Urteil des OLG Dresden vom 02.04.2017

OLG Dresden: gebühr, rücknahme, erlass, vorverfahren, verwahrung, anfang, betrug, obsiegen, einzelrichter, abgabe

Leitsatz:
§§ 92 Abs. 1, Abs. 2, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO
Gelangt bei Rücknahme des Mahnantrages im Übrigen nur ein
Teil der im Mahnbescheid bezeichneten Forderung in das
streitige Verfahren, so muss bei der die Kosten des Mahnver-
fahrens
einschließenden
Kostenentscheidung
berücksichtigt
werden, dass für den im Mahnverfahren erledigten Teil regel-
mäßig geringere Kosten entstanden sind als für den Teil des
Streitgegenstandes, über den im streitigen Verfahren ent-
schieden worden ist. Dazu sind die durch den höheren Streit-
wert des Mahnverfahrens bedingten Mehrkosten zu errechnen
und in die Kostenquote einzubeziehen. Eine entsprechende An-
wendung von § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO scheidet aus, wenn der zu-
rückgenommene Teil nicht verhältnismäßig geringfügig ist.
Oberlandesgericht Dresden
Beschluss vom 10.08.2005 - 8 W 831/05
2
Oberlandesgericht
Dresden
Aktenzeichen: 8 W 0831/05
2 O 316/05 LG Zwickau
Beschluss
des 8. Zivilsenats
vom 10.08.2005
In dem Rechtsstreit
K
vertreten durch den Vorstand,
,
Klägerin und Beschwerdegegnerin
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
,
,
gegen
,
,
Beklagter und Beschwerdeführer
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
,
,
wegen Darlehensforderung
hier: Kostenentscheidung
3
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne
mündliche Verhandlung durch
Richter am Oberlandesgericht Bokern
als Einzelrichter
beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagen wird der Be-
schluss der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Land-
gerichts Zwickau vom 15.06.2005 unter Zurückweisung des
Rechtsmittels im Übrigen abgeändert.
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der gesamten
Kosten des Mahnverfahrens trägt die Klägerin zu 1/10, der
Beklagte zu 9/10.
2. Die Kosten beider Beschwerdeverfahren trägt die Klägerin
zu 1/5, der Beklagte zu 4/5.
3. Der Streitwert beider Beschwerdeverfahren wird auf bis zu
4.000,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Klägerin erwirkte gegen den Beklagten am 05.10.2004 ei-
nen Mahnbescheid über eine Darlehensrückzahlungsforderung
von 101.371,30 EUR. Nach anwaltlich erklärtem Widerspruch
zeigten sich für die Klägerin deren Prozessbevollmächtigte
an, nahmen den Mahnantrag i.H.v. 51.371,30 EUR zurück, baten
wegen der restlichen 50.000,00 EUR um Abgabe an das im Mahn-
bescheidsantrag bezeichnete Streitgericht und begründeten
später in diesem Umfang den Anspruch. Auf das uneinge-
schränkte Anerkenntnis des Beklagten erging im schriftlichen
Vorverfahren so bezeichnetes "Teilanerkenntnis- und Endur-
teil". Die Kosten des Rechtsstreits sind darin zu 51 % der
Klägerin und zu 49 % dem Beklagten auferlegt. Der auf Be-
freiung von einer eigenen Kostenlast gerichteten sofortigen
Beschwerde der Klägerin half das Landgericht mit Beschluss
vom 15.06.2005 in vollem Umfang ab. Es errechnete durch den
höheren Streitwert des Mahnverfahrens zusätzlich entstandene
Kosten von 378,64 EUR (Gerichtskosten: 200,00 EUR; außerge-
richtliche Kosten des Beklagten: 178,64 EUR), setzte diese
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ins Verhältnis zu den ermittelten Gesamtkosten des Rechts-
streites von 7.859,84 EUR (Gerichtskosten: 1.568,00 EUR; au-
ßergerichtliche Kosten der Klägerin: 3.056,00 EUR; außerge-
richtliche Kosten des Beklagten: 3.235,24 EUR) und gelangte
wegen der geringfügigen Kostendifferenz zur Anwendung des
§ 92 Abs. 2 ZPO. Den anschließenden Antrag der Klägerin, dem
Beklagten die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen,
hat das Landgericht nicht beschieden. Der Beklagte hat gegen
die Entscheidung vom 15.06.2005 seinerseits binnen zwei Wo-
chen "Rechtsmittel" eingelegt. Nach seiner Ansicht muss es
bei der ursprünglichen Kostenverteilung bleiben, da die Ent-
scheidung allein entsprechend dem wechselseitigen Obsiegen
und Unterliegen zu treffen sei. Das Landgericht hat dem
Rechtsmittel nicht abgeholfen. Die Klägerin hält es für un-
begründet.
II.
Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde zulässig und
hat in der Sache teilweise, nämlich dahin Erfolg, dass die
Kosten des Rechtsstreits (einschließlich der gesamten Kosten
des Mahnverfahrens) von der Klägerin zu 1/10 und vom Beklag-
ten zu 9/10 zu tragen sind.
1. Zu Unrecht hat das Landgericht eine (entsprechende) An-
wendung des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO für möglich gehalten.
Die Vorschrift setzt nach ihrem eindeutigen Wortlaut vor-
aus, dass die Zuvielforderung nicht nur keine oder nur
geringfügig höhere Kosten verursacht hat, sondern auch
ihrerseits verhältnismäßig geringfügig war. Davon kann
hier nicht ausgegangen werden, weil die Klägerin im Mahn-
verfahren eine deutlich höhere als die im anschließenden
streitigen Verfahren durchgesetzte Forderung geltend ge-
macht hatte.
2. Fehl geht allerdings auch die Einschätzung des Beklagten,
es komme allein auf das Maß des gegenseitigen Obsiegens
und Unterliegens an. Gelangt bei Rücknahme des Mahnantra-
ges im Übrigen nur ein Teil der im Mahnbescheid bezeich-
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neten Forderung in das streitige Verfahren, so muss bei
der Kostenentscheidung, die die Kosten des Mahnverfahrens
einschließt (§§ 696 Abs. 1 Satz 5, 281 Abs. 3 Satz 1
ZPO), berücksichtigt werden, dass für den im Mahnverfah-
ren abschließend erledigten Teil in der Regel geringere
Kosten entstanden sind als für den Teil des Streitgegens-
tandes, über den im streitigen Verfahren entschieden wor-
den ist (OLG München, OLGR 2000, 229, 231; vgl. auch Zöl-
ler/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., Rn. 20 vor § 688). Daher
sind
in
entsprechender
Anwendung
von
§§ 269
Abs. 3
Satz 2, 92 Abs. 1 ZPO die durch den höheren Streitwert
des Mahnverfahrens bedingten Mehrkosten zu errechnen und
in die Kostenquote einzubeziehen.
3. Da der Mahnbescheidsantrag am 05.10.2004 eingegangen und
die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten beider Sei-
ten erst anschließend erfolgt ist, finden die neuen Rege-
lungen des Gerichtskostengesetzes und des Rechtsanwalts-
vergütungsgesetzes Anwendung (§ 72 Nr. 1 GKG, § 61 Abs. 1
RVG). Der Streitwert des streitigen Verfahrens betrug von
Anfang an, also mit Eingang der Akten beim Streitgericht,
lediglich 50.000,00 EUR (Anm. Satz 1 zu KV 1210 zum GKG);
der frühere Streit zum zutreffenden Wert bei vorausgegan-
genem Mahnverfahren mit höherem Streitwert (vgl. Senat,
Beschluss vom 17.03.2004 - 8 W 82/04, OLG-NL 2004, 112
m.w.N.; vgl. auch BVerfG, NJW 2004, 1097) ist durch die
Neufassung
des
Gerichtskostengesetzes
überholt
(Zöl-
ler/Vollkommer, a.a.O., ebenda; Meyer, GKG, 6. Aufl.,
KV 1210 Rn. 15). Von diesen Grundsätzen ist auch das
Landgericht ausgegangen. Es hat aber die tatsächlich ent-
standenen Kosten nicht in allen Punkten zutreffend ermit-
telt.
a) Die Gerichtskosten betragen nicht 1.568,00 EUR, son-
dern nur 656,00 EUR (Nr. 1110, 1210, 1211 Ziff. 2 KV
zum GKG).
Das Landgericht hat den Ermäßigungstatbestand der
Nr. 1211 Ziff. 2 KV zum GKG für den Erlass eines Aner-
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kenntisurteils übersehen. Eine Ermäßigung wird zwar
verbreitet abgelehnt, wenn das Anerkenntnis unter Ver-
wahrung gegen die Kostenlast abgegeben wurde (Zöl-
ler/Vollkommer, a.a.O., § 307 Rn. 12; Meyer, a.a.O.,
KV 1211, Rn. 39 jeweils m.w.N.). So lag es hier aber
nicht; der vorprozessual wiederholt gemahnte Beklagte
hat sein Anerkenntnis uneingeschränkt abgegeben. Trotz
der Bezeichnung als Teilanerkenntnis- und Endurteil,
die das Landgericht offenbar wegen der gemischten Kos-
tenentscheidung gewählt hat, handelt es sich der Sache
nach um ein gerichtskostenbegünstigtes Anerkenntnisur-
teil.
Über die ermäßigte 1,0-Gebühr für das Verfahren im
Allgemeinen aus einem Streitwert von 50.000,00 EUR
(456,00 EUR) hinaus umfassen die Gerichtskosten weite-
re 200,00 EUR als nicht anrechnungsfähiger Teil der
Gebühr
Nr. 1110
KV
zum
GKG
(0,5-Gebühr
aus
101.371,30 EUR
=
428,00 EUR;
0,5-Gebühr
aus
50.000,00 EUR = 228,00 EUR).
b) Die außergerichtlichen Kosten beider Parteien bestehen
zunächst in je 2,5 Gebühren aus einem Wert von
50.000,00 EUR gemäß Nr. 3100, 3104 VV zum RVG. Für den
Erlass eines Anerkenntnisurteils im schriftlichen Vor-
verfahren fällt nach der Neuregelung auf beiden Seiten
sowohl die Verfahrens- als auch die Terminsgebühr in
voller
Höhe
an
(vgl.
Gerold/Schmidt/v.
Ei-
cken/Madert/Müller-Rabe,
RVG,
16. Aufl.,
VV 3104
Rn. 49; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 307 Rn. 12 a.E.).
Einschließlich Pauschale von 20,00 EUR (Nr. 7002 VV
zum RVG) und zzgl. Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV zum
RVG) ergibt dies Beträge von 3.060,40 EUR.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin erhöhen
sich, da die Beteiligung ihrer Prozessbevollmächtigten
am Mahnverfahren (Erklärung der Teilrücknahme) als
vergütungspflichtige Tätigkeit i.S.v. Nr. 3305 VV zum
RVG
einzustufen
ist
(Gerold/Schmidt/v.
Ei-
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cken/Madert/Müller-Rabe, a.a.O., VV 3305 bis 3308,
Rn. 55), um die Differenz zwischen einer 1,0-Gebühr
aus
101.371,30 EUR
und
einer
(anteiligen)
1,0-
Verfahrensgebühr aus 50.000,00 EUR. Sie beläuft sich
einschließlich Umsatzsteuer auf 357,28 EUR.
Beim Beklagten kommt derjenige Betrag hinzu, der sei-
ner Prozessbevollmächtigten für die Fertigung des Ge-
samtwiderspruchs gegen den Mahnbescheid zusteht (0,5-
Gebühr
gemäß
Nr. 3307
aus
101.371,30 EUR
=
677,00 EUR), soweit er nicht durch die entsprechende
anteilige 0,5-Verfahrensgebühr aus einem Wert von
50.000,00 EUR (523,00 EUR) aufgezehrt wird. Diese Dif-
ferenz
beträgt
154,00 EUR,
zzgl.
Umsatzsteuer
178,64 EUR.
c) Die Mehrkosten, die die Klägerin in entsprechender An-
wendung von § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO zu tragen hat,
betragen also (200,00 EUR + 357,28 EUR + 178,64 EUR =)
735,92 EUR. Das sind ziemlich genau 10 % der Gesamt-
kosten von (656,00 EUR + 3.060,40 EUR x 2 + 357,28 EUR
+ 178,64 EUR =) 7.312,72 EUR.
4. Die Kosten beider Beschwerdeverfahren fallen der Klägerin
gemäß §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO jeweils zu 1/5, dem Be-
klagten zu 4/5 zur Last. Die zumindest etwa hälftige Kos-
tenlast des Beklagten stand nie im Streit. Der Streitwert
der Beschwerdeverfahren entspricht dem jeweils verfolgten
realen Kosteninteresse.
Bokern