Urteil des OLG Dresden vom 15.03.2017

OLG Dresden: zustellung, treu und glauben, kündigung, anschrift, rückwirkung, kennzeichnung, prozess, darlehensvertrag, nachricht, rüge

Leitsatz:
§ 167 ZPO, § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB
1. Verzögert sich infolge mehrerer fehlgeschlagener Versuche
die Zustellung eines Mahnbescheides beträchtlich (hier 11
Monate), ist diese nur dann "demnächst" erfolgt, wenn der
Gläubiger darlegt, nach Kenntniserlangung von der Unzu-
stellbarkeit jeweils die gebotenen Anstrengungen zur ra-
schen Erforschung und Mitteilung einer neuen Zustellan-
schrift unternommen zu haben.
2. Erwirkt der Rechtsnachfolger einer Bank, die den Darle-
hensvertrag außerordentlich gekündigt und eine näher auf-
geschlüsselte Gesamtabrechnung erteilt hat, einen Mahnbe-
scheid wegen "Zinsrückständen" aus früherer Zeit, wird
die Verjährung mangels hinreichender Individualisierung
des Anspruchs nicht gehemmt, wenn der Mahnbescheid eine
neue, dem Schuldner unbekannte Vertragsnummer und weder
Höhe noch Verwendungszweck des Darlehens bezeichnet, der
Schuldner über den Gläubigerwechsel nicht unterrichtet
worden ist und sich die geforderten Zinsrückstände nicht
mit der Abrechnung des Darlehensgebers in Übereinstimmung
bringen lassen.
Oberlandesgericht Dresden, Urt. v. 04.10.2006 - 8 U 1272/06
2
Oberlandesgericht
Dresden
Aktenzeichen: 8 U 1272/06
7 O 163/06 LG Leipzig
Verkündet am 04.10.2006
Die Urkundsbeamtin:
Schwarze
Justizobersekretärin
IM
URTEIL
In dem Rechtsstreit
GmbH
vertr. d. d. Geschäftsführer ,
,
-Klägerin/Berufungsbeklagte-
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ,
,
gegen
,
,
-Beklagter/Berufungskläger-
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte -
,
,
wegen Forderung
3
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden auf-
grund der mündlichen Verhandlung vom 04.10.2006 durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Häfner,
Richter am Oberlandesgericht Bokern und
Richter am Landgericht Meyer
für Recht erkannt:
1.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Ein-
zelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig
vom 31.05.2006 abgeändert.
Der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Coburg vom
27.12.2005 (Az.: 04-3344033-0-3) wird, soweit die Klage
erstinstanzlich nicht zurückgenommen wurde, aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Klage abgewiesen.
2.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
kann die Zwangsvollstreckung des Beklagten durch Si-
cherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstrek-
kenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor
der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4.
Die Revision wird nicht zugelassen.
- Streitwert der Berufung: bis 40.000,00 EUR
(42.688,98 EUR abzüglich gem. § 43 GKG nicht berück-
sichtigungsfähiger kapitalisierter Verzugszinsen von
763,30 EUR und 2.551,86 EUR) -
G r ü n d e :
I.
Die Klägerin, eine Investmentgesellschaft, die Ende 2004
durch Ausgliederung aus der H Bank entstanden
ist, macht Ansprüche aus zwei Darlehen über 390.000,00 DM
und 210.000,00 DM geltend, die der Beklagte am 27.12.1995
und 06.05.1996 bei der N Bank aufgenommen hat-
4
te. Die Vertragsnummern lauteten "...956 " und "...966
in ...965". Ab Mai 2000 leistete der Beklagte keine Zahlun-
gen mehr. Die H Bank , die Gesamtrechtsnachfol-
gerin der N Bank , kündigte die beiden Darlehen
deshalb mit Schreiben vom 30.03.2004 unter Angabe der Ver-
tragsnummern ...965 und ...966 außerordentlich. Dem per
Gerichtsvollzieher
zugestellten
Kündigungsschreiben
waren
zwei Rückzahlungsaufstellungen per 31.03.2004 beigefügt.
Darin wurden für die beiden Verträge Gesamtbeträge von
264.840,26 EUR bzw. 139.647,42 EUR gefordert. Die beiden
Summen setzten sich zusammen aus einem zurückzuführenden
"Effektivrest" von 180.878,95 EUR bzw. 93.949,90 EUR, Bear-
beitungskosten von jeweils 250,00 EUR, näher aufgelisteten
"rückständigen
Raten
inklusiv
Verzugsschaden"
von
68.481,83 EUR (31.05.2000 bis 31.03.2004) bzw. 40.064,31 EUR
(31.03.2000 bis 31.03.2004) und schließlich einer Vorfällig-
keitsentschädigung von 15.229,48 EUR bzw. 5.383,21 EUR.
Die Klägerin sieht sich als Anspruchsinhaberin. Sie ordnet
dem Vertrag mit der Nr. ... 965 die neue Vertragsnum-
mer .... 1111 (so Mahnbescheid) bzw. .... 111 (so Bezeich-
nung der Klägerin im Rechtsstreit) und dem Vertrag mit der
Nr. ... 966
die
neue
Vertragsnummer
.... 1121
zu.
Am
28.12.2004
beantragte
sie
einen
Mahnbescheid,
der
am
13.01.2005 erlassen und dem Beklagten nach mehreren fehlge-
schlagenen Versuchen am 06.12.2005 zugestellt wurde. Mahn-
und am 27.12.2005 erlassener Vollstreckungsbescheid bezeich-
nen als Hauptforderungen "Zinsrückstände" von 26.178,84 EUR
und 17.077,66 EUR, die im Übrigen wie im angefochtenen Ur-
teil zitiert (LGU 3 f.) näher beschrieben sind.
Im ersten Rechtszug hat die Klägerin zunächst unter Verweis
auf die Rückzahlungsaufstellungen geltend gemacht, der Be-
klagte sei beim Darlehen Nr. ... 965 für den Zeitraum vom
31.05.2000 bis zum 31.12.2001 insgesamt 26.178,84 EUR an
Tilgung und Verzugszinsen schuldig geblieben; beim Darle-
hensvertrag Nr. ... 966 habe für den Zeitraum vom 31.03.2000
bis zum 31.12.2001 eine Schuld an Tilgung und Verzugszinsen
von insgesamt 17.077,66 EUR bestanden. Auf die Rüge des Be-
5
klagten, dass den Rückzahlungsaufstellungen dies nicht zu
entnehmen sei, hat die Klägerin für den erstgenannten Ver-
trag 19 Darlehensraten zu je 1.337,67 EUR für die Monate Ju-
ni 2000 bis Dezember 2001 (insgesamt 25.415,54 EUR) geltend
gemacht und die Differenz zum insgesamt geforderten Betrag
(26.178,84 EUR - 25.415,54 EUR = 763,30 EUR) mit Verzugszin-
sen bis zum Kündigungszeitpunkt für die Monatsraten August
2001 (Teilbetrag von 35,46 EUR) und September bis Dezember
2001 (720,84 EUR) unterlegt; für den zweitgenannten Vertrag
hat sie nunmehr für die Jahre 2000 und 2001 acht quartals-
weise zu zahlende Zinsraten zu je 1.409,25 EUR, für das
zweite Halbjahr 2001 eine - im Hinblick auf die KfW-
Förderung dieses Darlehens erstmals zu diesem Zeitpunkt zu
erbringende - Tilgung von 2.684,28 EUR sowie Verzugszinsen
von 2.551,86 EUR, insgesamt also 16.510,14 EUR beansprucht.
Dementsprechend hat sie die Aufrechterhaltung des Vollstre-
ckungsbescheides
in
Höhe
von
42.688,98 EUR
beantragt
(26.178,84 EUR + 16.510,14 EUR) und die Klage im Übrigen zu-
rückgenommen.
Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen und
rechtliche Würdigung im angefochtenen Urteil Bezug genommen
wird,
hat
den
Vollstreckungsbescheid
in
Höhe
von
26.178,84 EUR und 16.510,40 EUR, jeweils nebst 4 % Zinsen ab
dem 06.12.2005, bestätigt.
Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten
Berufung verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren
weiter. Er hält an der Rüge fehlender Aktivlegitimation der
Klägerin und an der Verjährungseinrede fest. Das Landgericht
habe sich mit diesen Einwänden, wie im Einzelnen ausgeführt
wird, nur unzureichend und zudem fehlerhaft auseinanderge-
setzt.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
6
II.
Die Berufung hat Erfolg und führt unter Aufhebung des Voll-
streckungsbescheides zur Abweisung der Klage. Die geltend
gemachten Ansprüche sind ungeachtet der Frage, ob sie der
Klägerin zustehen, jedenfalls vollständig verjährt.
1. Vorab ist auf ein Fehlverständnis des Landgerichts hinzu-
weisen.
Indem es unter anderem § 609 BGB a.F. zitiert und wieder-
holt auf eine Rückführungsverpflichtung des Beklagten
aufgrund außerordentlicher Kündigung der Verträge abhebt,
bringt das angegriffene Urteil zum Ausdruck, dass es auf
die Kündigung und deren Berechtigung ankomme. Das trifft
nicht zu, weil Gegenstand der - im Übrigen im Vergleich
zum Vollstreckungsbescheid mit der Anspruchsbegründung
und dem späteren Schriftsatz vom 21.03.2006 mehrfach mo-
difizierten - Klage gerade keine kündigungsbedingt nun-
mehr
fälligen
Darlehensrückzahlungsansprüche,
sondern
ausschließlich bereits in den Jahren 2000 und 2001 fällig
gewordene Zins- und Tilgungsraten samt hierauf bis zum
Kündigungszeitpunkt berechneter Verzugszinsen sind. Das
Abstellen auf die außerordentliche Kündigung lässt zudem
besorgen, dass das Landgericht den durch die geltend ge-
machten Ansprüche festgelegten Streitgegenstand nicht
präzise erfasst hat. Diese Sorge ist zusätzlich deshalb
berechtigt, weil das Landgericht der Klägerin unbesehen
auf
die
volle
zuerkannte
Summe
(26.178,84 EUR
+
16.510,40 EUR = 42.689,24 EUR; verlangt waren von der
Klägerin "nur" 42.688,98 EUR) 4 % Zinsen seit Zustellung
des Mahnbescheides zugesprochen hat. Tatsächlich sind in
der geforderten Summe Verzugszinsbeträge von 763,30 EUR
und 2.551,86 EUR enthalten, die dem Zinseszinsverbot un-
terliegen.
2. Das Landgericht hat ohne Benennung gesetzlicher Grundla-
gen lediglich einen kleinen Ausschnitt der Verjährungs-
problematik (Individualisierung der geltend gemachten An-
7
sprüche im Mahnbescheid) beurteilt, nicht aber die für
die Verjährung maßgebenden Vorschriften insgesamt in den
Blick genommen und einer Prüfung unterzogen. Diese Prü-
fung ergibt, dass die Ansprüche unabhängig von der Frage
hinreichender Individualisierung der im Mahnbescheid be-
zeichneten Forderungen verjährt sind.
a) Die Ansprüche, die die Klägerin im Rechtsstreit unter
teilweiser Auswechslung der im Vollstreckungsbescheid
titulierten Forderungen geltend macht und die ihr mit
dem angefochtenen Urteil zuerkannt sind, sind zum ei-
nen rückständige Zins- und Tilgungsraten, die in den
Jahren 2000 und 2001 fällig wurden, zum anderen auf
den Kündigungszeitpunkt berechnete Verzugszinsen wegen
nicht rechtzeitiger Erbringung eben dieser Raten. Die
darlehensvertraglich geschuldeten Zins- und Tilgungs-
raten unterlagen ursprünglich der vierjährigen Verjäh-
rungsfrist der §§ 197, 201 BGB a.F. An deren Stelle
ist mit Wirkung vom 01.01.2002 die neue Regelverjäh-
rung von drei Jahren getreten, so dass die Ratenrück-
stände einheitlich mit Ablauf des 31.12.2004 verjähr-
ten, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB, Art. 229 § 6 Abs. 4
EGBGB. Sind diese Hauptansprüche verjährt, gilt gem.
§ 217 BGB dasselbe für die von ihnen abhängenden Ne-
benleistungen, nämlich die kapitalisiert beanspruchten
Verzugszinsen von 720,84 EUR und 2.551,86 EUR.
b) Durch
Einreichung
des
Mahnbescheidsantrages
am
28.12.2004 hat die Klägerin die Verjährung schon des-
halb nicht rechtzeitig gehemmt, weil nicht festge-
stellt werden kann, dass dem Beklagten der Mahnbe-
scheid "demnächst" im Sinne von § 167 ZPO i.V.m. § 204
Abs. 1 Nr. 3 BGB zugestellt worden ist.
aa) Allerdings hindern dem Adressaten zuzurechnende
Verzögerungen wie eine falsche Adressangabe, ein
Wohnungswechsel oder eine Inhaftierung die Rück-
wirkung im Allgemeinen nicht, jedenfalls nicht oh-
ne weiteres (Zöller/Greger ZPO 25. Aufl. § 167
8
Rn. 13 m.w.N.). Der Zustellungsbetreiber muss je-
doch innerhalb eines zumutbaren Zeitrahmens die
möglichen Maßnahmen ergreifen, um eine zeitnahe
Zustellung zu bewirken (Zöller/Greger a.a.O.).
Kommt er dieser Obliegenheit - ggf. fortwährend -
nach, so schadet ihm selbst eine unter Umständen
beträchtliche Verzögerung nicht. Nachlässigkeiten
des Betreibers, die eine Verzögerung um mehr als
zwei Wochen, im Mahnverfahren um mehr als einen
Monat verursachen, stehen jedoch einer Rückwirkung
gemäß § 167 ZPO entgegen. Das ist namentlich der
Fall, wenn der Einreicher zwischen Kenntniserlan-
gung vom Zustellungsmangel und Mitteilung einer
neuen Zustellanschrift eine Zeitspanne von mehr
als zwei Wochen bzw. einem Monat verstreichen
lässt (vgl. BGHZ 131, 376 für Zustellung einer
Klage; BGHZ 150, 221 für Zustellung eines Mahnbe-
scheides; vgl. zu beidem BGH FamRZ 2004, 21).
bb) Eine solche Nachlässigkeit kann vorliegend auf der
Grundlage des unstreitigen, aus dem Aktenausdruck
des Mahngerichts ersichtlichen Sachverhaltes und
des eigenen Vorbringens der Klägerin, die die Be-
weislast für die tatsächlichen Voraussetzungen des
Merkmals "demnächst" trägt, nicht ausgeschlossen
werden.
Auf
die
ihren
Prozessbevollmächtigten
am
04.02.2005 zugegangene erste Nachricht von der Un-
zustellbarkeit des Mahnbescheides ("unter der An-
schrift M.straße in L. nicht zu er-
mitteln") hat die Klägerin gegenüber dem Mahnge-
richt erst am 22.04.2005 und damit mehr als zwei-
einhalb Monate später mit einem Antrag auf Neuzu-
stellung unter der Anschrift Dör.straße
in L. reagiert. Welche Anstrengungen sie in
der beträchtlichen Zwischenzeit entfaltet hatte,
um diese neue vermeintliche Anschrift des Beklag-
ten ausfindig zu machen, legt sie nicht konkret
9
dar. Sie zeigt nicht einmal auf, wie sie auf die
"Dör.straße " - die es in L. ebenso wenig
gibt wie die "Doer.straße ", unter der im An-
schluss an die am 03.05.2005 vom Mahngericht ver-
sandte Mitteilung, der "Empfänger sei unbekannt
verzogen", und die dann am 02.06.2005 eingegangene
Bitte der Klägervertreter ein weiterer erfolgloser
Zustellversuch stattgefunden hat; tatsächlich han-
delte es sich offenbar um die Döl.straße mit
identischer Postleitzahl - gekommen ist. Unter
diesen Umständen lässt sich nicht feststellen,
dass die Klägerin alles ihr Zumutbare getan hat,
um eine zügige Zustellung auf den Weg zu bringen.
Dasselbe gilt erst recht für den Zeitraum ab dem
17.06.2005, an dem die Prozessbevollmächtigten der
Klägerin bei Zugrundelegung postüblicher Laufzei-
ten die am 15.06.2005 an sie versandte Nachricht
von der abermaligen Unzustellbarkeit ("unter der
angegebenen Anschrift - Doer.straße in
L. - nicht zu ermitteln") erreicht hatte, und
dem 30.11.2005, als der Antrag auf dann geglückte
Zustellung unter der Anschrift R.straße
in L. einging. Auch hinsichtlich dieses Zeit-
raumes von sogar rund fünfeinhalb Monaten bleibt
die Klägerin konkreten Vortrag schuldig, welche
Maßnahmen sie zur Erlangung der neuen zustellfähi-
gen Adresse ergriffen hat.
Hypothetische Erwägungen, wonach rascheres Tätig-
werden der Klägerin unter den gegebenen Umständen
- insoweit fällt immerhin auf, dass der Beklagte
für die Zeit von April bis einschließlich November
2005 seinen Aufenthaltsort oder seine Wohnung
nicht benennt - möglicherweise keine schnellere
Zustellung des Mahnbescheids bewirkt hätte, recht-
fertigen keine andere Beurteilung. Zum einen macht
die Klägerin solches selbst nicht geltend. Zum an-
deren wäre es ihr unbenommen und zumutbar gewesen,
10
bei zwischenzeitlich belegbar unbekanntem Aufent-
halt des Beklagten ihre Ansprüche - unter Abstand-
nahme vom Mahnverfahren - im Klagewege zu verfol-
gen und eine öffentliche Zustellung zu erreichen
(vgl. §§ 688 Abs. 2, 185 Nr. 1 ZPO). Ein solches
Vorgehen hätte Rechtsnachteile aus der erkannter-
weise drohenden Verjährung vermieden, weil entwe-
der die öffentliche Zustellung der Klage in weiter
Auslegung des § 167 ZPO - und ggf. entsprechender
Heranziehung von § 691 Abs. 2 ZPO - auf den Zeit-
punkt der Einreichung des Mahnbescheidsantrages
zurückzubeziehen gewesen wäre (vgl. BGH WM 1995,
1413 zur Rückwirkung der Anspruchsbegründung gemäß
§ 693 Abs. 2 ZPO a.F. im Falle eines Mahnbeschei-
des, dessen unvollständig zugestellte Ausfertigung
dem Schuldner keinerlei Aufschluss über die gel-
tend gemachten Forderungen gab) oder aber der Be-
klagte jedenfalls nach Treu und Glauben gehindert
gewesen wäre, aus der trotz aller zumutbaren An-
strengungen der Klägerin eingetretenen, auf sein
"Untertauchen" zurückzuführenden Verjährung Vor-
teile zu ziehen.
c) Für eine rechtzeitige Hemmung kraft Gesetzes ist aus
dem Vorbringen der Parteien nichts ersichtlich.
Zu denken wäre allenfalls an § 497 Abs. 3 Satz 3 BGB.
Diese im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung geschaf-
fene, am 01.01.2002 in Kraft getretene Vorschrift be-
wirkt eine (längstens) zehnjährige Hemmung der Verjäh-
rung der Ansprüche auf Darlehensrückerstattung und
Zinsen ab Verzugsbeginn. Unabhängig davon aber, ob die
Überleitungsregeln in Art. 229 § 6 EGBGB diese Hem-
mungswirkung auch auf vor dem 01.01.2002 fällig gewor-
dene Ansprüche erstrecken, greift § 497 Abs. 3 Satz
3 BGB nur dann ein, wenn es sich um einen Verbraucher-
darlehensvertrag handelt. Hierfür gibt es im Streit-
fall, namentlich im Vorbringen der insoweit darle-
gungs- und beweisbelasteten Klägerin, keine hinrei-
11
chenden Anhaltspunkte. Die Tatsache, dass der Beklagte
in größerem Stil mehrere Bauvorhaben in L. ,
G. und R. kreditfinanziert bewältigt
hat, spricht im Gegenteil deutlich für ein gewerbli-
ches Tätigwerden und damit gegen eine Verbraucherstel-
lung des Beklagten bei Abschluss der beiden streitge-
genständlichen Verträge.
d) Unter den feststellbaren Umständen ist die Berufung
des Beklagten auf die Einrede der Verjährung auch
nicht treuwidrig.
Zwar liegt ein Verstoß gegen § 242 BGB vor, wenn der
Schuldner seine vertragliche Verpflichtung zur Mittei-
lung eines Wohnungswechsels schuldhaft verletzt und
dadurch eine wirksame Zustellung des Mahn- und Voll-
streckungsbescheides
vereitelt
hat
(BGH
WM
2004,
2203). So verhält es sich hier aber nicht. Mit der
zweifellos berechtigten, zustellbaren und zugestellten
Kündigung der beiden Darlehensverträge durch die H
Bank
im
Frühjahr
2004
waren
etwaige
Pflichten des Beklagten zur Mitteilung eines Wohnungs-
wechsels erloschen. Deshalb kann dahinstehen, ob den
in die Darlehensverträge einbezogenen Bedingungen eine
solche nicht ausdrücklich festgeschriebene Pflicht ü-
berhaupt zu entnehmen ist.
3. Sogar dann aber, wenn man von einer "demnächst" erfolgten
Zustellung ausgeht, sind die geltend gemachten Ansprüche
verjährt.
a) Entgegen der Ansicht des Landgerichts waren die Anga-
ben im Mahnbescheid aus der maßgeblichen Sicht des Be-
klagten nicht hinreichend individualisiert.
aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofes hemmt ein Mahnbescheid die Verjährung
nur dann, wenn der geltend gemachte Anspruch hin-
reichend individualisiert worden ist. Er muss
12
durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen
so unterschieden und abgegrenzt sein, dass er
Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähi-
gen Vollstreckungstitels sein kann. Die Angaben
müssen dem Schuldner ferner ausreichenden Auf-
schluss darüber geben, welcher Anspruch oder wel-
che Ansprüche gegen ihn geltend gemacht werden,
damit er beurteilen kann, ob und in welchem Umfang
er sich zur Wehr setzen will. Wann diesen Anforde-
rungen genüge getan ist, kann nicht allgemein und
abstrakt festgelegt werden. Vielmehr hängen Art
und Umfang der erforderlichen Angaben im Einzel-
fall von dem zwischen den Parteien bestehenden
Rechtsverhältnis und der Art des Anspruchs ab
(vgl. BGH WM 2000, 686 unter II 1 a; BGH WM 2000,
2375 unter II 2 c aa; BGH WM 2002, 398 unter
II 2 a, jeweils m.w.N.).
bb) Nach diesen Maßstäben kann im Streitfall nicht von
einer hinreichenden Individualsierung ausgegangen
werden. Das Landgericht lässt bei seiner gegentei-
ligen Würdigung wesentlichen unstreitigen Prozess-
stoff unberücksichtigt. So ist dem Beklagten der
Name der Klägerin erstmals mit Zustellung des
Mahnbescheides bekannt geworden. Weder von ihr
noch von seiner bisherigen Gläubigerin, der H
Bank , welche noch in eigener Person
die Kündigung ausgesprochen und mit den beiden
"Rückzahlungsaufstellungen"
umfangreiche
eigene
Forderungen aufgemacht hatte, war er über den
Gläubigerwechsel unterrichtet worden. Die Firmen-
bezeichnung
der
Mahnbescheidsgläubigerin
wies
nicht einmal entfernte Ähnlichkeiten zur Firma der
Altgläubigerin auf. Auch ein ausdrücklicher Hin-
weis darauf, dass den Mahnbescheidsforderungen
zwei seitens der Klägerin - in der Abwicklung -
übernommene
Kreditengagements
zugrunde
lagen,
fehlte. Erschwert wurde dem Beklagten die Möglich-
keit der Zuordnung ferner dadurch, dass die im
13
Mahnbescheid zur näheren Kennzeichnung der beiden
Verträge
mitgeteilten
Nummern
(.... 1111
und
.... 1121) für ihn keinerlei Aussagekraft hatten.
Sie waren ihm unbekannt und unterschieden sich von
den bis dahin selbst bei Ausspruch der Kündigung
im Jahre 2004 noch verwandten Vertragsnummern
(... 965 und ... 966) deutlich. Überdies hatte der
Beklagte bei der N Bank un-
streitig weitere Darlehensverträge abgeschlossen.
Auf diese Weise finanzierte er Grundstücksgeschäf-
te für die Mü.straße in L. , die
C.straße
in
G.
und
die
Mi.straße in R. . Die beiden vorlie-
gend relevanten Darlehensverträge betrafen das Ob-
jekt N.straße in L. . Der Mahnbescheid
benennt kein finanziertes Objekt. Insgesamt wurde
dem Beklagten damit nicht ausreichend offenbart,
dass die im Mahnbescheid bezeichneten Zinsforde-
rungen
auf
von
ihm
ursprünglich
mit
der
N
Bank
geschlossene
Darlehensverträge
zurückgingen. Gerade der Gesichtspunkt aber, ob
dem Schuldner Gläubiger und Lebenssachverhalt be-
kannt sind, ist für die verjährungsrechtliche Fra-
ge ausreichender Individualisierung von Bedeutung
(vgl. etwa BGH WM 2000, 686 unter II 1 b).
Die demgegenüber vom Landgericht und der Klägerin
angeführten Anhaltspunkte erlauben keine andere
Beurteilung. Zwar enthält der Mahnbescheid für die
beiden Verträge Angaben, die Übereinstimmungen mit
den unter den Vertragsnummern ... 965 und ... 966
geschlossenen aufweisen. Beim ersten Vertrag ist
das Datum korrekt benannt (27.12.1995), beim zwei-
ten stimmt immerhin der Monat (Mai 1996); zudem
entsprechen die Effektivzinsangaben exakt den in
den ursprünglichen Verträgen gemachten, wenngleich
sie sich dort - im Gegensatz zur rasch wahrnehmba-
ren Angabe des (Nominal-)Zinses auf Seite 1 - erst
bei gründlichem Lesen der Seite 2 finden. Diese
14
Gemeinsamkeiten reichen aber zur Individualisie-
rung nicht aus. Zum einen setzen sie gerade vor-
aus, dass der Beklagte einen Bezug zu den ihm vor
vielen Jahren von der N Bank gewähr-
ten Darlehen herstellte. Das lag nach seinem
Kenntnisstand nicht nahe, weil er mit den im Vor-
dergrund stehenden Mahnbescheidsangaben zur Person
der Gläubigerin - keiner Bank - und zu den Ver-
tragsnummern nichts anfangen konnte und außerdem
weder die jeweilige Darlehenshöhe (390.000,00 DM
bzw. 210.000,00 DM) noch das Finanzierungsobjekt
benannt waren. Zum anderen wurden die Gemeinsam-
keiten durch andere Auffälligkeiten entwertet. Da
die
Verträge
gekündigt
waren
und
die
H
Bank eine umfangreiche Gesamtabrech-
nung vorgenommen hatte, konnte der Beklagte damit
rechnen, dass ein Mahnverfahren gegen ihn unter
Hinweis auf diese Abrechnungen - wie es dann im
Prozess auch geschehen ist - betrieben würde. Der
Mahnbescheid erwähnt diese Abrechnungen hingegen
gerade nicht, sondern liest sich eher, als bestün-
den die - nicht einmal ausdrücklich als Darlehens-
verträge bezeichneten - Verträge fort. Überdies
war selbst dann, wenn man die im Mahnbescheid ge-
nannten Zinsrückstände mit den Rückzahlungsauf-
stellungen verglich, keine auch nur ungefähre Ü-
bereinstimmung festzustellen. Dies war nicht nur
der Grund, warum die Klägerin im streitigen Ver-
fahren die Mahnbescheidsforderungen zu einem nicht
unerheblichen Teil kurzerhand auswechselte, son-
dern konnte für den Beklagten bei Prüfung des
Mahnbescheides ein weiterer Anhaltspunkt sein, der
dagegen sprach, dass den geltend gemachten Forde-
rungen die Verträge mit der N Bank
zugrunde lagen.
b) Ein Teil der streitgegenständlichen Forderungen wäre
im Übrigen, wie das Landgericht übersieht, selbst bei
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Bejahung "demnächstiger" Zustellung und ausreichender
Individualisierung verjährt.
aa) Die jedenfalls aus der Feder eines Rechtsanwaltes
unmissverständliche Kennzeichnung der Ansprüche im
Mahnbescheid als "Zinsrückstände" erfasst nicht
die im Prozess teilweise verlangten Tilgungsraten.
Bei diesen handelt es sich um selbständige Ansprü-
che mit anderem Streitgegenstand. Dementsprechend
sind alle Tilgungsanteile, die die Klägerin für
die Jahre 2000 und 2001 verlangt, verjährt; auf
sie erstreckt sich die unterstellte Hemmungswir-
kung des zugestellten Mahnbescheides keinesfalls.
Betroffen sind davon beim Vertrag ... 965 die in
den 19 Raten zu je 1.337,67 EUR enthaltenen Til-
gungsanteile, beim Vertrag ... 966 die Tilgungsra-
te von 2.684,28 EUR.
bb) Die
Verjährung
der
Ansprüche
auf
Tilung
hat
zugleich zur Folge, dass die auf sie kapitalsiert
bis zum 31.03.2004 aufgeschlagenen Verzugszinsen
ebenfalls nicht mehr durchgesetzt werden können
(§ 217 BGB).
cc) Schlussendlich wäre - unabhängig von den Erwägun-
gen zu II 2 und II 3 a - auch ein Teil der auf die
geltend gemachten Vertragszinsansprüche geforder-
ten Verzugszinsen verjährt.
Der Mahnbescheid hat in Bezug auf die nunmehr ka-
pitalisert bis zum 31.03.2004 verlangten Verzugs-
zinsen keine Hemmung bewirkt. Für den Zeitraum vom
01.01.2002 bis zum 31.03.2004, der im Mahnbescheid
nicht genannt ist, liegt dies auf der Hand. Doch
auch für den Zeitraum vom 31.03./31.05.2000 bis
zum 31.12.2001 ist die Hemmungswirkung zu vernei-
nen. Denn die im Prozess verlangten Verzugszinsen
fallen nicht unter den im Mahnbescheid genannten
Begriff "Zinsrückstände"; gegen ein solches Ver-
16
ständnis spricht unter Berücksichtigung des allge-
mein bekannten Zinseszinsverbotes ferner das in
den Mahnbescheid aufgenommene Begehren einer Ver-
zinsung der vollen Hauptsachebeträge ab Zustellung
des Mahnbescheides.
Dementsprechend hat insoweit frühestens die Ein-
reichung der Anspruchsbegründung am 31.01.2006 die
Verjährung gehemmt. Das bedeutet, dass die auf die
Vertragszinsraten verlangten Verzugszinsen, soweit
sie die Jahre 2000, 2001 und 2002 betreffen, ver-
jährt sind (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB, Art. 6 Abs. 4
EGBGB). Aus § 217 BGB ergibt sich nichts anderes.
Diese Vorschrift ordnet lediglich an, dass Ansprü-
che auf Nebenleistungen spätestens mit dem Haupt-
anspruch verjähren. Sie ändert nichts daran, dass
Ansprüche auf Nebenleistungen hinsichtlich des
Verjährungsbeginns, der Dauer der Verjährung, der
Hemmung und der Unterbrechung von der Verjährung
des Hauptanspruchs unabhängig sind.
4. Das in der mündlichen Verhandlung beantragte Schriftsatz-
recht zu den unter II 2 b und II 3 a behandelten Fragen
war der Klägerin nicht zu gewähren. Beide Punkte sind im
schriftsätzlichen Vortrag des Beklagten in erster wie
auch in zweiter Instanz ausreichend angesprochen worden,
so dass für die Klägerin alle Veranlassung bestand, sich
hierzu rechtzeitig und vollständig zu erklären. Im Übri-
gen wird speziell die Beantwortung der Frage, ob die Klä-
gerin - wie das Landgericht nicht geprüft, wohl aber der
Beklagte, auch im Berufungsverfahren, ausdrücklich bean-
standet hat - den Anforderungen des § 167 ZPO genügt hat,
letztlich nicht entscheidungserheblich. Denn es fehlt
(außerdem) an einer hinreichenden Individualisierung der
Mahnbescheidsforderungen. Dass der Senat insoweit einen
anderen Standpunkt einnimmt als das Landgericht, konnte
die Klägerin keinesfalls überraschen.
17
III.
Die
Nebenentscheidungen
beruhen
auf
§§ 91
Abs. 1,
708
Nr. 10, 711 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen
nicht vor.
Häfner
Meyer
Bokern