Urteil des OLG Dresden vom 02.04.2017

OLG Dresden: arbeitslosenhilfe, erlöschen des anspruchs, sozialhilfe, subsidiarität, nettoeinkommen, rücknahme, volljähriger, hauptsache, ratenzahlung, bedürftigkeit

Oberlandesgericht Dresden
Dresden, den 15. Februar
22. Zivilsenat - Familiensenat -
Der Vorsitzende
22 UF 562/01
Leitsätze
1.
Endet das Rechtsmittelverfahren durch frühzeitige Rücknahme
der Berufung gegen den Scheidungsausspruch, kommt wegen
geringen Umfangs bei der Streitwertbemessung nach § 12 Abs.
2 Satz 1 GKG ein Abschlag von dem dreifachen monatlichen
Nettoeinkommen (§ 12 Abs. 2 Satz 2 GKG) in Betracht. Erfolgt
die Rücknahme nach Terminsbestimmung aber geraume Zeit vor
dem vorgesehenen Termin, kann ein Abzug von 20% angemessen
sein.
2.
Anders als Sozialhilfe gehört Arbeitslosenhilfe zum
Einkommen i.S. des § 12 Abs. 2 Satz 2 GKG.
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: 22 UF 0562/01
30 F 1383/96 AG Leipzig
Beschluss
des 22. Zivilsenats - Familiensenat -
vom 13. Februar 2002
In der Familiensache
S
xxxxxxxxx xxxxxx xx,
xxxxx xxxxxxx
Antragsteller und Berufungsgegner
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin xxxxxxxx xxxxxxxxx,
xxxx-xxxxxx-xxxxxx xx,
xxxxx xxxxxxx
gegen
P
xxxxx xxxxxx xxx,
xxxxx xxxxxxx
Antragsgegnerin und Berufungsführerin
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte xxxxxx x xxxxx,
xxxxxxxxxxxx xxxxxx xx,
xxxxx xxxxxxx
wegen Ehescheidung
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hat der 22. Zivilsenat - Familiensenat - des
Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx,
Richterin am Oberlandesgericht xxxxxxxxxxx und
Richter am Landgericht xxxxxxxxx
beschlossen:
1.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des
Berufungsverfahrens.
2.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf
5.105,00 DM festgesetzt.
3.
Dem Antragsteller wird für die Rechtsverteidigung gegen
die Berufung rückwirkend ab 30.11.2001 Prozesskostenhilfe
bewilligt.
Ihm wird Rechtsanwältin xxxxxxxxx, xxxxxxx, beigeordnet.
1.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens
zu tragen, da sie ihr Rechtsmittel zurückgenommen hat
(§§ 515 Abs. 3 ZPO, 26 Nr. 5 EGZPO).
2.
Die Bemessung des Streitwertes des Berufungsverfahrens
beruht auf §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 2 Satz 1 und 2 GKG,
und zwar in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung. Die
grundsätzlich ab Beginn des Jahres 2002 geltenden Änderungen
durch das Gesetz zur Umstellung des Kostenrechts und der
Steuerberatergebührenverordnung auf EURO vom 27.04.2001
(BGBl. I, S. 751 ff.) sind vorliegend nicht zu
berücksichtigen, da die Berufung im Jahr 2001 eingelegt
worden ist (§ 73 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GKG). Der Streitwert
ist deshalb nicht in EURO, sondern in Deutsche Mark
auszudrücken.
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2.1.
Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG ist der Wert der Ehesache unter
Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere
des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens-
und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu
bestimmen. Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 GKG ist für die
Einkommensverhältnisse das in drei Monaten erzielte
Nettoeinkommen beider Eheleute einzusetzen, wobei nach § 15
GKG für die Wertberechnung der Zeitpunkt der die Instanz
einleitenden Antragstellung maßgebend ist - hier also
September 2001.
2.2.
Die Antragsgegnerin erhält eine Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 1.340,43 DM. Der
Antragsteller bezieht seit Februar 2001 Arbeitslosenhilfe in
Höhe von (25,86 DM x 365 Tage : 12 Monate =) 786,57 DM
monatlich. Arbeitslosenhilfe ist im Rahmen der
Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen. Sie dient der
Bedarfsdeckung und ist als Einkommen zu bewerten (vgl. OLG
Düsseldorf, FamRZ 1994, 250; Zöller-Herget, ZPO, 22. Aufl.,
§ 3, Rdnr. 16, Stichwort: Ehesachen; Hartmann,
Kostengesetze, 31. Aufl., § 12 GKG, Rdnr. 37). Der hiervon
abweichenden Auffassung, nach der Arbeitslosenhilfe - in
gleicher Weise wie Sozialhilfe - nicht zum Einkommen i.S.
des § 12 Abs. 2 GKG zähle (so OLG Celle, FamRZ 2000, 1520;
OLG Karlsruhe, FamRZ 1998, 572; OLG Bremen, JurBüro 1992,
113), kann nicht gefolgt werden.
Zwar gilt sowohl für die Sozialhilfe als auch für die
Arbeislosenhilfe der Grundsatz der Subsidiarität. Danach
besteht ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nur dann, wenn
der Erwerbslose bedürftig ist (§ 190 Abs. 1 SGB III), er
also seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch
Arbeitslosenhilfe bestreiten kann und das zu
berücksichtigende Einkommen die Arbeitslosenhilfe nicht
erreicht (§ 193 Abs. 1 SGB III). Die §§ 190 ff. SGB III
enthalten jedoch von den Vorschriften des
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Bundessozialhilfegesetzes abweichende und eigenständige
Regelungen zu den Voraussetzungen des Bezuges und der Höhe
der Arbeitslosenhilfe, zu dem Erlöschen des Anspruchs sowie
zum Übergang von Ansprüchen des Arbeitslosen. Weiter ist
Sozialhilfe nachrangig gegenüber Arbeitslosenhilfe (§ 2
Abs. 1 BSHG). Vor allem aber soll die Arbeitslosenhilfe
nicht nur die Bedürftigkeit des Arbeitslosen mindern oder
beseitigen, sondern ihm auch einen (teilweisen) Ausgleich
für entgangenen Arbeitsverdienst verschaffen. Das zeigt sich
deutlich darin, dass sie sich in ihrem Umfang an der Höhe
des gewöhnlich erzielten Arbeitsentgeltes ausrichtet
(§§ 132, 200 SGB III). Sie muss weder bedarfsdeckend sein,
noch findet sie nach oben hin in der Bedarfsdeckung ihre
Grenze. Der Arbeitslosenhilfe kommt daher anders als der
Sozialhilfe (auch) eine Lohnersatzfunktion zu (vgl. BGH, NJW
1984, 1811, 1812). Zudem gilt der Grundsatz der
Subsidiarität für die Arbeitslosenhilfe nicht
uneingeschränkt. So entfällt etwa für Unterhaltsansprüche,
die ein volljähriger Arbeitsloser gegen Verwandte hat, die
Subsidiarität nach § 194 Nr. 11 SGB III (vgl. auch BSG,
FamRZ 1992, 932). Anders als nach § 91 Abs. 1 BSHG setzt die
Überleitung von Ansprüchen des Arbeitslosen gegen den
Unterhaltspflichtigen auf den Bund gemäß § 203 Abs. 1 Satz 2
SGB III eine unverzügliche Anzeige des Arbeitsamtes an den
Leistungspflichtigen über die Gewährung von
Arbeitslosenhilfe voraus. Geschieht dies nicht, erwächst für
denjenigen, der dem Arbeitslosen unterhaltspflichtig ist,
keine Erstattungspflicht und entfällt gleichfalls die
Subsidiarität. In diesem Fall könnte der Berechtigte, dem
die Leistungen der Arbeitslosenhilfe verblieben, auch im
Rahmen des Unterhaltsrechtes nicht geltend machen, diese
seien nicht als Einkommen anzusehen (vgl. BGH, FamRZ 1996,
1067, 1070). Die hiernach bestehenden erheblichen
Unterschiede rechtfertigen es daher nicht, Arbeitslosenhilfe
ebenso wie Sozialhilfe nicht als "erzieltes Nettoeinkommen"
i.S. des § 12 Abs. 2 Satz 2 GKG zu behandeln.
Für die Streitwertfestsetzung ist demgemäß von einem
Monatseinkommen beider Eheleute in Höhe von (1.340,43 DM +
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786,57 DM =) 2.127,00 DM auszugehen. Der gemäß § 12 Abs. 2
Satz 2 GKG zugrunde zu legende dreifache Wert beträgt somit
(2.127,00 DM x 3 =) 6.381,00 DM.
2.3.
Da sich nach § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG auch Umfang und
Bedeutung der Sache auf die Streitwertbemessung auswirken,
ist weiter zu berücksichtigen, dass das Verfahren zweiter
Instanz aufgrund der frühzeitigen Rechtsmittelrücknahme von
geringem Umfang war. In Anbetracht dessen, dass aber bereits
Termin bestimmt war, erscheint es angemessen, von dem
ermittelten Wert in Höhe von 6.381,00 DM (nur) 20 % (=
1.267,20 DM) in Abzug zu bringen (vgl. nicht
veröffentlichter Beschluss des Senats vom 11.09.2001, Az.
22 UF 541/00), so dass der Streitwert mit rund 5.105,00 DM
zu bemessen ist. Weitere gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG zu
berücksichtigende Kriterien sind nicht vorhanden.
2.4.
Eine Streitwerterhöhung gemäß § 17 a Nr. 1 GKG im Hinblick
auf das Verfahren über den Versorgungsausgleich ist nicht
vorzunehmen. Denn das Familiengericht hat das Verfahren über
den Versorgungsausgleich ausgesetzt. Demgemäß hat die
Antragsgegnerin mit ihrer Berufung allein den
Scheidungsausspruch angefochten.
3.
Dem Antragsteller ist rückwirkend ab Antragstellung
Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren zu bewilligen.
3.1.
Dem steht nicht entgegen, dass das Verfahren in der
Hauptsache aufgrund der Berufungsrücknahme bereits
abgeschlossen ist. Es ist in Rechtsprechung und Literatur
allgemein anerkannt, dass die Prozesskostenhilfe rückwirkend
und auch noch nach Abschluss des Verfahrens bewilligt werden
kann, wenn der Bewilligungsantrag mit den erforderlichen
Unterlagen während des Verfahrens gestellt, aber nicht
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verbeschieden worden ist (vgl. BGH, NJW 1982, 446; OLG
Frankfurt, NJW-RR 1995, 703; Zöller-Philippi, a.a.O., § 117,
Rdnr. 2 c).
3.2.
Nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen ist dem
Antragsteller Prozesskostenhilfe ohne Anordnung einer
Ratenzahlung zu gewähren. Auf die Erfolgsaussichten seiner
Rechtsverteidigung gegenüber der (zwischenzeitlich
zurückgenommenen) Berufung der Antragsgegnerin kommt es nach
§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht an.
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