Urteil des OLG Dresden vom 29.03.2017

OLG Dresden: treu und glauben, kündigung, ausführung, bauherr, verzug, baustelle, geschäftsführer, bauarbeiten, bedürfnis, nachfrist

Aktenzeichen: 11 U 452/02
Leitsatz:
1. Der Bauunternehmer kommt mit der Fertigstellung von Ab-
brucharbeiten nicht in Verzug, wenn ihm der Bauherr erst
zwei Tage vor Ablauf der fünfwöchigen Vertragsfrist die
Abbruchgenehmigung übergibt.
2. Nach unstreitigem Beginn der Arbeiten kann der Bauherr
nicht mehr Frist zum Beginn der Ausführung gemäß § 5 Zif-
fer 4 VOB/B setzen, mit der Folge, dass der Bauherr gemäß
§ 8 Ziffer 3 VOB/B kündigen dürfte, wenn der Unternehmer
nicht am gesetzten Tag auf der Baustelle erscheint.
3. Wenn der Bauherr nach Unterbrechung der Arbeiten die Ver-
tragsfrist von neuem auf 5 Wochen ab Aufforderung fest-
setzen will, kann er nicht drei Tage danach wegen Nicht-
erscheinen des Unternehmers aus wichtigem Grund (Progno-
sekündigung) kündigen.
Vorschriften: § 8 Ziffer 3 VOB/B
§ 5 Ziffer 4 VOB/B
Suchbegriffe: Vertragsfrist
Beginn der Ausführung
Prognosekündigung
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: 11 U 452/02
3 O 0497/00 LG Zwickau
Verkündet am 02.04.2003
Die Urkundsbeamtin:
Justizobersekretärin
IM
ENDURTEIL
In dem Rechtsstreit
P.
Bauträgergesellschaft mbH
vertr. d.d. Geschäftsführer u. ,
,
08056 Zwickau
Klägerin u. Berufungsklägerin
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte & Kollegen,
,
09111 Chemnitz
gegen
H.
mbH i.L.
vertr. d.d. Geschäftsführer und Liquidator ,
,
08064 Zwickau
Beklagte u. Berufungsbeklagte
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt ,
,
08056 Zwickau
wegen Ersatz von Mehraufwendungen
3
hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden auf-
grund der mündlichen Verhandlung vom 12. März 2003 durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ,
Richter am Oberlandesgericht und
Richter am Amtsgericht
für Recht erkannt:
1. Die Berufung der Klägerin vom 28.03.2002 gegen das Ur-
teil
des
Landgerichts
Zwickau
vom
25.01.2002
(3 O 497/00) wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu
tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicher-
heitsleistung in Höhe von 5.000,00 EUR abwenden; die Be-
klagte darf jedoch weiter vollstrecken, wenn sie selbst
Sicherheit in dieser Höhe leistet.
4. 38.346,89 EUR sind der Streitwert des Berufungsverfah-
rens.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht der
Firma P. GmbH auf Ersatz der Mehraufwendungen
in Anspruch, welche der Zedentin auf Grund eines gekündigten
Pauschalpreisvertrages entstanden sind. Im Übrigen wird auf
den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des am 25.01.2002 verkündeten
Urteils des Landgerichts Zwickau (Az. 3 O 497/00) die
Beklagte und Berufungsbeklagte zu verurteilen, an die
Klägerin und Berufungsklägerin 38.346,89 EUR nebst
5 % Zinsen hieraus seit 13.04.2000 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beweis wurde nicht erhoben.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
I.
Die Klägerin kann von der Beklagten die Mehrkosten nicht
verlangen, welche nach Kündigung des Generalunternehmerver-
trages mit der Beklagten bei der Fortführung der Renovierung
des Park-Cafés auf der Straße in Zwickau
entstanden sind.
Der Senat nimmt auf das Urteil des Landgerichtes Bezug
(§ 540 ZPO) und ergänzt es wie folgt:
a) Es kann dahinstehen, ob die Fristen gem. Bauzeitenplan
i.V.m. § 10 Abs. 3 des Generalunternehmervertrages zur
Vertragsfrist gem. § 5 Ziff. 1 VOB/B werden. Dies ist
für die Entscheidung des Rechtsstreits ohne Belang.
b) Die Beklagte hat am 09. August 1999 mit der Entrümpelung
und Entkernung des zu renovierenden Gebäudes begonnen.
Nach dem Bauzeitenplan musste die Beklagte dieses Gewerk
bis zum Ende der 36. Kalenderwoche abschließen. Dies war
im Jahr 1999 der 10. September. An diesem Tag waren die
Entkernungs- und Abbrucharbeiten nach unstreitigem Par-
teivortrag nicht abgeschlossen. Trotzdem ist ab dem
nachfolgenden Werktag (13.09.) diesbezüglich kein Verzug
eingetreten, welcher u.U. gemäß § 5 Ziff. 4 i.V.m. § 8
Ziff. 3 VOB/B die Kündigung rechtfertigen würde. Hier
ist zu berücksichtigen, dass sich die Auftraggeberin
selbst nicht vertragstreu verhalten hat und der Beklag-
ten erst am 10. September 1999 eine Abbruchgenehmigung
und am 13. September 1999 eine Teil-Baugenehmigung über-
geben hat. Zwischen den Parteien steht außer Streit,
dass die Abbrucharbeiten ohne Abbruchgenehmigung nicht
vollendet werden konnten. Sofern man nun davon ausgeht,
dass die Frist gemäß Bauzeitenplan für das Gewerk Ab-
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bruch eine Vertragsfrist ist, so ist ein Verzug der Be-
klagten bezüglich dieser Teilleistung am 13.09.1999
nicht eingetreten, da die Beklagte die Verzögerung nicht
zu vertreten hat (§ 285 BGB). Die Verzögerung ist auch
darauf zurückzuführen, dass die Auftraggeberin selbst
die Abbruchgenehmigung und die Teil-Baugenehmigung erst
verspätet übergeben hat.
c) Die Kündigung der Auftraggeber vom 15.09.1999 war auch
als sog. Prognosekündigung nicht gerechtfertigt. Es ist
in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Auftraggeber
auch vor Ablauf einer Vertragsfrist kündigen kann, wenn
abzusehen ist, dass der Auftragnehmer außer Stande ist,
diese Frist einzuhalten. Die Auftraggeberin hat die Be-
klagte mit Schreiben vom 13.09.1999 aufgefordert, bis
spätestens 15.09.1999, 08:00 Uhr mit der vertragsgemäßen
Leistungserbringung zu beginnen. Gleichzeitig hat die
Auftraggeberin in diesem Schreiben ausgeführt, dass ab
dem genannten Tag die Leistungen nachhaltig zu erbringen
sind. Bezüglich der Abbrucharbeit wurde ausgeführt, dass
diese ab diesem Tag binnen einer Frist von fünf Wochen
zu erbringen sind.
Die Auftraggeberin hat damit deutlich erklärt, dass sie
neben der Leistungsaufnahme die Fertigstellung des Teil-
gewerkes "Abbrucharbeiten" spätestens nach Ablauf von
fünf Wochen fordert. Dies führte nicht zu einer Modifi-
kation des Bauzeitenplanes, da die Auftraggeberin hierzu
einseitig nicht berechtigt ist. Die Auftraggeberin gab
jedoch mit diesem Schreiben zu erkennen, dass die ur-
sprünglichen Fristen nunmehr modifiziert werden sollten.
Die Beklagte konnte sich bei einer Gesamtwürdigung die-
ses Schreibens darauf einrichten, dass eine Vollendung
des Teil-Gewerkes "Abbrucharbeiten" spätestens binnen
fünf Wochen geschuldet war. Eine vorherige Kündigung un-
ter Berufung auf den Bauzeitenplan würde nach Auffassung
des Senates gegen den Grundsatz von Treu und Glauben
verstoßen.
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Eine Prognose-Kündigung ist dann am 15.09.1999 ausge-
schlossen. Die Auftraggeberin konnte an diesem Tag nicht
davon ausgehen, dass die Beklagte binnen der neuen Frist
die geschuldete Leistung bezüglich des Gewerks "Abbruch-
arbeiten" nicht erbringen konnte. Die Beklagte hatte
hierfür entsprechend dem ursprünglichen Bauzeitenplan
nunmehr wieder fünf volle Wochen Zeit. Unter Berücksich-
tigung dessen, dass Abbruch- und Entkernungsarbeiten be-
reits teilweise durchgeführt wurden, konnte man an die-
sem Tag unter keinen Umständen davon ausgehen, dass die
Beklagte bis zum Ablauf der neuen Frist nicht in der La-
ge sein würde, die geschuldeten Leistungen insoweit zu
erbringen.
Die Kündigung vom 15.09.1999 ist deshalb als Prognose-
kündigung nicht wirksam.
d) Die Kündigung ist auch nicht im Hinblick darauf gerecht-
fertigt, dass der Auftragnehmer den Beginn der Ausfüh-
rung gem. § 5 Ziff. 4 VOB/B verzögert hätte. Der Beginn
der Ausführung fällt mit dem Zeitpunkt zusammen, der im
Bauvertrag
als
Anfangstermin
genannt
ist
(In-
genstau/Korbion, VOB Teil B 14. Aufl. § 5 Rn. 13). Im
vorliegenden Fall wurde als verbindlicher Termin für den
Baubeginn der 10.08.1999 vereinbart. Sofern nunmehr die
Auftraggeberin mit Schreiben vom 13.09.1999 der Beklag-
ten eine letztmalige Nachfrist für den Beginn der ver-
tragsgemäßen Leistungserbringung auf den 15.09.1999,
08:00 Uhr setzt, so ist dies nicht als Beginn der Aus-
führungen i.S.d. § 5 VOB/B zu verstehen. Ein solcher An-
fangstermin war zwischen den Parteien vereinbart. Auch
steht außer Streit, dass die Beklagte mit den Bauarbei-
ten begonnen hat. Eine Neuaufforderung, mit den Bauleis-
tungen (wieder) zu beginnen, führt nicht dazu, dass der
vertraglich vereinbarte Beginn der Ausführung in Abände-
rung des Ausgangsvertrages nunmehr auf den 15.09.1999
verschoben würde. Insbesondere kann § 5 Ziff. 4 VOB/B im
Hinblick auf die Verzögerung des Beginns der Ausführung
nach Auffassung des Senates nicht entsprechend angewandt
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werden. Dies findet in der Rechtsprechung keine Stütze
und ist auch nicht sachgerecht. Eine entsprechende An-
wendung des § 5 Ziff. 4 VOB/B würde es in das Belieben
des Auftraggebers stellen, den (Neu)beginn der Bauaus-
führung ständig auf's Neue zu erzwingen, da der Auftrag-
nehmer im Fall der Nichteinhaltung die Kündigung gem.
§ 8 Ziff. 2 VOB/B fürchten müsste. Hierfür besteht auch
kein praktisches Bedürfnis. Der Auftraggeber hat es in
der Hand, durch die Vereinbarung von Vertragsfrist und
Fertigstellungstermin dem Auftragnehmer ein enges zeit-
liches Korsett zu setzen. Sofern der Auftragnehmer seine
Tätigkeit innerhalb dieses Zeitrahmens gestaltet, be-
steht kein darüber hinausgehendes Bedürfnis, dem Auf-
traggeber die Möglichkeit einzuräumen, dass er durch
einseitige Aufforderung den Beginn der Bautätigkeit
nochmals neu festlegt.
e) Der Senat wertet das Verhalten des ehemaligen Geschäfts-
führers der Beklagten nicht als endgültige Erfüllungs-
verweigerung. Es steht außer Streit, dass dieser die Be-
sprechung vom 09.09.1999 abrupt und ohne weitere Erklä-
rung verlassen hat. Dies allein stellt keine endgültige
Erfüllungsverweigerung dar. Es handelt sich hierbei wohl
um eine Kurzschlussreaktion, die isoliert betrachtet
keinen Erklärungswert hat. Einen solchen Erklärungswert
würde das Verhalten des Herrn Dietrich dann erhalten,
wenn er danach zu erkennen gegeben hätte, dass er an
dieser Baustelle keine weiteren Tätigkeiten ausführt.
Eine solche Erklärung würde nach Auffassung des Senates
auch gegeben sein, wenn die Beklagtenfirma nachfolgend
über geraume Zeit nicht mehr auf der Baustelle erschie-
nen wäre. Nach dem Gespräch vom 09.09.1999 war die Be-
klagte dreieinhalb Tage nicht mehr auf der Baustelle.
Dies rechtfertigt es jedoch nicht, von einer endgültigen
Erfüllungsverweigerung auszugehen. Es ist zu berücksich-
tigen, dass die Beklagte im Rahmen des geschuldeten Ge-
werkes bereits tätig geworden war und Leistungen er-
bracht hatte und dass der Stillstand der Entkernungsar-
beit auch durch die Auftraggeberin zu verantworten war,
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da diese zu dem Zeitpunkt die erforderlichen Genehmigun-
gen noch nicht übergeben hatte. Auch dies rechtfertigte
es für die Beklagte, für einige Tage die Bauarbeiten
nicht fortzuführen. Von einer endgültigen Erfüllungsver-
weigerung kann deshalb nicht ausgegangen werden.
f) Ein Kündigungsrecht der Auftraggeberin besteht auch
nicht gemäß § 15 Abs. 2 des Generalunternehmervertrages
vom 23.07.1999. Es kann dahinstehen, ob diese Bestimmung
wegen fehlender Bestimmtheit unwirksam ist. Sie erwei-
terte jedenfalls den Katalog der möglichen Kündigungs-
gründe wegen des zögerlichen Bauablaufes nicht über die
VOB/B hinaus. § 8 Ziff. 3 VOB/B ist im Zusammenhang mit
§ 5 Ziff. 4 VOB/B als spezielle Regelung anzusehen, wel-
che der allgemeinen Regelung des § 15 Abs. 2 des Gene-
ralunternehmervertrages vorgeht. Da jedoch, wie darge-
legt, kein Verzug vorliegt, welcher eine Kündigung
rechtfertigt, ist insoweit auch nicht davon auszugehen,
dass die allgemeine Regelung einschlägig ist. Wie be-
reits dargelegt, hat der Geschäftsführer der Beklagten
die Erfüllung des Vertrages auch nicht endgültig verwei-
gert, sodass auch das Verlassen der Besprechung vom
09.09.1999 nicht als Verstoß gegen wesentliche Vertrags-
bestimmungen angesehen werden kann.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit be-
ruht auf § 708 Nr. 10 i.V.m. § 711 ZPO.
Die Revision war gem. § 543 ZPO nicht zuzulassen, da die
Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Der Streitwert wurde gem. § 3 ZPO festgesetzt.