeR 2002,
77; OLG Frankfurt a.M., NZBau 2002, 161) - nicht genügt hat.
94
b) Der Vorwurf der mangelnden Zuverlässigkeit der Beigeladenen bleibt allerdings in
der Sache erfolglos. Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten
Beweisaufnahme ist die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass die Beigeladene die
für eine ordnungsgemäße Vertragsdurchführung erforderliche Zuverlässigkeit besitzt,
aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
95
aa) Der Senat hat zu den Maßnahmen, welche die Beigeladene nach den
Bestechungsvorwürfen gegen Herrn T... im Zuge der sog. "Selbstreinigung"
durchgeführt hat, den Zeugen Dr. B. vernommen. Dr. B. ist nach eigenem Bekunden seit
dem 1. April 2002 als Justitiar bei der Beigeladenen beschäftigt und in dieser Funktion
seither mit den Maßnahmen zur "Selbstreinigung" befasst. Nach seinen glaubhaften
Bekundungen steht zur Überzeugung des Senats der folgende Sachverhalt fest:
96
(1) Nach dem Bekanntwerden der Korruptionsvorwürfe gegen Herrn T... im
Zusammenhang mit dem Bau der K. Müllverbrennungsanlage hat die Beigeladene - die
bis Ende Juli 2002 lediglich hälftige Anteilseignerin der "T... AG" war - über ihre
Vertreter im Aufsichtsrat der "T... AG" eine Sonderprüfung durch externe
Wirtschaftsprüfer veranlasst. Diese Sonderprüfung wurde vorläufig mit dem
Sonderprüfungsbericht vom 12. April 2002 abgeschlossen. Darin sind (u.a.)
Zahlungsströme und Beraterverträge aufgeführt, die möglicherweise im Zusammenhang
mit den Bestechungsvorwürfen gegen Herrn T... stehen können. Die Beigeladene hat
das Ergebnis der Sonderprüfung zum Anlass genommen, den Sachverhalt weiter
aufzuklären. Sie hat den Sonderprüfungsbericht der ermittelnden Staatsanwaltschaft K.
zur Verfügung gestellt und sich zugleich bemüht, Einsicht in die Ermittlungsakten zu
97
nehmen. Im September 2002 sind der Beigeladenen schließlich die Ermittlungsakten,
insbesondere das Protokoll über die Vernehmung des Herrn T..., auszugsweise
zugänglich gemacht worden. Aus den Angaben des Herrn T... ergaben sich für die
Beigeladene konkrete Anhaltspunkte, welche weiteren Mitarbeiter der "T... AG" an den
Machenschaften des Herrn T... beteiligt gewesen sein können. Anlass war die Aussage
des Herrn T..., Mitarbeiter der "T... AG" hätten bei Zahlungen an schweizerische
Domizilgesellschaften, denen keine Gegenleistung gegenüber stand, mitgewirkt. Die
Beigeladene hat die betreffenden Personen nach ihrer Identifizierung unverzüglich von
ihren bisherigen Funktionen und Befugnissen im Unternehmen entbunden und diesen
Mitarbeitern sodann fristlos gekündigt. Darüber hinaus hat sich die Beigeladene durch
den Abschluss von Aufhebungsverträgen von denjenigen Mitarbeitern der "T... AG"
getrennt, gegen die ein gewisser Verdacht der Mitwisserschaft bestand. Schließlich
haben nach Verschmelzung der "T... AG" auf die Beigeladene und nach Einführung des
"...-Umwelt-Standards" - d.h. der im Unternehmen der Beigeladenen geltenden
Unternehmens- und Entscheidungsstrukturen sowie nach der Besetzung wichtiger
Positionen durch eigenes Personal der Beigeladenen - weitere leitende Mitarbeiter der
früheren "T... AG" das Unternehmen verlassen. Im Ergebnis hat sich die Beigeladene
vom gesamten Vorstand der "T... AG" getrennt. Außerdem haben zahlreiche Mitarbeitern
der F 2-Ebene - es handelt sich um leitende Angestellte, die unmittelbar dem Vorstand
berichten - und der F 3-Ebene - es handelt sich um leitende Angestellte, die unmittelbar
den Angestellten der F 2-Ebene berichten - das Unternehmen der Beigeladenen
verlassen. Bezogen auf die Zentrale der ehemaligen "T... AG" sind auf der F 2-Ebene
von insgesamt 17 leitenden Angestellten lediglich 4 Mitarbeiter solche der "T... AG"; die
restlichen 13 F 2-Angestellte stammen aus den Reihen der Beigeladenen. Im Bereich
der Niederlassungen der ehemaligen "T... AG" waren insgesamt 1o Mitarbeiter auf der F
2-Ebene tätig. Davon sind noch 3 in dieser Position bei der Beigeladenen beschäftigt, 3
F 2-Mitarbeiter sind ausgeschieden und 4 Mitarbeiter sind in untergeordneten
Funktionen bei der Beigeladenen tätig. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den
Tochtergesellschaften der "T... AG". Von den insgesamt 14 leitenden Angestellten der F
2-Ebene sind 4 Angestellte von der Beigeladenen in dieser Funktion übernommen
worden, 4 Angestellte haben das Unternehmen verlassen und 10 Angestellte sind in
untergeordnete Positionen übernommen worden. Von den insgesamt 26 Mitarbeitern
der F 3-Ebene in den Niederlassungen der "T... AG" sind noch 8 Angestellte in gleicher
Position bei der Beigeladenen beschäftigt, eine Person ist ausgeschieden und die
restlichen 17 Angestellten haben im Unternehmen der Beigeladenen andere Funktionen
übertragen bekommen. Auf der F 3-Ebene der Niederlassungen der "T... AG" waren
ursprünglich 30 leitende Angestellte tätig. Davon sind zwei Mitarbeiter in dieser Position
weiterhin bei der Beigeladenen beschäftigt, 2 Angestellte sind ausgeschieden und 26
Angestellte sind in Unternehmen der Beigeladenen mit anderen Aufgaben betraut
worden.
(2) Parallel zu diesen personellen Maßnahmen hat die Beigeladene nach der
Verschmelzung Ende Juli 2002 die Unternehmensstruktur der früheren "T... AG"
verändert. Sie hat zum einen die in ihrem eigenen Unternehmen üblichen
Entscheidungsstrukturen und Entscheidungsbefugnisse eingeführt und zum anderen die
regionale Aufgliederung der "T... AG" neu geordnet. Überdies hat der Gesamtvorstand
der Beigeladenen nach der Verschmelzung der "T... AG" über die Prokuren und
Handlungsvollmachten aus dem Bereich der früheren "T... AG" neu befunden. Prokura
und Handlungsvollmacht ist nach der Verschmelzung der "T... AG" nur denjenigen
Personen erteilt worden, gegen die keinerlei Verdacht bestand, an den Machenschaften
des Herrn T... beteiligt gewesen zu sein oder von ihnen gewusst zu haben. Sofern sich
98
aufgrund der weiteren Ermittlungen im Einzelfall solche Verdachtsmomente nachträglich
ergeben haben, hat die Beigeladene die betreffende Prokura oder Handlungsvollmacht
unverzüglich widerrufen und sich durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages von
dem entsprechenden Mitarbeiter getrennt. In dieser Art und Weise ist in ein oder zwei
Fällen verfahren worden.
bb) Aufgrund der dargestellten Maßnahmen, welche die Beigeladene zur
"Selbstreinigung" der früheren "T... AG" unternommen hat, bestehen an der
Zuverlässigkeit der Beigeladenen keine begründeten Zweifel. Die Beigeladene hat sich
nach dem Bekanntwerden der Bestechungsvorwürfe gegen Herrn T... ernsthaft und
nachhaltig darum bemüht, die Vorgänge aufzuklären und die erforderlichen personellen
und organisatorischen Konsequenzen zu ziehen. Sie hat über ihre
Aufsichtsratsmitglieder eine Sonderprüfung der "T... AG" veranlasst, der
Ermittlungsbehörde den Sonderprüfungsbericht überlassen und sich ihrerseits um eine
Einsichtnahme in die Ermittlungsakte bemüht. Nach der (beschränkt gewährten)
Einsicht in die Ermittlungsakte ist die Beigeladene den sich daraus ergebenden
Verdachtsmomenten konsequent nachgegangen. Sie hat sich von allen Mitarbeitern
getrennt, die in dem Verdacht stehen, von den Machenschaften des Herrn T... gewusst
oder an ihnen mitgewirkt zu haben. Darüber hinaus haben zahlreiche leitende
Angestellte der "T... AG" das Unternehmen aus eigenem Entschluss verlassen. Im
Ergebnis hat sich die Beigeladene vom gesamten Vorstand sowie von einem großen
Teil der leitenden Angestellten der ehemaligen "T... AG" getrennt. Überdies sind nach
der Verschmelzung der "T... AG" auf die Beigeladene alle Prokuren und
Handlungsvollmachten aus dem Bereich der früheren "T... AG" überprüft worden.
Handlungsvollmacht und Prokura ist nur denjenigen Personen neu erteilt worden,
gegen die nach einer entsprechenden Überprüfung kein Verdacht der Mittäterschaft
oder Mitwisserschaft bestand. Schließlich hat die Beigeladene auch die Unternehmens-
und Entscheidungsstruktur der früheren "T... AG" verändert und ihrem eigenen Standard
angepasst.
99
In der Zusammenschau belegen diese vielfältigen Anstrengungen, dass die
Beigeladene die "Selbstreinigung" der früheren "T... AG" ernsthaft und konsequent
betrieben hat. Das berechtigt zu der Erwartung, dass die Beigeladene auch in Zukunft
etwaig auftretenden Verdachtsmomenten gegen Mitarbeiter der ehemaligen "T... AG"
nachgehen und bei Vorliegen eines hinreichenden Verdachts die gebotenen
personellen und/oder organisatorischen Maßnahmen ergreifen wird. Daraus leitet die
Antragsgegnerin mit Recht die Feststellung her, dass die Beigeladene die für eine
Auftragsvergabe erforderliche Zuverlässigkeit besitzt. Dabei ist ohnehin zu beachten,
dass die Zuverlässigkeitsprüfung nach § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A 2. Abschnitt die Frage
betrifft, ob die Beigeladene die für eine ordnungsgemäße Durchführung des
ausgeschriebenen Auftrags erforderliche Gewähr bietet, während es bezüglich der "T...
AG" um Vorwürfe im Zusammenhang mit der Auftragsvergabe - und nicht unmittelbar mit
der Vertragsdurchführung - geht.
100
cc) Die Antragstellerin zieht gleichwohl die Zuverlässigkeit der Beigeladenen in Zweifel.
Die dazu vorgebrachten Argumente sind nicht stichhaltig.
101
(1) In ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 6. März 2003 tritt die Antragstellerin
den Angaben des Zeugen Dr. B. zur Anzahl der F 2-Kräfte bei den Niederlassungen der
"T... AG", die weiterhin bei der Beigeladenen beschäftigt sind, entgegen. Sie behauptet,
in den früheren Niederlassungen der "T... AG" seien insgesamt 12 und nicht 10 leitende
102
Angestellte auf der F 2-Ebene tätig gewesen; davon beschäftige die Beigeladene in
ihren Regionalgesellschaften in gleicher Funktion 10 und nicht nur 3 Personen weiter.
Ob dieses Vorbringen der Antragstellerin zutrifft, bedarf keiner Klärung. Denn es fehlt
jedweder Anhaltspunkt für die Annahme - und wird auch von der Antragstellerin nicht
geltend gemacht -, dass die in Rede stehenden (namentlich benannten) "T...-Mitarbeiter"
an den Machenschaften des Herrn T... beteiligt waren oder zumindest von den
Vorgängen gewusst haben. Folglich kann aus der Weiterbeschäftigung dieser F 2-Kräfte
auch kein Argument gegen die Zuverlässigkeit der Beigeladenen abgeleitet werden.
(2) Die Antragstellerin verweist darüber hinaus auf Presseveröffentlichungen, die den
Verdacht äußern, dass nicht nur die Auftragsvergabe zum Bau der K.
Müllverbrennungsanlage, sondern auch die Zuschlagsentscheidung zum Verkauf von
Geschäftsanteilen der Abfallwirtschaftsbetriebe K. an die "T... AG" sowie weitere
Privatisierungsgeschäfte in B., M., im ... Kreis, in D., D., B., S. und E. durch
Schmiergeldzahlungen des Herrn T... beeinflusst worden sein könnten. Auch daraus
lassen sich keine durchgreifenden Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der
Beigeladenen ableiten.
103
Es entspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass der öffentliche Auftraggeber bei
der Eignungsprüfung nach § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A solche Umstände nicht
berücksichtigen darf, die sich außerhalb des Bereichs der gesicherten Erkenntnisse
bewegen. Erforderlich sind vielmehr solche Informationen, die sich aus
unterschiedlichen seriösen Quellen ergeben, so dass sich eine gewisse Erhärtung des
Verdachts einstellt (BGH, BauR 2000, 254). Ob die von der Antragstellerin vorgelegte
Presseberichterstattung einen in diesem Sinne hinreichend sicheren Verdacht für
weitere Korruptionsfälle des Herrn T... begründet, kann vorliegend auf sich beruhen.
Selbst wenn dies der Fall sein sollte, ist die Integrität und Zuverlässigkeit der
Beigeladenen nicht in Zweifel gezogen. Maßgebend dafür ist die Tatsache, dass die
Beigeladene durch die bislang betriebene "Selbstreinigung" ihre Absicht unter Beweis
gestellt hat, einem ihr bekannt werdenden hinlänglichen Verdacht nachzugehen und die
im Einzelfall gebotenen Maßnahmen personeller und/oder organisatorischer Art zu
treffen. Nichts spricht dafür, dass die Beigeladene zukünftig anders verfahren wird und
beim Bekanntwerden konkreter, stichhaltiger Verdachtsmomente nicht die erforderlichen
Maßnahmen im Unternehmen treffen wird.
104
Sofern - wie die Antragstellerin meint - die Beigeladene den Korruptionsverdachtsfällen
in B., M., im ... Kreis, in D., D., S., B. und E. bislang nicht im einzelnen nachgegangen
sein sollte, rechtfertigt sich daraus die Annahme der mangelnden Zuverlässigkeit nicht.
Der Zeuge Dr. B. hat bei seiner Vernehmung darauf hingewiesen, dass die Beigeladene
hinsichtlich der Bestechungsvorwürfe um den Bau der K. Müllverbrennungsanlage erst
durch Einsichtnahme in die betreffende Ermittlungsakte in die Lage versetzt worden sei,
den Sachverhalt hinreichend zuverlässig festzustellen, um mit dem begründeten
Vorwurf der Mittäterschaft oder Mitwisserschaft an konkrete leitende Mitarbeiter der "T...
AG" heranzutreten. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass die
Beigeladene - zumal sie bereits umfangreiche Maßnahmen zur "Selbstreinigung"
durchgeführt und sich in diesem Zusammenhang schon von einem großen Teil der
Führungsebene der früheren "T... AG" getrennt hat - bei den weiteren Fällen, in denen
der Verdacht der Korruption im Raum steht, in gleicher Weise verfährt und zunächst das
Vorliegen konkreter Verdachtsumstände - insbesondere das Ergebnis diesbezüglicher
staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen - abwartet, bevor sie personelle Konsequenzen
gegen einzelne Mitarbeiter zieht. Dass diese Vorgehensweise rechtlich nicht zu tadeln
105
ist und sie insbesondere nicht die Zuverlässigkeit eines Bieters im Vergabeverfahren in
Zweifel zieht, entspricht im übrigen der eigenen Einschätzung der Antragstellerin.
Unstreitig hat sie mit den Herren T., Dr. H., Dr. K. und M. leitende Angestellte der "T...
AG" oder deren Tochterunternehmen übernommen; jene Personen beschäftigt die
Antragstellerin nunmehr im eigenen Unternehmen oder in Konzernunternehmen.
Gleichwohl hat die Antragstellerin weder die Presseartikel noch die
Ermittlungsverfahren in jenen Fällen, die sie nunmehr der Beigeladenen vorhält, zum
Anlass genommen, eigene Untersuchungen über die Verstrickung der in ihrem Konzern
tätigen ehemaligen "T...-Mitarbeiter" T., Dr. H., Dr. K. und M. in die Korruptionsfälle des
Herrn T... anzustellen. Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin hat dazu im
Senatstermin überdies geltend gemacht, dass erst ein begründeter, konkreter Verdacht -
an dem es bislang fehle - Anlass zu derartigen Nachforschungen geben könne.
Dasselbe muss selbstverständlich auch für die Beigeladene gelten. Auch ihr kann es
nicht als Ausdruck mangelnder Zuverlässigkeit ausgelegt werden, wenn sie das
Ergebnis staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen abwartet und erst bei Vorliegen
fundierter, belastbarer Verdachtsumstände Maßnahmen gegen übernommene "T...-
Mitarbeiter" ergreift.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich zugleich, dass es für die Beurteilung der
Zuverlässigkeit der Beigeladenen nicht erforderlich ist, die Korruptionsfälle in B., K.,
dem .... Kreis, D., E., D. und B. und die Beteiligung von leitenden Mitarbeitern der "T...
AG" oder einer ihrer Tochtergesellschaften über den bisherigen Stand der
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen hinaus weiter aufzuklären, und dass infolge
dessen auch nicht den diesbezüglichen Beweisanträgen der Antragstellerin im nicht
nachgelassenen Schriftsatz vom 6. März 2003 stattzugeben ist. Ebensowenig ist es -
wie von der Antragstellerin beantragt - erforderlich, den Inhalt der Vereinbarungen
aufzuklären, die der Verschmelzung der "T... AG" auf die Beigeladene zugrunde liegen.
Der Senat braucht auch nicht - wie von der Antragstellerin im nicht nachgelassenen
Schriftsatz vom 7.4.2003 angeregt - durch Einsicht in die (den Beschuldigten erst vor
kurzem zugestellte) Anklageschrift der Staatsanwaltschaft K. abzuklären, ob
möglicherweise auch gegen solche früheren "T...-Mitarbeiter" Anklage erhoben worden
ist, die die Beigeladene auch heute noch in ihrem Unternehmen in leitender Funktion
beschäftigt. Selbst wenn die dahingehende Mutmaßung der Antragstellerin zutreffen
sollte, kann daraus nicht die Unzuverlässigkeit der Beigeladenen hergeleitet werden.
Aufgrund der umfangreich und konsequent durchgeführten Maßnahmen zur
"Selbstreinigung" der übernommenen "T... AG" hat die Beigeladene ihre hinreichende
Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt und Anlass zu der begründeten Erwartung
gegeben, dass sie auch zukünftig stichhaltigen Verdachtmomenten nachgehen und die
gebotenen personellen Konsequenzen ziehen wird. Dies gilt auch für den Fall, dass
gegen einen noch heute bei der Beigeladenen beschäftigten leitenden Angestellten der
früheren "T... AG" Anklage erhoben worden sein sollte. Nichts spricht dafür, dass die
Beigeladene entgegen ihren bisherigen Bemühungen zur "Selbstreinigung" einem
durch Anklageerhebung begründeten Verdacht einer Verstrickung in die
Machenschaften des Herrn T... nicht in der gebotenen Weise nachgehen wird.
106
(2) Die Antragstellerin zieht die Zuverlässigkeit der Beigeladenen des weiteren mit dem
Argument in Zweifel, jene sei weiterhin kapitalmäßig an Unternehmen des Herrn T...
beteiligt. Auch das ist nicht stichhaltig. Die bloße Kapitalbeteiligung an einigen T...-
Unternehmen lässt bei verständiger Betrachtung nicht im Ansatz den Schluss zu, die
Beigeladene billige oder befürworte gar die Machenschaften des Herrn T..., so dass
auch ihre (der Beigeladenen) Zuverlässigkeit und Redlichkeit in Zweifel zu ziehen sei.
107
Erst recht gibt die Kapitalbeteiligung der Beigeladenen keinerlei Anhaltspunkt für die
Annahme, Herr T... könne irgendeinen Einfluss auf das Unternehmen der Beigeladenen
ausüben.
(3) Die Antragstellerin stützt die Annahme mangelnder Zuverlässigkeit außerdem auf
den Vorwurf, die Beigeladene habe es schon seit längerem versäumt, im Aufsichtsrat
der "T... AG" die erforderliche Kontrolle auszuüben und dem bestehenden Verdacht auf
Korruption nachzugehen. Seit 1996 habe es Hinweise auf Schmiergeldzahlungen der
"T... AG" gegeben, über die auch in der Presse ausführlich berichtet worden sei.
Gleichwohl habe die Beigeladene nichts unternommen, um über ihre
Aufsichtsratsmitglieder den Sachverhalt zu klären und für Abhilfe zu sorgen.
108
Ob dieser Vorhalt in der Sache berechtigt ist und er die Zuverlässigkeit der
Beigeladenen in Frage stellt, kann dahin stehen. Der Antragstellerin kann sich nämlich
mangels einer rechtzeitigen Rüge schon aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht auf
diesen Gesichtspunkt berufen. Die Antragstellerin macht erstmals mit ihrem nicht
nachgelassenen Schriftsatz vom 6. März 2003 geltend, dass die Beigeladene ihr
Aufsichtsratsmandat in der "T... AG" unzureichend wahrgenommen und insoweit schon
lange vor dem Bekanntwerden des K. Müllskandals im Februar 2003 Anlass zu Zweifeln
an ihrer Zuverlässigkeit gegeben habe. Im gesamten Vergabeverfahren hat sich die
Antragstellerin demgegenüber auf diesbezügliche Zweifel an der hinreichenden
Zuverlässigkeit der Beigeladenen nicht berufen. Das schließt es gemäß § 107 Abs. 3
Satz 1 GWB für die Antragstellerin aus, nunmehr ihren Nachprüfungsantrag darauf zu
stützen.
109
(4) Die Antragstellerin behauptet des weiteren, die Beigeladene habe die
Antragsgegnerin und die Vergabekammer nicht wahrheitsgemäß über ihren
Kenntnisstand zur Beteiligung von leitenden Angestellten der "T... AG" an den
Machenschaften des Herrn T... unterrichtet. Auch dieser Einwand geht fehl.
110
(a) Die Antragstellerin macht geltend, die Beigeladene habe wider besseren Wissens in
Abrede gestellt, dass auch leitende Angestellte der "T... AG" an den
Bestechungsvorgängen mitgewirkt hätten. Der Tadel der unzutreffenden Information
gründet sich dabei im wesentlichen auf die Annahme, die Beigeladene habe bereits
aufgrund des Sonderprüfungsberichts vom 12. April 2002 über stichhaltige
Anhaltspunkte verfügt, dass auch leitende Mitarbeiter der "T... AG" an den
Machenschaften des Herrn T... beteiligt waren. Das trifft indes nicht zu. Der
Sonderprüfungsbericht beschränkt sich auf die Darstellung von Zahlungsströmen und
vereinzelten Vertragsbeziehungen, die möglicherweise in einem Zusammenhang mit
den Korruptionsvorfällen stehen können. Er enthält weder eine Auswertung oder
rechtliche Bewertung der aufgeführten Daten noch beinhaltet er irgendwelche konkreten
Feststellungen, die es bei einem verantwortlichen Verhalten gestatten konnten, der
Antragsgegnerin gegenüber die Beteiligung oder Mitwisserschaft dritter Personen an
den Korruptionsvorgängen des Herrn T... zu behaupten. Diesbezügliche greifbare
Anhaltspunkte gegen einzelne Mitarbeiter aus der Führungsebene der "T... AG" und
deren Tochtergesellschaften haben sich für die Beigeladene erstmals im September
2002 aus den ihr auszugsweise zur Einsicht überlassenen Ermittlungsakten der
Staatsanwaltschaft K., namentlich aus den Protokollen über die Vernehmung des Herrn
T..., ergeben. Das hat der Zeuge Dr. B. nachvollziehbar bekundet. Er hat ausgesagt, erst
durch die entsprechenden Angaben des Herrn T... habe sich ein konkreter Verdacht
ergeben, welche Personen an den Schmiergeldzahlungen mitgewirkt oder von ihnen
111
zumindest gewusst haben. Vor diesem Hintergrund sind sämtliche von der
Antragstellerin zitierten Äußerungen der Beigeladenen aus der Zeit bis September 2002
schon aus diesem Grund untauglich, um den Vorwurf der Fehlinformation zu
rechtfertigen.
Zwar mag es - wie auch der Zeuge Dr. B. bei seiner Vernehmung eingeräumt hat - nach
der allgemeinen Lebenserfahrung nahegelegen haben, dass Herr T... die
Schmiergeldzahlungen nicht ohne Wissen leitender Angestellter abwickeln konnte.
Alleine daraus ergab sich für die Beigeladene indes nicht die Verpflichtung, der
Antragsgegnerin die Beteiligung dritter Personen einzugestehen. Es handelte sich
insoweit um einen bloß ungesicherten, vagen Verdacht, der nach den dargestellten
Grundsätzen der höchstrichterlichen Judikatur bei der Eignungsprüfung nicht zum
Nachteil des betreffenden Bieters berücksichtigt werden darf und der
konsequenterweise vom Bieter auch nicht der Vergabestelle offenbart werden muss.
112
(b) Die Antragstellerin meint überdies, die Beigeladene habe auch nach September
2002 durch ihren schriftsätzlichen Sachvortrag im vorliegenden Verfahren und in dem -
beim Senat anhängigen weiteren - Verfahren Verg 43/02 sowie durch Äußerungen
gegenüber den betreffenden Vergabestellen das Ausmaß der im Raum stehenden
Vorwürfe gegen Herrn T... und die Beteiligung von leitenden Angestellten der "T... AG"
an diesen Vorgängen verharmlost.
113
Auch dies verhilft dem Nachprüfungsantrag nicht zum Erfolg. Selbst wenn die
Erklärungen der Beigeladenen in dem einen oder anderen geltend gemachten Punkt
verharmlosend formuliert gewesen sind, lassen sich daraus keine durchgreifenden
Bedenken herleiten, dass die Beigeladene nicht die Gewähr für eine vertragsgerechte
Leistungserbringung bieten könnte. Der Senat ist aufgrund der Aussage des Zeugen
Dr. B. davon überzeugt, dass die Beigeladene die "Selbstreinigung" der früheren "T...
AG" ernsthaft und nachhaltig betreibt und sie willens ist, stichhaltigen
Verdachtsmomenten für eine Beteiligung früherer T...-Mitarbeiter an den
Korruptionsvorgängen nachzugehen sowie die im Einzelfall gebotenen Maßnahmen zu
treffen. Diese positive Beurteilung der Beigeladenen wird durch die in Rede stehenden
verharmlosenden Äußerungen der Beigeladenen nicht nachhaltig und ernsthaft in Frage
gestellt.
114
c) Der Senat kann aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen die Zuverlässigkeit
der Beigeladenen selbst feststellen. Einer "Rückgabe" des Vergabeverfahrens an die
Antragsgegnerin, damit diese die Zuverlässigkeit der Beigeladenen auf der Grundlage
des aktuellen Sachstands neu prüft, bedarf es ausnahmsweise nicht.
115
Allerdings steht der Vergabestelle bei der Prüfung der Zuverlässigkeit eines Bieters ein
Beurteilungsspielraum zu, so dass die (Prognose-)Entscheidung von den
Vergabenachprüfungsinstanzen nur in engen Grenzen überprüft werden kann und von
ihnen grundsätzlich auch nicht selbst getroffen werden kann. Etwas anders gilt aber
dann, wenn die Zuverlässigkeitsprüfung aufgrund einer Änderung oder Fortentwicklung
der Sachlage während des Nachprüfungsverfahrens erneut vorgenommen muss, und
wenn außerdem feststeht, wie die an sich von der Vergabestelle zu treffenden
Entscheidung ausgefallen wäre. Um ein unnötiges Hin und Her zu vermeiden, können
bei einer solchen Konstellation die Nachprüfungsinstanzen die Entscheidung der
Vergabestelle ersetzen (vgl. Senat, VergabeR 2001, 419, 423). So liegt der Fall auch
hier. Die Antragsgegnerin hat die Zuverlässigkeit der Beigeladenen letztmalig am
116
12. September 2002 geprüft. Seither hat sich der relevante Sachverhalt wesentlich
weiterentwickelt. Die Beigeladene hat insbesondere am 19. September 2002 Einsicht in
das Protokoll über die Vernehmung des Herrn T... erhalten und sich aufgrund der dort
gewonnen Erkenntnisse von zahlreichen leitenden Angestellten der "T... AG" getrennt.
Außerdem hat der Zeuge Dr. B. in seiner Vernehmung vor dem Senat die vielfältigen
Maßnahmen der Beigeladenen zur "Selbstreinigung" geschildert. Schon dieser neue
Sach- und Erkenntnisstand macht es erforderlich, die Zuverlässigkeit der Beigeladenen
neu zu beurteilen. Das Resultat einer solchen Neubeurteilung durch die
Antragsgegnerin steht dabei zweifelsfrei fest. Die Antragsgegnerin hat im
Verhandlungstermin des Senats erklärt, dass sie nach dem Ergebnis der durchgeführten
Beweisaufnahme die Zuverlässigkeit der Beigeladenen uneingeschränkt bejahe und an
ihrer dahingehenden ursprünglichen Einschätzung unverändert festhalte. Bei dieser
Sachlage wäre es eine unnötige Förmelei, das Vergabeverfahren teilweise aufzuheben
und die Antragsgegnerin zu einer Wiederholung der Zuverlässigkeitsprüfung der
Beigeladenen zu verpflichten. Vielmehr kann der Senat das als sicher vorauszusehende
Ergebnis einer erneuten Zuverlässigkeitsprüfung der Antragsgegnerin ersetzen und es
im Rahmen der ihm zustehenden Prüfungskompetenzen als vergaberechtskonform
billigen.
Auf die - von der Antragstellerin problematisierte - Frage, ob die ursprüngliche
Zuverlässigkeitsprüfung der Antragsgegnerin fehlerfrei durchgeführt worden ist,
insbesondere die Antragsgegnerin von einem vollständigen und ausreichend ermittelten
Sachverhalt ausgegangen ist, die Begründung rechtlich plausibel ist sowie alle rechtlich
relevanten Umstände in die Beurteilung eingeflossen sind, kommt es unter diesen
Umständen streitentscheidend nicht (mehr) an.
117
II.
118
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 128 Abs. 3 Satz 1,
Abs. 4 Satz 1 und 2 GWB, § 162 Abs. 3 VwGO.
119
III.
120
Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf § 12 a Abs. 2 GKG. Der Wert des
Beschwerdewertes entspricht 5 % der streitbefangenen Nettoauftragssumme der
Antragstellerin. Bei der Berechnung der Auftragssumme hat der Senat die im Angebot
der Antragstellerin enthaltenen Angaben zum Wert der einzelnen Leistungen
(Kaufpreisangebot, Entsorgungskapazitäten, Sanierungskonzept ZDH, Auslastung der
MVA D., sonstige Beiträge) zugrunde gelegt.
121
J. K. W.
122