Urteil des OLG Dresden vom 15.03.2017

OLG Dresden: unterrichtung, vergabeverfahren, verfahrenskosten, fax, geschäftsführer, auskunft, ausnahme, beschwerdegegenstand, zugang, entstehungsgeschichte

Oberlandesgericht Dresden
Az.: WVerg 11/01
Leitsätze:
1. Einen Verstoß der Vergabestelle gegen § 13 VgV können nur
am vorangegangenen Vergabeverfahren beteiligte Bieter
(samt denen, die an einer Beteiligung vergaberechtswidrig
gehindert waren) und diese nur innerhalb eines den
üblichen
Zulässigkeitsschranken
unterliegenden
Nachprüfungsverfahrens
geltend
machen,
dessen
Erreichbarkeit
für
den
Bieter
§ 13
VgV
gerade
sicherstellen will.
2. Eine Verletzung von § 13 VgV kann für sich allein gesehen
einem Nachprüfungsverfahren nicht, auch nicht teilweise,
zum Erfolg verhelfen; hinzutreten muss stets ein
vergaberechtliches Fehlverhalten des Auftraggebers in der
Sache selbst.
3. Hat sich eine Vergabestelle mit Ausnahme des Verstoßes
gegen § 13 VgV vergaberechtskonform verhalten, so löst
dieser
Verstoß
ihr
nachteilige
Kostenfolgen
im
Nachprüfungsverfahren allenfalls dann aus, wenn gerade
durch ihn Kosten verursacht worden sind, die ansonsten
nicht entstanden wären.
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: WVerg 0011/01
1/SVK/104-01 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen
Beschluss
des Vergabesenats
vom 14.02.2003
In dem Vergabenachprüfungsverfahren
,
vertreten durch den Geschäftsführer ,
,
Antragstellerin und Beschwerdeführerin
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte ,
,
gegen
,
vertreten durch den Oberbürgermeister,
,
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin
Weitere Beteiligte:
vertreten durch den Geschäftsführer,
,
Beigeladene
3
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne
mündliche Verhandlung durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bastius,
Richter am Oberlandesgericht Piel und
Richter am Amtsgericht Biere
beschlossen:
1.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom
23.11.2001 gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des
Freistaates Sachsen vom 08.11.2001 - 1/SVK/104-01 -
wird zurückgewiesen.
2.
Die
Antragstellerin
trägt
die
Kosten
des
Beschwerdeverfahrens.
3.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird für die Zeit
bis zum 30.11.2001 auf 12.157,00 Euro (= 23.777,00 DM),
danach auf 1/10 dieses Betrags festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin hatte im Sommer 2001 die Behandlung und
Verwertung von Bio- und Grünabfällen europaweit im offenen
Verfahren nach VOL/A ausgeschrieben. Die Antragstellerin,
die fristgerecht ein Angebot über 243.136,00 Euro abgegeben
hatte, wurde mit einem Absageschreiben der Antragsgegnerin
vom 17.09.2001 darüber in Kenntnis gesetzt, dass ihr Angebot
"aus preislichen Gründen nicht berücksichtigt" worden sei;
der Name des für den Zuschlag vorgesehenen Bieters wurde
dabei nicht genannt.
Mit Fax-Schreiben vom 24.09.2001 rügte die Antragstellerin
den daraus ersichtlichen Verstoß gegen § 13 VgV und erhob
darüber hinaus Beanstandungen in der Sache gegen die
beabsichtigte Wertungsentscheidung zu ihren Lasten; am
26.09.2001 machte sie, ebenfalls per Fax, mit dem nämlichen
Inhalt ein Nachprüfungsbegehren bei der Vergabekammer
anhängig
und
beantragte
dabei
u.a.,
"die
Vergaberechtswidrigkeit der Ausschreibung festzustellen"
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sowie "festzustellen, dass gegen die Informationspflicht
nach § 13 VgV verstoßen worden ist". Am 28.09.2001 versandte
die
Antragsgegnerin,
nachdem
ihr
am
Vortag
der
Nachprüfungsantrag per Telefax zugestellt worden war, an
alle Bieter einschließlich der Antragstellerin ein neues,
unstreitig vollständiges Informationsschreiben. Daraufhin
erklärten
die
Verfahrensbeteiligten
im
Verlauf
des
Nachprüfungsverfahrens den die Verletzung von § 13 VgV
beanstandenden
Feststellungsantrag
übereinstimmend
für
erledigt.
Den weitergehenden Nachprüfungsantrag hat die Vergabekammer
mit
dem
angefochtenen
Beschluss
als
unbegründet
zurückgewiesen
und
der
Antragstellerin
insgesamt
die
Verfahrenskosten
auferlegt;
sie
hat
dabei
eine
Kostenquotelung
auch
im
Hinblick
darauf,
dass
die
Antragstellerin
die
ursprünglich
fehlerhafte
Vorabinformation mit Erfolg beanstandet habe, ausdrücklich
abgelehnt. Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin
zunächst umfassend sofortige Beschwerde eingelegt, diese
jedoch später in der Hauptsache zurückgenommen und nur
hinsichtlich
der
Kostenentscheidung
der
Vergabekammer
aufrecht erhalten.
Die
Beschwerdeführerin
meint,
die
Kosten
des
erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahrens seien anteilig von
der Antragsgegnerin zu tragen, da der Nachprüfungsantrag bis
zur nachträglichen Benennung des ausgewählten Bieters
(jedenfalls insoweit) zulässig und begründet gewesen sei.
Die Antragsgegnerin ist der Beschwerde unter Verweis auf den
angegriffenen Beschluss entgegengetreten und weist ergänzend
darauf
hin,
sie
habe
den
in
der
unvollständigen
Vorabinformation
liegenden
Fehler
auf
die
Rüge
der
Antragstellerin hin unverzüglich behoben, so dass sie auch
nach
dem
Rechtsgedanken
des
§ 93
ZPO
nicht
mit
Verfahrenskosten belastet werden dürfe.
5
II.
Die
(nach
der
Teilrücknahme
verbliebene)
sofortige
Beschwerde ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne
Erfolg.
1.
Infolge der Beschränkung des Rechtsmittels hat der
Senat nur noch über die von der Vergabekammer
getroffene
Kostenentscheidung
zu
befinden.
Diese
Entscheidung kann, nicht anders als wenn die Beschwerde
von vornherein hierauf begrenzt gewesen wäre, ohne
mündliche Verhandlung getroffen werden. Die Beschwerde
ist mit der Teilrücknahme auch nicht etwa unzulässig
geworden.
Denn
die
isolierte
Anfechtung
einer
Kostenentscheidung ist im Verfahren der §§ 116 ff. GWB
- anders als etwa nach § 99 Abs. 1 ZPO oder § 158 VwGO
- grundsätzlich statthaft; unerheblich ist, ob die
Beschwerde von Anfang an nur im Kostenpunkt erhoben war
oder
ob
der
Beschwerdegegenstand,
wie
hier,
nachträglich
beschränkt
worden
ist
(vgl.
Senatsbeschluss vom 29.06.2001, WVerg 9/00 m.w.N.;
BayObLG, Beschluss vom 20.01.2003, Verg 29/02).
2.
Die Beschwerde ist indes unbegründet. Der Senat teilt
die
Auffassung
der
Vergabekammer,
dass
die
Antragsgegnerin auch nicht teilweise die Kosten des von
der Antragstellerin betriebenen Nachprüfungsverfahrens
zu tragen hat; dem steht die Tatsache, dass die
Antragsgegnerin
zunächst
eine
unvollständige
Information nach § 13 VgV erteilt und diese erst nach
Einleitung des Nachprüfungsverfahrens korrigiert hat,
im Ergebnis nicht entgegen.
a)
Die
von
der
Antragstellerin
gegen
das
Vergabeverhalten der Antragsgegnerin in der Sache
selbst erhobenen Rügen hat die Vergabekammer für
nicht
tragfähig
erachtet;
dies
greift
die
Antragstellerin mit der Beschwerde ausdrücklich
nicht (mehr) an. Der Senat muss daher davon
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ausgehen, dass das Vergabeverfahren mit Ausnahme
der unterlassenen Namhaftmachung des für die
Auftragserteilung in Aussicht genommenen Bieters
nach § 13 VgV rechtmäßig durchgeführt worden ist.
Das Nachprüfungsbegehren der Antragstellerin hat
sich mithin im Ergebnis als unbegründet erwiesen;
denn
eine
Verletzung
der
Unterrichtungsverpflichtung des § 13 VgV konnte
ihm für sich allein nicht zum Erfolg verhelfen.
Der
Antragsteller
eines
solchen
Nachprüfungsverfahrens
wäre
von
vornherein
außerstande,
angesichts
eines
im
Übrigen
vollständig
vergaberechtskonform
abgelaufenen
Vergabeverfahrens
anzugeben,
was
er
bei
rechtzeitiger Information im Sinne des § 13 VgV
inhaltlich mit Erfolg hätte beanstanden wollen
(vgl. Senatsbeschluss vom 09.11.2001, WVerg 9/01,
VergabeR 2002, 138).
§ 13 VgV trägt, in gleicher Weise wie etwa
Vorschriften
über
Dokumentationspflichten
im
Vergabeverfahren,
zunächst
instrumentellen
Charakter; die darin getroffenen Regelungen sind
nicht um ihrer selbst willen umzusetzen, sie
dienen
vielmehr
der
Absicherung
der
Rechtsschutzmöglichkeiten der Beteiligten. Die
Entstehungsgeschichte des § 13 VgV belegt, dass
der Verordnungsgeber damit den Zweck verfolgt hat,
einem betroffenen Bieter die zur rechtzeitigen
Geltendmachung
eines
Nachprüfungsverfahrens
erforderliche Kenntnis von dem beabsichtigten
Abschluss des Vergabeverfahrens zu seinem Nachteil
zu verschaffen und ihm damit den Zugang zu einem
Verfahren
des
Primärrechtsschutzes
vor
einer
diesen
abschneidenden
Entscheidung
der
Vergabestelle offen zu halten. Dieser Zweck legt
nicht nur den vom Senat an anderer Stelle (Beschl.
v. 09.11.2001 a.a.O.) gezogenen Schluss nahe, dass
die
Berufung
auf
eine
Verletzung
der
dem
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Auftraggeber obliegenden Pflichten aus § 13 VgV
und
auf
die
sich
daraus
etwa
ergebenden
Rechtsfolgen
nur
den
Beteiligten
des
vorangegangenen Vergabeverfahrens (samt denen, die
hieran
vergaberechtskonform
hätten
beteiligt
werden müssen), nicht aber außenstehenden Dritten
möglich ist. Er spricht auch dafür, dass der
vorgenannte Adressatenkreis der bieterschützenden
Wirkung von § 13 VgV diesen Schutz nur innerhalb
eines
(den
üblichen
Zulässigkeitsschranken
unterliegenden)
Nachprüfungsverfahrens
geltend
machen kann, dessen Erreichbarkeit für den Bieter
§ 13 VgV gerade sicherstellen will.
Nach diesem Regelungszweck steht es einem Bieter
nicht etwa frei, einen erkannten Verstoß der
Vergabestelle gegen § 13 VgV nachprüfungsrechtlich
unbeanstandet zu lassen und sich in anderem
Zusammenhang gleichwohl auf § 13 S. 4 VgV zu
berufen. Kann aber der Bieter seine Auffassung,
die Vergabestelle habe ihre Informationspflichten
aus § 13 VgV nicht, verspätet, unvollständig oder
sonst unzureichend erfüllt, nur im Rahmen eines
auch im Übrigen statthaften Nachprüfungsverfahrens
verfolgen (was zugleich die ansonsten praktisch
kaum beherrschbaren Rechtsfolgen des § 13 S. 4 VgV
- vgl. dazu etwa Hailbronner, NZBau 2002, 474 -
jedenfalls deutlich entschärfen würde), so ist der
gerügte Verstoß gegen § 13 VgV stets in dem Sinne
ergebnisorientiert,
dass
zu
ihm
ein
vergaberechtliches Fehlverhalten des Auftraggebers
in der Sache selbst hinzutreten muss, damit das
Nachprüfungsbegehren letztlich Erfolg haben kann.
§ 13
VgV
stellt,
ähnlich
wie
die
o.g.
Dokumentationspflichten, nur sicher, dass dieses
sachliche
Fehlverhalten
zum
Gegenstand
einer
Nachprüfung gemacht werden kann; soweit der damit
bezweckte
Rechtsschutz
inhaltlich
nicht
beeinträchtigt
wird,
bleibt
ein
über
eine
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Verletzung von § 13 VgV nicht hinausgehender
Verstoß im Ergebnis ohne Belang. Insbesondere
liegt ein nachprüfungsrechtlicher Teilerfolg nicht
immer bereits dann vor, wenn neben einem solchen
Fehler ein materieller Vergabeverstoß tatsächlich
nicht gegeben war.
b)
Kostenrechtliche Folgen könnte eine derartige
Regelverletzung allenfalls dann haben, wenn gerade
sie zur Ursache für die Entstehung bestimmter
Kosten
geworden
ist,
die
ansonsten
nicht
entstanden wären. So lässt sich etwa der Fall
denken, dass ein Bieter vor dem Hintergrund
unzureichender
Vorabinformation
einen
Nachprüfungsantrag
stellt,
den
er
aufgrund
nachgeholter Unterrichtung dann als aussichtslos
erkennt und zurücknimmt; hier käme die Anwendung
des Rechtsgedankens aus § 93 ZPO in sinngemäßer
Umkehrung in Betracht, weil die Kosten des
Nachprüfungsverfahrens bei rechtmäßigem Verhalten
der Vergabestelle im Ansatz hätten vermieden
werden können. Es mögen auch Konstellationen
vorstellbar
sein,
in
denen
das
Nachprüfungsverfahren inhaltlich einer Stufenklage
gleichkommt: Der eine Verletzung von § 13 VgV
rügende Bieter macht in erster Linie Nachholung
der gebotenen Unterrichtung (Auskunft) geltend und
schiebt dann Sachrügen auf der Grundlage der
nachgeholten Information nach; dann liegt eine
Kostenteilung nahe, wenn sich der Bieter mit
seinem "Auskunftsbegehren" durchsetzt, materiell
aber
unterliegt
(vgl.
allg.
Zöller-Herget,
23. Aufl. 2002, § 92 ZPO Rn. 3 m.w.N.).
c)
Diese Erwägungen zeigen, dass die Auffassung des
Senats
§ 13
VgV
auch
in
seiner
Informationsfunktion nicht etwa leerlaufen lässt.
Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin aber
kein "Auskunftsbegehren" (weder isoliert noch als
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erste Stufe eines umfassenderen Antragsziels)
geltend gemacht; sie hat den Nachprüfungsantrag
nach erteilter Auskunft auch nicht zurückgenommen.
Sie hat vielmehr einen Verstoß gegen § 13 VgV
gleichrangig neben anderen - inhaltlichen -
Vergabeverstößen festzustellen beantragt und dann
das
Nachprüfungsverfahren
nach
ergänzender
Unterrichtung im Übrigen unverändert fortgeführt,
nach wie vor gestützt auf ihre ursprünglichen
inhaltlichen Beanstandungen, die in der Sache auch
keine
Berührungspunkte
mit
dem
gerügten
Informationsdefizit aufwiesen.
Vor diesem Hintergrund hält der Senat es für
verfehlt, den für das streitbefangene Verfahren
bedeutungslos gebliebenen Fehler der Vergabestelle
in der Anwendung des § 13 VgV mit ihr nachteiligen
Kostenfolgen
zu
sanktionieren.
Ob
dasselbe
Ergebnis sich auch bei einer entsprechenden
Heranziehung
von
§ 93
ZPO
zu
Gunsten
der
Antragsgegnerin ergäbe (wogegen immerhin spricht,
dass die Antragstellerin ab dem 02.10.2001 mit der
Auftragserteilung rechnen, mithin bis dahin das
Zuschlagsverbot des § 115 Abs. 1 GWB herbeiführen
musste), kann folglich dahinstehen.
Nach alledem ist die sofortige Beschwerde mit der
sich aus § 97 Abs. 1 ZPO analog ergebenden
Kostenfolge zurückzuweisen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens ist
für die Zeit bis zum 30.11.2002 gemäß § 12 a Abs.
2 GKG, danach in Höhe des mit dem verbliebenen
Rechtsmittel
weiterverfolgten
geschätzten
Kosteninteresses der Antragstellerin festgesetzt.
Bastius Piel Biere