Urteil des OLG Dresden vom 02.04.2017

OLG Dresden: weisung, rechtliches gehör, behandlung, rechtswidrigkeit, bestimmtheitsgebot, einwilligung, ambulanz, unterlassen, alkohol, nötigung

Leitsätze:
1.) Die zur Ausgestaltung der Führungsaufsicht erteilten Weisungen nach §
68 b Abs. 1 StGB sind wegen der Strafbestimmung des § 145 a StGB genau
zu bestimmen. Erst die genaue Bestimmung des verbotenen oder verlangten
Verhaltens gibt dieser Strafnorm, für die die Weisungen die Funktion
einer Blankettausfüllung haben, die hinreichenden Konturen und gewähr-
leisten ihre Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG. Die Verletzung des
Bestimmtheitsgrundsatzes begründet die Rechtswidrigkeit einer Weisung.
2.) Die Amtsaufklärungspflicht der Strafvollstreckungskammer verlangt die
Feststellung konkreter Anknüpfungstatsachen zur sachgemäßen Ausgestal-
tung der Führungsaufsicht. Bei ihrer Entscheidungsfindung hat die Kam-
mer im Rahmen ihrer pflichtgemäßen Ermessensausübung eine strenge Prü-
fung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmen.
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Oberlandesgericht
Dresden
2. Strafsenat
Aktenzeichen: 2 Ws 423/07
2 StVK 216/06 LG Zwickau - StVK Plauen
1 VRs 642 Js 15602/02 StA Zwickau
32 G Ws 576/07 GenStA Dresden
Beschluss
vom 06. September 2007
in der Führungsaufsichtssache gegen
wegen sexueller Nötigung u. a.
hier: nachträgliche Ausgestaltung der Führungsaufsicht
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1. Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der
Beschluss
der
Auswärtigen
Strafvollstrek-
kungskammer des Landgerichts Zwickau mit dem
Sitz in Plauen vom 26. Juli 2007 aufgehoben.
2. Die Sache wird zur erneuten Durchführung des
Verfahrens und Entscheidung unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Senats, auch über
die Kosten dieser Beschwerde, an die Straf-
vollstreckungskammer zurückverwiesen.
G r ü n d e :
I.
Mit Beschluss vom 09. März 2007 hatte die Strafvollstre-
ckungskammer festgestellt, dass bei dem Beschwerdeführer
nach
Vollverbüßung
einer
Gesamtfreiheitsstrafe
von
drei Jahren kraft Gesetzes Führungsaufsicht eintritt, weil
eine der zugrundeliegenden Einzelfreiheitsstrafen mehr als
ein Jahr betrug und wegen einer vorsätzlichen Sexualstraf-
tat verhängt worden war. Zugleich hat die Strafvollstre-
ckungskammer die Führungsaufsicht inhaltlich ausgestaltet;
die Entscheidung ist seit dem 27. März 2007 rechtskräftig.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 26. Juli 2007
hat die Strafvollstreckungskammer nachträglich die Weisun-
gen im Rahmen der Führungsaufsicht erweitert. Sie hat dem
Beschwerdeführer verboten, alkoholische Getränke oder ande-
re berauschende Mittel zu sich zu nehmen und ihn angewie-
sen, sich auf Aufforderung seiner Bewährungshelferin "auf
eigene Kosten Suchtmittelkontrollen zu unterziehen" und ihr
das Ergebnis mitzuteilen. Darüber hinaus soll sich der Be-
schwerdeführer mindestens zweimal monatlich in "die Behand-
lung einer Beratungs- oder Behandlungsstelle für suchtkran-
ke Menschen" begeben und "sofern die Behandlungsstelle eine
Langzeittherapie für erforderlich hält, diese aufnehmen"
und solange beizubehalten, "wie dies aus der Sicht der The-
rapeuten erforderlich" ist.
Mit seinem aufgrund fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung als
"sofortige Beschwerde" bezeichneten Rechtsmittel wendet
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sich der Betroffene gegen die seiner Ansicht nach bestehen-
de Unangemessenheit der Weisungen. Er könne angesichts ei-
nes monatlichen Einkommens in Höhe von nur 345,00 EUR
(ALG II) und Verpflichtungen von über 80,00 EUR pro Monat
nicht auf eigene Kosten Suchtmittelkontrollen durchführen
lassen. Im Übrigen strebe er bereits eine Langzeittherapie
an und gehe zur Suchtberatung.
II.
Die (einfache) Beschwerde des Verurteilten ist zulässig.
1. Das Rechtsmittel ist entgegen der fehlerhaften Belehrung
der
Strafvollstreckungskammer
nicht
fristgebunden,
§§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 1 StPO. Soweit die Straf-
vollstreckungskammer vorliegend eine Abhilfeentscheidung
unterlassen hat, steht dies der sofortigen Entscheidung
des Senats über die Beschwerde nicht entgegen, da die
Abhilfeentscheidung keine Verfahrensvoraussetzung dar-
stellt und der Senat an einer Entscheidung auch nicht
aus tatsächlichen Gründen gehindert ist (Meyer-Goßner
StPO 50. Aufl. § 306 Rdnr. 10).
Nach § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO kann das Rechtsmittel nur
darauf gestützt werden, dass eine Anordnung gesetzeswid-
rig sei. Daher bestimmt die Vorschrift ein nur einge-
schränktes Nachprüfungsrecht des Beschwerdegerichts. Auf
den Vortrag des Beschwerdeführers kommt es nicht an.
Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass Beschwer-
den gegen Gerichtsbeschlüsse gar keines Begründungsvor-
trags für ihre Zulässigkeit bedürfen.
Von Amts wegen ist die Gesetzmäßigkeit der Weisungen zu
prüfen. Dabei liegt die Rechtswidrigkeit einer Anordnung
vor, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, sie unverhält-
nismäßig oder unzumutbar ist, oder wenn sie sonst die
Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten
Ermessens
überschreitet
(vgl.
Fischer
in
KK-StPO
5
5. Aufl. § 453 Rdnr. 13; Meyer-Goßner § 453 Rdnr. 12;
Pfeiffer StPO 4. Aufl. § 453 Rdnr. 5, jeweils m.w.N.).
Ansonsten verbleibt es bei dem Grundsatz, die mit Füh-
rungsaufsichtsanordnungen verbundenen Ermessensentschei-
dungen der ersten Instanz zu überlassen (vgl. OLG Stutt-
gart NStZ 2000, 500 m.w.N., dort zu Bewährungsanordnun-
gen).
2. Gemessen hieran hat die Nachtragsentscheidung der Straf-
vollstreckungskammer vom 26. Juli 2007 keinen Bestand.
a) Mit der seit dem 18. April 2007 geltenden Neufassung
des (nach wie vor abschließenden, weil strafbewehrt -
§ 145 a StGB) Katalogs zulässiger Weisungen in § 68 b
Abs. 1 Satz 1 StGB hat der Gesetzgeber in Nummer 10
der Vorschrift zusätzlich die Möglichkeit eröffnet,
einem Betroffenen die Weisung aufzuerlegen, "keine
alkoholischen Getränke oder andere berauschende Mit-
tel zu sich zu nehmen,
, und sich Alkohol- oder Suchtmittel-
kontrollen zu unterziehen,
."
Ungeachtet dessen, dass , die die
Vermutung weiterer Delinquenz rechtfertigen müssen,
von der Strafvollstreckungskammer im Rahmen ihrer
Amtsaufklärung positiv festzustellen sind, ist die in
§ 68 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB vorgesehene Weisung
gesetzlich auf solche Kontrollen beschränkt, die
nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind.
Weitergehende Anordnungen sind dagegen ausdrücklich
an die Einwilligung des Betroffenen geknüpft.
Diese gesetzliche Schranke hat die Strafvollstre-
ckungskammer nicht beachtet; ihre Anordnung ist zu
weitgehend. Allerdings kann sie der Senat nicht auf
das gesetzlich zulässige Maß reduzieren, weil dem an-
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gefochtenen Beschluss schon dem Grunde nach eine
nachvollziehbar dargelegte Ausübung eines Ermessens
nicht zu entnehmen ist.
Die Strafvollstreckungskammer hat es zudem unter-
lassen, "" Tatsachen für die berechtigte An-
nahme (nicht: bloße Mutmaßung) eines künftigen Delin-
quenzrückfalls festzustellen und auf dieser Grundlage
ihre Ermessensabwägung im angefochtenen Beschluss
darzustellen. Allein ihre Begründung, die "Suchtprob-
lematik
des
Verurteilten"
sei
"wieder
aktuell",
reicht nicht aus. (Die "Aktualität" der "Suchtproble-
matik" erschließt sich im Übrigen auch nicht aus dem
vorgelegten Führungsaufsichtsheft. Dem Vermerk des
Sachbearbeiters bei der Führungsaufsichtsstelle vom
25. Mai 2007 ist lediglich zu entnehmen, dass der
Verurteilte von "zahlreichen Alkohol- bzw. Drogen-
rückfällen " berichtet hätte.)
Immerhin scheint der Entschluss des Beschwerdefüh-
rers, sich selbständig einer Langzeittherapie zur Be-
kämpfung seiner Alkoholabhängigkeit zu unterziehen,
nicht unglaubhaft. Im Rahmen der Amtsaufklärungs-
pflicht hätte die Strafvollstreckungskammer im Vor-
feld ihrer Entscheidung sowohl die Führungsaufsichts-
stelle als auch die zuständige Bewährungshelferin an-
hören müssen; zumindest letzteres ist unterblieben.
Auch scheint es im Hinblick auf den erheblichen (bei
Verstoß immerhin strafbewehrten!) Grundrechtseingriff
ungenügend, dem Betroffenen rechtliches Gehör ledig-
lich im Wege seiner schriftlichen Anhörung, ohne Ver-
schaffung eines persönlichen Eindrucks von ihm, zu
gewähren.
b) Auch die weitere Ergänzung der Ausgestaltung der Füh-
rungsaufsicht ist rechtswidrig. Die Weisung verstößt
gegen das Bestimmtheitsgebot.
§ 68 b Abs. 1 Satz 2 StGB verpflichtet das Gericht
zur genauen Bestimmung des verbotenen oder verlangten
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Verhaltens. Dies hat im Hinblick auf § 145 a StGB be-
sondere Bedeutung, weil - nur - der Verstoß gegen
Weisungen des Maßnahmenkatalogs des § 68 b Abs. 1
Satz 1 StGB strafbewehrt sind. Erst die genaue Be-
stimmung gibt diesem Tatbestand, für den die Weisun-
gen die Funktion einer Blankettausfüllung haben, die
Konturen und gewährleisten die Übereinstimmung mit
Art. 103 Abs. 2 GG.
Soweit dem Beschwerdeführer aufgegeben wurde, sich
"mindestens zweimal monatlich in die Behandlung einer
Beratungs- oder Behandlungsstelle für suchtkranke
Menschen zu begegeben", ist nicht erkennbar, ob das
Gericht damit die Verpflichtung zur Vorstellung bei
einem Arzt oder einem Psychotherapeuten oder einer
forensischen
Ambulanz
nach
§ 68 b
Abs. 1
Satz 1
Nr. 11 StGB verhängen (wofür die Erwähnung dieser
Vorschrift spricht), oder aber nach § 68 b Abs. 2
Satz 1 StGB dem Verurteilten Vorgaben zu seiner Le-
bensführung machen wollte. Sofern die Strafvollstre-
ckungskammer eine strafbewehrte Weisung im Sinne des
§ 68 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StGB erteilen wollte,
hätte sie nicht beachtet, dass die Vorstellungsver-
pflichtung nur zu Zeiten oder in
Abständen und nur bei einem (jeweils zu bestim-
menden) , einem oder einer
zulässig ist. Sowohl die zeitli-
che Anordnung "mindestens zweimal monatlich" als auch
die allgemein gehaltene Formulierung "Behandlung in
einer Beratungs- oder Behandlungseinrichtung" genügt
dem Bestimmtheitsgebot nicht.
Darüberhinaus eröffnet die Weisung nach § 68 b Abs. 1
Satz 1 Nr. 11 StGB nur die Anordnung einer
pflicht,
nicht
dagegen
einer
Behand-
lungspflicht. Der Betroffene soll nur "in das Behand-
lungszimmer gezwungen" werden (vgl. Begründung zum
Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 28. Juni 2006,
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BT-Drucks. 16/1993 S. 19). Eine Therapieweisung ist
damit nicht verbunden.
Eine solche Anordnung, die, sofern sie nicht mit ei-
nem körperlichen Eingriff verbunden ist, nach § 68 b
Abs. 2 StGB ohne Einwilligung des Betroffenen grund-
sätzlich möglich ist, stellt einen erheblichen Ein-
griff in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1
GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht dar.
Wenngleich eine solche Weisung damit nicht in den
strafbewehrten Katalog des § 68 b Abs. 1 StGB fällt,
ist hierbei gleichwohl der verfassungsrechtlich ver-
ankerte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz streng zu prü-
fen.
Auch kann die Entscheidung darüber, ob eine (die The-
rapiewilligkeit voraussetzende) Therapie fortzudauern
hat, nicht dem Ermessen eines Therapeuten überlassen
bleiben. Diese aus Rechtsgründen zu beanstandende
Formulierung der Weisung bedeutet in der Sache, dass
Entscheidungsbefugnisse auf einen (vom Gericht noch
nicht einmal bestimmten) Therapeuten übertragen wer-
den.
Der angefochtene Beschluss kann wegen der aufgezeigten Feh-
ler keinen Bestand haben. Die Sache war an die Strafvoll-
streckungskammer zurückzuverweisen, die erneut zu prüfen
haben wird, ob sie dem Verurteilten eine konkretisierte
gleichartige Weisung oder eine andere Weisung erteilt bzw.
von der Auferlegung einer Weisung absieht. Hierbei wird sie
auch das Vorbringen des Beschwerdeführers unter Verhältnis-
mäßigkeitsgesichtspunkten zu berücksichtigen haben.
Drath
Schüddekopf
Gorial